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Man braucht nicht mit allen Aussagen von Serhij Zhadan einverstanden zu sein – seine Kritik an der Aufteilung des Friedensnobelpreises kann ich auch nicht nachvollziehen – ; aber wesentlich ist, dass sich hier ein Betroffener Gedanken macht, wie er in unmenschlichen Zeiten und unter ständiger Bedrohung Menschlichkeit in seinen Handlungen und seiner Sprache bewahren kann. Eine solche Extremsituation übersteigt wohl das Vorstellungsvermögen von den meisten von uns. Daher sollten wir auch etwas bescheidener werden mit Urteilen und Meinungen, denn, wie bereits Schiller erkannt hat: „Vom sichern Port lässt sichs gemächlich raten“.
Danke für dieses Interview mit einem mir bis vor Kurzem unbekannten Mann. Eindrücklich – und für mich fast am eindrücklichsten diese Worte:
«Bei all dem halten wir die ganze Zeit das Kulturleben weiter am Laufen (...) Man darf nicht vergessen: Bei Kultur geht es auch um die Überwindung von Angst. Und darum, dass das zivile Leben den Sieg davonträgt.»
Echt stark und dies grad weil aus so einer fürchterlichen Situation zu hören!
Naja, jemand der anderen um Frieden bemühten Organisationen aus anderen Ländern den Friedensnobelpreis nicht gönnt, den halte ich nicht geeignet für einen Friedenspreis.
Frieden bedeutet mehr als nur auf das eigene Volk zu schauen. Ist mir generell Zuviel Nationalstolz, bei keinem Land mein Ding. Aber ich komme auch aus Deutschland und hier ist das zurecht verpönt. Ukraine wird irgendwann auch über strukturellen Rassismus nachdenken müssen, Frieden ist nicht isoliert zu betrachten. Hab es da mehr so mit RATM: destroy all nations … aber ich spreche da wie die meisten hier im Forum bequem vom Sofa aus. 🙈
Mich stört folgender Satz wesentlich mehr:
Zhadan hat Germanistik studiert, übersetzt auch aus dem Deutschen, aber Interviews gibt er derzeit nur auf Ukrainisch.
Luhansk und Donezk sind mehrheitlich (zwischen 70 und 90%, je nach Region) russisch sprechend. Ein starkes Zeichen wäre, wenn er als Vertreter der mit Abstand am härtesten betroffenen Regionen zur Sprache seiner Region bekannt hätte. Anstatt sie durch die ausschliessliche Verwendung des ukrainischen zu verleugnen.
Gerade er, der weiss, wie machtvoll Sprache ist. Und welches Zeichen er damit sendet.
Selbst Präsident Zelensky ist nicht so engstirnig und benutzt russisch als Mittel der Kommunikation und zum Zweck - obwohl es ihm als ukrainischer Amtsträger eigentlich verboten ist (einzig ukrainisch ist ihm erlaubt, sobald er als öffentliche Person auftritt).
=> So sehr ich mich aktuell über den Fortschritt der ukrainischen Armee freue. Die Zukunft macht mir hingegen Sorgen. Auch, weil das Sprachproblem tatsächlich massiv unterschätzt wird - und es sehr viele (nicht offizielle) Videos ukrainischer Spezial/Truppen gibt, die mehrheitlich russich als ihre Sprache verwenden (sobald die Videos über offizielle Kanäle publiziert werden, kommt russisch als Sprache der ukrainischen Armee nicht mehr vor - noch so eine Absurdität, die die ukrainische Realität negiert.)
=> Sollte die Ukraine nicht sprachtechnisch die Kurve kriegen, könnte die Einheit schnell wieder Geschichte sein. Mit dem Unterschied, dass erstmals massiv kampferfahrene Menschen mit grossen Waffenbeständen in dem Land wären, die auf eine Korrektur in ihrem Sinne dringen könnten.
EDIT Daumen runter bin ich gewohnt. ;)
Fakt ist jedoch, dass russisch als Sprache einer gravierenden Minderheit in der offiziellen Ukraine nicht mehr existiert, sehr vieles mittlerweile verboten ist (auch wenn es mit dem Etikett "RU" versehen wurde - nur das bei Musik und Literatur fast alles in den russischen Kulturzentren produziert worden ist).
Dies ist durchaus auch den in die Schweiz geflohenen Ukrainern aufgefallen. Und seit dem sie hier sind und erleben, dass man auch mit mehr als einer offiziellen Amtssprache sehr gut leben kann, sie sehr nachdenklich geworden sind...
Kleiner Funfakt:
Donezk, Lugansk, Charkov, Odessa, Nikolaev wurden allesamt in der Herrschaftszeit von Katharina der Grossen gegründet. Lange Zeit existierten keine ukrainischen Namen.
Nimmt man die Geschichte der Städte (und den sprachlichen Hintergrund) der Bevölkerung, dann ist es schlichtweg absurd, dass die ukrainischen Namensbezeichnungen hierfür verwendet werden. Und zwar nur diese.
Denn die russischen Namen existieren laut Verfassung schlichtweg nicht. Ukrainisch ist die einzige offizielle Landessprache!
Ihr Schlusswort in Ehren, mit anonymen Personen diskutier ich auch nicht. Über jene Stelle stolperte ich auch, bei Nationalismus bin ich auch nicht dabei. Ihn aber heftiger auslegen als er spricht, das sollte man auch lassen.
Von Ihrer allerersten Zeile an wünschte ich Ihnen, mal mit Zhadan zu tauschen, sagen wir mal für bloss einen Monat – und Zhadan so lange auf Ihrem Sofa. Er würd's wohl kaum aushalten, aber Sie?
Mmh. Schade, dass er den Friedensnobelpreis für die Organisation aus Belarus und Russland ablehnt, obwohl selbst die ukrainische Organisation den Preis zusammen mit den beiden Organisationen bekommen hat, die message dahinter wohlwollend betrachtet hat. Das empfinde ich als ungut vom Schriftsteller und ab da hab ich dann keine Lust mehr auf das Interview gehabt, schade. Vielleicht lese ich es später noch mal zu Ende.
Dem ersten Teil Ihres Kommentars kann ich zustimmen. Auch in anderen Teilen des Interviews bin ich nicht der Meinung des Autors. Trotzdem habe ich es mit Interesse zu Ende gelesen, weil es auch viel über die unterschiedliche Sichtweise auf ein Thema von Direktbetroffenen und Aussenstehenden aussagt. Deswegen rate ich Ihnen das Interview weiter zu lesen, auch wenn Sie nicht einer Meinung mit dem Autor sind.
Muss man jemanden, der nicht genau gleicher meinung ist wie ich oder du, ablehnen? Und ihm keine chance mehr geben sich zu äussern und gehört zu werden? das absolut traurige ist doch in unserer bequemen welt, dass wir grässlich intolerant geworden sind. Nach dem motto : Denkst du nicht wie ich bin ich gegen dich. Dabei lohnt es sich, zhadan zuzuhören, auch wenn man nicht 100% einverstanden ist mit ihm. Er hat uns so viel zu erzählen.
Ich habe nicht ihn abgelehnt sondern seine Meinung. Das ist ein Unterschied. Inzwischen doch zu Ende gelesen das Interview. Aber war nicht sehr reichhaltig ehrlich gesagt. Und ja wir können uns eh nicht vorstellen wie das ist, da müsste ich mal jemanden im Jemen fragen zum Beispiel. Seine Gefühle beschreibt er klassisch, nachvollziehen kann das ähnlich wie zum Beispiel Krebs haben nur jemand der auch direkt betroffen ist. Das ist hier zum Glück niemand. Dennoch natürlich solchen Stimmen immer zuhören, sie leisten augenblicklich sehr sehr viel.
Vielen Dank für dieses Interview. Und die ehrlichen Antworten von Sehrij Zahdan. Die täglichen Gratwanderungen eine Sprache zu schreiben, die wir akzeptieren und sobald Zwischentöne erscheinen, wir uns entsetzen. Ich möchte nicht in der Lage sein, abwägen zu müssen, ich kann mir auch gar nicht vorstellen, wie ich es tun könnte. Wir beobachten und lesen von aussen. Wie schwierig muss es sein von Innen zu berichten.
Vielen Dank für Ihre Kommentare und die konstruktive Diskussion. Vieles von dem, was geschrieben wurde, etwa von Herrn Kienholz, Frau G., Herrn W. und anderen, trifft sich sehr mit meiner eigenen Einschätzung. Gerade auch weil hier der Punkt gemacht wird, dass es manchmal in diesen Debatten hilfreich ist, eben nicht sofort auf die starke Meinung und das zugespitzte Werturteil aus zu sein.
Es gibt in dieser komplizierten Lage zwei entgegengesetzte (wenn auch in meinen Augen keineswegs gleichwertige) Reaktionen, die ich beide für falsch halte und jedenfalls auch bei dem Gespräch zu vermeiden versuchte. Die eine davon ist, Problematisches von ukrainischer Seite oder hier konkret: in Äusserungen und Posts von Serhij Zhadan, einfach wegzuschieben, weil es einem nicht ins Bild passt. Das halte ich für den wesentlich nachvollziehbareren Fehler, aber eben doch für einen Fehler. Denn es gibt Stellen in den Posts von Serhij Zhadan, die, bei aller Hochachtung für seine Literatur und sein humanitäres Engagement, verstörend sind und über die man nicht einfach hinweggehen kann.
Die gegenteilige Reaktion (die weit über die Debatte um Zhadan hinaus und schon seit Beginn der russischen Grossinvasion zu beobachten war) ist: selbstgerecht und besserwisserisch auftreten; hart über ukrainische Statements (und auf dieser Grundlage über den gesamten Menschen) urteilen; sich zum Richter aufschwingen, ohne Kontexte zu berücksichtigen; jegliche Empathie vermissen lassen gegenüber Menschen, die ihr Leben gegen den Angriffskrieg eines verbrecherischen Regimes verteidigen müssen. Manchmal geht diese Reaktion so weit, dass Menschen, die bislang wenig Worte zur russischen Aggression und den Kriegsverbrechen verloren haben, geradezu manisch von (angeblichen oder tatsächlichen) Verfehlungen von Ukrainer:innen reden. Felix Stephan hat kürzlich in der Süddeutschen treffende Worte zu den Selbstgerechtigkeiten und Verzerrungen v.a. im deutschen Diskurs gefunden.
Und vielleicht ist in den vergangenen Monaten noch ein problematisches Reaktionsmuster deutlich geworden: dass in den Diskursen vom (relativ) sicheren Mitteleuropa aus allzu oft die Menschen in der Ukraine instrumentalisiert werden. Da werden die Ukrainer:innen in Hollywood-hafte Helden-Erzählungen eingesponnen, wenn es gerade dem eigenen kitschigen Bedürfnis nach Heldengeschichten zu Pass kommt. Oder sie werden verteufelt, wenn sich herausstellt, dass es sich weder um Engel noch um Superhelden handelt, sondern um fehlbare Menschen, über die man sich aber mit grösster Vehemenz moralisch erheben will. In beiden Fällen ist das sehr wenig von den betroffenen Menschen her gedacht und stark für die eigenen, je gerade aktuellen Bedürfnisse instrumentalisiert. Umso mehr bin ich froh, dass das hier im Dialog anders ist. Vielen Dank nochmals.
«In einer Zeit, in der Worte, Positionen, Urteile uns wundreiben bis aufs Fleisch, schafft dieser Dichter Momente des Aufatmens durch radikale Menschlichkeit», sagte die Schriftstellerin Sasha Marianna Salzmann".
"In einer Zeit". Diese eine Zeit ist für mich eine sehr lange Zeit. Sie begann nicht erst im Februar 2022. Wurden die Kulturschaffenden aus Afghanistan, Pakistan, Libyen, Syrien, Irak, Jemen etc. gehört? Sie können dieselbe Geschichten erzählen wie heute Serhij Zhadan. Der Unterschied besteht wohl darin, dass zuvor unsere Medien eben diese Geschichten nicht hören wollten und wir sie ebenfalls gerne ignorierten. Und ja, an die Methode "mit Krieg schafft man Frieden" konnte ich mich noch nie anfreunden.
Im Tagesanzeiger von gestern ein Abdruck von Sehrij Zahdans Dankesrede auf Deutsch - leider habe ich den Link nicht zur Verfügung. Vielleicht sonst jemand? - sehr berührend und nahe am Geschehen, von uns so weit weg - und differenzierter als im Interview wohl möglich - Hat mich betroffen gemacht und still.
Die Rede Serhij Zhadans steht hier (in der Republik verlinkt) https://www.friedenspreis-des-deuts…hij-zhadan.
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