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Antonia Bertschinger
Ratsmitglied Project R Genossenschaft
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"Die Landes­regierung stösst sich vor allem am vorgeschlagenen Losverfahren: Damit werde ein Instrument eingeführt, das in der schweizerischen Tradition nicht verwurzelt sei."
Ich empfehle dem Bundesrat, die Schweiz der Frühen Neuzeit zu studieren. Ämterbesetzung durch Losverfahren war damals weit verbreitet, z.B. für das Amt des Landammanns. Und da dieser mangels Gewaltentrennung oft auch Richter war, wurden damals also Richter per Los bestimmt.
Ureidgenössischer gehts nicht.

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Stimmt. Es war ein probates Mittel gegen feudalistische Strukturen, gegen die Herrschaft mächtiger Familien.

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Antonia Bertschinger
Ratsmitglied Project R Genossenschaft
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Genau. Inwiefern das immer gut funktioniert hat, weiss ich nicht, aber dazu gibt es Expert*innen. Ich kenne mich nur in Graubünden im frühen 17. Jahrhundert ein wenig aus. Dort fanden die mächtigen Familien zahlreiche Möglichkeiten, das Los auszuhebeln. Bis eine Reform kam und es wieder einführte.

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Michel Rebosura
Ratsmitglied Project R Genossenschaft
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· editiert

Vielen Dank Brigitte für die Schilderung des spannungsvollen Verhältnisses zwischen Demokratie und Rechtsstaat, Legislative und Judikative. Und die aufzeigt, wie zentral die Gewaltentrennung für moderne Demokratien ist.

Denn eine moderne Demokratie ohne funktionierenden Rechtsstaat ist keine Demokratie mehr, sondern eine Ochlokratie, eine Diktatur der Mehrheit. Eine Tyrannis, eine Willkürherrschaft, die nicht am Gemeinwohl aller, also jeder Einzelnen, orientiert ist, sondern an den Interessen mancher, der Mehrheit - oder derjenigen, die sie zu vertreten meinen.

Die notwendige Bedingung der Einheit von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und gleichzeitiger Trennung der Gewalten zeigt sich besonders dann, wenn sie missachtet und ausgehöhlt wird.

So etwa in Ungarn unter Órbans Fidesz durch quasi-verfassungsrechtliche "Übergangsvorschriften", Zwangspensionierung von Richter*innen und der Einführung eines monokratisch geführten Nationalen Amtes für die Gerichtsbarkeit (vgl. hier, hier).

Oder Polen unter Dudas PiS durch ein Disziplinierungsgesetz, Zwangspensionierung, einer Sonderkammer, die jedes Urteil aufheben kann, das seit 1997 gefällt wurde und einem Verfassungsgericht, das unter seiner rechtswidrig ernannten Präsidentin nur noch Erfüllungsorgan der Regierungspartei ist (vgl. auch hier, hier und hier).

Oder Rumänien unter Dragneas PSD durch die "Justizreform", mit der die Verfolgung von Korruption, Geldwäsche und Amtsmissbrauch erschwert wird und einer Disziplinarkammer, mit der Staatsanwälte und Richter unter Kontrolle gebracht werden sollen (vgl. auch hier).

Die EU versuchte entsprechend dem entgegenzuwirken.

Doch auch in der Schweiz gab es Versuche, die Gewaltentrennung aufzuweichen. Etwa als der damalige EJPD-BR Blocher vorschlug, dass 'die administrative und fachliche Aufsicht über die Bundesanwaltschaft künftig "ungeteilt und durch die Exekutive wahrgenommen werden"' soll. Oder die SVP, die im Nachgang der "Ausschaffungsinitiative" mit der "Durchsetzungsinitiative" und "Selbst­be­stim­mungs­in­itia­tive" per Volksentscheid erwirken wollte, dass ein Automatismus ohne Einzelfallprüfung eingeführt wird. Was auch dem Gebot der Verhältnismässigkeit widersprochen hätte. Und so auch dem Art. 5 der Bundesverfassung "Grundsätze rechtsstaatlichen Handelns":

1 Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht.
2 Staatliches Handeln muss im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein.
3 Staatliche Organe und Private handeln nach Treu und Glauben.
4 Bund und Kantone beachten das Völkerrecht.

Hier, in der (halb-)direkten Demokratie, taucht somit ein anderer gewichtiger Player auf: "Das Volk". Gibt es für dieses auch ein checks and balances? Was bedeutet "Volkssouveränität"? Einzig das Volk stehe in seiner Gesamtheit über der Verfassung. Also auch über dem Rechtsstaat? Und über den Menschenrechten?

Kann "das Volk" absolutistisch sagen: "L’état c’est moi"?

Manche wollen das so sehen. Doch diese "populistische Überhöhung des Volkes" sei "gefährlich", sagt der ehem. Bundesrichter Giusep Nay. Doch:

Volk und Stände sind dann nicht der Staat. Sie handeln vielmehr als Organ des Staates und haben sich dabei an die gleichen verfassungsmässigen Grundregeln wie die anderen Organe zu halten.

Etwa an Art. 5 BV.

In Ermangelung eines eigenen Verfassungsgerichts ist die Verteidigung der übergeordneten Menschenrechte im allgemeinen und der Euro­päi­schen Menschen­rechts­kon­ven­tion (EMRK) im besonderen eine Verteidigung des rechtsstaatlichen Prinzips und der Demokratie an sich.

Eine Verteidigung, die von der Politik, aber vor allem auch von der Zivilgesellschaft ausgehen muss. Dazu bräuchte es auch mehr Bildung. Etwa via Medien.

Wie die Republik mit "Am Gericht".

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Liebe Verlegerinnen und Verleger, lesen Sie diese spannende, ausführliche, fachkundige Ergänzung von Michel Rebosura. Sie ist nicht gerade kurz, aber die Lektüre lohnt sich.

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sind Sir Jurist Herr Rebosura, wenigstens habe ich verstanden, was Sie ausführten.
Mir persönlich ist die Anerkennung des Völkerrechtes wichtig,welches für ein einzelnes Land, doch auch darüber hinaus für alle Völker bestimmend sein soll.
Gut dass Sie fragen, ob das Volk über dem Völkerrecht und den Menschenrechten steht?
Das wird in Zukunft wichtig bleiben. Besten Dank.

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Ein ausgezeichneter Artikel, der einen guten Überblick über dieses komplexe Thema bietet. Er zeigt auch deutlich auf, wie dringend notwendig in der Schweiz die Einführung eines Verfassungsgerichtes ist.

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Tja, darüber scheiden sich die Geister, in der Schweiz. Ich wäre auch für ein Verfassungsgericht, besetzt mit hochkarätigen Juristinnen und Juristen, ohne Zwang, einer Partei beitreten zu müssen. Ein Wunschtraum.

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besten Dank für diesen Kommentar, Brititte Hürlimann.
das wäre am Massgeblichsten...."Justitia" mit verbundenen Augen...ideal...wenigstens ein Ziel für das man kämpfen darf...

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Mathematiker in IT, Bildung und Beratung
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... die Geister scheiden sich noch nicht einmal, sondern sind ambivalent. Gewisse Verschleppungen sind schon störend, insbesondere, wenn sie von einer Minderheit mit guter Lobby kommen. Irgendwie gefällt mir aber auch die Unbedarftheit von gewissen Initiativtexten; die müsste mit einem Verfassungsgericht aufgegeben werden.

Um vor Allmachtsphantasien von erfolgreichen Initianten geschützt zu sein, nehme ich also doch recht gerne ein gewisses Ohnmachtsgefühl in Kauf. So können wir ja über fast jeden Stuss abstimmen, sogar zustimmen, und wenn dann einige Populisten ‚Verfassungsbruch‘-Plakätchen in die Session mitnehmen, so disqualifizieren sie sich eher.

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Ich möchte Sie einfach "moralisch unterstützen" in dem Unternehmen, die Beziehung von Politik und Justiz zu durchleuchten und die Defizite ans öffentliche Licht zu zerren!
Dass Richter je nach Parteibüchlein zu ganz verschiedenen Urteilen kommen, sollte uns allen, dem "Fussvolk", die Haare zu Berge stehen lassen!!! Etc.etc. Zum Beispiel die jahrzehntelange Verspätung im Vergleich zum Ausland, mit welcher in der Schweiz das frauenstimmrecht eingeführt wurde, ist für meine Empörung noch längst nicht verjährt!

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Ich muss unsere Richterinnen und Richter in Schutz nehmen, vielen gelingt es, unabhängig vom Parteibüchlein Entscheide zu fällen. Problematisch finde ich hingegen, dass sie dazu gezwungen werden, einer Partei beizutreten und Parteisteuern zu zahlen, wenn sie eine Richterkarriere anstreben. Hier müssen wir ansetzen.

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jaap achterberg
schauspieler aus holland
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Wie gut tut das, über diese Materie informiert, ja aufgeklärt zu werden. Wie wenig wusste und weiss ich hierüber. Herzlichen Dank!

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Merci, merci... Es gäbe noch sooooo viel zu sagen!

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Mathematiker in IT, Bildung und Beratung
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Statt vornehmlich über ein Versagen im letzten Jahrhundert in Bezug auf das Frauenstimmrecht zu jammern, sollten wir uns m.E. besser aktuelleren Fragen wie z.B. Stimm- und Wahlrecht für Nicht-EidgenossInnen, Altersgrenzen etc. zuwenden.

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Jammern? Meine Mutter durfte ihr halbes Erwachsenenleben lang weder abstimmen noch wählen noch einen Kühlschrank kaufen, das war ihr unter dem Regime des alten Eherechts verboten, und das galt bis in die 1980er Jahre. In Appenzell-Innerrhoden dürfen die Frauen erst seit 1990 mit politisieren. Darüber darf man heute schon noch reden. Und vor allem: Der Umgang mit dem Frauenstimmrecht zeigt eindrücklich das schwierige Verhältnis zwischen demokratischer Politik und Rechtsstaatlichkeit auf. Eindrücklicher geht's nicht. Was nicht heisst, dass man die aktuellen Fragen verdrängen soll.

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Mathematiker in IT, Bildung und Beratung
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Liebe Frau Hürlimann
Natürlich darf man darüber reden und soll man auch. Und natürlich lässt sich anhand des des Frauenstimmrechts das Thema illustrieren. Aber muss man es gerade zu diesem Thema?
Wenn wir uns aber ernsthaft, und in Bezug auf Reformen frei und positiv mit dem Zusammenspiel der Institutionen auseinandersetzen wollen, so dünkt es mich produktiver, etwas weniger aufgeladene Bereich beizuziehen, als gerade das Thema Gleichberechtigung und das damit verbunden Leid. Kennen Sie das Büchlein ‚So funktioniert die Schweiz‘ von Jean-François Aubert? Zwar aus dem letzten Jahrhundert, ist es eine fein ziselierte (damals aktuelle) Aufarbeitung von exemplarisch CH-politischen Prozessen anhand einer ähnlichen Fragestellung wie die Ihres Artikels. Vielleicht könnte es - aktualisiert - sogar als Anregung dienen zu einer Artikelserie.
Mit besten Grüssen, K.A.

Ps: ‚Männer und geteiltes Sorgerecht‘ fände ich etwa gleich ungeeignet. ;)

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Ich frage mich ja immer noch, wie die Männer dazumals ihre Ablehnung zum Frauenstimmrecht ihren Frauen rechtfertigt haben.

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Es gab übrigens auch ein Frauenkomitee gegen das Frauenstimmrecht. Das ist noch unbegreiflicher. Wobei: Auch die Frauen sind natürlich keine homogene Gruppe.

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Ich schliesse mich dem hier verschiedentlich geäusserten Dank für den aufschlussreichen Artikel an, Frau Hürlimann. Der Frage von Herrn F. und Ihrer Ergänzung mag ich mich ebenso anschliessen. Wenn allerdings das Phänomen des spät eingeführten, im Fall von Appenzell gar verordneten Frauenstimmrechts für die «Rückständigkeit» der Schweiz herhalten muss, pflege ich doch einzuwenden, was «mann» oder «frau» denn darüber denke, wie es andernorts herausgekommen wäre, wenn nicht die Kammern der hohen Politik darüber bestimmt hätten, sondern eine Mehrheit der zur Urne schreitenden Männer hätte gewonnen werden müssen – egal ob homogen oder nicht, egal ob grosse Mehrheit oder knappe Mehrheit!

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....und das ist ja ziemlich peinlich. Diese Tatsache des schweizer Stimmrechtes wird oft genüsslich erwähnt in globalen Treffen wo Ländereigenheiten der Teilnehmenden erwähnt werden. Wenn jetzt wieder mal alle mich anstarren, habe ich wenigstens mehr zu bieten als ein Schulterzucken.
Danke für den Artikel.

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Liebe Frau Hürlimann

Vielen Dank für diesen prägnanten und erhellenden Artikel, der Licht ins Dunkel der Beziehung von Rechtsstaat und Demokratie bringt. Kennt man das Grundlegende, wird die Sicht auf die Details geschärft. Erinnerte mich etwas an die guten alten Hintergrundartikel in der Weltwoche (vor Köppel), deren Journalismus genau das auszeichnete: Hinschauen, alles ausleuchten, analysieren, Systeme und Beziehungen darin erkennen und dann nochmals betrachten anstatt oberflächliches Spezialwissen weiterzuverbreiten ohne zu hinterfragen, was denn hinter den Begriffen wirklich steht. Vielen Dank!

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Ich werde grad wehmütig. Ja, ich erinnere mich auch noch bestens an die alte Weltwoche. Jene im Zeitungsformat. Und mit inhaltlichem Format.

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interessierter Leser
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Sehr verdienstvoll, diese Erläuterungen von Frau Hürlimann! In einer nächsten Folge könnten vielleicht auch noch andere Gerichtssysteme in föderalistischen Staaten wie in D und den USA erläutert werden. Im Vergleich mit der Schweiz würden die Vor- und Nachteile deutlicher sichtbar.

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interessierter Leser
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Danke für den Hinweis - diesen sehr aufschlussreichen Beitrag von Frau Kunz hatte ich nicht mehr in Erinnerung. Wie würden wohl in der Schweiz die Richterwahlen ausfallen, wenn wir vergleichbar polarisierte Verhältnisse hätten wie die USA?

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Alt-Bundesrätin
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Auch ich möchte mich für den fundierten und sehr klaren Artikel bedanken. Ich teile Ihre Grundthese. Gerade beim Zugang zum Bundesgericht sind Hürden aufgebaut worden, etwa bei den Kosten und der Schwelle der angenommenen Klagen, die eine "Geldselektion" ermöglichen.

Darf ich auf das Bild zurückkommen, die Ihr Artikel illustriert? Ein Abzug davon hängt in meiner Wohnung, ein Geschenk vom Photomuseums Direktor. Dahinter steht geschrieben:
Theo Frey (1908-1997) Landsgemeinde, Trogen 1968. Die Frau wird nach Hause geschickt, obwohl sie, am äussersten Rand der Männerversammlung, offensichtlich nur anmasst, den politischen Prozess zu beobachten.

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Während die Problematik der demokratischen Politik oft besprochen wird bleiben die (strukturellen) Probleme der Justiz weitgehend im dunkeln:

  • langsam & schwerfällig

  • völlig veraltete Arbeitsmitten

  • Richterausbildung

  • Dienstleistungsorientierung

  • Abschottung gegen Nicht-juristen

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Liebe Frau Hürlimann,

Ganz herzlichen Dank für ihren hervorragenden Artikel zur Rechtsstaatlichkeit. Dieser ist in einer klaren, auch für den Laien leicht verständlichen Sprache formuliert und bringt die Vor - und Nachteile der verschiedenen Systeme deutlich an die Oberfläche.

Ich bin während der Lektüre doch sehr nachdenklich geworden und nehme mir nun vor, etwas mehr über die Rechtsstaatlichkeit zu lernen, um die täglichen demokratischen Fragen besser zu verstehen und einordnen zu können.

Mit den besten Grüßen

R. Märkl

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Märchentante*onkel
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· editiert

Die späte Einführung des Frauenstimmrechtes ist noch immer eine beschämende Erinnerung und die pseudo- und formaljuristischen Rechtfertigungen unserer Gerichte aus der Zeit lassen doch die Frage aufkommen, wie viel oder eher wenig wir ihnen doch ganz grundsätzlich trauen dürfen. Gerade auch im Hinblick auf die in der Schweiz weiterhin unmögliche gleichgeschlechtliche Ehe erscheint unsere dritte Gewalt als feige, hinter der Zeit herhinkende, opportunistische Winkelzügesekte.

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Ganz ehrlich gesagt: Die Politik war nicht mutiger, im Gegenteil, eher noch feiger. Beide Gewalten haben versagt, finde ich.

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Märchentante*onkel
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Ja, das stimmt. Beide. Meine Mutter (Jahrgang 26) litt fünfzig Jahre an dieser Entmündigung. Es belastete sie seelisch und verletzte ihr Selbstwertgefühl. Und neben dem fehlenden Stimm- und Wahlrecht gab es ja auch noch ein breitgefächertes Arsenal weiterer diskriminierender Gesetze.

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