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Mit Pathos ist es wie mir jedem Gewürz: Ohne geht, ist aber langweilig. Zu viel - und es wird ungeniessbar. Die Dosis macht halt immer noch das Gift.
Sehr gut und kurz gesagt!
Ergänzung meinerseits: Für meinen Geschmack trifft die Republik da die genau richtige Mischung.
ja, esther, da bin ich deiner meinung, die «Republik» trifft es meist sehr gut. zum beispiel fand ich die covid-newsletter sehr gut gemischt, tag für tag.
Eigentlich wollte ich mich nie dazu äussern, aber besser hätte ich selber nicht formulieren können, was mich an der Republik immer wieder so nervt, dass ich am liebsten mein Abo kündigen möchte. Beispielsweise bin ich einer, der das narzistische ADHS-coming out von C.S unerträglich fand, ebenso wie den pubertären Gonzo-Journalismus von Daniel Ryser oder die Texte von Carlos Hanimann und die meisten, völlig irrelevanten Gerichtsberichterstattungen. Dabei gäbe es so viele wirklich relevante Themen wie unsere menschenverachtende IV-Politik, als Beispiel, die eine nüchterne Recherche verdienen würden.
Was einige Texte von Daniel Ryser und anderen – z.B. die Serie «Eyes wide shut» betrifft, gehe ich mit Ihnen einig. Gerade in dieser Serie hat auch mich immer wieder geärgert, wie die Autoren sich selbst in den Vordergrund setzten, dazu noch auf eine nicht besonders witzig ironische Art, die ich nur als überheblich lesen konnte. Allerdings hat derselbe Daniel Ryser auch eine wirklich interessante (und un-aufgeblasene!) Besprechung des Buches von Nicola Gess über Halbwahrheiten gebracht.
Dass Sie die Gerichtsberichterstattungen in dieselbe Kategorie einteilen, kann ich nicht nachvollziehen. Sie sind kühl, sachlich, und sie geben einen Einblick in den Alltag der hiesigen Justiz, den man sonst nicht bekommt. Das ist durchaus aufklärerisch, weil es hilft, romantische Vorstellungen davon, wie die Justiz arbeitet, zu korrigieren.
Die Recherche über die menschenverachtende IV-Politik, die frau bisher nur in der Surprise lesen konnte, sähe allerdings auch ich gern in der Republik. Sie hätte vielleicht das Potential, ähnlich viel in Bewegung zu setzen wie die Recherchen über das Bündner Baukartell oder diejenige über gewisse private Krippen und ihren Umgang mit den Betreuerinnen.
na toll. die texte von c.s sind narzisstisch, die von d.r. pubertär, justizberichte sind irrelevant – und bei mir hats nicht mal mehr für ein adjektiv gereicht.
aber im ernst: was nervt sie denn so fürchterlich?
Hmm, ich weiss nicht, ob Pathos, Drama das Problem sind. Die Republik ist voll davon und auch deshalb ein Genuss zu lesen. Ich würde das kaum missen wollen, zumal etwa Constantin Seibt noch stiller werden würde als jetzt schon. Seine Erzählungen rund um das Thema ADHS - wer hat sie nicht mit Genuss gelesen.
Ich glaube eher, die schiere Menge an um Aufmerksamkeit heischenden Onlinemedien mit Titelergüssen gefolgt von inhaltsleeren Zeilenschindereien sind das Problem. Das Absaufen im Wörtertsunami. Der Zugang zur Öffentlichkeit über Social Media ist nun allen billig möglich. Wer auffallen und glänzen will via Pathos und Selbstbetrachtungen konsultiert Tutorials, benutzt Templates, schmückt sich mit oft fadenscheinigen Zitaten berühmter Namen, kopiert und klaut, was das Zeug hält. Zurück bleibt Austauschbares, Beliebiges.
Ich habe nichts gegen Sahnehäubchen, wenn der Inhalt mir neue Erkenntnisse bringt, Zusammenhänge aufzeigt und mich manchmal auch nur auf hohem Niveau unterhält.
Solmaz! Wie krieg ich jetzt meine Ausgabe von «Pathos» von Dir signiert? Welch leidenschaftliches Plädoyer für weniger alte «Neue Subjektivität» und mehr neue «Neue Sachlichkeit»! Für die Wichtigkeit Ernst zu sein, gerade im alten «New Journalism» des «postfaktischen Storytellings»! Nüchtern müsste mal die Wahlverwandtschaft von Popjournalismus und Populismus betrachtet werden. Welche «kulturelle Politik der Emotionen» beide verbindet.
Signifikant ist die abwesende Benennung derjenigen, denen das Grosse Denken, die alte «Alte Objektivität», etwa in den Ressorts Politik und Wirtschaft, meist vorbehalten bleibt: alten, weissen Männern des Juste Milieu. Dass dieselben sich den «kleinen Geschichten» – können junge, persons of color, Frauen gar, denn denken? – der Marginalisierten bedienen, diese aneignen, vermarkten und ausbeuten, dass diese also ihre «eigne Haut zu Markte getragen und nun nichts andres zu erwarten hat als die – Gerberei» (Marx), verwundert leider nicht.
Dieses Aussaugen des Blutes, der Leidenschaft und letztlich des Lebens «der Anderen», um selbst weiter, ewig zu leben – und «die Anderen» taxidermisch zu konservieren und auszustellen –, ist natürlich reinster Vampirismus. Den Zizek mal köstlich mit Camerons Film «Titanic» (1997) illustrierte:
And Titanic is Captains Courageous [ein Roman von Rudyard Kipling, MR]. It’s really the story of a spoiled upper-class girl who has a moment of crisis and then uses Leonardo DiCaprio to restore her ego. Literally, he paints her portrait, then he can fuck off – he can leave. When Leonardo DiCaprio is freezing in water, she notices that he’s dead, and starts to shout, ‘I will never let you go,’ but while she is shouting this, she is pushing him away. It’s not even a love story. Again, Captains Courageous: upper classes lose their life, passion, vitality and act like a vampire to suck vitality from a lower-class guy. Once they replenish their energy, he can fuck off.
So Titanic is a vampire film?!
Yeah! Absolutely! Cameron appears to be progressive, but the mythical coordinates of his universe are reactionary.
Doch mit genügend «Pessimismus des Verstandes» lässt sich für den «Optimismus des Herzens» der Gebrauch des Pathos womöglich dennoch legitimieren. Gegen die Herzlosigkeit der Menschen und «Das kalte Herz des Kapitalismus». Denn «die alte Welt liegt im Sterben, die neue ist noch nicht geboren: Es ist die Zeit der Monster» (Gramsci). Doch müssen wir peinlichst darauf achten, dass wir nicht noch mehr Monster erschaffen, denn auch «der Schlaf der Vernunft gebiert Monster» (Goya).
So, now I fuck off.
Sehr geehrter Herr Rebosura.
Sie tragen viel dazu bei, dass auch das Lesen der Leser*innen-Briefe in der «Republik» zu einem Ereignis wird. Ich bewundere die Schnelligkeit, mit der sie die vielfältigsten Zitate in kürzesten Abfolgen aufbringen können und bin voller Hochachtung - ein bisschen Neid ist da wohl auch dabei! - für Ihre Fähigkeit, auf so kleinem Raum so viel auszusagen.
Aber gibt hier es vielleicht eine Möglichkeit, dass Sie mir Ihre Aussagen in einfacheren Worten nochmals näherbringen könnten? Als etwas einfacheres Gemüt - leider angewiesen auf eine simple Strukturierung eines Arguments in Prämissen und Konklusion - wäre es schon interessant zu verstehen, was Sie hier gemeint haben. Oder naiver gefragt: Aus welcher Grundhaltung heraus argumentieren Sie für welchen Standpunkt mit welchen Schritten und wie sieht genau die Schlussfolgerung aus? Bitte verzeihen Sie meine Unbedarftheit und Unwissenheit. Vielleicht stehe ich einfach ein wenig ausserhalb der Zeit!
Haha, Sie haben Recht, Herr K., vielleicht war das erneut zu viel des Guten, was die Assoziationen anbelangte. Bei meinem Kommentar handelt es sich also weniger um ein formales Argument, als vielmehr um Fortführungen von Gedanken, die im Text selbst angelegt waren. Ich fädle das Knäuel gerne auseinander und entwickle die Fäden einzeln neu, in der Hoffnung, dass der rote Faden sichtbar bleibt. Nummeriert und in einzelnen Beiträgen, so dass Sie bei Bedarf gesondert reagieren und nachfragen können.
(1.) Der erste Satz jedoch war ein Ausdruck der Freude, hier wieder etwas von ihr lesen zu können. Und der zweite, trotz aller Ironie, eine ernstgemeinte Frage an Solmaz Khorsand, der ich bereits privat über einen anderen Kanal mitteilte, dass ich mich schon darauf freue, meine Ausgabe von ihr signieren zu lassen. Was leider momentan nunmal etwas schwierig ist.
Evolution des Journalismus
Vor 1990: Observieren, reflektieren, sortieren, kommentieren
Ab 1990: Observieren, kommentieren
Heute: Kommentieren, propagieren, dividieren
Es findet statt: eine kollektive Verblödung und Entmündigung durch Meinungskakofonie und Karnevalisierung der öffentlichen Debatte. Wir erleben den Sieg der berauschten Selbstdarstellung über die Aufklärung.
Das Fressen kommt vor der Moral und der Kitsch vor der Kunst.
Wenn Sie das Gefühl haben, nur Fast Food vorgesetzt zu bekommen, sollten Sie Ihre Restaurantauswahl ändern. Es gibt vielleicht schlechteren Journalismus als „früher“. Aber auch sehr Vieles, das schlicht besser ist.
Ah, die gute alte – prädigitale – Zeit... nicht. Seit den 1960er und 1970er gibt es den «New Journalism» und Popjournalismus. Und was früher – wie heute – als objektive Observation und universelle Reflexion daherkam, entpuppte sich zu einem grossen Teil oft als «Expression des [männlichen] Autor-Ichs». Man lese mal alte Zeitungen. Wie die noch mit Meinungen durchsetzt waren. Und wie die noch fluchen und beleidigen konnten. Dagegen ist die heutige Zeitungslandschaft der reinste Ponyhof!
"Nun hat sich in den vergangenen Jahren ein besonders pathetischer Stil in den deutschsprachigen Magazinjournalismus eingeschlichen."
Darf ich das Thema ergänzen oder auf die Zusammenhänge eingehen? Beides scheint mir notwendig zu sein, um den Rahmen zu verstehen.
Mit Social Media kam eine neue Tonalität auf. Jeder war plötzlich "Journalist" und mangels Fachwissen resultierte ein unreflektiertes - "ICH". Die klassischen Medien sprangen auf den rasenden Zug auf und setzten ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel. Im Namen des Geldes. Doch es gilt immer noch Sunzi (Kunst des Krieges): "Wer Zeit und Ort der Schlacht bestimmt, der gewinnt sie auch." Die Verleger haben verloren.
Nun haben wir die "ICH" - Tonalität in den Medien und in der Politik. Die Medien, die einst als vierte Macht eine Art Kontrollfunktion hatten und Extremismus relativierten, fallen weg. Was bleiben sind Emotionen und Symbolpolitik, die mehrheitsfähig wurden. (Beispiel: Minarett- und Burkaverbot). Wer die einfachste Botschaft am lautesten verbreitet, gewinnt an der Urne.
Die Bauernfänger haben freie Bahn, denn jeder bewegt sich in seiner "Bubble" und denkt, dass er die Weisheit mit "Löffeln gefuttert hat". Dabei wurde er manipuliert. Social Media laden dazu ein, über Algorithmen, Bots, Trolle (Beispiele: Cambridge Analytica/Brexit und Wahl von Trump 2016). Kommunikation wurde durch Meinung ersetzt und Meinung wurde zu Wissen. Aktuell nutzen Querdenker, Mass-voll oder Stiller Protest dieses Mittel.
Doch zurück zum Thema: Die sprachliche und inhaltliche Anpassung im Journalismus ist eine Kapitulation vor der neuen Realität. Demokratie und Demokratisierung der Meinung ist eine schöne Sache, aber wenn damit nicht gleichzeitig die Übernahme von gesellschaftlicher Verantwortung verbunden ist - dann ist es ein Brandbeschleuniger.
Vielleicht trägt ja die Republik ein wenig dazu bei, dass wieder Gegensteuer gegeben wird. Auf "CH Media", "TX Group AG" und andere Monopolisten ist kein Verlass mehr...
So viel Liebe ♥️ dafür, dass Solmaz Khorsand den Artikel auch gleich eingelesen hat! Danke, ihr seid spitze.
Aber die halbe Republik ist doch aus Pathos geleimt.
"Woche um Woche sollen Autorinnen von der eigenen Vergewaltigung berichten, von der eigenen Überfahrt auf dem Flüchtlingsboot über das Mittelmeer, von der eigenen Kindheit im Plattenbau, von der eigenen Depression – und all diese Storys sind wichtig."
Ein ärgerliches, unstimmiges Narrativ. Eine Kindheit im Plattenbau ist kein Übel an sich. Der Plattenbau ist kein Übel an sich. Auch wenn Inhaber von Eigentumswohnungen und Familienvillen das sicherlich anders bewerten. In Bezug auf Ostdeutschland ist das Schimpfen auf den Plattenbau eines dieser Nachwende-Phänomene. Man vergewisserte sich des eigenen Status und Geschmacks, indem man Plattenbaubewohner bedauerte. Wobei: In den Plattenbauten damals hatte der Doktor neben dem Dreher gewohnt. Und das oft gern.
Aber ja, Pathos sollte dem Privaten vorbehalten bleiben. Heiratsanträgen und Reden zum 60. Und auch dort nur mit einer Prise Witz serviert werden. In Bezug auf die Gesellschaft ist Pathos oft nur ein übel riechender Käse, der einen anderen Gestank überdecken soll.
Das einzig Gute am exzessiven, ja fast pandemischen Umsichgreifen des Pathos (sei's in journalistischen Texten oder in TV-Serien) ist der Umstand, dass wir als Leser bzw. Betrachter dagegen Antikörper bilden, sprich resistent werden können. Die Folge dieser Resistenz: Überlesen, wenn's geht, und sonst ganz einfach weglegen bzw. abschalten.
Es gibt nunmal keine Perspektive aus dem Nirgendwo. Mit einem Ich zu kennzeichnen, dass die schreibende Person sich bewusst ist, aus einer subjektiven Perspektive, Welt zu betrachten und nicht objektiv sein zu können, finde ich oft sympathisch, weil transparent. Das bedeutet ja trotzdem nicht, dass der Inhalt nicht über die Lebensrealität eines Individuums hinausgeht, fundierte Recherche und andere Perspektiven mitverhandelt werden und auf strukturelle Phänomene hingedeutet wird. Ich glaube, es ist eine Gratwanderung. Aber Texten, die behaupten, Befindlichkeiten /die subjektive Sichtweise / die eigenen Glaubenssysteme der schreibenden Person auszuklammern, traue ich nicht so ganz, färben doch unsere Erfahrungen, Kategorien, Glaubenssätze jegliche Situation und Auseinandersetzung und somit im Endeffekt auch jedes unserer Worte.
Das stimmt natürlich, wie Thomas Nagel schön aufzeigte. Selbst bei der Fotografie erfolgt mindestens die Selektion des Ausschnitts. Dennoch gibt es bei einem Bild einen Unterschied, ob das Motiv, sagen wir, im naturalistischen oder expressionistischen Stil gemalt worden ist. Ich will damit sagen, dass es auch hier um kein Entweder-Oder handelt, sondern ein Mehr-oder-Weniger. Das richtige Mass zu finden, darin besteht wohl die Kunst.
Leider hat der Journalismus gar keine Wahl. Selbst wenn alle Journalisten sich einigen würden. Denn:
Das Internet hat die Kosten dafür, Inhalte zu verbreiten, auf Null gesenkt. Jetzt kann Jede und Jeder seine Inhalte der Welt gratis anbieten.
In diesem gigantischen Angebot behaupten sich emotionale Inhalte leider einfach besser.
Nö.
"Pathos", "story telling", Ich wäre froh, wüsste ich schon, was damit gesagt werden will, ob das jetzt so gemeint ist, oder so oder vielleicht doch anders. Lässt mich jemand an einer Erfahrung, einem Erlebnis, einer Beobachtung teilnehmen, geprägt von seinem Erleben von seiner Lebens"geschichte", empfinde ich dies als sehr wertvoll. Ich staune immer wieder, wie viele Lebensläufe es gibt, wie viele verschiedene Blicke. Wie viele Wertungen. ein und dasselbe Ding oder Wort in einer Beschreibung hervorrufen. Beispiel Plattenbau. (Danke M. K.!)
"Wegen dieser Selbstüberhebung bringt Gott den Turmbau unblutig zum Stillstand, indem er eine Sprachverwirrung hervorruft..." Wikipedia Turmbau zu Babel (Gen 11,1–9) Die Erzählung, pardon, wird auf ungefähr das 10. Jahrhundert v. Chr. datiert.
Mich freut der zum Beitrag entstandene Dialog ungemein, weil er dazu beiträgt, Sprache wieder sorgfältiger zu behandeln. Im Sinne: Was will ich sagen? Mit welcher Intention? Sage ich das, was ich sagen will? Sage ich es so, dass der andere, dem ich es sagen will, es wahrscheinlich auch versteht. Auch uralt.
Vielen Dank für Ihre freundliche Meinung.
Bei näherem Interesse an Ostdeutschland empfehle ich eigennützig meinen Blog Den hatte ich vor zehn Jahren angefangen, weil mich das Schwarz-Weiß der selbsternannten Qualitätsmedien genervt hat. Der Blog transportiert anhand der Antworten auf zehn immer gleiche Fragen die Vielfalt von Erinnerungen. Eine Massenbewegung ist nicht daraus geworden, aber die Zeitschrift SuperIllu (die in Ostdeutschland mehr Exemplare verkauft als Spiegel, Stern und Fokus zusammen) hat meine Idee aufgegriffen und knüpft mit einem eigenen Fragebogen an diese Aktion an.
Wenn die AfD in Ostdeutschland "Vollende die Wende" plakatiert, ist das Hybris und Rosstäuscherei. Fällt aber auch deshalb auf fruchtbaren Boden, weil die erstrittene Demokratie von vielen als Demokratie-Inszenierung und leere Hülle empfunden wird. In etwa so, als wären in der französischsprachigen Schweiz 77 Prozent aller Entscheider Deutschschweizer.
Was das mit dem Thema des Republik-Artikels zu tun hat: Viele Leute kaufen den Medien und Politikern das Pathos nicht mehr ab, weil sie die Inszenierung, die Eigeninteressen und den Lobbyismus dahinter erkennen.
Viele Leute kaufen den Medien und Politikern das Pathos nicht mehr ab, weil sie die Inszenierung, die Eigeninteressen und den Lobbyismus dahinter erkennen.
Das ist auch gut so. Finde ich. Weil so das Leidenschaftliche, Ergriffene, eben das Pathos, zum Kitsch verkommt. Gegen Leidenschaft an sich ist doch nichts zu sagen. Die wird aus Texten spürbar. Wenn sie echt ist. Aber nicht aus ihrer Demonstration.
Was mir im Beitrag, aber fast mehr noch hier in den Kommentaren ein bisschen fehlt, sind saubere Begriffe und Definitionen, am besten anhand von konkreten Beispielen. Worthülsen jonglieren erzeugt ganz unpathetisch Leere.
Was unterscheidet Literatur und Journalismus, wo sind sie sich nahe, wo ist die Aufgabe eine andere? Was leisten Plattformen wie Twitter? Und was nicht? Sind das valable Recherchequellen, oder schreibt da ein Ich von einem Ich ab, das über sIch schreibt? Weil die Journalist*innen glauben, dass die Leser*innen das wollen? Weils halt bequem ist? Oder weil es die Leser wirklich wollen?
Es ist doch ein Unterschied, ob ein Ich sich als Beschreibende*r zu erkennen gibt und seine Position deutlich macht, wenn er*sie über etwas ausserhalb seiner selber schreibt, oder ob dasselbe Ich sich zwar perfekt hinter lauter Objektivierungen versteckt, aber eigentlich nur über sIch schreibt.
Ja, es werden zuviel Serien geschaut - und nun soll der Journalismus/die Berichterstattung da mithalten... da braucht es in solch dekadenten Zeiten wohl tatsächlich so etwas wie eine "Korrektur" durch die Realiät, wie eine Pandemie, die uns das langsam wieder auf normale Werte austreibt. Nach einem Jahr haben wir nämlich genug von "Pathos" diesbezüglich, ausgerechnet in dem Bereich, wo es ausnahmsweise wirklich angebracht ist, aber halt auch sehr komplex, keine lineare Story.
Der Seitenhieb zum Pathos als Kompensation der eigenen Spiessigkeit hat etwas: Wer wirklich existenzielle Sorgen hat, kann sich Pathos gar nicht leisten, weil zu beschäftigt mit Überleben.
Auch ein Teil des einmal-eins des Lesens. Vielen Dank!
Wie geht die Republik vor beim Abwägen von Pathos und Logos? Ist die Autorin darin in allen Artikeln frei? Wie findet ein wirken auf dieses Verhältnis statt?
Lieber Herr E., ich bin leider auch nicht vom Pathetischen gefeit, hin und wieder schleicht sich ein Ich ein und in der Interpunktion mussten die LeserInnen schon Einiges aushalten, aber ich bemühe mich den Pegel unten zu halten, herzliche Grüße
Solmaz Khorsand
Eine willkommene Polemik, die vor allem mal ein Unbehagen benennt und dabei aber erst an der Oberfläche kratzt. Für mehr fehlen leider die konkreten Textbeispiele. Wann/wo funktioniert das Ich, wann/wo nicht? Wann ist reiner Selbstausdruck als Nabelschau abzulehnen? Wann illustriert das Ich die Medialität des journalistischen Subjekts und legt den Blick auf eine eben gerade durch den Journalismus gemachte Realität frei? In ganz vielen Fällen garantieren ja auch distanzierte Rechercheberichte keine Universalität. Ein Bericht über einen korrupten Politiker suggeriert ja auch nicht, dass alle Politiker korrupt sind. Oder doch? Man kann vieles als Antwort auf Social Media deuten. Aber viele der Themen, die hier aufgeworfen und vermischt werden sind alt und finden sich in der Realismusdebatte, welche nach Aristoteles auch weitergeführt wurde.
Ich vermisse auch die Beispiele, die aufzeigen würden, worum es geht, der Problematik etwas mehr Kontur geben würden. Aber auch als Belege dafür, dass es hier wirklich ein Problem gibt (was ich nicht in Abrede stelle).
Und ja, ich vermute auch, es ist ein Problem, es ist alt, es stellt sich heute in neuer Form, Stichwort Aufmerksamkeit und fehlende Zeit / fehlendes Geld für Recherche und dafür, einen differenzierten Text zu schreiben. Und ist nicht per se problematisch, denn der persönliche Zugang kann ja durchaus verbunden werden mit faktenbasiertem, recherchierten Journalismus und wird es auch. Doch wie Sie schreiben, es ging hier wohl um Polemik.
Es wär doch spannend, diese Kritik als Anlass zu nehmen, um – hier im Dialog – eigene Beispiele zu teilen, jeweils mit einem Kommentar, weshalb es zu viel (oder gar zu wenig) Pathos hat. Das ästhetische Urteil wird zwar notwendig subjektiv sein, aber mit Argumenten liesse es sich zumindest allgemein nachvollziehbar machen.
Die Ich-Story gehörte früher in eine Bio- oder Autobiografie, heute wird sie in den Social Media fragmentiert und verscherbelt. Die ADHS Story von C. Seibt gehört für mich in die Sachbuchabteilung. Ich lese kein Dutzend Folgen einer zwar höchst interessanten Auto-Reflexion, genau so wie ich mir noch nie eine Fernsehserie zu Gemüte geführt habe.
Die Ich-Story gehörte früher keineswegs in die Bio- oder Autobiografie (zumindest nnicht nur). Sie war in Reprtagen völlig normal. Beispiel: "Noch immer gehörte ich dem Fussballklub "Sturm" an, noch immer spielten wir als einzige deutscheMannschaft gegen tschechische Mannschaften...", so beginnt Egon Erwin Kisch 1913 seine Reportage zu "Wie ich erfuhr, dass Redl Spion war". Kisch (1885 - 1948) - sozusagen ein Säulenheiliger des modernen Journalismus - schrieb jede Menge "Ich-Stories". Reportagen bezogen den Standpunkt und die Beteiligung des/der JournalistIn deutlich ein. In Kischs Reportage über Hopfpflücker ("Drei Wochen als Hopfenpflücker") lautet der 4. Satz: "Ich machte mich an einen Jüngling heran". Ziel war es dabei, in die Gruppe aufgenommen zu werden, um als Hopfpflücker arbeiten zu können. Der Text war weder für eine Bio- noch für eine Autobiografie gedacht, sondern einfach eine Zeitungsreportage.
Es ist selbstverständlich Ihr gutes Recht, Ich-Stories nicht zu mögen und e muss auch niemand TV-Serien schauen - aber man sollte das dann trotzdem nicht versuchen, auf eine angeblich erst neuerdings auftretende Häufung von "Ich-Storys" zu schieben.
Nicht das Ich ist das Problem, sondern der Ton. Mit Stil kann ein Ich über sich hinauswachsen, ohne Stil produziert es lediglich "Seelenlärm" ( ein Begriff, den ich bei Hermann Broch aufgelesen habe).
Standing ovation.
Lyrische Nabelschau nach Relotius nenne ich diese pathetischen Ich-bin-mein-einziger-Bezugspunkt-Artikel - das übrige Unbehagen in Bezug auf dieses Genre war bisher eher diffus. Umso besser, dass das in diesem Artikel ausformuliert wird.
Relotius war ein Fälscher und Geschichtenerfinder. Als Journalist war er mMn einfach im falschen Genre. Pathetisch fand ich das wenige, das ich von ihm gelesen habe, nicht. Pathos ist nicht das Gleiche wie Unaufrichtigkeit. Die versteckt sich nur manchmal hinter pathetischem Getöse.
Das stimmt. Nicht jede falsche Aussage ist eine pathetische Aussage und vice versa. Doch bei Relotius’ Stories kam beides zusammen: falsche Aussagen zum Zweck Aussagen pathetischer zu machen, die Story stimmiger, d. h. gefühliger, «ganzer», ja grösser zu machen.
Es gibt jedoch Details, bei denen einiges darauf hindeutet, dass sie erfunden wurden, um die Geschichte dramatischer und spektakulärer wirken zu lassen.
Heisst es bei einer «nachträglichen Überprüfung» des Spiegels. Bei diesen sei es oft schwierig gewesen, zwischen «Erfindung», «Faktenfehler» und «unzulässiger Dramatisierung» zu unterscheiden.
Mein Eindruck von Relotius Stücken ist, dass er weniger «Nabelschau» betrieb, i. S. v. sich selbst als Person in den Vordergrund zu drängen (wie etwa im «Gonzo-Journalismus»), als dass er vielmehr wie ein Autor/Regisseur aus dem Hintergrund eine eigene «Hyperrealität» kreierte – dadurch aber gleichsam omnipräsent wurde. Kein lyrischer Blick auf den eignen Nabel also, sondern aus dem Nabel der Welt – beides aber sozusagen eine Form des Solipsismus:
Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt. (Wittgenstein)
Besten Dank für den spannenden Dialog. Der Begriff "Pathos" kommt ja aus dem Griechischen und steht für Leiden(schaft), Erlebnis.
Hätten die Höhlenbewohner die Möglichkeit gehabt, das Mammut online zu bestellen, wäre ihnen auch jene(Frei-) Zeit übrig geblieben, sich dem eigenen Pathos zu widmen. Seit dem Zeitalter der sozialen Medien ist das Pathos nicht nur den Obrigkeiten vorenthalten sondern dem gemeinen Fussvolk ebenfalls zugänglich. Und beschwingt kosten wir das aus.
Meine Mutter hatte früher leidenschaftlich gerne Denver Clan geschaut, obwohl sie im täglichen Leben alles andere als extrovertiert war und mit der "Selbstinszenierung" von Menschen ihre liebe Mühe hatte.
Dem Journalismus bleibt nichts anderes übrig - auch der Republik - einen Mittelweg damit zu finden. Etwas Kitsch hier, ein wenig Glamour da, eine Prise Übertreibung schadet uns armen Seelen nicht. Im Zeitalter der allgemeinen Überforderung tut das gut, auch wenn das Pathos manchmal überbordet.
Ihr Beitrag ist eine gute Reflexion der Berufung zum Journalismus, Danke.
Mediale Arbeit ist eine Berufung mit Zielsetzung festgefahrene Wege einerseits zu observieren, zu reflektieren und zu sortieren und nach eigenem Befinden zu kommentieren.
Zu letzterem fehlt eine Prise Mut und Wagnisse nach dem Kommentar auch die Stossrichtung zu detailliertem Korrektur Vorschlag seinen Lesern zu unterbreiten.
Allen Widerständen zum Trotze…
Ureigenstes Ziel ist doch der Wunsch bei seiner Arbeit sich selbst und seiner Umgebung zu beweisen, seinen Beitrag zu notwendigem Fortschritt zu leisten.
Mit Philosophieren wird kein Stein bewegt, sollte aber zumindest dazu dienen, Mittel und Wege darzulegen wie sich dies ändern lässt.
Good Luck
Republik AG
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