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Frau C. meint, man müsse einen brutalen jugendlichen Frauenmörder nach Verbüssung seiner Haftstrafe trotz ungünstiger Prognosen freilassen, weil er inzwischen erwachsen und vermutlich plötzlich ganz brav geworden sein könnte. Kleine Frage am Rande an Frau C.: Wie beurteilen Sie die Sachlage, wenn anstelle einer Prostituierten ein Kind das Opfer gewesen wäre? Oder: welche Rolle spielt der soziale Status des Opfers in der Puppenstubenwelt der Juristen? Wie pervers muss eine Strafjustiz sein, zu glauben, dass heute ein 17-jährige nicht voll für seine Taten zur Verantwortung gezogen werden müsste und die Konsequenzen zu tragen hat?
Ein Mord ist in jedem Fall grausam. Ich meine auch, dass ein 17-jähriger zur Verantwortung gezogen und gerecht bestraft werden soll, ganz egal wer das Opfer ist. Die Frage der Verwahrung ist aber eine andere. Dort geht es um die Inhaftierung wegen künftiger Gefährlichkeit. Ich will, dass meine Kinder (und andere) geschützt werden, sofern wirklich eine Gefahr droht. Und ich will, dass Menschen, die meinen Kindern (oder anderen Menschen) etwas antun, gerecht bestraft werden. Aber ich will kein Gesetz, das aufgrund von vagen Gefährlichkeitsüberlegungen erlaubt, meine Kinder (oder andere) wegzusperren. Wir müssen uns eben fragen, was für ein Gesetz wir akzeptieren könnten, ohne zu wissen, ob wir in der Position des potentiellen Opfers oder des potentiellen Täters sind. In dieser (neutralen) Perspektive kann ich eine Verwahrung für ehemals jugendliche Straftäter aus den im Text genannten Gründen nicht akzeptieren.
Vielen Dank für Ihre ausführliche Stellungnahme. Ich bin mit Ihnen grundsätzlich einverstanden. Es stellt sich die Frage, inwiefern Sie mit Ihrem Artikel nicht über das Ziel hinausschiessen.
Wieviele in Jugendjahren verurteilte Straftäter im Format eines Tobi B. gibt es in der Schweiz. Ich schätze mal, es sind viele, wenn man sie an einer Hand abzählt? Ich sehe nicht, wo Sie die generelle Absicht verorten, Ihre Kinder einfach wegzusperren.
Was verstehen Sie unter "vager Gefährlichkeit"? Laut Ihrer Schilderung wurde Tobi B. eine schwere psychische Störung und hohe Rückfallgefahr attestiert. Inwiefern soll jemand, der eine Straftat mit 17 Jahren begeht, im Erwachsenenalter weniger gefährlich sein, als wenn er die Tat mit 18 Jahren begangen hätte? Entschuldigen Sie, aber ich finde Ihre Argumentation naiv und im vorliegenden Fall gefährlich, insbesondere für potenzielle zukünftige Opfer von Tobi B.
Dazu empfehle ich Ihnen die Lektüre eines Sachbuches von Dr. Nahlah Saimeh, Gutachterin und Direktorin einer der grössten Kliniken für Forensische Psychiatrie in Deutschland, mit dem Titel "Ich bring dich um! - Hass und Gewalt in unserer Gesellschaft". Dr. Saimeh widerlegt die These des von Ihnen angeführten Strafrechtlers Dr. Eisenberg. In Fällen wie Tobi B. ist die Gefährlichkeit nicht eine Frage des Alters sondern der psychischen Verfassung. Die Frage ist, ob Tobi B. therapierbar ist oder nicht. Das vom BR gestützte Urteil geht offenbar von Letzterem aus, und das BR ist diesbezüglich nicht bekannt für leichtfertige Urteile.
Das Urteil des EGMR ist zwar nachvollziehbar und rechtsstaatlich absolut korrekt. Es führt in diesem Fall aber dazu, dass ein psychiatrisch begutachteter und attestierter potenzieller Wiederholungstäter mit hohem Rückfallrisiko frei herumläuft. Dieser Umstand vermag nicht zu befriedigen. Apropos Gerechtigkeit: Wie rechtfertigen Sie Ihre Haltung im Wiederholungsfall gegenüber den Opfern bzw. Ihren Angehörigen?
Unsere Gesellschaft hat sich gewandelt. Die Jugend hat mehr Zugang zu Informationen. Das moralische Urteilsvermögen wird eher ausgebildet und geschärft. Bei 15-, 16- oder 17-jährigen sollte man schon etwas strenger hinschauen. Mit einem Klaps auf den Hintern und einem Mahnfinger sollte es nicht mehr getan sein. Kommt hinzu, dass eine von mir befürwortete Verwahrung von jugendlichen Straftätern nach den gleichen Kriterien beurteilt werden dürfte, wie für Erwachsene.
Zum Schluss nochmal meine Frage: Wie würden Sie den Fall beurteilen, wenn das Opfer ein Kind gewesen wäre und nicht eine Prostituierte?
Zwei Gedanken:
Als ich studierte, sagte ein hochangesehener Professor, dass das Jusstudium deshalb das schwierigste Studium sei, weil man nicht studiert haben müsse, um alles besser zu wissen. Je weniger man wisse, desto einfacher scheine die Rechtslage. Und je mehr man das Recht studiere, desto komplexer werde es. (Stimmt, und desto interessanter.)
So richtig gefährlich wird es für jede und jeden von uns allen, wenn das Vouch entscheidet und das Recht dem keine Schranken setzt. Vielleicht überlegt der Eine oder die Andere einmal, woher dieses blöde Recht eigentlich kommt, das man im Einzelfall doch nicht anwenden will: Ah, tatsächlich, das Volk hat dieses Recht ja gesetzt.
Vielen Dank für die vielen wertvollen Inputs, die ich geschätzt habe und über die ich weiter nachdenken werde. Ihre Kommentare haben mir erneut gezeigt, dass die Debatte sehr wichtig ist. Ich habe mich entschieden, nochmals zwei Gedanken aufzugreifen, die mir besonders wichtig erscheinen.
Ein Kommentator schrieb, «vielleicht ist es besser, ein paar Jugendliche, die bestialische Verbrechen begangen haben, aufzugeben, das heisst wegzusperren und ihr Leben dauerhaft zu ruinieren, als durch eine von der Gesellschaft als zu mild angesehene Behandlung zu riskieren, dass das ganze Jugendstrafrecht ins Rutschen kommt.»
Das Problematische an dieser klassisch utilitaristischen Argumentation scheint mir, dass sie sehr stark auf einer «Mehrheit-Minderheit-Dynamik» aufbaut. Wir lassen zu, dass fundamentale Rechte des Einzelnen missachten werden, wenn dies von grösserem Nutzen für die gesamte Gesellschaft ist. Sei es, weil wir das Jugendstrafrecht per se nicht in Frage stellen wollen oder, weil wir vor einem potentiellen Rückfalltäter geschützt werden wollen.
Wir haben nichts dagegen, eine Minderheit aufgrund von Rückfallprognosen wegzusperren, obwohl wir im Grunde wissen, dass diese nicht zuverlässig erbracht werden können. Dies deshalb, weil wir wissen, dass wir zur Mehrheit gehören und sowieso nicht von diesen Gesetzen betroffen sind. Die Frage, die wir uns stellen müssen, ist: Würden wir denn einer Verwahrung auch zustimmen, wenn wir nicht wüssten, wo unser Platz in der Gesellschaft ist? Massgebend sollte sein, unter welchen Voraussetzungen wir bereit wären, dass eine Verwahrung gegen uns selbst angewendet würde.
Mir ging es in meinem Beitrag darum aufzuzeigen, dass wir eine selbstkritische Debatte brauchen über unser fast wahnhaftes Bedürfnis nach Kontrolle des Zukünftigen. Und wir vertieft darüber nachdenken sollten, was für Unrecht es darstellt, potentiell Ungefährliche zu inhaftieren. Ich denke nicht, dass das ganze Jugendstrafrecht ins Wanken kommt, wenn wir auf die Verwahrung verzichten. Und vielleicht müsste man tatsächlich vermehrt darüber nachdenken, wie Jugendliche gerecht bestraft werden anstatt auf die Sicherheitsfrage zu fokussieren wie das in einigen Kommentaren zum Ausdruck gekommen ist. Denn die Strafe für eine begangene Tat ist mE weitaus einfacher zu rechtfertigen und für den Betroffenen eher zu akzeptieren als eine Sicherungsmassnahme, die verlangt, dass jemand aufgrund einer empirisch kaum zuverlässig feststellbaren Gefährlichkeit inhaftiert wird für eine Tat, die er bloss möglicherweise in Zukunft begehen wird.
Ein anderer Kommentator schrieb, dass er zwar äusserst kritisch ist gegenüber der Verwahrung von ehemals jugendlichen Straftätern, aber gleichsam auch ratlos sei, was man sonst tun könnte.
Dass der Gesetzgeber verpflichtet ist, potentielle Opfer vor Straftaten zu schützen, ist unbestritten. Ihm steht dabei eine breite Palette möglicher Instrumente zur Verfügung. Die Verwahrung ist dabei die allerschwerste. Bei ehemals jugendlichen Straftätern wäre auch eine weniger eingriffsintensive Kontrolle denkbar, insbesondere die Bewährungsaufsicht, ambulante Massnahmen und Weisungen. Wenn ein Jugendlicher über Jahre im Freiheitsentzug sitzt, ist offensichtlich, dass er bei seiner Entlassung grösste Schwierigkeiten haben wird, soziale Kontakte zu pflegen, einen Ausbildungsplatz bzw. eine Arbeitsstelle zu finden oder eine Wohnung zu finanzieren. Gerade auch aus Gründen der Verbrechensprävention sollte der Staat hier Unterstützung und Kontrolle bieten, um Kollateralschäden der strafrechtlichen Verurteilung abzufedern. Problematisch vor diesem Hintergrund ist, dass das geltende Jugendstrafrecht bei der Entlassung aus den Schutzmassnahmen den ehemals jugendlichen Straftäter voraussetzungslos in die Freiheit entlässt. Hier sollte man mE ansetzen.
Soll man straffälligen Pädophilen gestatten, weiterhin in ihrem kindernahen Beruf (zB. Kindergärtner) zu arbeiten? Soll man pädophilen Priestern weiterhin gestatten, als Priester zu amtieren? In diesem Fall ist es doch klar, dass die potentielle Gefahr, Menschen zu gefährden, Vorrang hat. Auch wenn es nicht erwiesen ist, dass ein Pädophiler sich automatisch weiterhin an Jugendlichen vergreifen wird. Wen nimmt man mehr ernst: Das Opfer oder den Täter?
Im Fall von Tobi B. liegt doch eine ähnliche Lage vor. "Denn die Psychiater attestierten ihm eine schwere psychische Störung und EINE HOHE RÜCKFALLGEFAHR" (Zitat). Nimmt man das mögliche Opfer ernst, oder nimmt man lieber den möglichen Täter in Schutz? Es spricht nichts dagegen, dass man den mittlerweile volljährigen Mörder nun nach Massstäben des Erwachsenenrechts behandelt. 4 Jahre für einen Mörder/Vergewaltiger ist - v.a. auch in den Augen des Opfers/ der Opferfamilie - schon fast eine Beleidigung. Nicht zu sprechen von einem allfälligen weiteren Opfer ("schwere psychische Störung" - das sollte man nun ja schon ernst nehmen.) Also her mit einem neuen Gesetz, das das Jugend- und das Erwachsenenstrafrecht überbrückt. Auf dass die möglichen (wahrscheinlichen?) Tötungs- und Vergewaltigungs- Opfer ernst genommen werden - und nicht nur der Täter.
Vielen Dank für Ihre Gedanken. Gerne nehme ich kurz dazu Stellung:
Im Gegensatz zu einem Berufsverbot trifft der Freiheitsentzug den Einzelnen weitaus stärker. Den Beruf kann man wechseln, aber aus einem Hochsicherheitstrakt kommt man nur sehr schwerlich raus. Entsprechend müssen meines Erachtens eben auch die Voraussetzungen für eine Inhaftierung sehr hoch sein und die Massnahmen sollten nicht gleichgesetzt werden.
Das Gutachten, das im genannten Leitentscheid des Bundesgerichtes aufgeführt ist, und auf das ich Bezug nehme, wurde 2012 erstellt. Jetzt schreiben wir das Jahr 2019. Jedenfalls im Urteil des EGMR geht hervor, dass Tobi B. nicht mehr als so gefährlich eingestuft wird, dass er strafprozessual in Haft genommen werden könnte (vgl. Nr. 57 des EGMR Entscheides).
Es ist mE nicht richtig, von einer schweren psychischen Störung direkt auf eine hohe Rückfallgefahr zu schliessen. Hier gibt es schlicht keinen Automatismus. Es liegt mir fern, blinden «Täterschutz» zu betreiben. Ich meine vielmehr, dass es höchste Zeit ist, hinzuschauen, was es für Unrecht es darstellt, Ungefährliche zu inhaftieren. Wir wissen aus empirischen Studien, dass die Zahl von sogenannt false positives (also zu Unrecht als gefährlich eingeschätzte Straftäter), sehr hoch ist.
Ob vier Jahre Freiheitsstrafe gerecht sind für einen 17-jährigen Jugendlichen, der eine Frau vergewaltigt und ermordet hat, darüber kann man meines Erachtens diskutieren. Die Frage der Verwahrung ist aber eine ganze andere. Dort geht es nicht um eine gerechte Strafe für eine begangene Tat, sondern um eine zeitlich unbeschränkte Inhaftierung aufgrund einer nur vermuteten Gefährlichkeit. Diese Grundlage ist naturgemäss viel schwächer, weil die Zukunft immer ungewiss ist. Die Fragen der gerechten Strafe und der Sicherung aufgrund von vermuteter Gefährlichkeit sollten nicht vermischt werden.
Dass zwischen gerechter Strafe für eine begangene Tat und zeitlich unbeschränkter Inhaftierung aufgrund einer vermuteten (zukünftigen) Gefährlichkeit unterschieden werden muss, leuchtet ein. In diesem Übergangsbereich brechen komplexe Fragen auf und ich schätze den Mut der Autorin zu einer klaren Stellungnahme, auch wenn ich selber inhaltlich ambivalent und ziemlich ratlos bin.
Der Gedanke an eine unbegrenzte Haftverlängerung allein aufgrund extrapolierter Gefährlichkeit stört auch mein (naives) Rechtsempfinden, aber eine Verwahrung mit therapeutischem Anspruch für jene, bei denen eine hohe Rückfallgefahr feststellbar ist, könnte ich mir vorstellen. Aber vielleicht ist auch das naiv, kenne ich doch die realen Verhältnisse am einen wie am anderen Ort nicht.
Gewiss ist, dass es keine absolute Sicherheit über zukünftig zu erwartendes Verhalten geben kann. Bei niemandem. Wieviel Unsicherheit wir als Einzelne und als Gesellschaft zu er-tragen bereit sind, ist eine offene Frage.
Mit Sicherheit lösen falsch negative Prognosen mehr (Medien)Echo, mehr Schuldzuweisungen und gewaltig mehr Emotionen bei Nicht-Betroffenen aus als falsch positive. Die sind vor allem ein Problem für den oder die direkt Betroffene und seine/ihre Angehörigen. Was kümmert es uns als Gesellschaft, ob da eineR (womöglich noch in Einzelhaft) versauert, der/die vielleicht nie wieder delinquent geworden wäre?
Es scheint mir nicht sehr human, unsere eigene Sicherheit unbesehen der Opfer, die das für andere bedeuten kann, über alles zu stellen. Und irrelevant, ob es ein Kind treffen würde oder getroffen hat oder eine Prostituierte.
Was mir eindeutig scheint, ist, dass mehrjährige Einzelhaft mit Sicherheit nicht dazu beiträgt, einen gefährlichen Menschen weniger gefährlich zu machen. Von daher finde ich diesen Ansatz unbrauchbar. Wie das Problem aber zu lösen wäre, wie der Übergang zwischen Jugend- und Erwachsenenstrafrecht und der Umgang mit Menschen mit hohen Gewaltpotential auf humane Art zu gestalten wäre, da fühle ich mich hilflos. Und bin froh um alle, die sich dazu sorgfältige und differenzierte Gedanken machen.
Frau C. nimmt diese destruktive Menschengeschichte eben NUR aus juristischer Sicht wahr, und da können wir Nicht-Juristen prinzipiell nichts dagegen sagen. Aber der Einzelfall ist immer individuell! Die rechtliche Beurteilung ist ja stets eine Abstraktion der Geschichte und ist deshalb auch stets gegenüber der Wirklichkeit dieses jungen Mannes "neutral" verzerrt, genauso wie eine Prognose und Einschätzung der Gefährlichkeit eine negative Verzerrung beinhaltet. Deshalb wird die Umsetzung von Entscheidungen auf Freilassung oder Verwahrung des Mannes stets widersprüchlich bleiben.
Ich störe mich vor allem am Aufhänger dieses Artikel: "25 000 Franken für einen Mörder!" Das ist Populismus pur und DAS habe ich hier bei REPUBLIK nicht erwartet, dass Sie diese auf negative Emotionen fördernde Titel-Publizistik betreiben. Schade!!
Gerade diese auf das NUR Negative ausgerichtete Fokussieren drückt auf die negative Prognose!! Kein Satz, keinen Gedanken habe ich gefunden, was diese 25 000 Franken wohl an POSITIVER Wirkung für diesen im Abgrund sitzenden Mann bedeuten könnte!!
Eine verpasste Gelegenheit jetzt, eine Chance bei nächster Gelegenheit, nicht mitzuheulen, sondern (nicht nur juristisch) zu differenzieren!
Wir haben im Newsletter die Schlagzeilen anderer Medien zitiert, Herr S., um das öffentliche Unverständnis zu illustrieren. Diese Emotionen sind ja genau der Auslöser für diesen differenzierten Gastbeitrag.
Danke Herr M. für Ihre Antwort. Nur, der juristisch differenzierte Artikel von Frau C. geht ja eben gerade NICHT auf diese Emotionen ein! Das ist eben ein Geschäfts-Thema der Medien, dass man heute mehr und mehr mit negativen, möglichst negativen Emotionen Geschäft (und Politik) macht!
Ich finde es interessant, wieviele Jurist*innen immer noch davon ausgehen, dass ein Mensch in der Nacht zu seinem 18. Geburtstag einen derartigen psychischen Entwicklungsprung macht, der einen plötzlichen Anstieg der aussprechbaren Höchststrafe bei Schwerverbrechen von 4 Jahren auf lebenslänglich rechtfertigen würde. Bzw. bei den Massnahmen den Übergang der Obergrenze vom 25. Geburtstag auf das Lebensende. Wie würde Frau C. denn den Fall Tobi B. beurteilen, hätte dieser bei der Tat das Pech gehabt, ein paar Monate (oder Tage?) älter zu sein und den 18. Geburtstag bereits hinter sich gebracht zu haben? Wäre dann plötzlich eine aussagekräftige Legalprognose möglich?
Natürlich gehen wir nicht davon aus, dass jemand an seinem 18. Geburtstag ein ganz anderer Mensch wird. Es ist vielmehr so, dass man im Recht eben irgendwo Grenzen setzen muss. Mit 18 werden Sie nicht nur anders bestraft, sondern Sie dürfen auch heiraten und Auto fahren und vieles mehr. Auch das könnte man als willkürlich abtun. Aber irgendwie müssen wir eben unser Zusammenleben ordnen.
Auch bei Erwachsenen ist die Legalprognose extrem schwierig. Wir wissen aus Studien, dass die Zahl von sogenannt false positives (zu Unrecht als gefährlich eingeschätzte Straftäter) sehr hoch ist. Auch bei erwachsenen Straftätern müsste man meines Erachtens viel strenger sein, wenn es darum geht, Leute aufgrund von Gefährlichkeit zeitlich unbeschränkt zu sichern. Bei Kinder und Jugendlichen ist die Gefährlichkeitsprognose aus den im Text genannten Gründen noch schwieriger. Und deshalb sollte man mE von der Möglichkeit einer Verwahrung oder stationären Massnahme ganz absehen.
Die Ausrichtung in unserem Strafrecht auf Resozialisierung der Täter betrachte ich als einen zvilisatorischen Fortschritt. Es ist aber naiv zu glauben, dass sadistische Triebtäter im Laufe der Zeit ungefährlich werden. Dazu bräuchte es eine jahrelange Therapie (in der nicht wenige Täter lernen, sich in der Kunst des Sichverstellens zu üben). Dass ein jugendlicher Schwerverbrecher unbesehen, rein nach dem Buchstaben des Gesetzes aus der Haft entlassen wird, halte ich für eine Fehlkonstruktion in unserem Strafrecht.
Stellt euch vor, euer grosser Bruder wird (unrechtmässig) verwahrt. Werdet ihr dann eher mehr oder weniger gewaltätig? Letzteres wohl kaum. Frust, Wut und Gewalt sind nicht so weit voneinander entfernt.
Das Problem scheint mir halt, dass eine unrechtmässige Verwahrung nicht als solche erkannt werden kann, weil derjenige, der verwahrt ist, gar keine Gelegenheit hat, zu beweisen, dass seine Verwahrung zu Unrecht erfolgt ist. Sichtbar werden nur die (wenigen) Fälle, wo es sich im Nachhinein als Fehler herausstellt, dass keine Verwahrung angeordnet worden war.
Das heisst im Umkehrschluss aber auch, dass eine rechtmässige Verwahrung ebenfalls nicht als solche erkannt wird, da der Verwahrte auch hier keine Gelegenheit hat, zu beweisen, dass die Verwahrung zu Recht erfolgt ist. Der kleinere Bruder im Beispiel von M. A. dürfte also in jedem Fall sauer sein, unabhängig davon, ob vom Verwahrten wirklich eine Gefahr ausgeht oder nicht.
Ich habe gesehen, dass der "Blick" wieder eine seiner unsäglichen Hetzkampagnen reitet. Bisher war es "Carlos", dem keine Chance gelassen wurde, sich halbwegs normal zu entwickeln bzw. normal zu werden. Und jetzt ist "Tobias B." an der Reihe. So bewirken "Blick" & Co., dass auch die schlechtesten Prognosen eintreffen.
Wir erinnern uns an den Fall von Jolanda Spiess-Hegglin, welche geltend macht, ihr sei wahrscheinlich von einem anderen Politiker GHB verabreicht worden. Weil das Kantonsspital Zug unfähig war, die bei solchen Vergiftungen gebotenen Massnahmen zu treffen und sofort Spuren zu sichern, liess sich der Verdacht nicht erhärten. Jeder einigermassen informierte Zeitgenosse weiss, dass GHB schnell abgebaut wird und Spuren deshalb so bald als möglich sichergestellt werden müssen. Die Spitalveranwortlichen verletzten ihre entsprechenden Pflichten und machten die Sache noch schlimmer, indem sie die Polizei einschalteten. Und dann kam der "Blick" und startete eine Kampagne gegen Spiess-Hegglin.
Man müsste in all diesen Fällen bedenken - auch im Fall von Tobias B. -, dass wahrscheinlich auch eine Straftat vorliegt, beispielsweise bei der missbräuchlichen Verwendung von Fotografien. Deshalb ist allen Betroffenen zu empfehlen, innert dreier Monate Strafantrag zu stellen. (Man muss keine Gesetzesbestimmung benennen; es reichen der Beitrag, der Fehler und die Forderung, die Verantwortlichen zu bestrafen.) Immer dann, wenn eine Straftat vorliegt, sieht das Strafrecht zwingend (!) vor, dass die sogenannten «producta sceleris» einzuziehen sind. Damit ist nicht nur der Gewinn gemeint, sondern alle Einnahmen, welche das Medium mit dem strafbaren Beitrag machte. (Das Strafrecht ist hier schärfer als das Zivilrecht.) Übrigens können diese Summen zur Finanzierung des Schadensersatzes (und der Genugtuung) verwendet werden. Und wenn das ein paarmal passiert, merkt vielleicht sogar der eine oder andere Richter, wie lächerlich klein die Entschädigungen sind im Vergleich zu den Einnahmen, welche mit den Delikten erzielt werden.
Frau C. hat meine volle Zustimmung, dass man rechtsstaatliche Gesetze braucht und nicht einfach jemanden einsperren kann, wenn es keine Grundlage gibt. Der Fall Tobias hat deshalb seit Jahren zu Recht Aufsehen erregt. Ich finde, Frau C. hat auch Recht, wenn die strenge Kriterien für die Anordnung von kleiner, normaler und lebenslänglicher (hier gelten die strengen Kriterien ja schon) Verwahrung fordert.
Nur man muss sehen, was passieren wird, wenn Tobias freigelassen wird, rückfällig wird und dann verwahrt wird und wenn weitere Fällevon Jugendlichen mit hoher Rückfallgefahr geschehen. Man wird sich die Frage stellen, ob das auf zeitlich beschränkte Massnahmen ausgerichtete Jugendstrafrecht mit im Vergleich zum Erwachsenenstrafrecht sehr geringen subsidiären Strafen noch haltbar ist. Würde man nämlich, wie dies in einigen Staaten der USA der Fall ist, dem Richter erlauben, das Erwachsenenstrafrecht schon ab zum Beispiel 12 oder 14 Jahren anzuwenden, mit der Begründung, der Jugendliche habe Handlungen begangen, die nicht mehr mit seiner juvenilen Unreife zu erklären seien, sondern Zeichen von sich bereits gefestigten Charakterzügen seien, dann könnte man Leute wie Tobias von vornherein (bei Tötungsdelikten) zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilen. Es gibt bis heute kein EGMR-Urteil, das lebenslängliche Strafen für eine Verletzung von Art. 3 EMRK hält, wie der EGMR kaum je die Höhe einer strafreechtlichen Sanktion überprüft. Allenfalls muss nach einer gewissen Zeit die vorzeitige bedingte Entlassung geprüft werden, die kann man aber ohne Weiteres mit der Begründung verweigern, es bestehe eine hohe Rückfallgefahr.
Wenn man also die (juristisch durchaus problematische) Einführung eienr Verwahrungsmöglichkeit für Jugendliche ablehnt, riskiert man, dass sich eine Opposition gegen das gesamte jugendstrafrechtliche System aufbaut.
Und vielleicht eine generelle Bemerkung. Ich habe an einem Urteil mitgewirkt, wo ein 17-jähriger Jugendliche, der seine Betreuerinnen im Heim vergewaltigte, vom Jugendanwalt 14 Tage Einschliessung bekam, vom Jugendgericht dann ein paar Monate (damals war die Höchststrafe noch geringer). Mir scheint aber, dass man (namentlich auch in Heimkreisen, die meist tramm hinter ihren Jugendlichen stehen und das Jugendgericht als feindliche Instanz sehen) zu schnell einfach davon ausgeht, dass solche Taten auf juvenile Unreife, populärwissenschaftlich, auf zu hohe Testosteronproduktion, zurückzuführen sind, und deshalb nur milde geahndet werden können. Genauso wie die volle Schuldfähigkeit des Kindes bis ins 18. Jahrhundert eine Konstruktion war, beruht auch die Annahme einer sehr verminderten Schuldfähigkeit von Jugendlichen auf einer Konstruktion, letzten Endes ist dies (wie generell die Annahme, dass es beim Menschen überhaupt eine Schuldfähigkeit gibt) eine gesellschaftliche Entscheidung und nicht eine wissenschaftliche Frage. Vielleicht ist es besser, ein paar Jugendliche, die bestialische Verbrechen begangen haben, aufzugeben, das heisst wegzusperren und ihr Leben dauerhaft zu ruinieren, als durch eine von der Gesellschaft als zu mild angesehene Behandlung zu riskieren, dass das ganze Jugendstrafrecht ins Rutschen kommt.
Lieber Herr Hegetschweiler
Aus Angst vor einem allzu grossen Gap zwischen geltendem Recht und gesellschaftlichem Rechtsempfinden in vorauseilendem Gehorsam für eine Verschärfung des Jugendstrafrechts zu plädieren: das ist eine Möglichkeit.
Einen anderen Weg geht die Republik: Ganz generell mit ihrem Justiz-Schwerpunkt und im Speziellen mit Gastbeiträgen wie diesem von Frau C. wird versucht, den Gap zu verkleinern.
Unterschätzen Sie die Gesellschaft nicht.
Damit wir nicht aneiander vorbeireden: Ich würde nur für eine Anwendung des Erwachsenenstrafrechtes für wirklich schwere (natürlich vorsätzliche) Gewalttaten plädieren, also nicht vorauseilend das Jugendstrafrecht revidieren wollen. Und hier müssen wir uns schon fragen, wie hoch die Eingliederungschancen bei einem jungen Menschen sind, der z.B. mit 16 einen sadistischen Mord verübt, und ob wir hier wirklich Aspekten wie verminderter Schuldfähigkeit als Jugendlicher und Resozialisierung so grosses Gewicht beilegen wollen. Das sind einige wenige Fälle pro Jahrzehnt. Für diese werden Sie nie den Gap verkleinern zur Gesellschaft verkleinern können und es fragt sich auch, ob eine Verkleinerung überhaupt wünschbar ist. Ich bin mir bewusst, dass ich damit dem Aspekt men's rea eine untergeordnete Bedeutung und dem Aspekt Risiko eine höhere Bedeutung zumesse, da es aber nach meinem Konzept eine wirklich schwerste Tat braucht und diese natürlich über jeden vernünftigen Zweifel hinaus nachgewiesen werden muss, wäre dasmeines Erachtens verantwortbar, ohne dass man in billiger Weise populistischen Rachegelüsten nachgeben würde. Das Unrecht, das dem Jugendlichen allenfalls zugefügt wird,m indem man ihn um seine möglichen Resozialisierungschancen bringt, wäre in Kauf zu nehmen.
Aber sonst gehe ich mit Ihnen einig: für den grössten Teil der Delikte von Jugendlichen (auch schwere Vermögensdelikte wie Raub, auch Schlägereien mit schweren Folgen etc.) sind Massnahmen geeigneter als lange Strafen, damit kann man 1/3 definitiv auffangen, ein weiteres Drittel wenigstens einigermassen stabilieren (dies 3/3 Regel ist so eine Faustregel, ob sie wiklich empirisch stimmt, weiss ich nicht).
Sehr geehrte Frau C.,
wenn ich Sie richtig verstehe stören Sie sich daran, dass allzu leichtfertig Verwahrungen ausgesprochen werden, obwohl das Rückfallrisiko zu wenig belegt ist. Das ist aber doch ein Problem der Rechtsprechung, und nicht der Gesetze? Mit derselben Begründung müssten Sie ja auch gegen das Gesetz zur Verwahrung erwachsener Straftäter sein, wenn dadurch viel zu viele ungefährliche Menschen weggesperrt werden?
Ich bin mit Ihnen einig dass die Hürden für eine Verwahrung hoch sein sollten, entsprechend zurückhaltend wäre sie bei ehemals jugendlichen Straftätern anzuwenden. Aber wenn jetzt in einem speziellen Fall mehr oder weniger zweifelsfrei ein hohes Rückfallrisiko prognostiziert werden muss, soll man da den ehemals jugendlichen Straftäter wirklich mangels Gesetz freilassen?
Ich denke die Gesetzesebene ist nicht der richtige Angriffspunkt für Ihr Anliegen.
Vielen Dank für Ihren Input.
Die Schwierigkeit der Rückfallprognose ist mE sowohl ein Problem der Gesetzgebung als auch der Rechtsanwendung, weil man auf der Ebene des Gesetzes zwar hohe Hürden aufbauen kann, und eine sehr hohe Rückfallwahrscheinlichkeit verlangen kann (und meines Erachtens aufgrund der Schwere des Freiheitseingriffs der zeitlich unbeschränkten Inhaftierung auch muss), diese Prognosen aber in der Praxis extrem schwierig bzw. eben nicht zu bewerkstelligen sind.
Ich meine, manchmal muss man eben auch den Mut haben zu sagen: Wir machen nichts, weil eine rechtsstaatlich akzeptable Lösung in der Praxis schlicht nicht umsetzbar wäre. Dann betrifft dies die Gesetzgebung und nicht die Rechtsanwendung. Alternativ schafft man ein Gesetz aber wendet es in der Praxis nicht an (wie das gegenwärtig etwa bei der lebenslänglichen Verwahrung der Fall ist). Das ist dann symbolische Gesetzgebung, die ihre ganz eigene Problematik hat. Mein Punkt war: Wir bringen eine zuverlässige Gefährlichkeitsprognose bei einem ehemals jugendlichen Straftäter einfach nicht hin und sollten mE deshalb bereits auf der Ebene der Gesetzgebung von der Verwahrung absehen.
Herzlichen Dank für die ausführliche Antwort. Die Frage ist wohl, ob man eine zuverlässige Gefährlichkeitsprognose komplett ausschliesst, oder in sehr seltenen Fällen für möglich hält.
Aber Sie haben Recht, wie Sie erwähnen gäbe es sinnvollere, weniger drastische Kontroll- und Begleit-Massnahmen die man anstreben sollte.
Unbeirrt täuschen wir uns gierig und bewirtschaften gewinnorientiert Jugend- wie Erwachsenenkriminalität. Dazu wählen wir rücksichtslose Hochstapler und verachten ehrliche Menschen. Ursachen von Problemen suchen und beheben beginnt mit Aufklärung. Das ist mit Denkarbeit verbunden und dazu fehlt uns die Zeit.
Ich verstehe nicht Frau C., weshalb man eine Anordnung von Art. 59 für eine stationäre Massnahme grundsätzlich entschieden zurückweisen sollte. Genau damit bekäme man die Möglichkeit, bei jungen Erwachsenen mit schlechter Prognose, die Entwicklung weiter verfolgen zu können. Ich halte es für fragwürdig, grundsätzlich entlassen zu müssen aufgrund des Erreichens eines bestimmten Alters. Dass eine solche Massnahme im Anschluss an das Jugendstrafrecht nur bei sehr schweren Delikten zur Anwendung kommen dürfte, erachte ich selbstverständlich als zwingend.
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