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Eine ausserordentlich gelungene Serie mit Artikeln aus verschiedenen Ecken Europas, über die wir nicht alle so vertraut sind, weshalb eine derart differenzierte Betrachtung umso lehrreicher wird. Es wird ja jeweils ziemlich abgehoben, wenn über das Wesen der Sozialdemokratie geredet wird, da sie ja immer nur in einem Kontext, einer spezifischen Tradition, einer Landesgeschichte verstanden werden kann, weder idealisiert, noch dämonisiert. Deshalb ist diese Serie extrem augenöffnend und mein Weihnachtswunsch ist, dass Frau Khorsand ihrer vorurteilslosen Tour d'Europe noch einige weitere Stationen anhängt und mit Menschen ins Gespräch kommt, die sozialdemokratische Politik erfahren, erleiden, oder durch sie an Lebensqualität gewinnen.
Mir fehlt häufig, auch bei den Sozialdemokraten, dass nicht mit Werten, sondern mit Zahlen argumentiert wird. Es wird beziffert statt bewertet.
Eine offene Asylpolitik unterstütze die Gewinnung neuer Arbeitskräfte. Ein Verbot der Massentierhaltung reduziere den CO₂-Ausstoss. Der Schutz der Privatsphäre fördere die Gründung von Startups. Gerechte Löhne beflügeln den Konsum.
Alles vermutlich nicht falsch, aber wie wäre es stattdessen mit: Offene Asylpolitik, weil alle Menschen ein Recht auf Nothilfe haben? Gegen Massentierhaltung, weil auch Tiere unser Mitgefühl verdienen? Privatsphäre, weil jeder das Recht auf eine eigene Meinung hat? Gerechte Löhne, weil Wertschätzung nicht von der gesellschaftlichen Machtposition abhängen sollte?
Ich verheddere mich manchmal auch in den zahlenbasierten Argumentationen und merke zu oft, dass ich damit nichts erreiche. Zahlen sind leicht angreifbar («Dann zeig mir mal diese Studie!»), schwer zu merken, häufig enger gefasst als die Schlagzeile vermuten liesse und zu allem Übel übernimmt man unbewusst die Denkweise einer rein ökonomischen Weltsicht. Die mag manchmal nützlich sein, aber sicher nicht für alle Probleme des Lebens. Ich finde mit Werten lässt sich viel solider Position beziehen. Die meisten Leute teilen im Kern die Vorstellungen von einer lebenswerten Welt. Ausgehend von dieser gemeinsamen Basis lässt sich einiges leichter eine einvernehmliche Lösung für konkrete Probleme finden. Ich sage nicht, dass Fakten keinen Platz haben in einer politischen Debatte, aber ohne sich auf eine tiefere Grundlage zu berufen klingen sie für mich wie Ausreden. Ausreden um sich nicht für seine Werte über «das gute Leben» outen zu müssen. Damit sich auch bloss niemand vor den Kopf gestossen fühlt.
Sehr geehrter Herr Khorsand. Ganz herzlichen Dank für diesen durchdachten, auf echten Fakts beruhenden Beitrag. Ich gehe langsam gegen achtizig und bin seit 60 Jahren politisch interessiert. Ich habe alle möglichen politischen "Bewusstseinszustände" erlebt: Mit 20 war ich noch so total infiziert von den in unseren Zeitungen verbreiteten US-Gläubigkeit; dann erhielt ich in einem nicht gewünschten Weiterbildungskurs eine mutige Aufklärung von zwei Journalisten darüber, was in Vietnam wirklich geschah. Ich war noch so verblendet, dass ich mich am Ende des Kurses lauthals über diese Versuche beklagte, uns - anstatt einer objetiven Information (die ich zu kennen glaubte) - mit linken Ansichten zu manipulieren. Erst im Nachhinein erkannte ich, wie dankbar ich sein musste, dass ich endlich über die Realität aufgeklärt worden war. Aufgrund des Buches eines Englanders (Show?) "Roter Stern über China" wurde ich zum bedingungslosen Anhänger von Mao Tse Tung. Das war zwar für die Anfänge seiner Regierungszeit sehr richtig, aber ich wollte in meiner erstarrten Haltung einfach nicht akzeptieren, dass auch dieser Mann - wie leider so viele Politiker (wir haben leider massenweise konkrete, traurige Beispiele in den letzten Jahrzehnten erlebt) durch die Macht total korrumpiert worden war. Erst die offene, ehrliche Biographie von einer nahen Verwandten hat mir - wieder einmal mehr - die Augen geöffnet. Seither versuche ich täglich, wirklich offen, kritisch und scheuklappenlos das Weltgeschehen zu beurteilen. Und dazu verhelfen uns allen solche umfassend und ideologiefrei berichtenden, echten Fachleute wie Sie, uns in der schwierigen Gegenwart zurechtzufinden. Sie schildern den neuen deutschen Kanzler so vorurteilsfrei, dass ich mir schon einen Ruck geben musste, um diesen Mann nicht einfach - weil er kein Medienstar ist - so quasi abzuschreiben. Diesen Bericht, sehr geehrter Herr Khorsand, sollte man allen Politikern jedweder Couleur, die sich in den deutschsprachigen Ländern um ein "höheres" Amt bewerben, so quasi als Einmaleins des politischen Handelns gratis und franko zustellen! Würde sich wohl auch die Schweizer Aussenpolitik etwas weniger US-hörig entwickeln? Ich möchte meinen warmen Dank an Sie, Herr Khorsand, noch einmal betonen. Merci beaucoup!
Guete Tag, Herr Goldinger! Erlauben Sie mir: Solmaz Khorsand ist eine Frau UND hat schon viele Artikel in der R geschrieben — es lohnt sich, diese Rosinen zu picken🤩! Schönen Tag Ihnen!
Vielen Dank, Frau Rossi, entweder habe ich die Foto nicht angeschaut oder sie fehlt. Anyway, ich hoffe, Frau Khorsand nimmt mir mein Versehen nicht übel.
Danke an Solmaz Khorsand für die interessanten Fragen an einen interessanten Interviewpartner. Ich finde darunter einige wichtige Erklärungsansätze, welche gewisse Fragen zu beantworten vermögen - viele aber auch nicht.
Labour hat in den letzten Wahlen ein um einiges radikaleres Programm auf den Achsen "altlink"/"neulink" präsentiert - und ist damit krachend gescheitert. Lag es daran, dass Corbyn sich mit dem Brexit abgefunden und den Widerstand dagegen aufgegeben hatte? Gegen diese These spricht das mässige Abschneiden der LibDems mit einem Anti-Brexit-Wahlkampf. In Schottland allerdings wurde Labour durch die SNP geradezu pulverisiert. Die SNP trat mit einem Programm an, welches als "Labour plus Ablehnung des Brexit plus Linksnationalismus" charakterisiert werden könnte (wobei der Linksnationalismus der SNP keineswegs xenophob oder migrationsfeindlich ist).
Natürlich: Wahlergebnisse in GB unterliegen den besonderen Regeln eines äusserst rigiden Majorzwahlrechts. Dies zwingt die Parteien dazu, die "Mitte der Gesellschaft" zu erobern. Deshalb lassen sich viele Aussagen im Interview nicht auf GB übertragen.
Dies führt mich in die Schweiz, wo wir bezüglich des Wahlrechts Verhältnisse haben, die sich mit Deutschland vergleichen lassen. Die SPS steht links der SPD und vertritt seit langem eine Agenda, die "altlinke" und "neulinke" Anliegen beinhaltet - und damit tendenziell eher verliert oder stagniert. Die GPS - welche mit etwas verschobenen Akzenten - ein ähnliches Programm vertritt, konnte jedoch stark zulegen. Liegt es an der Klimapolitik? Diesbezüglich gibt es zwar ebenfalls kaum fundamentale Unterschiede zwischen den zwei Parteien. Aber vermutlich geniesst die GPS hier einfach "die Gnade der späten Geburt": im Unterschied zur SPS ist sie frei vom "Ballast der Wachstumseuphorie der Nachkriegsjahrzehnte".
Interessanterweise spielt die Klimafrage im Interview praktisch keine Rolle - für mich ist dies die grosse Lücke und ein echter Schwachpunkt des Beitrags. Ist Klimapolitik tatsächlich einfach ein "Valenzthema"? Ich bezweifle dies sehr. Immerhin vertritt die stärkste Partei bei uns bezüglich des Klimawandels Positionen irgendwo zwischen Negation und Gleichgültigkeit.
Es bleibt Vieles zu diskutieren - dies wiederum ist das grosse Verdienst des Beitrags.
Ich denke, in England sehen wir eben den Effekt, wenn sich eine sozialdemokratische Partei zerfleischt, statt geschlossen zu stehen. Die ganze Corbyn-Affäre dürfte einen Keil zwischen wirklich linken und sozialliberalen Mitgliedern und Wählern getrieben haben. Bei der SPD war das ja, wie im Interview erwähnt, nicht der Fall, man stand geschlossen da.
Ich denke für die Schweiz ist es wichtig, dass man immer den linken Flügel als ganzes betrachtet, weil die Agenden so ähnlich sind. Und als ganzes legt der linke Flügel, wie von ihnen erwähnt besonders die Grünen, an Wählerschaft zu. Ich bin SP-Mitglied und bei uns wird die Diskussion definitiv geführt, wie man zeigen kann, dass auch wir für ein grünes Programm stehen, das dem der Grünen in nichts nachsteht. Aber im Endeffekt kümmert es mich recht wenig, Wähler an die Grünen zu verlieren, solange wir nur insgesamt gewinnen.
Und auch auf überparteilicher Ebene würde ich sagen, konnte die Sozialdemokratie in der Schweiz in der letzten Zeit einige Siege verzeichen: Die Konzernverantwortungsinitiative, die vom Volk angenommen wurde, Vaterschaftsurlaub, die Pflegeinitiative. Alles in allem stimmt das mich hoffnungsvoll :-)
Leider kommen wir nur vorwärts, wenn das links-grüne Lager insgesamt gewinnt - es stagniert seit Jahrzehnten zwischen 25 und maximal 30+ Prozent der Wähler*innenstimmen - und das gelingt nur mit einer roten und nicht mit einer grün angemalten SP. Interne Verschiebungen befriedigen höchstens die Egos einiger Strategen und Parteifunktionäre.
Sehr tolles, kompetentes Gespräch mit jemand, der wissenschaftlich Mythen widerlegen kann. Es ist erfrischend, wenn endlich gesagt wird, dass Tabuthemen wie Asyl keine Gefahr wäre, dass aich Arbeiterklasse identitätspolitisch ist und dass die Sozialdemokratie endlich das Prekariat mkt einbeziehen muss in ihre Klientel.
Ich bin keine Politologin und drum Solmaz Khorsand sehr dankbar für das Interview und Herrn Abou-Chadi für seine Antworten. Mit den vier idealtypischen Profilen für sozialdemokratische Parteien kann ich die Aeusserungen im Dialog zu den zwei Dänemark-Artikeln in der Republik einordnen. Es hat mich jeweils etwas erstaunt, dass es unter den Republiklesern doch einige Stimmen gibt, die die Migrationspolitik von Dänemark verteidigten. Ich möchte etwas zum abhanden gekommenen Klassenbewusstsein sagen: auf der einen Seite hat es sich verflüchtigt mit den Wirtschaftswunderjahren. Wahrscheinlich ist es schön, aufsteigen zu können. Mit dem Aufstieg stand aber die Arbeiterkultur und damit meine ich auch die dazugehörigen Schriftsteller:innen, bildenden Künstler:innen, Designer:innen, die Wohnbaugenossenschaften etc. plötzlich in Konkurrenz zur bürgerlichen Kultur der herrschenden Elite. Wer erinnert sich noch so genau, was für ein Schatz an Innovationen in ganz verschiedenen kulturellen Bereichen in diesen Arbeiterkreisen entwickelt wurde? Wer erinnert sich, wie miefig, eng und scheinheilig das bürgerliche Zürich bis weit in die 70-er, 80-er Jahre hinein war? Aus meiner Perspektive ist es erst eine Generation her, dass mit Armut oder Erwerbslosigkeit nicht mehr automatisch charakterliche Schwäche und Unfähigkeit, gute Arbeit zu leisten oder intelligent zu sein assoziiert wurde. Diese Sichtweise trifft heute nicht mehr so sehr die stimm- und wahlberechtigten Schweizer:innen, sondern die diesbezüglich ausgeschlossenen Eingewanderten. Wenn ich mich an die 1.Mai-Umzüge in Zürich erinnere: Restgrüppchen der gewerkschaftlich Organisierten, und immer grösser der Anteil der Eingewanderten. Aber in den letzten Jahren eine immer grössere Gruppe von Antifa-Leuten, Akademiker:innen, Arbeiter:innen, oftmals junge Familien, die keine Angst mehr vor dem Looserimage hatten und nur in angesagten Kreisen wohnen und verkehren wollten. Sondern soziale Fragen analysierten, Forderungen aufstellten, kämpften.
Nachtrag: wenn es um den Niedergang der Arbeiterbewusstseins geht, sollten die Auswirkungen des kalten Krieges in der Schweiz mitbedacht werden. Sogar Arbeiter:innen hatten Angst, als sozialismusfreundlich abgestempelt zu werden, keine Aufstiegschancen zu haben, die Stelle zu verlieren. Die Auswirkungen dieses kalten Krieges auf die schweizerische Gesellschaft ist meines Erachtens noch zu wenig erforscht.
Danke Solmaz Khorsand. Dieses Gespräch mit Herrn Abou-Chadi hat mir viele Erklärungen zum politischen Handwerk gegeben, ich habe dazugelernt. Und Sie haben mit dieser Serie auch mein Interesse an "denen da oben" geweckt und die Neugier auf die zukünftige Entwicklung unserer Gesellschaft. Eine Neugier, die ich schon vor Jahren schubladisiert hatte. Vielleicht geht es tatsächlich wieder ein Stück vorwärts. Die Zeit wirds uns zeigen, meine Hoffnung lebt wieder auf!
Alles in allem ein spannendes Interview. Mir scheint jedoch, dass hier ein wichtiger Grund für den jüngsten Wahlerfolg der SPD geflissentlich ausgeklammert wird: Nach 16 Jahren Merkel und GroKo (mit Unterbruch) hatten viele einfach genug. Diese Pendelbewegung ist im Grossen wie im Kleinen beinahe die Regel. Aber dies nur am Rande.
Am wichtigsten jedoch ist Abou-Chadis Plädoyer für ein Sowohl-als-auch anstelle eines Entweder-oder. Also:
sowohl altlinke als auch neulinke Strategien
sowohl klassenbezogene als auch post-migrantische und LGBTQI*-bezogene Identitätspolitik
Nur so können die selbstzerfleischenden Debatten über «echte Klientel» = «alte Arbeiterklasse» vs. grün «angemalte», urbane und elitäre «Lifestyle-Linke» hinter sich gelassen werden, zumal mit «alte Arbeiterklasse» implizit meist «Alte Weisse Männliche Arbeiterklasse» gemeint ist, so dass man auf das Framing der Rechts-Nationalen hineinfällt. Also: Gegen das divide et impera und die «kulturelle Hegemonie» der Rechten.
Zentral ist damit auch die Einsicht, dass die «linksnationale» Option eine Sackgasse ist, ja geradezu das Ende der Sozialdemokratie bedeutet.
Wer Wahlen gewinnen will, sollte sich besser seiner tiefroten Wurzeln besinnen, als nach rechts zu schielen […].
Denn diese linksnationalistische Identitätspolitik für die «Alte Weisse Männliche Arbeiterklasse» führt gerade zum «Welfare-Chauvinismus» – und zur Aushöhlung der Sozialdemokratie:
Die Sozialdemokratie wird dann reduziert auf eine rein wirtschaftspolitische Frage. Das bedeutet, wir können mit dem Thema Migration machen, was wir wollen, weil es in der Sozialdemokratie nur um den Sozialstaat geht. Und wir behaupten einfach, dass wir den Sozialstaat nur aufrechterhalten können, wenn es keine Zuwanderung gibt. Das ist natürlich Blödsinn.
Nur wenn die Sozialdemokratie dem entschlossen entgegentritt gewinnt sie an Glaubwürdigkeit.
Die Herausforderungen der Sozialdemokratie, die Abou-Chadi benennt, finde ich ebenfalls bemerkens-wert:
Entgegen der sozioökonomischen Differenzierung eine gemeinsame Identität herstellen.
Antworten auf die Prekarisierung jüngerer Generationen geben, die sich trotz Bildung und Beruf nicht mehr ausgleichen lässt.
Den Staat so umbauen, dass jene, die mehr sind, auch tatsächlich mehr politische Macht haben, sodass sie letztlich mehr abbekommen. Jene, die mehr Geld haben, haben mehr Einfluss auf das System. Daher ist auch der Klassenkampf nicht zu Ende.
Also, «vorwärts»!
Herzlichen Dank für diesen schönen Abschluss Deiner «Roten» Serie, Solmaz.
Ich glaube nicht, dass bezüglich Wahlerfolgs der SPD irgendetwas 'geflissentlich ausgeklammert' wurde, sondern dass wir alle haargenau wissen, weshalb Scholz Kanzler wurde, aber nicht wirklich Lust haben, es nochmals auszubuchstabieren, weil es fast etwas peinlich ist, wenn einer deshalb gewinnt, weil der Gegner unfähig ist.
Was SPD, Grüne und FDP nach dem Laschet-Debakel machen könnten, stimmt aber schon hoffnungsvoll.
Das gibt doch Hoffnung für die Zukunft und das kann ich wirklich gebrauchen!
Tarik Abou-Chadi hat recht: es ist auch der Schweizer Sozialdemokratie zahlenmässig zeitweise gut gelungen, abhanden gekommene "klassische" Arbeiterstimmen oder verlorengegangene nichtakademische Wähler mit linken Akademikern und Akademikerinnen zu kompensieren.
Das Problem dabei ist: Die SP räubert dabei in erster Linie beim Koalitions- oder Blockpartner, den Grünen. Die verlorenen nichtakademischen Wählern gehen dagegen leider nur zum Teil in die politische Abstinenz. Ein Teil landet bei der Rechten, mit der keine Koalitionen möglich sind.
Für Mehrheiten im Parlament bringt das nichts. Die Dominanz der Bürgerlichen wird erst dann geschwächt, wenn die SP Zuwachs bei den nichtakademischen Wählern verzeichnet.
Vielen Dank für diesen Beitrag! Das akademische Prekariat scheint mir insbesonders in der Deutschschweiz ziemlich apolitisch: Unbefristete Anstellungen werden hier oft als Privileg, manchmal gar als alter Zopf, aber selten als ein zu erkämpfendes Recht angeschaut. Spannend ist, dass das viel stärker politisierte akademische Prekariat in Spanien mit PODEMOS sozusagen eine "eigene" Partei gegründet hat, die den sozialdemokratischen PSOE von links her mächtig unter Druck setzte und nun seit zwei Jahren mit ihm regiert. Die Allianz ist nicht frei von Spannungen, insgesamt aber erfolgreich. Vielleicht auch deshalb, weil in Spanien "Linkssein" einerseits nach wie vor stärker mit der "Arbeiterklasse" assoziiert wird und andererseits im Vergleich zur Schweiz sehr viel mehr Menschen aus diesen Schichten an die Unis gehen.
Ja da stimme ich Ihnen zu, ich denke die Sichtweise auf unbefristete Verträge etc ist vielleicht auch eine Bubble/Generationenfrage, ich glaube das wird auch je nach Beruf einfach als sehr unrealistisch eingeschätzt (genauso wie Haus kaufen in einer Stadt).
Ich bin nicht sicher ob in die Apolitisierung des Themas auch mit reinspielt, dass es in der Schweiz viele nicht stimmberechtigte Arbeitskräfte gibt, die meiner sehr subjektiven Beobachtung nach vielleicht öfters in solchen unsichereren Arbeitsverhältnissen sind als Schweizer Staatsbürger, unabhängig vom Bildungsgrad.
Das akademische Prekariat scheint mir insbesonders in der Deutschschweiz ziemlich apolitisch: Unbefristete Anstellungen werden hier oft als Privileg, manchmal gar als alter Zopf, aber selten als ein zu erkämpfendes Recht angeschaut.
Worauf basiert Deine Einschätzung, David? Das habe ich nicht nur in meiner Studienzeit anders erlebt, sondern auch andere im Kognitariat, wie jüngst auch der Hashtag #IchBinHanna zeigte (vgl. SRF).
Lieber Michel, es freut mich, dass du da eine andere, wohl positivere Einschätzung hast. Ich glaube auch, dass sich in letzter Zeit etwas bewegt, siehe z.B. auch die Petition Academia für mehr Dauerstellen: https://vpod.ch/news/2021/10/petiti…ngereicht/. Der von mir geschilderte Eindruck speist sich einerseits aus meiner eigenen Studienzeit (die ist jedoch bald zehn Jahre her...), andererseits aus den punktuellen Kontakten, die ich mit akadmischem Personal habe. Ich selber habe auch in Spanien studiert und verfolge die politische Situation dort ziemlich genau, daher ist meine Aussage v.a. im Vergleich zu sehen.
Der als 'Dritter Weg' verkaufte neoliberale Schmusekurs der Sozialdemokratie hat ohne Zweifel ein 'Sugar-Hoch' für einige wenige wie den "aufrechten Demokraten" Schröder (Gazprom) und "Bush's Poodle" Blair (Panama Papers) gebracht und ich bin froh, dass die SPD dank Leuten wie AWB, Esken, Kühnert und Klingbeil zu alten/neuen Werten zurückgefunden hat. Abou-Chadi bringt dazu die perfekte Analyse.
Für die SP Schweiz wird 2023 gelten, dass Jositsch und Co. mit 'bürgerlichen' Stimmen zwar einige Sitze werden halten können, durch ihre Politik aber jede Entwicklung wie in Deutschland abgewürgt wird. Der Sitz von Sommaruga ist ohnehin weg, ausser es geschieht ein Wunder.
Abou-Chadi bringt dazu die perfekte Analyse.
Dann stimmen Sie sicherlich mit Abou-Chadi überein, wenn er sagt:
Die Sozialdemokratie hat sich eingelassen auf die Idee, dass es auf der einen Seite ihre «echte Klientel» gibt, die «alte Arbeiterklasse», und auf der anderen Seite die Wählerinnen der Grünen, die Elite, irgendwelche Lifestyle-Linke. Das ist eine fundamentale Falscheinschätzung der Sozialstrukturen.
Das finde ich mitunter die wichtigste Einsicht. Denn nur so können die selbstzerfleischenden Debatten über «echte Klientel» = «alte Arbeiterklasse» vs. grün «angemalte», urbane und elitäre «Lifestyle-Linke» hinter sich gelassen werden – zumal mit «alte Arbeiterklasse» implizit meist «Alte Weisse Männliche Arbeiterklasse» gemeint ist, so dass man auf das Framing der Rechts-Nationalen hineinfällt. Also: Gegen das divide et impera und die «kulturelle Hegemonie» der Rechten!
Zentral ist damit auch die Einsicht, dass die «linksnationale» Option eine Sackgasse ist, ja geradezu das Ende der Sozialdemokratie bedeutet.
Wer Wahlen gewinnen will, sollte sich besser seiner tiefroten Wurzeln besinnen, als nach rechts zu schielen […].
Denn diese linksnationalistische Identitätspolitik für die «Alte Weisse Männliche Arbeiterklasse» führt geradewegs zum «Welfare-Chauvinismus» – und zur Aushöhlung der Sozialdemokratie:
Die Sozialdemokratie wird dann reduziert auf eine rein wirtschaftspolitische Frage. Das bedeutet, wir können mit dem Thema Migration machen, was wir wollen, weil es in der Sozialdemokratie nur um den Sozialstaat geht. Und wir behaupten einfach, dass wir den Sozialstaat nur aufrechterhalten können, wenn es keine Zuwanderung gibt. Das ist natürlich Blödsinn.
Nur wenn die Sozialdemokratie dem entschlossen entgegentritt gewinnt sie an Glaubwürdigkeit.
Mir scheint der dänische Druck zur Integration für den sozialen Frieden im Land erfolgreicher als das schwedische Laissez-faire, das zu von Jugendbanden beherrschten Vororten geführt hat. Gibt es denn xenophobe Äußerungen dänischer sozialdemokratischer Spitzenpolitiker? Einwanderung zu regulieren ist ja nicht per se xenophob, sondern eher eine Barriere gegen Xenophobie.
Und natürlich muss Scholz Erfolge liefern, sonst ist's mit dem Burgfrieden in der SPD schnell wieder vorbei. Spannend wird auch, wie sich das Verhältnis zu Russland entwickelt und inwieweit Scholz hier deutsche Eigeninteressen gegenüber amerikanischen behaupten kann.
Vom Jugendbanden beherrschte Vororte? Kennen Sie die Geschichte von dem Kinderspielplatz in Schweden, den normale Bürger sich angeblich nicht mehr zu besuchen trauten? Journalisten sind zur Überprüfung dieser Topstory hingefahren und fanden einen ganz normalen Spielplatz mit Müttern und Kindern, die allerdings nicht alle blond und blauäugig waren. Alles war nur Fake News, wie ihre von Jugendbanden beherrschten schwedischen Vororte.
Nun, dann verbreitet der öffentlich-rechtliche Rundfunk Fake-News, wie in diesem Beitrag Schwedens Bandenproblem gerät außer Kontrolle. Es geht um Vororte, Schüsse, tote und schwerverletzte Kinder und Jugendliche. Nach weiteren Artikeln zu suchen, um anonyme Anwürfe von der Seite abzuwehren, ist mir meine Zeit zu schade, da im Hintergrund Doctor Who läuft. Den von Ihnen genannten ungefährlichen Spielplatz gibt es vermutlich. Auf anderen Spielplätzen schießen halt Gangs.
Ich schreibe das, damit Ihre offenbar ideologisch geprägte Meinung nicht durch fehlenden Widerspruch richtig erscheint.
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