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Aber bitte, das ist totaler Unsinn! Mit Ausnahme eines Satzes weist der Text normal oder sogar unter-durchschnittlich viele Fremdwörter auf. Im Uebrigen gibt es den Fremdwörterduden und Google! Mich stören etwas zwei andere Aspekte dieser Besprechung: die rein rhetorische Behauptung, dass der kurze
Roman" gewichtig" sei. Das kann man fast immer behaupten, ist schwer zu widerlegen. Sodann haben wir es einmal mehr mit einem Erstlingswerk zu tun. Wir täten vielleicht besser daran, den zweiten oder
dritten Text von Erstlingsautor-innen abzuwarten, bevor wir "Gewichtigkeit" diagnostizieren...
Lieber Herr Weiler, vielen Dank für Ihr Feedback. Sie sprechen ein paar wichtige Punkte an, die grundlegend sind für die Frage, was Literaturkritik kann, darf, soll. Lassen Sie mich deshalb im Einzelnen darauf eingehen. Der Vorwurf, die Wertung sei eine reine Behauptung, gilt ja im Grunde für jede Rezension, wenn Sie das einzelne Wertungs-Adjektiv isolieren. Aber dann ist irgendwie auch der Witz weg, oder? Eine Besprechung ist ja nichts anderes als der Versuch, die eigene Bewertung plausibel zu machen, Gründe anzugeben, die eigenen Kriterien transparent zu machen – sodass das kritische Urteil seinerseits kritisiert werden kann. Literaturkritik soll meinem Verständnis nach das eigene Nachdenken der Leser:innen anregen, indem sie sich konkret und anschaulich mit dem literarischen Text auseinandersetzt, um den es geht. Im Idealfall stösst sie einen Dialog an und gibt auch denjenigen, die dem Kritikerurteil nicht zustimmen, Mittel an die Hand, Kriterien und Wertungen begründet in Frage zu stellen. Das blosse Werturteil, für sich genommen, ist eigentlich das Uninteressanteste an einer Rezension, denn Meinungen sind billig zu haben. Worum es geht bei einer Kritik, sind Plausibilisierung, Einordnung, Transparenz der eigenen Gründe und Kriterien.
Bei Ihrem Einwand zu «Debüt vs dritter Roman» werfen Sie meines Erachtens die Kategorien Buch und Gesamtwerk durcheinander. Natürlich kann man die Bedeutung einer Autorin oder eines Autors erst mit der Zeit einordnen. Aber ich spreche hier ja gar nicht von der Bedeutung einer Autorin, sondern von der Gewichtigkeit ihres Buches, und zwar in dem konkreten Kontext der Gegenwartsliteratur zur Klassenfrage.
Bei Ihrer Sorge, wir seien zu fokussiert auf Debüts, kann ich Sie vielleicht beruhigen: Der Text, an dem ich gerade arbeite, handelt vom dritten Roman einer Autorin. Letzte Woche hatten wir einen umfangreichen Text zu einem gewissen James Joyce – nicht gerade ein Neuling. Davor ging es u.a. um den dritten Roman von Hanya Yanagihara oder den, ich glaube, 13. Roman von Richard Powers. Wenn Sie insgesamt auf die Textauswahl schauen, werden Sie vermutlich keinen skandalösen Überhang an Debüts feststellen, obwohl wir Erstlingen sicherlich auch weiter Raum geben werden, schliesslich gehört das Vorstellen neuer und noch unbekannter Stimmen zu den wichtigsten Aufgaben der Literaturkritik. Vielen Dank nochmals für Ihren Kommentar.
Lieber Herr S., vielen Dank für die Kritik. Darf ich fragen, welche Wörter Sie gestört haben und warum? Und kam es Ihnen wegen dieser Wörter abgehoben vor oder aus anderen Gründen?
Lieber Herr Graf
Ich muss mich korrigieren: Ihr Text enthält tatsächlich nicht sehr viele Fremdwörter. Ich bin am sehr frühen Morgen, mit noch teilweise ausgeschalteten Hirnzellen, an Satzteilen und Sätze wie den folgenden hängen geblieben:
"Mit dem Authentizitätsgestus autofiktionaler Texte à la Ernaux geht Brown deutlich zurückhaltender um..."
"Wer mag, kann das «Intersektionalität» nennen."
"Doch genau diese Zurückhaltung gegenüber fälschlich behaupteten Zwangsläufigkeiten steht gegen Ende des Buches auf dem Spiel,…"
"Die Falle der antiuniversalistischen Erzählung hingegen besteht darin, dass sie zwar momenthaft ein Ventil für berechtigte Wut und verletztes Gerechtigkeitsempfinden bietet..".
Beim erneuten Lesen Ihrer Besprechung einige Stunden später glaube ich auch diese Formulierungen verstanden zu haben.
Mich hat die Buchbesprechung sehr angesprochen. Ich habe das Buch bereits heruntergeladen und bin gespannt auf die Erscheinung am 14. Februar.
Das freut mich sehr, liebe Frau S., herzlichen Dank!
Vielen Dank Herr Graf für die Vorstellung dieses Buches das ich nun gerne lesen werde mit schon geschärftem Blick. Auch möchte ich Ihnen danken, wie Sie in Dialog mit uns LeserInnen treten. Gestern morgen früh, nach der Lektüre einiger Beiträge hätte ich fast geantwortet, merkte aber dass meine Reaktion am frühen Morgen doch eher unreflektiert war. Diesbezüglich inspiriert mich die Art und Qualität Ihrer Antworten sehr.
Liebe Frau A., haben Sie vielen Dank!
Ich habs so gemacht: Erst das Buch lesen (im englischen Original) und dann die Rezension. Ist ja nur unwesentlich kürzer als das Buch selbst. :)
Funktionierte wunderbar. Hat mir zusätzliche Einblicke in den doch sehr dichten Text verschafft. Danke für die Interpretationen!
Hach, grossartig! Das finde ich natürlich die beste Kombi, Buch und Rezension. Vielen Dank für Ihre Rückmeldung, lieber Herr Oetiker!
Danke für diese Rezension. Sie hat definitiv mein Interesse an der Autorin und am Buch geweckt.
Irritiert hat mich hingegen die hingeworfene These, dass es ein „Glück“ ist, in die Gesellschaft der feinen Unterschiede aufzusteigen.
Liebe Frau N., herzlichen Dank! Bei dem Satz mit dem Glück liegt, glaube ich, ein Missverständnis vor. Gemeint ist an der Stelle nicht ein Eintritt in die Gesellschaft der feinen Unterschiede (dort befinden wir uns nämlich alle schon unfreiwillig). Sondern dass es in einer Gesellschaft, in der die feinen Unterschiede wirksam sind (also auch die damit einhergehenden Ausschlussmechanismen), selbst für die Talentiertesten auch Glück braucht, um aufzusteigen.
Mit ihrem gerade mal 10-seitigen Romandebüt 'Getting together (and coming apart (at the seams (which is where it usually happens (at most inopportune moments (!) ))))' hat Miranda Boyle es nicht nur zustande gebracht, die dringlichsten Fragen unserer Zeit zu beantworten, sondern ebenso die gegenwärtige Debatte um postkoloniale Identität, Gender, Klasse, Herkunft und Schuhgrösse zu bereichern. 10 (!) Seiten, aber was für welche! Paradoxerweise wird dabei ihr nicht Gesagtes mithin zum Angesagtesten, was je über dekonstruierte Intersektionalität hingesagt wurde. Der kurze Satz 'Sie öffnete den Kühlschrank und nahm sich ein Joghurt', erst belanglos, entfaltet beim Nachdenken unergründliche Tiefe. Präzision des Plots und der Figurenentwicklung, wie sie auch einem Thomas Mann über 700 Seiten nie wirklich geglückt ist, sparsame, aber gekonnte Platzierung der Adjektive, die an Virginia Woolf und Silvia Plath erinnern, aber im Heute verortet sind, formal und inhaltlich bewegende Verwendung bestimmter und unbestimmter Artikel, Genialität der Buchstabenanordnung, wie sie intertextueller kaum je verfasst worden ist oder werden wird, ein rundum dringliches Werk, mit dem Boyle uns beschenkt hat.
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