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Wie erklären sich die Verlage diese hohen Umsatzeinbussen?
(An der mangelnden Zeit zum Lesen sollte es doch nicht liegen...)

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Lieber Herr K., haben Sie vielen Dank für Ihre Frage. Vielleicht zunächst zu den Umsatzeinbussen selbst: Da ist die Lage im gesamten deutschsprachigen Raum sehr ähnlich, teils sind die Prozentzahlen sogar noch etwas höher. Woran liegt das? Ich denke, auch hier wird besonders deutlich, wie wichtig Sichtbarkeit und persönliche Begegnung für das Medium Buch sind. Auch wenn der Onlinehandel natürlich eine grosse Rolle spielt: Buchkäufe finden ja nicht im luftleeren Raum statt, sondern resultieren aus Anregungen, bestimmten Anlässen, schlicht und ergreifend daraus, dass man auf besondere Bücher aufmerksam wird. Das kann das Gespräch oder das Stöbern im Buchhandel sein. Es sind in hohem Masse aber auch Veranstaltungen, also Lesungen, Buchpräsentationen - und nicht zuletzt Buchmessen. Die normalerweise im März stattfindende Buchmesse Leipzig zum Beispiel versteht sich als Messe für Leserinnen und Leser: mit unzähligen Lesungen, Buchvorstellungen und mit zuletzt knapp 300.000 Besucherinnen. Die Frühjahrsbuchmessen sind aber allesamt ausgefallen, ebenso wie Festivals, Lesungen, Buchpräsentationen usw. Und trotz vieler kreativer Lösungen erschwert sich für Buchhandlungen natürlich die Empfehlungsarbeit massiv, wenn der direkte persönliche Kundenkontakt fehlt. Was den Online-Handel betrifft, so hat Amazon als wichtigster Vertriebskanal wochenlang keine Bücher mehr bei den Verlagen geordert, sondern einfach von heute auf morgen Bücher aus dem Sortiment genommen und lieber Klopapier verkauft. Grundsätzlich aber gilt sicher: Ob Menschen im Lockdown wirklich mehr Zeit zum Lesen haben, hängt natürlich stark von den Lebensumständen ab. Für viele war die Phase sicher vor allem zusätzlicher Stress – und keineswegs die Zeit für entspannte Lektüre auf dem Sofa. Nicht zuletzt das Thema Aufmerksamkeitsökonomie: Corona hat ja uns alle vor allem in den ersten Wochen so stark beschäftigt, dass die Versenkung in ein Buch für viele nicht oberste Priorität gehabt haben dürfte – und dann darf man auch die Medienkonkurrenz nicht unterschätzen. Ob zu Lockdown-Zeiten das Buch bessere Karten hatte oder eher Netflix? All diese Faktoren und weitere Gründe spielen hier wohl zusammen.

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Guten Tag Herr K.
Als Teilzeit-Buchhändlerin kann ich die Beobachtungen von Herrn Graf unterschreiben. Unsere unabhängige Buchhandlung konnte weiterhin Bücher verkaufen (und versenden), aber viele Bücher blieben bei uns im Laden liegen - sowohl Neuerscheinungen als auch Taschenbücher aus dem Lager. Wir konnten keine Empfehlungen abgeben zu unseren neuen Lieblingsbücher und tollen Kleinverlagen. So haben wir denn auch weniger Bücher nachbestellt. Die meisten Kundenwünsche bezogen sich auf Rezensionen aus den grossen Tageszeitungen - das Stöbern blieb auf der Strecke!

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Vielen Dank, Herr Graf, für diesen interessanten Bericht!
Als Leserin, die selten an Veranstaltungen teilnimmt, hat man ja die naive Vorstellung, dass gerade das Lesen und Schreiben als sowieso eher einsames Geschäft nicht so sehr unter dem Lockdown leiden würde. Aber natürlich ist auch das Gegenteil wahr, wie mir aus Ihrem Bericht klar wurde. Gerade weil jeder grundsätzlich für sich alleine liest oder schreibt, ist der Austausch über die Erfahrung damit ein besonderes Bedürfnis. Und gerade weil beim Lesen die Verbindungen zwischen Autorin, Text und Leser so unglaublich intensiv aber eben absolut virtuell (und von Seiten der Schreibenden auch sehr abstrakt) sind, wächst das Bedürfnis nach realer, physischer Begegnung. War mir so nicht klar und nehme ich als Erkenntnis - nebst vielem anderen - für mich mit.
Danke dafür!

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Liebe Frau L., vielen herzlichen Dank! Die Vorstellung, von der Sie sprechen, ist überhaupt nicht naiv! Denn sie hat eine ganz wahre Seite: Das Schreiben selbst ist ja tatsächlich ein einsames Geschäft, und Lesen ist eine exklusive Tätigkeit – es duldet kein Nebenher. Nur ist eben, wie Sie ganz richtig schreiben, das literarische Leben sehr viel mehr als die Summe der Schreib- und Leseakte selbst. Es bedeutet vor allem Austausch, das Teilen von Gedanken, das gemeinsame Nachdenken über die Welt und uns – das ist ja letztlich der Grund, weshalb man liest (und schreibt). Um das "monologisch" Gedachte dann wieder in einen Dialog zu überführen. Sonst wäre das alles ja eine traurige Angelegenheit! Und ich denke, die Solothurner Literaturtage haben gezeigt, dass Nähe und Intensität zumindest ein gutes Stück weit auch in digital organisierten Begegnungen möglich sind – dahinter stehen ja immer noch dieselben Menschen. Aber ein Event wie dieser gewinnt seinen Charakter eben auch und massgeblich durch das Geschehen an einem konkreten Ort. Insofern ist es meiner Meinung nach die einzig logische Entscheidung, dass die Programmmacher im neuen Jahr unbedingt wieder zum alten Modus zurück wollen, auch wenn das diesjährige Experiment unter den gegebenen Einschränkungen bemerkenswert gut geklappt hat. Dies nur als Ergänzung zu Ihrem Kommentar. Sie haben das Wechselspiel von Literarischem und Sozialem eigentlich viel schöner beschrieben.

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