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2005-2007 habe ich als Beraterin für Menschenrechte auf der Schweizer Botschaft in einem diktatorisch regierten Land gearbeitet. Die Haltung der Schweizer Behörden, es nicht so genau wissen zu wollen, ist mir auch dort begegnet, ergänzt durch eine überhöhte Bereitschaft, den Schergen des Regimes viel zu viel Vertrauen zu schenken.
(Konkret hatten wir eine Delegation des SEM bzw. damals BfM zu Besuch, die sich beispielsweise mit einem hohen Tier der örtlichen Polizei traf, um etwas über die dortige Strafverfolgung zu erfahren. Läuft natürlich alles wunderbar! Beste rechtsstaatliche Abläufe und Garantien! Mit mir wollten sie nicht sprechen, weil - naja. Die Menschenrechtslage im Herkunftsland ist ja auch total irrelevant bei Asylgesuchen...)
Diesem Bericht nach zu urteilen, hat sich an dieser Haltung in der Zwischenzeit nicht viel geändert.
Danke für diesen Einblick, Antonia.
Dazu hätte ich eine Frage: Siehst du einen Zielkonflikt darin, dass es in der Diplomatie sehr stark um Vertrauen geht und dass Vertrauen aber gleichzeitig möglicherweise auch blinde Flecken verursacht (gerade beim Thema Menschenrechte, wo man ja unbedingt skeptisch sein muss)?
Nicht unbedingt. Es gibt ja immer eine Trennung zwischen intern und extern. D.h. was die Schweizer Behörden intern miteinander besprechen (indem z.B. die Delegation des SEM die Menschenrechtsberaterin trifft), ist nicht dasselbe, was mit den ausländischen PartnerInnen besprochen wird. Das gilt natürlich nicht nur für die Menschenrechte, sondern für alle Gebiete der Aussenpolitik. (Man stelle sich nur die Delegationen der EU und Grossbritanniens im Brexit-Prozess vor...)
Höre ich das Argument, dass jeder Einzelfall geprüft wird, obwohl man keine verlässlichen Informationen zum Herkunftsland hat, so tönt das für mich nach interessegeleitetem BS. In der ganzen Asyldebatte scheint es um die Frage zu gehen, wie können wir die durch Asylbegehren verursachten wirtschaftlichen Kosten minimieren, dh möglichst wenige Flüchtlinge anerkennen, und gleichzeitig das Selbstbild eines humanitären Staates aufrecht erhalten.
Als Anregung für den 2. Teil würde mich aber schon interessieren, ob im Fall von Eritrea der Artikel aus dem Asylgesetz anwendbar ist, der von "subjektiven Nachfluchtgründen" spricht (was für ein Wort!). Dh, die Eritreer leben zwar vielleicht in einer Diktatur, sind aber nicht an Leib und Leben bedroht, werden es aber dann, wenn sie aus dem Land fliehen, was offenbar ja ein illegaler Akt ist. Dh die Eritreischen Flüchtlinge kreieren erst das Problem, indem sie fliehen. Führt das SEM diesen Artikel an? Und wie würde das ein Eritreer selber beurteilen?
"wie können wir die durch Asylbegehren verursachten wirtschaftlichen Kosten minimieren, dh möglichst wenige Flüchtlinge anerkennen, und gleichzeitig das Selbstbild eines humanitären Staates aufrecht erhalten."
... im Rahmen des in meinem Kommentar beschriebenen Besuchs äusserte ein Mitglied der Delegation die Worte: "Notre but, c'est la prévention de la migration."
Ups.
Ich lerne und "arbeite" seit 4 Jahren mit Asylsuchenden aus Eritrea. Habe die meisten als ehrgeizig und fleissig kennengelernt. Die Entscheidungen des SEM sind nur selten nachvollziehbar, ähnlich oder gleich geartete Fälle werden sehr unterschiedlich beschieden.
Die Ausführungen im 2. Teil der Artikelserie treiben mir die Tränen in die Augen. Utilitaristisch - ist eine euphemistische Umschreibung für die herz-, charakter- und gesetzlose Vorgangsweise.
Ich wohne zum Glück in einer kleinen, toleranten SG Gemeinde in der die Asylsuchenden Recht gut integriert sind. Die von der Gemeinde beauftragte "freiberufliche" Flüchtlingsbeauftragte macht eine tolle Arbeit - das wird von allen Seiten anerkannt.
Wegweisungen gab/ gibt es leider auch hier. Was wir dann noch aus den "Ausschaffungslagern" hören ist herzzerreissend!
Es gibt sehr vieles auf das man in der Schweiz stolz sein kann - die Flüchtlingspolitik gehört nicht dazu.
Sicherlich gibts Schwierigkeiten bei Einschätzungen der Gegebenheiten in Eritrea. Es drängt sich jedoch schon recht stark der Verdacht auf, dass es sich aus eritreischer Sicht um eine 'Strategie' handelt, feierten doch im Herbst 2019, gemäss Basler Zeitung, Flüchtlinge aus Eritrea mit Saleh Mohammed, Außenminister der regierenden Volksfront, vor dessen Regime viele von ihnen scheinbar geflüchtet sind...
Dazu möchte ich zwei Punkte ergänzen:
Falls es sich um eine Strategie handelt, ob nun kalkuliert oder opportunistisch, spielt dies für die davon betroffenen Menschen keine Rolle.
Ich meine mich zu erinnern, dass ein Teil der eritreischen Diaspora in der Schweiz dem aktuellen Regime positiv gesinnt ist; insofern kann es durchaus sein, dass man hier mit dem Aussenminister gefeiert hat.
Zudem könnte es sein, dass das eritreische Regime wie manche anderen durch ein System von Spitzeln die Angehörigen der Diaspora unter Kontrolle hat. Wer noch Verwandte hat in der Heimat, kann unter Druck gesetzt werden.
Sie sollten sich nicht von rechten Stammtischparolen beeindrucken lassen: Menschen sind aus Eritrea auch schon vor 30, 40 Jahren während des Befreiungskrieges gegen Äthiopien geflohen. Diese leben genauso lange in der Schweiz, stehen aber dem heutigen Regime nicht unbedingt ablehnend gegenüber.
Trotzdem waren auf der von Ihnen angesprochenen Propaganda-Veranstaltung keine 1000 Besucher, viele aus den umliegenden Ländern.
In den letzten 25 Jahren haben aber nach Angaben des SEM mehr als 52'000 Menschen aus Eritrea Asylgesuche in der Schweiz gestellt.
Nein, beeindrucken ohnehin nicht. Ich bin aber schon den Meinung, dass man sich bewusst sein darf, dass da eine Form von Menschenhandel betrieben wird, der meiner Meinung nach höchstwahrscheinlich von dem Eritreischen Regime genau so gewollt ist. Das sehe ich auch in meinem Beruf und ich behaupte, dass sich die Schweizerischen Behörden dieses Umstands durchaus bewusst sind. Die Frage ist nun, wie man aus hiesiger Sicht mit der Situation umgeht.
Danke für diese aufschlussreiche Artikelreihe. Da ich mich beruflich im Kontext "Transkulturelle Kompetenz" bewege und entsprechende Weiterbildungen wiederholt mit dem Besuch einer "Vertreter:in" der eritreischen Diaspora aufwertete, lese ich mit Interesse die Fortsetzung. Gerne weise ich die Studierenden auf diese Recherche hin. Mein aktuelles, vorsichtiges Fazit: eine Bewertung der Sicherheitslage vor Ort ist komplex; das SEM wagt sich mit verbundenen Augen weit auf die Astspitzen hinaus.
"Die Schweiz weist also immer mehr Menschen weg, kann sie aber nicht zur Ausreise zwingen. Das ist in etwa so, als würde jemand zu einer Gefängnisstrafe verurteilt und könnte dann selbst entscheiden, ob er sie antreten will."
Finde ich einen sehr unglücklich gewählten Vergleich, da die Wahl vor denen diese Leute stehen eher Pest vs. Cholera gleicht. Das Gefängnis ist bei Nichtantritt der Strafe (um bei ihrem Beispiel zu bleiben), dann einfach die Gemeinde in der sie untergebracht sind und die Nothilfe erhalten. Mit dieser Nothilfe lässt sich aber kein fröhliches Dasein gestalten.
Eine kleine Kritik an der Sprache: Die Modeströmung der doppelten Verneinung, die sich vor allem im mündlichen Sprachgebrauch in den letzten Jahren etabliert hat, ist im geschriebenen Text schwerer lesbar als die direkte Formulierung. Eine Zeitung, insbesondere ohne Werbeeinnahmen, lebt von der guten und leichtgängigen Lesbarkeit. Beispiel: Wenn in Eritrea die Situation nicht so unproblematisch ist, dann ist sie ganz einfach problematisch.
Im übrigen schätze ich aber die Sprache, wie sie die Republik pflegt sehr.
Können Sie sich an Artikel wie "Die Schwarzen kommen" von C.Mörgeli in der "Weltwoche" oder die SVP-Plakate gegen das Bundesasylzentrum "mitten in Zürich" von 2017 erinnern? Oder an die rassistischen Sujets an div.Fasnachten, die "Vorfälle" in Fussballstadien, die "Diskussionen" um den Namen von Cafés und Schokolade-Süssigkeiten? Ich finde Ihren Ansatz richtig, ganz nüchtern und nach geltendem Gesetz die Politik des SEM zu prüfen. Aber verschweigen wir nicht den kulturellen Hintergrund des weissen Kontinents und seines Reichtums: den Rassismus.
...des Nichtwissens... Mich schüttelt‘s, wenn ich das lese, ich muss heulen. Diese „Schreibtischtäter“ des SEM schicken also Leute zurück, obwohl sie keine Ahnung haben, was mit denen passiert! Ich kann‘s einfach nicht glauben! Das ist ja wie wenn ich jemanden aus dem Haus weise, indem ich ihm die Türe ins unbeleuchtete Treppenhaus weise, ohne wirklich zu wissen (oder vergessen zu haben?), dass ja die Treppe zZ wegen Renovation völlig weggebaut ist und der Zugang nur über den Lift möglich ist: Klarer, totaler Absturz ist ja so die Folge. Also Beschluss-Absicht einzig gestützt auf Nichtwissen/keine Ahnung. ich heule noch immer....
Ich habe eine Frage zu der Statistik, welche einleitend im Artikel verlinkt ist:
Dort wird zwischen erstinstanzlichen Erledigungen zwischen den Fällen mit und ohne Geburten/Familiennachzüge unterschieden (was ich sehr wichtig finde, da es ein klareres Bild zeichnet).
In der unteren Statistik (alle Erledigungen) wird die Zahl von 567 Ablehnungen ohne VA aufgeführt. In der oberen Statistik werden 256 Ablehnungen ohne VA aufgeführt.
Ich verstehe nicht genau, wie es zu dieser Diskrepanz kommt -> bei Famileinnachzug sowie Geburten ja nie (bzw. fast nie) ein Ablehnung mit VA resultiert.
Das ist eine spannende Beobachtung, die ich mir auf den ersten Blick nur so erklären kann, dass es tatsächlich unter den "wegbereinigten" Fällen negative Entscheide ohne VA gegeben hat. Für eine definitive Antwort bräuchte es aber eine Anfrage an das SEM, das diese Ststistiken so herausgegeben hat. Ich versuche das abzuklären.
Beste Grüsse
Christian Zeier
Redaktioneller Leiter
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