Die Republik ist nur so stark wie ihre Community. Werden Sie ein Teil davon und lassen Sie uns miteinander reden. Kommen Sie jetzt an Bord!
Ein Teenie-Tochter begleitete ich, die andere mein Mann zum Hausarzt. Zeitversetzt, die gleichen Symptome. Komischerweise wurden bei ihm die Symptome ernster genommen und besser untersucht. Mir riet er zu einer Familientherapie, bei meinem Mann überwies er die Tochter zum Facharzt. Ich kam mir vor, wie eine hysterische Mutter. Passenderweise haben wir ja unsere eigene Vergleichsstudie, weil es Zwillinge sind.
Fazit: mit den Mädchen geht immer mein Mann zum Arzt.
Vertrauen ist anders.
Offenbar lesen doch Frauen die Republik und erst noch früh am Morgen! Ich möchte Ronja Beck dafür danken, dass sie das Thema aufgreift. Denn dass Männer das Mass aller Dinge sind, auch, aber nicht nur in der Medizin, wurde in letzter Zeit mehrmals erläutert, zB. anhand von Design. Verrückt scheint mir, dass sehr viele Frauen das nicht wissen. Sie machen dann die Erfahrung, dass Alltagsdinge nicht für sie passen: für die Fussballerinnen gibt es nur Männerschuhe, die Autogurten wurden nur an Männermodellen getestet etc. (Rebekka Endler, das Patriarchat der Dinge). Im Alltag machen Frauen also immer wieder die Erfahrung, dass sie nicht genügen, ganz real, Tag für Tag. Niemals gehen sie davon aus, das ist so, weil das Ding nicht (auch) für Frauen entwickelt wurde. Sie erleben einfach ihr Ungenügen. Für die ärztliche Konsultation wissen wir nun, statt noch genauer erklären zu wollen sollten wir nach 16 s aufhören . Tönt blöd, aber vielleicht sollten wir einen Zettel machen um das Wichtigste kurz und knapp mitzuteilen? Dieser Artikel von Ronja Beck könnte deprimieren - aber ich finde, er entlastet Frauen, denn er zeigt das System auf, das gegen uns ist. Dann müssen wir halt den Kopf einsetzen und das Wissen, die Informationen anwenden. Es bleibt uns wohl nichts anderes übrig. Nicht wir sind wirr oder verrückt, es ist das anmassende, von Männern entwickelte Alltagssystem. Und das wird sich nicht so rasch ändern.
Über ähnlich gelagerte medizinische Fälle lese ich in meinen Nachrichten immer wieder. Vor allem YLE in Finnland bringt immer wieder Artikel dazu um das Bewusstsein zu schaffen.
Die Norm "Mann" beschränkt sich aber nicht nur darauf: Autositze oder Bahnsitze sind oft für 1.8m Männer gemacht, die Temperatur in vielen Sitzungszimmern ist für Frauen zu kalt, ...
Caroline Criado Perez zeigt noch mehr Beispiele in ihrem Buch "Invisible Women: Data B. in a World Designed for Men" auf.
Ich lese die Beiträge hier und es ist wirklich schon nicht mehr lustig.
Ein nicht unerheblicher Teil der Männer reagiert einfach nur allergisch auf "Gender" und streitet Fakten ab, ähnlich wie beim Wort Rassismus. Schließlich, gäbe es Rassismus und/oder Gendergaps, würden sie es wissen. Sie merken entweder gar nicht, wie sehr sie in dem Bild des weißen CIS Mannes als Maß aller Dinge gefangen sind oder sind sich dessen bewusst und verteidigen ihr Privileg vehement. Die Entwicklung der letzten 50 Jahre hat offenbar bei vielen nur Abwehr und keine Reflektion bewirkt.
Erfreulich sind die vielen Männer, die sehr reflektiert an das Thema herangehen. Das macht Hoffnung.
Und sehr viele Frauen haben selbst Erfahrungen gemacht und schildern sie auch, was aber bei den "Traditionalisten" offenbar nicht ankommt. Schließlich gibt es Fehldiagnosen etc. auch bei Männern. Was zwar richtig ist, aber nicht systemisch.
Danke für diesen Artikel. Ich merke, dass es mir hilft, persönlich Erlebtes in ein grösseres Ganzes einzuordnen. Und das hilft auch bei der Verarbeitung von belastenden Erinnerungen.
Bei mir wurde nach Jahren mit Symptomen und Erlebnissen eine sehr seltene Krankheit diagnostiziert. Ich kann aus eigener Erfahrung nur bestätigen, was hier beschrieben wird.
Ich bin froh, spüren junge Frauen immer wieder solche Themen auf, und artikulieren sie! Leider ist es eine Illusion zu glauben, die „Gleichstellung“ der Geschlechter sei erreicht.
Als rothaarige Frau spricht mir der Artikel aus der Seele. Vielen Dank dafür. Oftmals sind es leider auch die Ärztinnen, welche einem stigmatisieren. Ein Beispiel: als ich nach der Geburt aufgrund von Gebutsverletzungen fast verblutet bin meinte die Ärztin das sei halt so, rothaarige Frauen würden zu starken Blutungen neigen. Ich frage jeweils ob diese Aussage statistisch belegt sei. Ich werde selten ernst genommen und meistens haben solche Vorurteile negativen Einfluss auf die Behandlung.
Neben den genderbedingten Diagnosefehlern sieht man in der Leidensgeschichte der Protagonistin auch ein anderes Diagnoseproblem das wohl allzu häufig auftritt: Der Arzt sagt „das ist psychosomatisch“ wie wenn es dafür Belege geben würde, statt „ich weiss nicht an was sie leiden, das und das könnte man noch abklären“.
Das ist doch einfach Blödsinn ! Es ist heute in der Medizin generell üblich, dass irgendwelche nicht sofort erklärbare Beschwerden in die Schublade „psychosomatisch“ geschoben werden - bei Frauen und Männern. Daraus „Sexismus“ abzuleiten ist gesucht und ideologisch. Der beschriebene Fall der Anne geschieht oft auch Männern.
Artikel gelesen? Die Ursachen werden sehr gut beschrieben, es gibt zahlreiche Studien, die Genderbias belegen und auch Männer können Opfer des Genderbias werden, wenn auch seltener. "einfach Blödsinn" ist dem Thema also eher nicht angemessen und offenbar nur eine automatische, unreflektierte Abwehrreaktion, wie sie viele (vor allem) Männer zeigen.. Wissenschaft und Statistiken können nur "ideologischer Mist" sein, sobald "Gender" drauf steht. Oder so ähnlich.
Ich habe es übrigens auch erlebt, eine seltene Schilddrüsenerkrankung wurde jahrelang als Wechseljahrbeschwerden abgetan. Bis ich völlig am Ende war.
Ja, vollständig gelesen und reflektiert - auch als Andersdenkender ! Die Diagnose „psychisch@ oder „psychosomatisch“ trifft Männer und Frauen. Das hat mit der Hilflosigkeit und Oberflächlichkeit der kostengeplagten Medizin zu tun und nicht mit Gender.
Ein alter, weisser (obacht, ich sage das unsägliche Wort) Cis-Mann wirft die Hände in die Luft und wettert gegen die Diskriminierung der Frauen. Alles Behauptungen – genau wie ihre Aussage, dass der Artikel «Blödsinn» ist.
Dem sagt man Cancel culture !
Ich habe da gerade ein Dèja Vu. Meine Mutter ist von sowas meiner Ansicht nach ein Opfer, vor über 30 Jahren.
Meine Mutter hat beim Hausarzt über Schmerzen an der rechten Seite geklagt. Der Hausarzt hat das abgewiegelt mit "da sitzt die Leber, da gibt es keine Schmerzen" und hat wie im Artikel irgendwelche Ängste und psychologischen Dinge angeführt. Aber für meine Mutter waren die Schmerzen real, ich kann mich an eine typische Haltung erinnern, dass sie sich mit den Händen diese Stelle, wo die Leber sitzt, mit schmerzverzerrtem Blick drückt.
Sehr viel später war sie wegen einer Bronchitis beim Lungenfacharzt, der eine Röntgenaufnahme der Lunge gemacht hat. Da war auch die Leber noch mit drauf. Der hat sofort realisiert, dass das nicht gut ist und sie für weitere Abklärungen ins Krankenhaus überwiesen. Da war es leider schon zu spät, der Leberkrebs hatte bereits massiv gestreut.
Lieber Rolf Wilhelm, vielen Dank für Ihre Schilderung. Das tut mir sehr, sehr leid für Ihre Mutter.
Danke. Das ist lange her (1985), aber war für mich als gerade volljährig gewordener Gymasiast doch sehr prägend, wie sich sicher jeder vorstellen kann. Den Arzt zu verklagen hat sie ausdrücklich abgelehnt, obwohl für uns als Familie die Sachlage klar war. Ich vermute auch, in der Generation hat man sowas wie "Sie bilden sich die Schmerzen ein, da kann nichts sein" eher hingenommen als heute.
Ohne die Hauptaussage in Frage stellen zu wollen, frage ich mich, ob in der Medizin die Diagnose "psychologisch" oder psychosomatisch nicht allgemein gern benutzt wird sobald man nicht weiter weiss.
„Psychosomatisch“ könnte ja in etlichen dieser Fälle durchaus auch zutreffen, oder?
Zumindest ist es wohl nicht abwegig, psychosomatische Ursachen für Beschwerden zu VERMUTEN, für die man auch nach einer aufwändigen Diagnostik-Odyssee (erst mal) keine körperlichen Ursachen finden konnte? Finde ich besser als zu sagen “Sie haben nichts, alles Gut“.
Zudem kann eine Psychotherapie vermutlich in vielen Fällen tatsächlich zu einer Verbesserung des Wohlbefindens führen, auch wenn doch unentdeckte körperliche Ursachen vorhanden sind. Krankheiten sind ja nicht immer rein monokausale Angelegenheiten sondern können sehr komplex sein.
Ein Jahr Psychotherapieausbildung befähigt mich zu sagen, dass Psychotherapie die Abklärung vorhandener organischer Symptome voraussetzt. Die Bewältigung von Diagnosen und medizinischen Therapien sind ein wichtiges psychotherapeutisches Feld. -Achtung: "Wohlbefinden" (Stimmung und Verhalten) und "Psychosomatik" (körperliche Symptome vorhanden) liegen weit auseinander.
Als ehemaliger Hausarzt mit einer psychosomatischen Zusatzausbildung muss ich mich gegen die Unterstellung, dass in der Medizin bei unklarer Symptomatik das Problem leichtfertig als „psychisch“ abqualifiziert wird, wehren. „Psychisch“ oder „psychosomatisch“ ist keine Diagnose. Genau so wenig kann zwischen „körperlich“ und „seelisch“ so eindeutig unterschieden werden. Jede Erkrankung hat, mit unterschiedlicher Gewichtung, körperliche und seelische Aspekte
Deshalb braucht es bei unklaren Beschwerden sowohl eine gründliche somatische Abklärung wie auch ein Erfassen der psychosozialen Lebensbezüge. Letztere spielen in vielen Fällen eine ganz wesentliche Rolle.
Ich denke, dass es nicht sehr schlau ist, das Problem Gender-Medizin an einem Beispiel aufzuhängen, das in der Schweiz 0.7 mal auf 100'000 Einwohner vorkommt. Weiter ist es m.E. schlicht falsch, dass die kleinere Hälfte der Bevölkerung, die Sie wissen schon, nicht oder wesentlich seltener unter Diagnose-Versagen leide.
Meine Frau litt jahrelang und pilgerte von Arzt zu Arzt. Sie sei magersüchtig, ihr böser Gatte wohl die Ursache, wurde gemutmasst, und eine Psychotherapie empfohlen. Als es einem Arzt dann unheimlich wurde und er ein MRI veranlasste, kam an den Tag, dass ein Aorten-Aneurysma kurz vor dem Platzen stand. Am USZ weigerte sich der Spezialist, der das Aneurysma trotz mehrfacher Ultraschalluntersuchung nicht entdeckt hatte, meine Frau nochmals zu untersuchen oder auch nur das MRI zu studieren. Dieses sei Verschwendung. Sehr grosser Druck meinerseits war nötig, damit sich ein Herzspezialist den Fall ansah - und eine Notoperation verfügte. Meine Lehre daraus: aus Respekt vor der Ultraschall-Koryphäe wurde deren falscher Befund nicht überprüft und schon gar nicht in Zweifel gezogen. Das passt sehr gut zu strengen Hierarchien.
Mein Bruder wurde etwa 20 Jahre lang auf "Stress" behandelt mit Betablockern, Kortison und was es sonst noch gibt. Auch hier brauchte es einen Anstoss von aussen, einen unbefangenen Arzt, damit die wahre Ursacht der Herzrhythmus-Störungen erkannt wurde: ein Fehler der elektrischen Steuerung. Mit Verödungen konnte das Problem gelöst werden. Auch dieses Beispiel passt zum Problem der falschen Koryphäen-Hörigkeit.
Schade, dass Sie trotz Ihrer Erfahrungen zu diesem Schluss kommen. Ihre Frau erhielt den Rat eine Psychotherapie zu machen. Die medizinischen Abklärungen wurden nicht genügend durchgeführt.
Ich gebe Ihnen aber absolut Recht, dass Hierarchien auch eine Rolle spielen können bei Fehldiagnosen. Diese haben mit macht zu tun, eine mögliche Ursache für das Nicht-Ernst-nehmen“ und Missverständnissen weiblicher Kommunikation. Jede Frau ist darauf angewiesen einem (männlichen) Arzt mit diesem Bewusstsein gegenüber zu stehen.
Wenn in einem multikausalem Kontext (in diesem Fall unsere medizinische Versorgung) ein Aspekt (Genderbias) herausgegriffen und beleuchtet wird, kommen oft "Gegenbeispiele", offenbar tun sich Menschen schwer mit "sowohl als auch".
Wie eine Freundin immer sagt, man kann "Läus' und Flöh" haben.
Unsere Gesundheitssysteme leiden an vielen verschiedenen Fehlern, die zu falschen oder schlechten Diagnosen und Therapien führen, bsw. die Gewinnorientierung, die offenbar suboptimale Ausbildung, die strengen Hierarchien UND eben der Genderbias. Wobei diese Aufzählung selbstverständlich noch lange nicht vollständig ist.
Nur weil es das eine unbestreitbar gibt (Hierarchiegläubigkeit, Gewinnorientierung) heißt das nicht, dass es das Andere (Genderbias) nicht gibt. Und oft spielen mehrere Faktoren mit, bedingen und verstärken sich u.U. sogar gegenseitig, wie Sie ja aufzeigen.
Leider ist Multikausalität offenbar unbeliebt.
Herr Märkel, diese Person gibt sehr vieles über ihre Angehörigen preis. Ich finde es richtig, dass sie diese durch Anonymität schützt. Und zolle dieser Person Respekt dafür. Es steht Ihnen frei, Anonymität anzuprangern, aber machen Sie das doch bitte etwas differenzierter als mit einem sich ewig wiederholenden Copy-Paste-Post.
Danke für den eindrücklichen Bericht.
Dass Frauen auch in der Medizin und nicht nur sonst im Leben weniger Ernst genommen werden, glaube ich gerne. Und das muss sich ändern.
Ich frage mich allerdings, ob die Anekdote einer so seltenen Erkrankung diesen Missstand zu belegen vermag. Mit diesem Beispiel einer seltenen und unspezifischen Erkrankung ist man leider anfällig für die Argumentationslinie "Tragischer Einzelfall. Unverhältnismässige Hysterie." (no pun intended).
Die Geschichte von Annie finde ich durchaus lehrreich, aber dennoch begrenzt in ihrer Kraft: Gerne hätte ich mehrere Beispiele von etwas häufiger anzutreffenden Erkrankungen gelesen - denn mit einem einzelnen Beispiel lässt sich nunmal nicht beweisen, dass eine Problematik System hat und genau nicht "ein Einzelfall" ist. Die Verweise auf fehlgeleitete Studien fand ich meist etwas knapp und hätte mir noch etwas mehr Kontext gewünscht. Ausser natürlich, wenn es darum geht, die Auswirkungen von Übergewicht auf weibliche Organe nur an Männern zu untersuchen. Da hilft vermutlich auch mehr Kontext nicht, die Fassungslosigkeit abzulegen.
Fazit: Ich habe wertvolles erfahren und freue mich auf weitere Artikel zum Thema.
Lieber S. S., besten Dank für Ihr Feedback. Es ging mir nicht darum, mit Annies Geschichte den ultimativen Beweis zu liefern, dass es einen gender B. in der Medizin gibt. So ein Beweis wäre auch nicht möglich, wenn ich mit fünf Frauen gesprochen hätte, die, sagen wir, an Endometriose erkrankt sind. Dafür gibt es Studien. Ihre Geschichte zeigt für mich, was es für Folgen nach sich zieht, wenn Frau auf eine Schiene geschoben wird, auf die sie nicht gehört. Was für einen Leidensweg das bedeuten kann. Und dass es deshalb so wichtig ist, den gender B. anzuerkennen und dagegenzuhalten. Gerade auch bei seltenen Erkrankungen scheint mir das immens wichtig.
Mehr Kontext zum Thema (ich musste mich im Text begrenzen, damit es nicht wieder heisst, die Republik publiziere Bücher) finden Sie u.a. in den Büchern von Gabrielle Jackson, Elinor Cleghorn, Maya Dusenbery, Alyson J. McGregor und Caroline Criado Perez, die ich jedem sehr an Herzen lege.
Liebe Grüsse!
Ein sehr guter Artikel, der das Thema Gendermedizin ins Visier nimmt. Ich habe einige solche Fälle bei mir selbst erlebt. Ich wurde nicht Ernst genommen, als überarbeitete Frau betitelt, die besser weniger arbeiten sollte und dann eine komplett falsche Diagnose für Fibromyalgie erhielt. Als junge Frau litt ich jahrelang an diversen Symptomen bis ich fast nichts mehr tun konnte und unter unsäglichen Schmerzen litt. Immer wieder ging ich zum Arzt, immer wieder führte er mein Leiden auf die Psyche und Überarbeitung zurück! Der eigentliche Grund waren Nebenwirkungen eines Blutdruckmedikamentes. Mein behandelnder Arzt wollte mich auf keinen Fall zu einem Nierenspezialisten überweisen, was ich dann selber machte. Endlich wurde ich Ernst genommen! Nach ein paar Tagen waren die Beschwerden weg und ich bekam ein verträgliches Medikament. Ich konnte über all die Jahre meine Ärzte einteilen in solche, die mich Ernst nahmen und solche, die mir vorwarfen meine Symptome anhand der Nebenwirkungen auf der Packungsbeilage ausgesucht zu haben! Würde man dies zu einem Mann so sagen?? Wohl kaum.
Danke für diesen sehr notwendigen und erhellenden Beitrag, der mir wieder einmal bewusst macht, wie sehr ich anfangs der siebziger Jahre in einer noch ziemlich patriarchal geprägten Medizin sozialisiert worden bin.
Was mir zu denken gibt ist die Tatsache, dass in vielen Studien die Teilnehmer immer noch mehrheitlich Männer sind. Wobei hier zu erwähnen ist, dass es neben der offensichtlichen Geschlechterkluft auch eine Alterskluft gibt, indem für viele Medikamente und Therapien zu wenig Daten für junge und sehr alte Menschen vorhanden sind. In dem Zusammenhang ist festzuhalten, dass auch die Hautfarbe bei Therapien durchaus eine Rolle spielen kann.
Das Bemühen um Gleichberechtigung und Gleichwertigkeit von Menschen heisst eben auch, Unterschiede anzuerkennen und zu berücksichtigen.
Ein Beitrag, der weckt. Und einen Teil meines Misstrauens in die Schulmedizin nachträglich erklärt. Vielen Dank!
Veilleicht lesen Sie den Artikel nochmals durch! Hier wird die existierende Gender-Medzin, Frauen betreffend kombiniert mit dem Anspruch an die Schulmedizin eine seltene Krankheit, die sich mit sehr unterschiedlichen Symptomen äussert und lebensbedrohlich sein kann, sofort zu erkennen. Der Artikel zeigt differenziert auf, was letzteres bedeutet. Allerdings stellt er einen hohen Anspruch die verschiedenen Stränge gleichzeitig miteinander zu denken. Die junge Frau hätte auch bei der alternativen Medizin, die gleiche Geschichte erleben können. Wahrscheinlich mit ein bisschen anderen Therapievorschlägen! Übrigens gibt es in der Schulmedizin auch Bereiche, bei denen die Männer nicht immer die adäquate Behandlung auf Anhieb bekommen. Ja, die Frauen sind immer noch gesellschaftlich, auch was Gesundheit anbetrifft , weniger im Fokus: Bestes Beispiel: Impfung gegen Covid 19 bei schwangeren Frauen.
Danke Frau K., ich denke ich hab ihn so gelesen. Und die Anstrengung des Zusammendenkens auf mich genommen. Alles was Sie sagen, entspricht meiner Meinung. Es ist nur einem Zufall zu verdanken, dass ich in der Komplementärmedizin immer überzeugende Erklärungen und Empfehlungen bekam. Denn ich war nur einmal wirklich gefährlich krank. Aber solche Zufälle bestimmen zuweilen unser Weltbild. Wir haben nicht die Wahrheit, nur unsere Erfahrungen.
All diese Sachverhalte konnte man/frau schon vor mehr als 30 Jahren erfahren - allerdings nur in der feministischen Literatur. Die damals halt nur die Femistinnen (wie ich damals) las. Trotz meines Wissens und steten Nachfragens bei Untersuchungen, wurde meine Endometriose erst mit Mitte 40 bei einer Operation eher zufällig entdeckt. Angesagt war eine Zystenentfernung. Gut 10 Jahre vorher, anfangs der 90er, als ich schwanger werden wollte und es jahrelang nicht klappte, dachte noch niemand an das. Die Untersuchungen waren rein hormonell und ob die Eileiter durchlässig seien - was sie waren. Danach hiess es einfach "unfruchtbar", weil schon 35 und der Partner über 40." Endometriose war als Diagnose in der Schweiz noch kaum "angekommen".
Meiner Schwester hatten sie nochmals 10 Jahre vorher sogar wegen der Schmerzen noch den Blinddarm rausgenommen und erkannten die Endometriose sehr lange nicht.
Ich hatte mich immer in der Frauenklinik behandeln lassen, am Ort der besten Kenntnisse über Frauengesundheit. Ich weiss bis heute nicht, ob Endometriose damals wirklich noch nicht "auf dem Schirm" war, und ob sie wirklich oft erst in einer Operation erkannt wird, oder ob tatsächlich die Schweiz so hinterher ist... Oder ob frau hätte Privatpatientin sein müssen, damit etwas genauer hingeschaut wird.
Als " Fachfrau" ist die Sicht darauf etwas nüchterner: Warum sollte sich die gesellschaftliche Rolle der Frauen nicht in der Medizin spiegeln? Die Bewusstseinsprozesse dauern von der ersten Erkenntnis in der Wissenschaft bis zum "Mainstream" oft ca 50 Jahre. Genderübergreifend.
Und ja: Das Geld in der Forschung fliesst immer noch zuwenig in die Frauenmedizin. Bzw. in die Auswirkungen für beide Geschlechter. Und leider hat auch dieser Prozess manchmal seine Nachteile: Plötzlich wird durch unterschiedliche biologische Gegebenheiten die Frau wieder zu "etwas ganz Anderem" gemacht, als der Mann. Da muss man/frau auch aufpassen, dass es nicht die Klischees verstärken hilft!
Vielleicht muss ich das erklären, die Downvotes muten mich seltsam an.
Mein Kommentar sagt: Niemals, wenn ich oberflächliche Behandlung im klinischen Bereich erfahren musste, und einen zweiten oder dritten Doktor konsultieren musste, wäre ich auf die Idee gekommen, dass mein Frausein etwas mit dieser Oberflächlichkeit zu tun haben könnte. Ich hatte, da im Osten aufgewachsen (und indoktriniert), nie von selbst das Gefühl, dass ich je als Frau benachteiligt wurde. Meine Erfahrung mit Ärztinnen machte ich hauptsächlich in der Schweiz, da ich hier altere. Und im Nachhinein betrachtet könnte das, was im Beitrag bechrieben wird, doch mit Gender zu tun haben. Also, was ist falsch daran, wenn frau, bis vor Kurzem nicht angekränkelt von der Wahrnehmung des Geschlechtsunterschieds (😉) niemals von selbst auf die Idee kam, es könnte damit zu tun haben. Ich wüsste gern, warum die neunundzwanzig Downvotes. Ich bedanke mich für den zusätzlichen Aspekt, und werde angeschrien... Wer hilft? Es heisst ja Dialog.
Leider ist gerade eine von Fallpauschalen getriebene Medizin prädestiniert dazu, schwer zuordenbare Symptome zu verharmlosen oder in die Psychosomatik abzuschieben. Dass dies öfters Frauen trifft als Männer, erstaunt angesichts der immer noch präsenten Gender-Stereotypen bzgl. Emotionalität versus Rationalität nicht.
Verbessert werden muss also an zwei Fronten:
An der Gender-Stigmatisierung muss die ganze Gesellschaft arbeiten. Ärztinnen und Ärzten kann man hier sicherlich eine spezielle Sensibilisierung und Vorreiterrolle abverlangen, aber letzten Endes sind auch Sie Kinder unserer Gesellschaft.
An der Psychosomatisierung von seltenen oder schwierig zu diagnostizierenden Krankheiten muss definitiv die Medizin arbeiten, inklusive ihrer Anreizsysteme im Gesundheitswesen (Fallpauschalen etc). Dass Generationen von Patienten mit rezidivierenden Magengeschwüren als Menschen mit angeknackster Psyche und entsprechendem, angedichteten psychologischen "Magengeschwür-Profil", abgetan wurden, hörte erst auf, als man entdeckte, dass die meisten solcher Geschwüre durch das sogenannte Helicobacter verursacht wurde. Seitdem wird die Krankheit mit Mitteln gegen Helicobacter erfolgreich behandelt, und schwupps, verschwunden ist die "Magengeschwür-Psyche".
Ähnlich war es mit Epilepsie, Multiple Sklerose etc.; die Psychosomatisierung hörte erst auf, als klare und einfache diagnostische Kriterien für eine somatische Krankheit bestanden. Diese Historie sollte die Medizin eigentlich darauf sensibilisieren, dass die Abwesenheit einer einfach zu erlangenden Diagnose nicht bedeuten muss, dass das Gesundheitsproblem nicht existiert oder psychischer Natur sein muss.
Die Medizin ist eine patriarchalisch autoritär geprägte Disziplin: Der "Gott in Weiss" wird nicht in Frage gestellt, und hat auf alles eine Antwort zu haben (o.k., das Bild ist veraltet, aber es hallt immer noch nach). Dies hat die Medizin jedoch schon seit langer Zeit auch immer wieder eingeholt: Wenn man auf alles zügig eine Antwort haben muss, dann ist die Versuchung gross, schwer zuordenbare Symptome nicht zu beachten, harmlos zu reden oder in die Psychosomatik abzuschieben. Und es fällt auch schwer, sich mit anderen Kollegen und Kolleginnen kurzzuschliessen, weil man sich nicht blossstellen will. Verstärkt wird dies durch ein System, in welchem man wegen einer drohenden Fallpauschalen-Überschreitung auf keinen Fall "Dr. House" spielen darf.
Auch wenn es schwierig ist, Wege zu Verbesserungen an den oben genannten Fronten zu finden, so sollte eines aus der obigen Analyse bereits klar hervorgehen: Wir können in jedem Fall eine Verbesserung erwarten, wenn wir mehr Frauen in der Gesellschaft, und insbesondere in der Medizin in Verantwortungspositionen haben.
Wenn es bei Diskussionen um Frauenquoten also immer wieder nur sehr eng um die Frage geht, ob es gerecht ist, eine Frau auf einen Posten zu setzten, weil sie eine Frau ist, sehen wir an den obigen Missständen, dass von solchen Massnahmen eben nicht nur Frauen als Individuen profitieren, sondern die Gesellschaft als Ganzes.
Dies ist ein wichtiger Beitrag! Aber etwas Psychisches verpassen, kann es auch chronifizieren. Psyhisches wird auch stigmatisiert. Es ist halt beänstigend, so etwas Unkontrollierbares zu erfahren, meint man.
Da müsste man die Kriterien organisch-psychisch kennen. In diesem Fall wäre z.B. ein Herzklopfen, das die Frau als schlimm erlebt und Partner auch merkt, ein starker Hinweis für etwas Organisches.
Aber gute Medizin betreiben mit einem Tarif von 20 Minuten pro Sprechstunde, wovon die letzten 5 Minuten zur Hälfte vergütet werden, weil sie der Dokumentation dienen, da fängt die schlechte Medizin schon an.
Und Fibromyalgie, chron. Erschöpfungssyndrom sind auch verkappte psychische Papierkorbdiagnosen, reine Beschreibungen.
In eine Gewinnmaximierung orientierten Gesellschaft ist gute Medizin ein verrückter Spagat geworden!
Herzlichen Dank für diesen sehr guten Artikel. Abgesehen vom grossem Thema gendergerechte Medizin, habe ich beim Lesen daran gedacht, dass unsere Schulmedizin leider immer noch nicht wirklich ganzheitlich ist. Das Abschieben auf "psychische Probleme", wenn ein Arzt oder eine Ärztin nicht weiterkommen, ist ein gutes Beispiel dafür. Ich habe jahrzehntelange Erfahrung mit Ganzheitsmedizin und war immer wieder erstaunt, wie jahrelange Beschwerden mit der richtigen Diagnostik und Behandlung erfolgreich behandelt werden konnten.
Für mich ist nicht verständlich, wie Sie und auch einige andere Kommentatoren den (Kurz)-Schluss ziehen, dass die im Artikel aufgezeigten Probleme sowie der konkrete Fall der jungen Frau mit „Schulmedizin“ vs. „Alternativmedizin“ oder „ganzheitlicher Medizin“ erklärbar seien.
Im konkreten Fall der jungen Frau haben die behandelnden Ärzte einen schlechten Job gemacht. Dies ist unbestritten und kann zu einem Teil auf das bekannte und auch erforschte Problem der männerzentrierten Medizin zurückgeführt werden. Da dies ein gesellschaftliches und kein primär schulmedizinisches Problem ist, ist es unwahrscheinlich, dass Alternativmediziner oder „ganzheitliche Mediziner“ grundsätzlich schneller zur richtigen Diagnose gelangt wären.
Danke für diesen Beitrag. Zu zwei Punkten (A Autismus - B Kommunikation) möchte ich bestätigend etwas ergänzen; es wird ein längerer Beitrag, ich bitte das zu entschuldigen.
A
Auch bei Autismus-Spektrums-Störungen sollen Frauen unter dem Radar fliegen, weil sich die Störung bei ihnen anders zeigt. Eine führende britische Neurowissenschaftlerin geht von bis zu mehreren hunderttausend unentdeckten Fällen in Grossbritannien aus.
Aus eigener Erfahrung und aus Gesprächen mit zahlreichen anderen spätdiagnostizierten Autistinnen kann ich bestätigen, dass der gendergap in dem Kontext enorm ist. Dazu kommen grundsätzliche Klischees zum Thema Autismus.
Der Leidensweg, den Autistinnen aufgrund falscher Hauptdiagnosen über Jahre hinweg erleben, ist himmeltruurig. Die richtige Diagnose ist dann eine enorme Erleichterung, weil es plötzlich eine Art 'Bedienungsanleitung' für sich selbst gibt. Erkannt werden wir nicht, weil wir (gezwungenermassen) andere Bewältigungstrategien erlernen (als Jungs).
Da spielt ein zweifaches:
Die Verhaltensauffälligkeiten die wir vielleicht haben (Überlastungszustände, die sich dann in Verhalten äussern, dass als Agressivität interpretiert wird), werden bei Jungs eher geduldet als bei Mädchen. Von Mädchen wird (immer noch) erwartet, dass sie sich anpassen, ruhiger und zurückhaltender sind.
Weil wir aufgrund unseres Nicht-Verstehens der (neurotypischen) Mehrheitskommunikation freiwillig oft gerne die Beobachterinnenrolle einnehmen, lernen wir auf diese Weise und können uns so 'Neurotypisch' wie eine Fremdsprache aneignen und je länger wir das machen umso perfekter anwenden.
Meine eigene Erfahrung ist diese: Um den Diagnosenirrweg bin ich drumherum gekommen. Doch bis zur Diagnose bin ich daran verzweifelt, dass ich keine Erklärung dafür hatte, warum ich anders bin (damit meine ich mehr, als die normalen und bereichernden Unterschiede zwischen Individuen) und zwar so anders, dass Leben immer wieder misslingt bzw. so anstrengend ist, dass Suizid ein denkbarer Ausweg ist.
Meine Diagnose war mit Anfang 40. Ich kenne Autistinnen, die Ende 50, Anfang 60 bei ihrer Diagnose sind, und deren Erleichterung immens ist, die sich aber so sehr in die Fremdsprache 'Neurotypisch' hineintrainiert haben, dass sie unfähig sind herauszufinden, wer sie eigentlich sind. Der Grund für die späten Diagnosen: Die immer noch vorherrschende Meinung, Autismus betreffe nur Jungs/Männer.
B:
Am meisten wünscht sie sich, man hätte ihr zugehört.
Schon in den 2000er war ein Aspekt der Seelsorgeausbildung im Kontext Spitalseelsorge, dass die Kommunikation seitens Ärzt:innen freundlich ausgedrückt oft zu wünschen übrig lässt.
Eigene Erfahrungen sind, dass ich (aus dem Spitalbett heraus) für mich kämpfen muss, um gehört zu werden - das braucht einiges an Selbstbewusstsein und Mut. Oder (in einem anderen Kontext) wenn ein Arzt sagt: "Sie sind Anfang 20, sie können gar nicht ernsthaft krank sein." - das lässt einen sprachlos zurück. Das liegt alles viele Jahre zurück und ich hoffe sehr, dass sich da immer mehr Dinge ändern - hoffentlich auch dank solcher Beiträge wie diesem heute.
Allen, die bis hier durchgehalten haben: Merci! Etwas selbstironisch kann ich nur sagen, dass monologisieren ein Aspekt der Autismusspektrumsstörung sein kann. Allen einen schönen Tag, ich gehe gerne auf etwaige Kommentare ein, muss allerdings jetzt ersteinmal Gottesdienste vorbereiten. Herzlich, Anne
Edit: einen Absatz umgestellt und mutmasslich über den Tag verteilt noch Rechtschreibung und Interpunktion. - Eine Präzisierung im Teil B, da sonst der Eindruck entstehen könnte, der Satz vom Arzt sei im Kontext der Spitalbettbemerkung gefallen.
Allen, die bis hier durchgehalten haben: Merci! Etwas selbstironisch kann ich nur sagen, dass monologisieren ein Aspekt der Autismusspektrumsstörung sein kann
Willkommen in meiner Welt :-D
Danke. Jedesmal wenn Republikleser aus dem Autismusspektrum einen Kommentar schreiben, lese ich ihn bis zum Ende. Es ist ein bisschen wie wenn ein “Familienmitglied” schreibt. Ich verlangsame mich angenehm. Lange habe ich gebraucht, bis ich meine autismustypischen Eigenschaften nicht mehr abgelehnt habe. Und weiss nun unter anderem, dass ich in Gesellschaft neurotypisch begabt bin. In meinen Tagebüchern nannte ich mich früher oft Chamäleon.
Und PS: Welche “Störung” haben denn diejenigen, die monologisieren ohne es zu merken?
Das mit dem "Familienmitglied" passt - es ist jedesmal ein Erlebnis, wenn ich mit anderen Autist:innen in Kontakt komme, das 'antrainierte neurotypisch' beiseite legen und schlicht die eigene Kommunikationskultur anwenden kann. Es sind Momente/Zeiten, in denen ich mich weniger wie auf einem fremden Planeten fühle. (Meine eigentliche Muttersprache ist Bild.)
Die wichtigste Lehre aus dem Medizinstudium war "Das Häufige ist häufig und das Seltene ist selten". Die ärztliche Kunst besteht nun darin das Seltene in einer vollen Sprechstunde zu erahnen ohne dass man bei jedem alle Register der Diagnostik zieht, was unser ohnehin immer teureres Gesundheitswesen zum Zusammenbruch führen würde. Jedenfalls eine interessante Fortbildung. Es ist wenig wahrscheinlich, dass Alternativmedizin irgendetwas geholfen hätte ausser weiterer Verzögerung der richtigen Diagnose!
Was führt zu der Aussage, dass Alternativmedizin eine Diagnosestellung verzögert hätte? In unserer Ausbildung wird sehr viel zu schumedizinischer Diagnostik und zu vielen Krankheitsbildern gelehrt. Wenn jemand mit einer Symptomatik wie im Artikel beschrieben den Weg in eine Naturheilpraxis finden würde, liessen viele die Finger davon und würden mit Nachdruck darauf bestehen, die Symptome rundum abklären zu lassen. Was dann wiederum nicht für eine Verzögerung sprechen würde, vielleicht eher im Gegenteil.
vielen dank für den einwand. tatsächlich habe ich auch erlebt, dass alternative methoden, weil eher begleitend, lindernd, im system sich erklärend, hier allen voran die homöopathie - welche erstverschlimmerungen gar enthusiastisch registrieren kann - die leidensgeschichten verlängern können, insbesondere auch, weil nicht kausal-ursächlich gedacht wird. so muss man als patient halt auch länger warten - was aber leider auch die junge patientin aus dem artikel tun musste! fazit: auf beiden seiten, welche ja nicht getrennt sind (oder sein sollten), sondern aus anderer warte schauen, kann man einäugig werden!
Cathérine Gebhard war auch in der SRF-Sendung Focus am 3.5.21 zu Besuch.
https://www.srf.ch/play/radio/redir…82b06db872
Mir stand schon damals beim Hören der Mund offen. Dabei hätte ich ja eigentlich ahnen können, dass auch in der Medizin der Fokus bei Männern liegt...
Wie passt die Aussage, dass «Frauen (…) Symptome wie Schmerzen länger aushalten würden als Männer, bevor sie zu einem Arzt gehen» mit der statistisch erwiesenen Tatsache zusammen, dass Frauen häufiger zum Arzt gehen als Männer? Und wie kann man das Aushalten von Schmerzen überhaupt «messen»? Das Schmerzempfinden ist ja etwas sehr Individuelles.
Lieber Herr H., das ist tatsächlich eine gute Frage. Die entsprechenden Studien versuchen das aufgrund von Referenzwerten - dasselbe tun etwa auch Gutachter für die IV -, heute manchmal auch über Hirnscans. Tatsächlich aber ist das anspruchsvoll. Bzgl IV habe ich z. B. hier darüber geschrieben: https://www.zeit.de/2011/06/CH-Inva…rsicherung
Einige Studien kommen dabei zum Schluss, dass Frauen Schmerzen stärker und öfter empfinden als Männer. Siehe zB hier: https://www.schmerzgesellschaft.de/…nd-maenner
Ganz sicher ist die Frage komplex. Nicht zuletzt, weil wieder andere Studien zeigen, dass der Hormonpegel eine Rolle spielt - der ja bei M wie F und allen anderen über die Geschlechter hinweg stark variieren kann. Siehe etwa hier: https://www.srf.ch/wissen/mensch/ma…ehleidiger
Dass Frauen später zu einem Arzt gehen ist die individuelle Wahrnehmung/Einschätzung der zitierten Ärztin aufgrund ihrer Erfahrung. Auch dazu gibt es allerdings, wie Sie richtig sagen, gegenteilige Erkenntnisse. Etwa hier: https://www.spektrum.de/news/warum-…nd/1505923
Kurz: Es bleibt tatsächlich kompliziert, wenn es um Schmerzen und Geschlechter geht.
Danke für Ihren Beitrag.
Wobei man bei all dem auch einmal mehr die Sozialisierung bedenken dürfte. Buben wird beigebracht, dass sie keinen Schmerz verspüren dürfen, bei Mädchen ist es umgekehrt. Nichts zeigt das klarer auf, als wenn Kinder in die Pubertät übertreten. Vorher mutige Mädchen kreischen bei allem und suchen plötzlich Schutz bei Jungs - nicht weil sie ängstlicher sind, sondern weil das erwartet wird. Schmerzen eher zum Ausdruck zu bringen, deutet also nicht zwingend darauf hin, dass Frauen empfindsamer sind.
Selbstmedikation. Aus der privaten Erfahrung würde ich sagen, dass viele Frauen es vom Mädchenalter an gewohnt sind, jeden Monat 1 (bis 7?) Tage lang Schmerzmittel zu nehmen, ohne zur Gynäkologin zu gehen. Erst bei (anderen) Erkrankungen suchen sie die Hausärztin auf. Ausserdem berichten sie ihre Mensschmerzen nicht, weder ihrem Umfeld, noch ihren Ärztinnen. Das ändert sich, wenn Schmerzmittel nicht mehr helfen. Bis dahin kann ein Jahr oder können 40 Jahre vergehen.
Interessant. Habe ich so noch nie drüber nachgedacht. Es zeigt auch, wieviel mehr Schmerzen ertragen werden, wenn man oder besser frau eine plausible und „harmlose“ Erklärung dafür hat. Ein unbekannter und unerklärlicher Schmerz macht Angst und wird umso schmerzhafter und bedrohlicher.
Das ist auch der Grund, warum es für Patienten so hilfreich ist, wenn man ihnen erklären kann, woher ihre Schmerzen kommen, selbst wenn das an der Therapie vielleicht nichts ändert. (Allerdings sollte man genauso offen sagen, wenn man keine Erklärung hat.) Sie können dann besser damit umgehen oder gelassener abwarten, bis der Schmerz nachlässt. Zum Glück zeigen viele krankhafte Zustände ja einen günstigen Spontanverlauf.
Ja, Vorurteile gegenüber einem bestimmten Geschlecht sind ein Problem. Ich bezweifle aber, dass die Kardiologin und der Hausarzt in diesem Fall sich bei einem jungen männlichen Patienten an das Phäochromozytom erinnert hätten. Es gibt leider oft auch schlicht ärztliches Versäumnis. Ich finde es nicht hilfreich beides in einen Topf zu werfen.
Und: wenn Medizin nicht mehr von Menschen gemacht würde sondern von Maschinen, würde zwar vielleicht ein Phäochromozytom weniger häufig übersehen, dafür würden echte seelische Notstände häufiger übersehen. Die „Blindheit“ mindestens so schlimm. An den Menschen führt kein Weg vorbei, für uns Menschen.
Ja, das wissen wir in diesem spezifischen Fall wirklich nicht. Jedoch weiss ich als mitteljunge Frau, dass wenn ich ein solches Leiden habe und mir medizinische Hilfe hole, ich ein deutlich höheres Risiko habe wieder nach Hause geschickt zu werden als ein Mann. That sucks.
Oder - eine Regel, die ich von einem meiner Ultraschalllehrer, Herrn Professor Otto aus Baden mitbekommen habe, der mir sagte: "Herr Kollege: Der Patient hat immer recht". Uebrigens: Die Anamnese dieser Frau ist typisch und ich habe die Diagnose schon aufgrund der Schilderung der Beschwerden gemacht. Bei einer solchen Geschichte muss die Diagnose Phaeochromzytom erwogen werden.
ist es nicht absurd, in diesem Artikel den Begriff "Gender" zu verwenden?
Mir wurde nach zwei Jahren chronischer und schlimmer werdender Beschwerden vom ratlosen Hausarzt eine Depression diagnostiziert. Ich selbst hatte meine Symptome gegoogelt und war auf eine Nebennieren-Schwäche gekommen. Unsinn, meinte der Arzt, das gibt es erst ab 50. Der Psychiater stellte fest dass mein Problem sicher nicht psychisch ist… inzwischen bin ich bei den Alternativmedizinern und werde wegen der Nebenniere behandelt. Ich erkenne mich ein wenig wieder in dem Artikel.
Frauen sind keine Männer, Kinder sind keine kleinen Erwachsenen, Kleinkinder sind keine kleinen Kinder und Neugeborene sind keine kleinen Kleinkinder.
Physiologisch ist das so stark unterschiedlich, das kann man gar nicht zusammenfassen.
Ich hoffe, im “aufgeklärten 21. Jahrhundert” wird die Medizin starke Fortschritte machen, besonders in den Bereichen Frauenmedizin, Autoimmunkrankheiten, Umwelteinflüsse, Verdauung, Psychiatrie und gesamtheitliche Medizin.
Fantastisch, wenn auch unglaublich aufwühlend! Und einmal mehr werden wir am Schluss der EU danken. Beim grossen Fördertopf Horizon Europe können wir zwar nicht als lead investigator mitmachen, wohl aber als Partner-Unis. Gemäss den neuen Gender-Richtlinien, müssen alle Forschungsinstitute, ink. Partner-Unis, einen Gender Plan haben, der weit über Parität in Forschungsteams hinausgeht. Alle müssen aufzeigen, dass sie sich in einem Projekt Gedanken zu den geschlechtsspezifischen Ursachen und Auswirkungen gemacht haben, um überhaupt antreten zu können. Und das ist absolut richtig so: von der Medizin bis hin zur Anthropologie. Es ist also zu erwarten, dass sich auch dank dieses Drucks, plus Druck aus Parlament und Zivilgesellschaft (Stichwort Frauensession), endlich etwas bewegen wird.
Wieso ist hier von "Gender-Medizin" die Rede? Das Gender sei ja nur konstruiert, bzw. unter dem Begriff kann sich ja jeder etwas ausdenken.
Dabei geht es hier doch um biologische Unterschiede zwischen den Körpern von Frauen und Männern.
Die Perspektive auf "Frauen" und "Männer" ist eben gerade konstruiert und beeinflusst - wie in diesem Artikel gesehen - was wir erkennen und was nicht. Das ist gender.
Inwieweit ist die Perspektive auf Frauen und Männer eben gerade konstruiert?
Die ist Jahrtausende alt, variiert auch von Epoche zu Epoche und Kultur zu Kultur, fast allen gemein ist aber die Perspektive auf den Mann als Maß aller Dinge und die Frau als mehr oder weniger minderwertige Dreingabe (siehe Adam und die Rippe).
Was relativ neu ist, ist die Auseinandersetzung mit den Konsequenzen dieser Perspektiven, die sich ja durch all Bereiche ziehen
Es geht im Artikel nicht um biologische Unterschiede. Nieren hat jeder Mensch.
Doch, an mehreren Stellen geht es explizit um solche biologische Unterschiede. Und darum, dass diesen in der medizinischen Forschung und Praxis eben nicht genügend Rechnung getragen wird, und dadurch Frauen oft schlechter behandelt werden als dies eigentlich möglich und nötig wäre.
Es geht sehr wohl um die biologischen Unterschiede zwischen Männer und Frauenkörper. Dass Frauen sich anders mitteilen und von Ärzten auch unterschiedlich wahrgenommen werden, ist natürlich ein (anderes) Problem. Hat aber nichts mit Genderideologie zu tun.
Eine Kardiologin bezeichnet ihre Symptome als «typisch für junge Frauen».
Und aus einem Unwissen darüber, dass Frauen und Männer oft anders erkranken und anders über ihre Leiden sprechen.
Das Wandern begann typischerweise, so befanden jene Gelehrten, wenn Frauen keinen Sex hatten und ihr Uterus nicht mit einem Kind beschwert wurde.
Dass nun ein Organ, das Frauenkörper von Männerkörpern unterscheidet, der Herd vieler, wenn nicht gar aller körperlichen Qualen sein soll und dass diese Qualen auf die Abwesenheit eines Mannes zurückgeführt werden, ist bezeichnend: Die Schwäche ist dem Geschlecht inhärent. Sie ist unvermeidlich im weiblichen Leib verankert.
«Die Vorstellung, dass alle Erkrankungen von Frauen auf ihren Fortpflanzungsapparat zurückgehen, wirkt heute wie die schlimmste Art der misogynen Verschwörung»
Dreimal sucht sie die Herzspezialistin auf. Diese sagt, solche Symptome kämen bei jungen, schlanken Frauen häufig vor.
Körper von Männern sind in der Medizin deutlich besser untersucht
und so weiter
Gendergerechte Medizin ist so wichtig und auch der Einbezug des Individuums. Abgesehen von der Diagnose, gibt es unzählige Geschichten beispielsweise zum Thema Geburtsgewalt. Im Sinne von: Als Frau solltest du wissen, wie du zu gebären hast, PDA ist nur für Schwächlinge und wer einen Kaiserschnitt plant, entzieht sich der Geburtserfahrung, uvm. On Top gibt’s dann noch den „Husband Stitch“. Was du als Gebärende zu all dem zu sagen ist, ist ganz oft zweitrangig. Darüber alleine wäre vermutlich ein eigener Artikel notwendig.
Ein Arikel darüber wäre wünschenswert! Ich stelle mich in die erste Lesereihe :) Jedoch: der sogenannte Husband-Stitch ist zum Glück ein Mythos.
Meine Mutter wurde damals mit genau diesen Worten genäht, das ist kein Mythos.
Vielen Dank, Ronja Beck, für die Erzählung von «Annies Fall» – der leider Ähnlichkeiten mit einem Fall in meinem Umfeld aufweist. Danke auch für die Hinweise auf die Bücher von Jackson, Cleghorn und Dusenbery, welche das Buch von Perez', «Unsichtbare Frauen. Wie eine von Daten beherrschte Welt die Hälfte der Bevölkerung ignoriert», perfekt ergänzt.
Interessant ist, dass man die Spiegelbildlichkeit von Beginn an sehen kann – und die nicht ohne eine gewisse «Dialektik der Aufklärung» ist (siehe auch diese RosaRot-Artikel):
Männer erklären Symptome bei Frauen durch den Körper, ja das geschlechtsspezifische Körperorgan: Die Hystera, also die Gebärmutter (lat. uteros oder matrix), beisse sich auf der Suche nach Sperma, im Gehirn fest.
Männer erklären Symptome bei Frauen durch die Psyche der Frau: Die Hysterie der Frau leitete die Geburt der Psychoanalyse und die Idee rein psychischer Erkrankungen ein, doch die Materie (verwandt mit lat. mater und matrix), der Körper, die Sexualität spielt bei der Frau die spezifische Hauptrolle: Die Hysterie habe als «Konversionsneurose» ihre Ursache in der defizitären Sexualität. Therapien reichten von Bädern, Hypnosen, Elektroschocks bis zur Klitoridektomie, also Beschneidung, und Zwangsverheiratungen unverheirateter oder verwitweter Frauen (alles in Europa und Nordamerika wohlverstanden).
Männer erklären Symptome bei Männer durch Täuschung: Als während des Ersten Weltkriegs körperlich unversehrte Männer in den Lazaretten ähnliche Symptome zeitigten wie Frauen bei der Hysterie – was aufgrund der Männlichkeitsnormen nicht sein könne – glaubte man, sie würden bloss simulieren, um nicht mehr aufs Schlachtfeld gehen zu müssen (sie wurden gar als Deserteure und Fahnenflüchtige angeklagt und erschossen). Doch sie zerbrachen am «Shell Shock», der Neurose des Krieges, aus der später die «Posttraumatische Belastungsstörung» (PTBS, engl. PTSD) wurde.
Männer erklären Symptome bei Männer durch die Psyche der Mannes: Die spezifisch weibliche Hysterie verschwand also erst, als sie universalisiert und gleichsam vom Materiellen, Körperlichen und Sexuellen gereinigt worden ist, und zu einer rein psychischen Krankheit wurde, da nun auch Männer rein «seelische Wunden» haben können.
Dennoch bleibt der Gender B. bestehen, mit spiegelbildlichen Konsequenzen: Man erklärt Symptome bei Frauen durch die Psyche der Frau anstatt durch den Körper der Frau. Und Symptome bei Männer durch den Körper des Mannes anstatt durch die Psyche des Mannes.
Quellen:
Sabine Arnaud, On Hysteria. The Invention of a Medical Category between 1670 and 1820, University Of Chicago Press, 2015.
Andrew Scull, Hysteria. The disturbing history, Oxford University Press, 2009.
Besten Dank, Frau Beck, für den Artikel zum Gender B. Tatsächlich werden Phäochromozytome nicht selten sehr spät erkannt (https://europepmc.org/article/med/1579867), die dabei in den Krankheitsepisoden erfolgende Katecholamin-Freisetzung tritt leider auch bei Panikattacken (Adrenalin-Schub!) auf, sodass rein aufgrund der Symptome die Unterscheidung nicht immer leicht fällt. Es ist ein schwieriges diagnostisches Problem.
Es ist wichtig, dass die diagnostischen Irrtümer immer wieder thematisiert werden. Und es ist auch ausdrücklich erwünscht, dass Personen ausserhalb der Medizin da kritische Fragen aufwerfen.
Im Artikel wird ja eigentlich das Problem der dysfunktionalen Medizin thematisiert und ein Gender B. vermutet. Mag sein.
Es gibt viele Ursachen für B. und dysfunktionale Medizin:
burnout, smarter medicine, futile medicine, rationing medicine, money driven medicine, criminal medicine, economical medicine, pseudo-economical medicine, fallacious physician profiling, hybrid physician capitation, pseudodysfunctional medicine, medical humanities, utilitarian medicine, human bioethical incentive medicine, qaly driven medicine, pseudo health technology assessment driven medicine, short term budget impact analysis driven medicine, capitation budget medicine, pseudocapitation budget medicine, global budget medicine, DRG driven medicine, DRG driven capitation profiling.
Alle diese B. können sowohl echte als auch falsche - also nicht existierende oder irrelevante - B. sein, welche jedoch im kybernetischen System der öffentlichen Wahrnehmungserzeugung durchaus schädliche Auswirkungen auf korrekte Indikationsentscheide haben, wo also scheinbare medizinische Dysfunktion durch falsche gesellschaftliche normative Entwicklungen als echte medizinische Dysfunktion wahrgenommen und die Medizin dadurch gehörig unter Druck gesetzt wird. Wie beim Gender B. liegen hier riesige Forschungsfelder brach. Es bleibt noch sehr viel zu tun.
"die stärkeren Impfnebenwirkungen bei Frauen oder die Tausenden von Meldungen über eine veränderte Menstruation" - ist ja interessant, das in der Republik zu lesen. Noch vor einigen Monaten wurde man hier runtergemacht und als VT-ler*in bezeichnet, wenn man es wagte, auf diese Nebenwirkung der damals vielgepriesenen mRNS-Impfung hinzuweisen: alles Hysterie, hiess es mehr oder weniger.
Selbstverständlich "lohnt es sich" einer Patientin zuzuhören. Das ist aber definitiv kein Gender-Thema. Beim Zuhören und gezieltem Nachfragen kann der/die erfahrene Untersucher/In die Mehrzahl der Erkrankungen bereits eingrenzen und mit zusätzlichen Untersuchung dann oftmals bestätigen. "Man findet, was man sucht und man sucht, was man kennt". Das heisst: es ist nicht die Schulmedizin, die bei Patientinnen versagt; es geht nicht um Frauen oder Männer, nicht um "ganzheitliche" Medizin oder Facharztwissen, sondern schlicht darum, ob man überhaupt eine seltene Krankheit auf dem Radar hat, ob man davon gelesen, davon gehört oder sie schon mal gesehen hat. Die beteiligte Kardiologin hatte das Phäochromocytom schlicht nicht auf ihrem Radar. Auch ein retrospektiv (ver)urteilender, "ganzheitlich" denkender Mediziner hätte diese sehr seltene Krankheit wohl auch nicht grad prioritär auf seiner Liste der Differenzialdiagnosen geführt.
Das Tarifsystem TARMED sieht für "das Zuhören" genau 20 Minuten vor und wenn dann, wie aktuell geplant, auch noch ein Kostendach definiert wird, dann....
Im Nachhinein ist man immer viel schlauer und neigt dazu, sich ein Urteil zu bilden, respektive die involvierten Kollegen/Kolleginnen zu verurteilen. In real life gibt es sehr viele sozial eher einsame Menschen, die sich sehr intensiv beobachten und blumig und wortstark ihre Beschwerden, (wenn sie nicht unterbrochen würden, durchaus weit über 20 Minuten), schildern können. Jedes präsentierte Symptom (Kopf-, Bauchweh, Trümmel, Schleim im Hals, Luftabgang....) könnte auch mal ein Hinweis für eine "Exotenkrankheit" sein. Würde jedem erdenklichen Verdacht nachgegangen, würde das die von Kassen, Medien und Politiker sehr genau beobachteten Kosten noch weiter in die Höhe treiben. Wir Aerzte stehen also im Dilemma, den Patienten sehr genau zuzuhören, (aber nicht länger als 20 Minuten) und alles Mögliche in Betracht zu ziehen, resp. nix zu verpassen und dann darf es auch noch nichts kosten, weder bei Patientinnen noch bei Patienten.
Ich begrüsse den Artikel, ich arbeite in inm Spital und sehe es als wichtig an die Forschung diesbezüglich zu erweitern. Selbst Crash-Test-Dummies bei der Forschung von Autounfällen werden ja nach Männern geformt, mit der Folge Von mehr todesopfern bei Frauen. Die Spitzen in unserer Welt sind oft Männer mit klassischem Rollenmodell oder Einzelgänger, das führt meiner Meinung nach zu dem Status quo.
Einzig möchte ich darauf hinweisen, dass Fibromyalgie ein durchaus umstrittenes Krankheitsbild ist und deshalb nicht unbedingt im gleichem Atemzug wie ein Phächromozytom, etc. genannt werden sollte.
kommt eine frau zum arzt / kommt ein mensch zum arzt..
vielen dank für ihren artikel. er weist auf differenzierungen hin, welche nicht gemacht werden - und dringend notwendig sind - und aufgrund des eigenen blinden flecks der eigenen position, des eigenen denkens an dinge nicht denken lässt.
fehler können tatsächlich immer passieren und gerade bei erkrankungen, welche keine eindeutige zuordnung erlauben, zu odysseen führen. und darum. der verlauf muss verfolgt werden und ¨will¨ er nicht zur diagnose passen, so ist hellhörigkeit angesagt.
die spezialisierung auf gendermedizin ja, aber. die zentrale rolle des hausarzt:in wird dabei noch wichtiger. als gatekeeper muss er/sie auch wissen, wovon er patient:innen abhält. fazit: wir brauchen nicht weniger, sondern mehr ärzt:innen, generalist:innen, weil es ohne genügend zeit und sorgfalt nicht genügt. sparen rächt sich mehrfach: zusätzliches leiden, weil unerkannt, komplikationen, folgebehandlung wegen sekundärschäden etc.
ich habe lange auf der einen seite gearbeitet (pädiatrie) und stehe nun altershalber zunehmend auf der andern seite. notgedrungenerweise wird mein medizinisches denken konfrontiert mit dem denken der erwachsenenmedizin. und da stehen mir immer mal wieder die haare zu berge.
dabei scheint mir wichtig: es sind nicht nur die ärzt:innen, sondern es ist massgeblich das system, welches durch kostendruck, sparmassnahmen, sogenannte gesundheitsökonomen, krankenkassenfunktionäre, vertrauensärzt:innen arbeitsbedingungen, strukturellen zwang schafft, weshalb - nur schon um zu überleben - die fachleute - sei es in pflege, in der ärzteschaft - (um)geformt werden. gerade aktuell findet eine enorme (qualitative) selektion statt an unseren spitälern. wer den druck nicht mehr aushält, börnt aus oder muss sich selber schützen und geht. zeit, sorgfalt, aufmerksamkeit stehen den ¨verbliebenen¨ aus verschiedensten gründen nicht mehr genügend zur verfügung, ist oft an der front gar nicht mehr zu leisten. voilà. haben wir eine medizin, welche wir verdienen?
Danke für Ihr Plädoyer für ÄrztInnen in der Grundversorgung, das ich voll unterstütze. Die GrundversorgerInnen stehen unter einem enormen zeitlichen Druck, Spardruck und Rechtfertigungsdruck den Krankenkassen gegenüber. Ärztliches Versagen muss, ohne es schönreden zu wollen, immer auch in diesem Kontext gesehen werden.
Bitte auch für Nicht-AbonnentInnen freigeben!
Ein toller Artikel, ein sehr wichtiges Thema. Vielen Dank dafür. Ich würde diesen Artikel gerne teilen. Leider können ihn aber nur AbonnentInnen lesen.
So absurd das tönt…
Nach Ansicht der Gelehrten im antiken Griechenland – sie hatten sich von den Ägyptern inspirieren lassen – können Gebärmütter im Frauenkörper umherwandern und damit eine Myriade an Beschwerden auslösen, von Schmerzen über Organschäden bis hin zu Lähmungen. Das Wandern begann typischerweise, so befanden jene Gelehrten, wenn Frauen keinen Sex hatten und ihr Uterus nicht mit einem Kind beschwert wurde.
… so frappant passt die Beschreibung zur Endometriose, bei der Frauen unter Schmerzen aufgrund von Gebärmutterschleimhaut ausserhalb der Gebärmutter leiden. Die Gebärmutterschleimhaut kann also tatsächlich im Körper „umherwandern“ und je nach betroffenem Organ verschiedenste Symptome verursachen. Und typisch ist auch, dass die Beschwerden während einer Schwangerschaft, aufgrund der hormonellen Umstellung und Ausbleiben der Menstruation nachlassen oder verschwinden.
Und was entspricht der Erklärung der «Hysterie» durch das Festbeissen der Gebärmutter am Gehirn, nachdem sie aus Mangel an Sperma im Körper suchend umherschweifte? Das Fatale an solchen Beschreibungen und Erklärungen – selbst in «moderner» Form – sind ja die Therapien, die davon abgeleitet worden sind: Therapien reichten von Bädern, Hypnosen über Elektroschocks bis zur Klitoridektomie, also Beschneidung, und Zwangsverheiratungen unverheirateter oder verwitweter Frauen (alles in Europa und Nordamerika wohlverstanden).
Über die altägyptische und altgriechische Medizingeschichte weiss ich so gut wie nichts. Daher kann ich auch nicht sagen, auf welche Grundlagen oder Spekulationen die damaligen Ärzte zu diesem Krankheitsmodell gelangt sind. Dass sie dieses ausschliesslich auf Frauen, die an Endometriose litten, angewendet haben, ist wohl sehr unwahrscheinlich. Mir ist beim Lesen diese Parallele zur Endometriose einfach ins Auge gesprungen. Und vielleicht beruht diese absurde Theorie ja auf einem wahren Kern, wer weiss? Von mir unbestritten ist natürlich, dass die „Behandlung“ der „Hysterie“ ihre grausamen Blüten getrieben hat, wie Sie es ja beschreiben.
Körper von Männern sind in der Medizin deutlich besser untersucht
Ich finde den Kontrast zur Lebenserwartung interessant. Trotz allem geniessen die Frauen eine weitaus höhere Lebenserwartung als die Männer. Gleichzeitig geniessen die Schweizer Männer aber die höchste Männerlebenserwartung der Welt. Wo wären die Frauen bei gleich guter Behandlung? Das Bundesamt für Statistik zeigt die massiven Unterschiede ziemlich gut auf:
Todesursache Krebs pro 100'000 Einwohner (2017)
154 beim Mann
102 bei der Frau
Todesursache Diabetes pro 100'000 Einwohner (2017)
9.9 beim Mann
5.3 bei der Frau
Todesursache Kreislaufsystem pro 100'000 Einwohner (2017)
143 beim Mann
96 bei der Frau
Die Statistiken sind natürlich jetzt etwas Männerfokussiert, dies Aufgrund meiner Quelle.
Interesssant hierzu der Artikel Warum die Männer früher sterben (NZZ, 3.4.2017, vgl. auch hier):
Die neusten Daten der Bundesstatistiker veranschlagen die derzeitige Geschlechterdifferenz in der Lebenserwartung bei Geburt auf gut vier Jahre (84,5 gegenüber 80,1 Jahren) und für 65-Jährige auf etwa drei Jahre (22 gegenüber 19 Jahren).
Doch die Männer sind für ihren Malus zu einem erheblichen Teil selber verantwortlich. Dies ist der Befund aus der internationalen Forschungsliteratur. Denn die Männer rauchen mehr, sie trinken mehr, sie verursachen mehr Unfälle, und sie ernähren sich tendenziell weniger gesundheitsbewusst. Weniger klar ist, wie gross der Anteil der Selbstverantwortung ist und welche Faktoren im Detail entscheidend sind.
Eine Studie von 2011 über dreissig europäische Länder «erklärte» im Mittel 40 bis 50 Prozent des Männer-Malus in der Lebenserwartung mit dem Rauchen und weitere 10 bis 15 Prozent mit übertriebenem Alkoholkonsum; auch die Ergebnisse für die Schweiz lagen in der gleichen Grössenordnung.
Laut Bundesamt für Statistik gab es von 1995 bis 2012 bei Frauen total knapp 50 000 tabakbedingte Todesfälle, bei den Männern fast 120 000. 2012 gingen rund 15 Prozent aller Todesfälle auf das Konto des Tabakkonsums.
Doch auch biologische Faktoren spielen laut der internationalen Forschung eine Rolle. Zu den oft genannten Faktoren zählen die Gene (welche Frauen einen besseren Schutz vor gewissen Krankheiten geben mögen) und die Hormone (das weibliche Geschlechtshormon verhilft zu grösseren Mengen des «guten» Cholesterol, das vor Herzkrankheiten schützt). Die Grenzen zwischen Biologie und Verhalten sind allerdings fliessend; so mag der hohe Testosteronspiegel der Männer zu deren risikoreicherem Verhalten verleiten.
Als ich die Geschichte von Annie las, realisierte ich, dass es auch meine Geschichte ist. Ich (weiblich) erlebte Ähnliches vor fast 40 Jahren und ich war damals auch 23 Jahre alt. Es hat mich betroffen und wütend gemacht, dass heute noch körperliche Symptome, deren Ursache die Ärztinnen und Ärzte nicht herausfinden als psychosomatisch „abgestempelt“ und als Diagnose klassiert werden, insbesondere bei Frauen. Danke für diesen wertvollen Beitrag. Endlich wird darüber gesprochen. Folgen auch Veränderungen?
Wer die meiner Meinung nach sehr eindrückliche Folge von «Dr. House» nachschauen will: Stafel 2, Folge 1, Ihr, ich und Hippokrates (original: Acceptance).
Die zufälligen Ausschüttungen der Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin werden in dieser Folge anders als im hier beschriebenen Fall mit Wutausbrüchen filmisch in Szene gesetzt. Und es geht um einen Mann...
Die Geschichte von Annie ist eindrücklich und erschreckend. Allerdings geht daraus leider nicht klar hervor, wieso sie ein Beispiel für Gender B. in der Medizin sein soll. In erster Linie ist es ja die Geschichte einer sehr seltenen Krankheit, der viele Ärzte/Ärztinnen seit ihrem Studium nie mehr begegnet sind die sie teilweise wohl einfach "vergessen" haben bzw. für zu unwahrscheinlich halten, um eine genauere diesbezügliche Diagnostik für angemessen zu halten. Dass in solchen Fällen, auch bei männlichen Patienten, irgendwann psychosomatische Ursachen vermutet werden, ist glaube ich normal und vermutlich ja auch nicht verkehrt. Nun wird bei der Geschichte irgendwie impliziert, dass man bei einem Mann die wahre Ursache wohl schneller gefunden hätte (oder dass man ihm keine psychologische Behandlung empfohlen hätt?). Das ist aber in diesem speziellen Fall eine blosse Vermutung und kann (naturgemäss) nicht belegt werden.
Ich glaube, Gender B. in der Diagnostik äussert sich viel subtiler, und kann wohl nur statistisch nachgewiesen werden. Also wenn man z.B. feststellt, dass gewisse Fehldiagnosen bei Frauen häufiger vorkommen als bei Männern. Wobei dann immer noch nicht unbedingt klar ist, ob dies nun auf einer Voreingenommenheit der Ärzteschaft beruht oder auf physiologische Unterschiede zwischen Männern und Frauen, die dazu führen, dass gewisse Diagnosen bei Frauen (oder Männern) objektiv schwieriger sind.
Noch eine kritische Bemerkung: in solchen Beiträgen zum Thema Gender B. in der Medizin wird immer der Fall Endometriose als Beispiel aufgeführt. Ich (Mann) bin da aufgrund einer eignen, und somit natürlich recht anekdotischen Erfahrung etwas skeptisch und frage mich, ob dieses Beispiel mittlerweile nicht vielleicht schon überholt ist. Ich war vor 20 Jahren in einer Biotechnologiefirma aktiv, die molekularbiologische Diagnostik-Tests auf Basis eines neuartigen Verfahrens entwickelt hat. Wir haben uns auf Krebsdiagnostik fokussiert, aber auch eine Weile lang systematisch nach anderen vielversprechenden Anwendungsbereichen gesucht. Das heisst nach verbreiteten, aber unterdiagnostizierten Krankheiten, bei denen wir mit unserer Technologie ev. einen wertvollen Unterschied machen könnten. Wir haben dazu viele Fachärzte aus den verschiedensten Bereichen befragt. Endometriose kam dabei sehr bald mal auf unsere Liste und gehörte schon bald zu unseren "heissesten Favoriten". Verschiedene Gynäkologinnen und Gynäkologen (entsprechend dem damals typischen Verhältnis mehr Männer) haben uns darauf aufmerksam gemacht, dass Endometriose ein riesiges Problem ist, welches sehr viele Frauen betrifft, aber nur schwer zu diagnostizieren bzw. frühzeitig zu erkennen ist. Und dass wir mit einem guten diagnostischen Test einen enormen Fortschritt in dem Bereich bewirken und dabei sehr viel Geld verdienen könnten. Wir haben uns dann die biologische / technische Seite des Problems genauer angeschaut und sind zum Schluss gekommen, dass unsere Chancen, einen blutbasierten Test mit unserer Technologie hinzubekommen, bei dieser Krankheit leider nicht sehr hoch waren. Auch für uns wäre Endometriose eine echte Knacknuss gewesen, auf die wir uns schlussendlich mangels Erfolgsaussichten nicht einlassen konnten! Das war wie gesagt bereits vor 20 Jahren. Ich denke, eine systematisch missachtete und unterschätzte Krankheit sieht eigentlich anders aus.....
Republik AG
Sihlhallenstrasse 1
8004 Zürich
Schweiz