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Bis heute konnte ich den Republik-Beiträgen, und ich habe fast alle gelesen, mehrheitlich gut folgen. Heute aber stoppt dieses Erfolgserlebnis.
Egal, wie fest ich mich anstrenge, ich verstehe den Grossteil des Inhalts. Leider werde ich beim mehrmaligen Versuchen den doofen Gedanken nicht los, dass hier versucht wird, mit möglichst komplizierten Ausdrücken den ganzen Text als unglaublich gebildet wirken zu lassen. Es kann aber schlicht auch an meiner mangelnden Intelligenz oder meiner Jungfräulichkeit in Philosophie Fragen liegen...
Trotzdem: Ich bin Freund einfacher, klarer(er) Worte. Eine Sache allgemein verständlich auf den Punkt bringen ist eben auch anspruchsvoll.
Ich befürchte, mich hier wiederum als Expertin für bitterböse Bemerkungen zu profilieren, aber die erste Aussage von Stangneth, dass die westlichen Philosophinnen das Thema Sexualität meist gemieden haben, kann ich in dieser Form nicht gelten lassen, denn das Thema Sexualität ist nicht erst seit Freud und ganz sicher nicht nach dem monumentalen "Sexualität und Wahrheit" von Foucault in den frühen 80er Jahren kein gemiedenes, sondern ein bereits ziemlich abgelutschtes, if you pardon the pun, ein in der westlichen Kulturgeschichte sozusagen beständig behandeltes Thema, wie das Foucault in seinem Werk aufzeigt. Natürlich verstehe ich die strategische Ausrichtung der Behauptung, Stangneth betrete sozusagen Neuland mit dem Thema Sexualität, sie habe dieses Thema sozusagen philosophisch erfunden und für uns alle philosophisch entdeckt und philosophisch sauber kartografiert, und irgendwie wirkt das alles beinahe süss, aber es zeugt nicht von intellektueller Redlichkeit, insbesondere wenn Stangneth weiter unten selbst auf andere Philosophen des 20. Jahrhunderts Bezug nimmt, die das Thema ebenfalls behandelt haben. Sympathisch fände ich es, wenn eine Philosophin einmal hinstehen und sagen würde: "Ich habe ein weiteres Buch über das bereits ziemlich abgelutschte Thema Sexualität verfasst, und ich bin mir bewusst, dass das keineswegs originell ist, aber ich glaube, einen neuen Zugang entdeckt zu haben, der sich von den bisherigen Diskursen zur Sexualität unterscheidet."
Die zweite Aussage lautet: "Bei uns herrschte schon sehr früh, auch schon vor dem Christentum, eine Körperfeindlichkeit, die es auch sehr schwer gemacht hat, sich für die sexuelle Erregung zu interessieren." Dieses 'uns' wäre einmal näher zu analysieren, weil es, so wie es hier steht mit seinem gewaltigen Zeitbezug von ca. dreitausend Jahren Menschheitsgeschichte, sozusagen alle und niemanden meinen kann. Zur sogenannten Körperfeindlichkeit im Abendland, wenn ich das 'uns' mal so deuten soll, möchte ich zwei kleine, berühmte Verweise unter Tausenden machen: Shakespeare und Boccaccio. Das Thema Sexualität und Liebe ist wohl eines der in der abendländischen Kultur am häufigsten behandelten und das mit gutem Recht, weil es in der Tat ein spannendes ist. Es auf Körperfeindlichkeit zu reduzieren scheint mir trotz der Geschichte von Machtdiskursen über Verbote, Kontrollen, Beichten gerade auch aufgrund vieler Rebellionen gegen diese Verbote und Kontrollen (all das beschreibt Foucault in Sexualität und Wahrheit relativ umfassend) eine unzulässige Verkürzung und Pauschalisierung.
Foucault rezipierte in seiner Diskursanalyse ja bewusst nicht kanonische philosophische Literatur, sondern in «Sexualität und Wahrheit» v. a. antike und mittelalterliche medizinische Literatur, um die «Sexkultur» der Antike und des Mittelalters zu rekonstruieren. Gerade, weil er verschüttete Potentiale für eine emanzipatorische Gegen-Geschichte stark machen wollte.
Dies bedeutet aber nicht, dass die kanonische Philosophie in dieser Kultur sex-affirmativ gewesen wäre. Ja, selbst auch nicht, dass die Kultur sex-affirmativ war. Denn Sex wurde zwar thematisiert, aber meist zu regulatorischen Zwecken. Denn zu jeder Zeit wahrscheinlich wollten, ja mussten die Menschen wissen, wie «es» geht – und was geht.
Es ist also vielmehr die Gegenposition, nämlich dass viele Philosophen sich ausführlich und affirmativ mit Körperlichkeit, Emotionalität und Sex befasst hätten und Moral und Gesetze der «abendländischen Kultur» in der Antike, im Mittelalters und in der Neuzeit körper-freundlich gewesen wären, die plausibel gemacht werden müsste.
Danke für Ihre Replik. Ihre Hermeneutik des Vertrauens ehrt Sie und gereicht Ihnen zur Zierde. Mein Verständnis von Philosophie ist ein etymologisch-grundsätzliches, weder sehe ich sie historisch als Magd der Theologie, noch als eine kanonisch-universitäre Wissenschaft mit ihren hin und wieder fetischisierten Stars, die uns aus den Jahrhunderten von ihren Gipsbüsten herab freundlich (Nietzsche allenfalls leicht verkniffen) zuwinken. Grundsätzlich erachte ich in einem offenen Verfahren beispielsweise auch literarische Werke als mögliche Quellen der Liebe zur Weisheit und betrachte auch das 20. Jahrhundert, in welchem philosophische Diskurse zur Sexualität ja nicht wirklich Mangelware waren, um es einmal milde zu formulieren, so dass es etwas lächerlich wirkt, sozusagen einen Tabubruch für mich zu reklamieren, wenn ich das Thema Sexualität anno 2021 philosophisch anpacke.
Ich bin eine reife Frau , sehr sinnlich, jetzt in meinem Rentenalter strecke ich meine Fühler in der Natur aus.., es muss nicht mehr Sex sein.
Nach wie vor mag ich schöne Körper, betrachte sie gerne, auch ich war mal attraktiv.
Aber was ich nicht verstehe oder nachvollziehen kann, ist die Monogamie.
Trotz Ehe habe ich mich bald befreit nur dem Einen zu gefallen , meine Sexualität auch besser bei mir ( noch ) fremden Männern ausleben, geniessen können.
Es war dann oft wild und hemmungslos, es ging um meinen Körper und nicht um meine Seele.
Doch verliebt war ich immer, auch wenn die Begegnung auf ein kurzes Abenteuer hinauslief , und Orgasmus war immer der Höhepunkt.
Tantra wäre für mich nicht die Lösung gewesen, ich mag nicht jede Haut, Haar , Geruch , Körper eines Fremden , auch keine Anleitung .
Meine Libido half mir auf natürlichem Weg ein herrlich befreiendes Miteinander zu geniessen .
Die Bilder finde ich harmlos und sehr natürlich.
Schöner Beitrag. Ich (Frau, 30) kann der Monogamie für mich auch nicht viel abgewinnen.
Nur stolpere ich in Ihrem Beitrag über etwas Kleines, die Vergangenheitsform vor dem attraktiv. Ich bin sicher, Sie sind es noch immer.
Alles Liebe
Danke für dieses sehr interessante und zu neuen Gedanken inspirierende Interview. Die Spur, die Sie damit legen, scheint mir genau richtig. Lediglich mit dem Bogen zur aktuellen Situation mit Corona habe ich grosse Mühe. Der böse Westen, dem es tendenziell mehr um die Rettung der Wirtschaft und der gute Osten, dem der Schutz des Lebens an erster Stelle steht. Das ist eine moralische Unterstellung, die nicht zum Rest des Interviews passt. Und die so wirklich auch nicht stimmt. Der Bogen von Sexualität zur aktuellen Coronasituation müsste eigentlich zum Thema Umgang mit Tod und Sterben gemacht werden.
Dabei ist doch gerade die Verbindung der Beschreibung ihrer Beobachtungen und Erfahrungen, dass Sexualität ein Erfahrungsraum ist, der sich erschliesst in der Begegnung mit dem anderen Menschen auf den man sich einlässt und die naturgemäss damit verbundenenen Ängste, ein Schlüssel zur aktuellen Situation. Man weiss auch nicht, was einem erwartet, wenn man sich wirklich auf das Gegenüber und seine Weltanschauung einlässt. Damit meine ich, wenn man sich wirklich auch für den Menschen hinter der zur Schau getragenen Ansichten interessiert.
Ich habe in den vergangenen Monaten mit vielen Menschen über Corona gesprochen, die zum Teil nicht unterschiedlicher sein könnten. Genauso, wie es «Sexkulturen» gibt, die uns prägen, so gibt es ganz offensichtlich «Coronadenkkulturen».
Eingangs schreiben Sie: Der Mensch braucht, wenn er lernen will, einen möglichst entspannten Zugang zu Erfahrungen. «Aber wenn wir uns den schon gedanklich verstellen, können wir auch unsere Theorien nicht mehr korrigieren, weil wir nicht mehr hinschauen.»
Diese Gedanken, die mir sehr richtig und wertvoll erscheinen, sollte man konsequenterweise anwenden, um auf das aktuelle Geschehen zu schauen. Und damit könnte sich ein Erfahrungsraum eröffnen, der uns weiterführt. Und zwar zum ebenfalls so schwierigen Thema Umgang mit Tod und Sterben. Und auch hier scheinen wir uns im Kreis zu drehen, weil wir nicht hinschauen wollen. Und zwar so, also wieder gleich wie beim Sex, indem wir uns als ganzen Menschen mitnehmen. Die einen sind der Überzeugung man muss alles unternehmen, um Leben zu schützen, verlieren dabei leicht das Ganze aus den Augen und entfernen das Thema Sterben aus ihrem gedanklichen Leben. Die anderen finden, es ist natürlich, dass Menschen sterben, vor allem Menschen, die schon hochbetagt sind oder sehr krank. Und laufen mit ihrer Ansicht Gefahr sich nur rein gedanklich abstrakt und nicht auch unter Einbezug von tiefem Mitgefühl sich mit dem Thema Tod und Sterben zu beschäftigen. Wir brauchen auch hier den Mut genau hinzuschauen. Und zwar gemeinsam. Und ethisch unter Einbezug eigener Erfahrungen. Genauso also, wie beim Thema Sexualität.
Das Interview ist wirklich inspirierend, mir gehen dabei Szenen von Houellebecq, Kundera, etc. durch den Kopf. Der Anspruch, den Frau Stangneth an den Menschen stellt, ist hoch und eher ein Ideal, an dem man sich orientieren, als ein Ziel, das man erreichen kann.
Die letzen vier Fragen sind ein spannender Abschluss: Während Sex komplex sei und die Vereinigung von Natur und Kultur erfordere, sei das Regieren eines Staates während Covid einfach und auf die Natur zu reduzieren. What? Auch nach dem Studium der Philosophie ist man angesichts des Unbekannten so schlau als wie zuvor. Beruhigend.
Mich irritiert der Satz: "körperfeindlich schon vor dem Christentum". Das steht ohne Quelle und Bezug. Aber was ist mit den ausgesprochen sinnlichen Darstellungen von Sex in der römischen und griechischen Kultur? Die Beschreibungen von Ovid?
Und welche gesicherten Quellen haben wir, dass die germanischen Stämme vor Konstantin leibfeindlich waren?
Liebe Frau K., herzlichen Dank. Ich glaube, was Frau Stangneth hier meint, ist zweierlei: einerseits das Fehlen einer offensiv bejahenden Denktradition, wie sie aus ihrer Sicht in asiatischen Denktraditionen ungleich stärker vorhanden ist (dazu finden Sie mehr in ihrem Buch). Andererseits die Hierarchie zwischen Körper und Geist, die sich durch die abendländische Geschichte zieht, mit dem Körperlichen als dem Triebhaften und Tierischen, von dem Gefahr ausgeht und das gebändigt werden oder durch elaborierte Narrative gerechtfertigt werden muss. Aber Sie haben natürlich recht, Stangneth macht da eine sehr starke Opposition zwischen westlicher und asiatischer Tradition auf, die nie ganz ohne Gegenbeispiele aufgeht. Ich denke, man kann darin den Wunsch erkennen, durch starke Zuspitzung auf blinde Flecken aufmerksam zu machen und vermeintliche Selbstverständlichkeiten aufzubrechen. Ob man das in jedem einzelnen Gedankenschritt mitgeht, ist eine andere Frage – und glücklicherweise nicht die Voraussetzung, ihren Überlegungen wichtige Anregungen und Inspiration zu entnehmen.
Das Bild zum Artikel finde ich abschreckend, weil so "normativ" (junge, perfekte Körper, heikle Stellen abgedeckt, nix homo, nix alt, nix behindert). Wohl leider auch ein Abbild unserer Kultur?
Vielen Dank für Ihre Rückmeldungen zu der Bebilderung des Interviews mit Bettina Stangneth. Gerne gebe ich Ihnen hier noch etwas Kontext zur Künstlerin und zu ihrem Werk: Die Fotografin Carlota Guerrero setzt sich in ihrer Arbeit mit Weiblichkeit, Sexualität und Körperlichkeit auseinander. Die von uns ausgewählten Bilder stammen aus ihrer Performance «Love Different», die im Dezember 2019 an der Art Basel Miami präsentiert wurde. Das gesamte Werk können Sie hier sehen: http://carlotaguerrero.com/desigual-x-art-basel/. Dabei sehen Sie auch – besser als auf den gezeigten Ausschnitten – dass die Performer und Performerinnen durchaus divers sind, einerseits in ihrem Äusseren aber auch in ihrer Beziehung zueinander. Dass eine solche Performance nicht allen gefällt und unterschiedliche Assoziationen hervorruft ist verständlich und durchaus auch beabsichtigt. Beste Grüsse aus der Bildredaktion
das empfinde ich ähnlich: Die Bebilderung ist m.E. sehr schematisch, passt überhaupt nicht zum Geschriebenen, allenfalls und vielleicht gerade absichtlich zur Illustration von gängigen Schemata, who knows?!!?
Wunderbares Interview, differenziert, klar, ungewohnt, anregend, auch weil es Worte findet für diffuses Erleben.
Die Bilder haben mich überhaupt nicht gestört, weil sie eben auch zu dem gehören, was in unseren Köpfen vor sich geht, wenn Sex im Spiel ist, unabhängig davon, ob das nun negative oder positive Bilder sind. Warum müssen die Leute auch gleich alles kritisieren, wenn es sie irritiert? Das hat alles sehr viel mit dem zu tun, was Bettina Stangneth zu erklären versucht: Unsicherheit und Irritation zulassen.
Herzlichen Dank für diesem tollen Artikel.
Eine entkrampfte, leichte Sicht auf das was uns bewegt, bemüht und immer wieder herausfordert.
Die Interpretation der 'Kultur' im Kontext der Sexualität und meiner eigenen Bedürfnisse und Wünsche erlaubt es mir diese neu zu betrachten, zu interpretieren und etwas besser zu verstehen. Sie eröffnet auch neue Möglichkeiten im Austausch mit dem Partner.
Auch in unserer Sprache wird es immer wieder sichtbar. Die Trennung zwischen Körper und Geist. Das Abtrennen unseres Körpers vom Ich. Der Körper ist 'objektivierbar'. Wir sprechen und denken von ihm wie eine Sache. Wir sind nicht unser Körper, wir haben (besitzen) einen. Als wäre dieser abgetrennt. Obwohl wir aus Erfahrung wissen das wir uns im Anderen, im Partner am intensivsten erfahren. Dann sind wir möglicherweise am meisten im Flow. Diesem Zustand der Geist und Körper idealerweise am meisten vereint.
Schöne, verführende und motivierende Gedanken unserer Sexualität und der unseres Partners auf neue Art zu begegnen.
Danke Republik für diese erneute Erweiterung meines Denk- und Handlungsraums. Deswegen bin ich begeistert mit dabei und werde es sich weiterhin bleiben!
grad sehr gerne gelesen, DANKE für diesen Artikel. Wie wären uns doch mehr Mut und Offenheit und die Bereitschaft zum Aufgeben von Schematismen in dem Zusammenhang zu wünschen. lets go explore.
"Viele kommen schon in Probleme, wenn die moderne Biologie zu vermitteln versucht, dass sich über 15 biologische Geschlechter nachweisen lassen."
Gemäss meinem Wissensstand ist in der Biologie ist der Begriff "Geschlecht" klar definiert und wir kennen 2 Kategorien basierend auf den im Individuum vorhandenen Geschlechtschromosomen.
Die Definition von über 15 Geschlechtern in einem naturwissenschaftlichen Kontext wäre mir neu - ich gehe davon aus Frau Stangneth bezieht sich auf den neuen Englischen Begriff des "genders", also einem "sozialen Geschlecht". Diese Kategorien sind nicht in einem naturwissenschaftlichen Prozess entstanden, sie als Produkt einer "modernen Biologie" zu bezeichnen scheint mir nicht korrekt.
Habe ich etwas übersehen / falsch verstanden?
Im «Nature» erschien 2015 der Artikel «Sex redefined. The idea of two sexes is simplistic. Biologists now think there is a wider spectrum than that» (vgl. auch diesen Thread).
Sind das nicht Binsen, durch Düngung mit Kulturgeschichte mühsam auf Baumhöhe (und Interviewlänge) gebracht?
Zum beworbenen Begriff Autoerotik haben manche Fahrzeugbesitzer sicherlich eigene Assoziationen. Oder Erinnerungen. Oder Wunschträume.
Grossartig! Vielen Dank für diesen Beitrag!
Ein starkes und auch gut geführtes Interview. Spannend, von einer Philosophin über Sexualität zu lesen - und ja: Das Interview liest sich nicht so einfach wie eine Autorevue, mit erster Gang, zweiter Gang... Vielfach müssen wir uns bei Philosophinnen richtig anstrengen, um mit eintauchen zu können.
Bevor ich andere Kommentare lese mein Senf in Kürze: Grossartiger Artikel, intelligente Denke, einladende Hinweise.
Danke, Daniel und Bettina!
Endlich mal offene Worte. Liebe und Sex sind für mich nicht das selbe. Ich kann mit jemand zusammen Leben, den ich gerne mag, aber warum sollte ich mich einschränken, oder den Partner. Sein Glück ist auch meines. Ehe so wie heute, ist für mich ein Vogel im Goldenen Käfig. Deshalb klappt das auch nicht. Das Leben ist Veränderung, immer jeden Tag aufs neue. Nichts bleibt für immer, auch wenn wir das gerne hätten. Wahre Liebe ist den Partner seine Freiheit zu lassen, ist er frei und bleibt freiwillig, brauche ich nie Angst um meine Liebe zu haben, keine Eifersucht und keine Dramen mehr, das ist Wunderschön.
Mit Blick auf die kanonische westliche Philosophiegeschichte muss tatsächlich konstatiert werden, dass nur Wenige sich mit dem körperlichen Akt des Sex befassten und wenn, dann meist negativ. Affirmative ausführliche Positionen sind quantitativ im Verhältnis zur riesigen Mehrheit geradezu verschwindend klein. Qualitativ waren sie jedoch wichtig, gerade als Anknüpfungspunkte für sex- und body-affirmative Ansätze.
Hier ein kleiner Abriss, der aus diesem empfehlenswerten Podcast stammt:
Sokrates/Platon: Sex zwar zur Fortpflanzung nötig, sonst aber «Raserei», die den Menschen ins «Verderben» stürze. Wollust richte sich nur auf den Körper des anderen, die Seele bliebe auf der Strecke.
Christlich geprägte Philosophie und Theologie: Körper, Sexualität und Triebe eher Bedrohung des souveränen, rationalen Menschen, des Mannes.
Augustinus schimpfte auf den «Sumpf fleischlicher Begierde»
Spinoza klagte, der erregte Mensch denke nicht mehr.
(AUSNAHME!) Montaigne: Einen offenen Blick auf Sex warf Montaigne im 16. Jahrhundert:
Was hat der Geschlechtsakt, dieser so natürliche, nützliche, ja notwendige Vorgang, den Menschen eigentlich angetan, dass sie nicht ohne Scham davon zu reden wagen und ihn aus den ernsthaften und sittsamen Gesprächen verbannen? Wir haben keinerlei Hemmung, die Worte «töten», «rauben» und «verraten» offen auszusprechen – und da sollen wir uns dieses eine bloß zwischen den Zähnen zu murmeln getraun?
Schopenhauer: Sexualität diene nicht der Lust, sondern dem blinden Willen der Natur zur Erhaltung der Art. Schon Verliebtheit sei im Grund ein Missverständnis: «Denn alle Verliebtheit, wie ätherisch sie sich gebärden mag, wurzelt allein im Geschlechtstriebe».
Nietzsche: Attackiert die christliche Moral und feiert die Wollust. Allerdings mit klarer Rollenverteilung: «Das Glück des Mannes heißt: ich will. Das Glück des Weibes heißt: er will».
Beauvoir, Sartre, Merleau-Ponty, Lévinas: Erst Mitte des 20. Jahrhunderts taucht Sex als Thema wieder auf, vor allem in der französischen Philosophie, auch als Reaktion auf die äußeren und inneren Verheerungen des Zweiten Weltkriegs. Nun geht es um den einzelnen Menschen und seine elementaren Bedürfnisse, aus weiblicher und männlicher Sicht.
Foucault fragt nach dem Zusammenhang von Sexualität und Gesellschaft.
Foucault rezipierte in seiner Diskursanalyse ja bewusst nicht kanonische philosophische Literatur, sondern in «Sexualität und Wahrheit» v. a. antike und mittelalterliche medizinische Literatur, um die «Sexkultur» der Antike und des Mittelalters zu rekonstruieren. Gerade, weil er verschüttete Potentiale für eine emanzipatorische Gegen-Geschichte stark machen wollte.
Dies bedeutet aber nicht, dass die kanonische Philosophie in dieser Kultur sex-affirmativ gewesen wäre. Ja, selbst auch nicht, dass die Kultur sex-affirmativ war. Denn Sex wurde zwar thematisiert, aber meist zu regulatorischen Zwecken. Denn zu jeder Zeit wahrscheinlich wollten, ja mussten die Menschen wissen, was geht – und wie dass «es» geht.
Es ist also vielmehr die Gegenposition, nämlich dass viele Philosophen sich ausführlich und affirmativ mit Körperlichkeit, Emotionalität und Sex befasst hätten und Moral und Gesetze der «abendländischen Kultur» in der Antike, im Mittelalters und in der Neuzeit körper-freundlich gewesen wären, die plausibel gemacht werden müsste.
Vielen herzlichen Dank Ihnen allen für die leidenschaftliche Diskussion, für die vielen positiven Reaktionen, aber auch die Kritik. Etwas überrascht hat mich die teils recht harsche Kritik an der Ausdrucksweise von Bettina Stangneth. Natürlich gibt es in ihren Ausführungen auch Passagen, die stärker vom alltäglichen Sprachgebrauch abweichen oder ein wenig spezialistisch anmuten – das bleibt nicht aus, wenn man sich um das Auseinanderdröseln von Begriffen bemüht, wie es ja zum Kerngeschäft der Philosophie gehört. Insgesamt aber spricht Bettina Stangneth meiner Wahrnehmung nach ausgesprochen klar, stellenweise sogar erfrischend salopp und unakademisch. Aber das liegt sicher auch ein wenig im Auge der Betrachterin. Wenn engagiert über philosophische Themen diskutiert, vielleicht auch gestritten wird, finde ich das jedenfalls grundsätzlich sehr erfreulich. Vielen Dank also nochmals!
Mir macht beim Lesen eher Mühe, was ich als Gedankensprünge empfinde, als der Sprachgebrauch an sich. Zumindest wird nicht versucht, durch Aneinanderreihung von Mehrfachbegriffen Schwergewichtigkeit zu erzeugen, eine Zurückhaltung, die ich schätze. Mir kam es so vor, als ob hier jemand rede, der/die sich so intensiv mit einem Thema auseinandergesetzt habe, dass die Tatsache untergeht, dass das Gegenüber möglicherweise sehr viel weniger Hintergrund mitbringt. Mein Eindruck war, hier kreise ein Denken um sich selber und es geschehe gerade das nicht, was eigentlich das Thema des Interviews ist: die Bezugnahme auf den Andern, das in Beziehung treten mit einem Gegenüber, was im Fall eines Interviews ja auch die Leser*innen sind.
Aber das ist meine Wahrnehmung, und da haben Sie sicher recht: die liegt auf meiner Seite. Vielleicht fehlt mir einfach die reale Präsenz der Interviewten. Sie wird nicht fassbar, auch in ihrem Denken nicht.
Die Bilder gefallen mir ebenfalls nicht, weil ich sie gerade in der exzessiven Zurschaustellung von Körperlichkeit als körperlos und künstlich empfinde. Mein erster Gedanke war: Photoshop lässt grüssen, noch bevor ich die abgeklebten Brustwarzen sah. Sie passen nach meinem Dafürhalten aber hervorragend zum Text, den ich als ähnlich körperlos empfinde. Von daher scheint mir die Bildauswahl geglückt.
Liebe Frau J., haben Sie vielen Dank für Ihre Leseeindrücke, die ich sehr spannend finde, besonders Ihren Punkt mit dem In-Beziehung-Treten. Allerdings bin ich nicht sicher, ob ich Sie immer richtig verstehe. Können Sie das mit den Gedankensprüngen und das Um-Sich-Kreisen eventuell noch an ein, zwei Beispielen konkretisieren? Ich würde auch gerne noch besser verstehen, was Sie mit dem «Körperlosen» meinen. Mir schien, Frau Stangneth erklärt sehr grundsätzliche Themen sehr niedrigschwellig (z.B. die «negative Sexkultur» und ihre Kritik daran; die Problematik des Natur-Begriffs etc). Aber da bin ich möglicherweise selbst ein wenig betriebsblind.
Bei einiger Sympathie für die Ausrichtung dieses Artikels: zu wissen, was Freud "dachte", und es per "stimmt aber nicht" zu disqualifizieren, ist nicht nur vorlaut, es legt vielmehr, nahe, dass die Autorin Freud kaum gelesen hat. Dass "Wunsch" bezw Begehren, und "Wille" des öfteren quer zueinanderliegen - was übrigens auch den Reiz von Shakespeare und co. ausmacht - ist ein Kern Freudschen Denkens, und sämtliche Philosophinnen, Kulturwissenschaftler etc zehren von der Freudschen Analyse der Scheidung von, und des Kuddelmuddels zwischen, "Geist" und "Körper", "Kultur" und "Natur", kompliziert dadurch, dass Kultur von den sogenannten Trieben durchwachsen ist, und dass die Triebe kultur-verformt auftreten.
Dazu die Replik des alten Freud an L. Binswanger: "( ..) Ich habe mich immer nur im Parterre und Souterrain des Gebäudes aufgehalten - Sie behaupten, wenn man den Gesichtspunkt wechselt, sieht man auch ein oberes Stockwerk, in dem so distinguierte Gäste wie Religion, Kunst und andere hausen. Sie sind nicht der Einzige darin, die meisten Kulturexemplare des homo natura denken so. Sie sind konservativ, ich revolutionär. Hätte ich noch ein Arbeitsleben vor mir, so gertraute ich mich auch jenen Hochgeborenen eine Wohnstatt in meinem niedrigen Häuschen anzuweisen. (...) Aber wahrscheinlich reden wir doch aneinander vorbei, und unser Zwist wird erst nach Jahrhunderten zum Ausgleich kommen." 8.10. 1936, S.Freud/L.Binswanger, Briefwechsel 1908-1938, S. Fischer 1992, S. 236/37
Freud zu bashen mag einfach sein, doch was das Überholen angeht ...
danke für diesen Beitrag. Auch ich mag mich nicht der beschönigenden Sichtweise anschliessen, dass der Umgang mit der aktuellen Krise nicht den Werten unserer Zivilisation entspricht. Vielmehr öffnet er uns hoffentlich die Augen dafür, wie es um die gesellschaftlichen Werte steht. Danke für Augen, die die Realität sehen, selbst wenn sie nicht gefällt.
Sex als eine speziell stimulierende Art der Körpergymnastik betrachtend mag diese Philosophie passen. Kommt der biologisch-reproduktive Aspekt hinzu, wird es philosophisch erst richtig spannend, nicht? Ich bin vermutlich nicht der einzige Mann, der täglich durchaus einer stattlichen Zahl Personen begegnet, die einem sexuell anziehen. So sympathisch mir die „innovative“ Herangehensweise erscheint, das gegenüber offen anzusprechen, dass man sich in seiner Umgebung wohl fühlt - irgendwie halte ich dies doch nicht für angemessen; der angesprochenen (unwillkommen sexuell belästigten?) wie auch der verehelichten Frau gegenüber nicht. Aber ich lerne gerne philosophisch hinzu...
Strassberg stellte die Frage, welches funktionale Bedürfnis Sex deckt. Als Individuum mag ich kein Bedürfnis nach Kindern haben; aber würde sich in der menschlichen Kultur die Einsicht durchsetzen, dass das biologische Resultat der Körpergymnastik mittelfristig etwas anstrengend ist - Autoerotik ist vernünftiger - so könnte die Kultur in einigen Jahrzehnten aussterben. Das will ich nicht werten, mich interessiert Philosophie in diese Richtung :-)
Ein wunderschöner Text :“In der intensiven sexuellen Begegnung mit einem anderen Menschen ist die Veränderung unvergleichlich grösser. Der andere wird mir wesentlich. Und je mehr ich das zulasse, desto mehr fehlt es, wenn es weg ist. Das ist wahrscheinlich noch intensiver, als wenn mir plötzlich die Hand fehlt.“
Ich habe einmal eine Freundin gefragt, ob es einen Zusammenhang zwischen Lust und Verlust gebe. „Ja, beides hat mit Hingabe zu tun“ erhielt ich zur Antwort.
Ich finde, manche machen aus einer Mücke einen Elefanten und ziehen mit dessen Rüssel auch gleich noch einen Strick. Damit wechsle ich von der Hermeneutik des Verdachts zu einer des Vertrauens. Betreibe also mit dem principle of charity eine wohlwollende Lektüre.
Betrachten wir als erstes den Kontext:
Frau Stangneth, Sie sind Philosophin und haben ein Buch über Sex geschrieben. Ist das schon eine Pointe?
Leider ja. Man sollte doch denken, dass Philosophen sich mit allem beschäftigen, was ist. In diesem Fall haben das zumindest die westlichen Philosophen meist gemieden.
Warum?
Das ist eine schwierige Frage. Vermutlich fing es, wie das meiste, mit einem Zufall an. Bei uns herrschte schon sehr früh, auch schon vor dem Christentum, eine Körperfeindlichkeit, die es auch sehr schwer gemacht hat, sich für die sexuelle Erregung zu interessieren.
Als lockeren Einstieg spielt Daniel Graf zu Beginn des Interviews mit dem Vorurteil, dass Philosoph*innen, da sie sich hauptsächlich mit Ideen, Begriffen und Logik befassen würden, derart intellektuell, «verkopft» wären, dass der körperliche Akt des Sex thematisch aber auch charaktertypisch so weit weg wäre, wie kein anderes Thema.
Bettina Stangneth muss mit Verweis auf die Philosophiegeschichte dieses Vorurteil leider bestätigen. Dabei bezieht sie sich weniger auf die gesamte antike Kultur im Allgemeinen, sondern auf die antike Philosophie im Speziellen – und in Folge auf die «westlichen Philosophen». «Bei uns» heisst also «Bei uns Philosoph*innen». Aber natürlich auch bis zu einem gewissen Grad die Kulturen, die durch die Philosophie von Platon und Aristoteles (paganer Hellenismus) über Augustinus und Aquin (christliches Mittelalter) bis Descartes und Spinoza (rationalistische Neuzeit) usw. beeinflusst worden ist.
Mit Pythagoras und Platon, Aristoteles und die Stoa wurde in der kanonischen Philosophie der Intellektualismus dominant. Aristoteles galt im Mittelalter schlicht als «der Philosoph» und war die Autorität neben der Bibel, welche ja auch nicht gerade als körpferfreundlich gilt. Gott und die Engel fasste man als körperlose reine Intelligenzien auf.
Einher ging die Unterordnung des Körpers. Die Leidenschaften galt es durch Vernunft und Disziplin zu beherrschen. Der sexuelle Akt diente rein funktionalistisch zur Fortpflanzung. Ausserhalb dieser Funktion drohte die Perversion – und mit dieser die Subversion. Einher ging ebenfalls die Unterordnung der Frau (sowie des körperlich arbeitenden Sklaven). Der Mann und Herr war der Kopf, die Frau die Gebärmutter und der Sklave und Knecht die Hand. Besonders deren Körper und Leidenschaften galt es durch Moral und Gesetz zu disziplinieren und zu kontrollieren.
Es geht also in Bettina Stangneths Aussage allein um die Philosophie und ihre Geschichte, welche es Philosoph*innen nicht gerade nahe legt, sich mit dem körperlichen Akt des Sex zu befassen. Auch nach Beauvoir, Sartre, Merleau-Ponty und Foucault nicht (wo sind etwa all die Angelsachsen und Deutschen?). An dieser Feststellung finde ich nun gar nichts Grundfalsches, erst recht nichts Skandalöses.
Mussten wirklich diese geschmacklosen unästhetischen Bilder zu diesem Beitrag gewählt werden?
Guten Morgen! Geschmäcker sind bekanntlich verschieden. Zur Bebilderung: Hier eine Antwort aus der Bildredaktion. Herzlich
Ich gebe Anonym 2 Recht. Das Bild ist in der Tat lausig, sowohl technisch, als auch künstlerisch, und hat keinen Bezug zum Artikel.
Okay, wenn man die Performance kennt, wird das Bild von der Erinnerung daran belebt und wird, da gebe ich Frau Herrmann Recht, schön und bedeutsam - danke für den Link, der war zwingend notwendig. Er hätte schon unter dem Bild stehen müssen, schliesslich verbringen nicht alle Leser ihre Zeit vor den Bühnen dieser Welt.
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