«Im Namen des Fortschritts sind fürchterliche Dinge angerichtet worden»

Was ist Fortschritt? Wie funktioniert sozialer Wandel? Und was braucht es, damit sich Veränderung zum Besseren durchsetzt? Ein Gespräch zum Jahreswechsel mit der Philosophin Rahel Jaeggi.

Von Daniel Graf (Text) und Luis Mazón (Illustration), 02.01.2024

Vorgelesen von Regula Imboden
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Frau Jaeggi, soeben ist Ihr Buch «Fortschritt und Regression» erschienen, an dem Sie viele Jahre gearbeitet haben. Wie schwer fällt es Ihnen, nach einem so düsteren Jahr über Fortschritt zu sprechen?
Ja, es ist tatsächlich keine besonders lustige Bemerkung, wenn ich jetzt sagen muss: Seit ich begonnen habe, mich mit dem Thema zu befassen, hat die Welt sich nicht gerade zum Besseren entwickelt. Sondern ziemlich rasant zum Schlechteren. Allerdings nehme ich mit dem Buch auch gar nicht in Anspruch, ein Urteil über die gegenwärtige welt­geschichtliche Situation zu treffen. Sondern ich beschäftige mich zunächst einmal mit den Begriffen: Was ist eigentlich Fortschritt und was ist Regression, und sind diese Begriffe oder Narrative überhaupt noch tauglich, um besser zu verstehen, was wir durchleben.

Nun ist zumindest «Fortschritt» auch ein Alltags­begriff, mit dem wir ständig hantieren. Nach land­läufigem Verständnis könnte man vielleicht sagen: Fortschritt ist die Veränderung hin zum Besseren. Wären Sie damit einverstanden?
Auf den ersten Blick ist das sicherlich so. Ich würde trotzdem modifizieren und sagen, wir sollten Fortschritt nicht mit Blick auf ein bestimmtes Ziel, sondern als einen Lern- und Erfahrungs­prozess beschreiben. Noch genauer: als einen sich anreichernden Erfahrungs­prozess.

Wie muss man diese Anreicherung verstehen?
Fortschritt ist so etwas wie eine kompetentere Form der Problem­lösung. Die gesellschaftlichen Lern- und Erfahrungs­prozesse werden hervor­gerufen von Problemen und Krisen. Gesellschaften sind permanent damit beschäftigt, Probleme zu lösen. Und die Krisen, in die sie geraten, zeichnen sich dadurch aus, dass die gewohnten Problem­lösungs­mechanismen nicht mehr greifen, sondern man den Rahmen überdenken muss, in dem man diese Probleme löst. Es geht also um die Bewältigung von Krisen, die die Gesellschaft selbst erzeugt hat. Das geht nur durch einen Lernprozess, der sich ständig mit Erfahrungen anreichert und die eigene Reflexivität erweitert.

Also muss die Gesellschaft Erfahrung sammeln und Trial-and-Error-Modi durchspielen?
«Trial and Error» ist ein gutes Stichwort. Ich will weg von der Vorstellung, Fortschritt sei so ein selbst­läufiger, fast schon automatischer Prozess einer Entwicklung; weg von der Vorstellung, dass sich da welt­geschichtlich etwas entfaltet, was ohnehin angelegt war. In der Alltags­vorstellung ist Fortschritt in der Regel mit einem konkreten Ziel verbunden: Man müsse ja genau wissen, wohin, so wie man beim Berg­steigen immer den Gipfel­punkt vor Augen hat. Mein Ansatz hingegen ist es, zu sagen, wir sollten Fortschritt nicht als Fortschritt «hin zu» einem bestimmten Ziel denken, sondern als Fortschritt «weg von» einem bestimmten Problem oder Missstand. Wir können nicht immer schon genau voraus­sehen, was die Effekte von bestimmten Schritten sein werden. Das Entscheidende ist dann das Reflexions­vermögen, um bei dieser Trial-and-Error-Methode nicht einfach nur immer weiter vor sich hin zu stolpern.

Zur Person

Rahel Jaeggi, 1966 in Bern geboren, ist seit 2009 Professorin für Praktische Philosophie, Rechts- und Sozial­philosophie an der Berliner Humboldt-Universität. Seit 2018 leitet sie zudem das dortige Centre for Social Critique, das sich den gegenwärtigen Krisen von Demokratie und Kapitalismus widmet. Als Gast­professorin lehrte sie unter anderem an der Yale University, New Haven, an der Fudan University in Shanghai und an der New School for Social Research in New York. Sie gilt als zeitgenössische Vertreterin der Kritischen Theorie. Zu ihren Publikationen gehören unter anderen «Kapitalismus. Ein Gespräch über kritische Theorie» (mit Nancy Fraser) und «Kritik von Lebensformen». Soeben erschien ihr Buch «Fortschritt und Regression» im Suhrkamp-Verlag.

«Fortschritt» ist ein Leitbegriff des europäischen 18. Jahrhunderts. Wenn Menschen ausserhalb der westlichen Welt das Wort «Fortschritt» hören, klingt in ihren Ohren womöglich so etwas wie Ausbeutung und Unter­drückung mit.
Die einstige Fortschritts­euphorie, dass alles immer besser werde, weil wissenschaftlicher, technischer und politisch-moralischer Fortschritt ineinander­greifen, hat sich überholt. Aber es ist eben nicht nur so, dass die Narration nicht mehr stimmt, weil sie sich als Trugschluss erwiesen hat. Sondern im Namen des Fortschritts sind fürchterliche Dinge angerichtet worden. Im Namen des Fortschritts haben westlich-imperialistische Kräfte den angeblich rückschrittlichen Gesellschaften brutale Ausbeutung und Gewalt aufgezwungen, um ihnen angeblich zum Besseren zu verhelfen. Begriffe wie Fortschritt oder Emanzipation sind immer wieder dazu benutzt worden, die Gewalt­geschichte der westlichen Expansion zu überdecken. Insofern sind das auch die gewalt­vollsten Begriffe der Weltgeschichte, an denen gewissermassen Blut klebt. Das Blut derer, die man in den «Wartesaal der Geschichte» verbannt hat …

… eine Metapher von Dipesh Chakrabarty.
Und eine, die ich besonders geglückt finde. Wenn man sich heute das Entwicklungs­narrativ des Früh­aufklärers Turgot ansieht, dann ist das irgendwo zwischen komisch und grauenvoll. Die Menschheit als ganze, schreibt Turgot, würde sich genauso wie jeder einzelne Mensch von der Kindheit bis zur Erwachsenen­reife entwickeln. Wenn man mit dieser Vorstellung auf andere Gesellschaften blickt, die nicht mit denselben Technologien umgehen, nicht dieselben Praktiken und wissenschaftlichen Traditionen haben, dann ist es ein kurzer Weg zur Behauptung: «Ihr lebt nicht einfach anders, sondern ihr seid rückständig; wir helfen euch dabei, euch zu entwickeln, damit ihr so werdet wie wir. Und das tun wir dann zum Teil, indem wir eure Lebens­weise zerstören und euch ausrotten.» So ist es kolonial­geschichtlich ja auch passiert.

Wie lässt sich dann heute noch plausibel dafür argumentieren, dass der Begriff dennoch hilfreich sein kann?
Man muss diese Idee, dass sich die ganze Menschheit entlang eines einzigen und für alle gleichen Modells entwickelt, endlich aufgeben. Wir brauchen stattdessen einen multiplen Fortschritts­begriff, der von ganz unter­schiedlichen Fortschritts­prozessen ausgeht und solche Prozesse dennoch als Fortschritt auffassen und bewerten kann.

Nicht eine Linie, sondern viele Prozesse.
Ja, und nicht eine Anzahl vordefinierter Stufen, die erreicht werden müssen. Das ist genau das, was ich mit meinem Anreicherungs­modell des Fortschritts versuche: Es gibt ganz unterschiedliche Ausgangs­positionen. Gesellschaften sind immer mittendrin im Problem­lösen, sie befinden sich im Grunde immer in einer Krisen­dynamik. Krise ist also gar nicht immer etwas Schlimmes. Manchmal sind die Krisen eben das, was die Art von Revolution hervorruft, die nötig ist, um die Dinge zu einem Besseren zu führen. Dabei gibt es aber welthistorisch eine Vielfalt solcher Prozesse, die man nicht von ihrem Ergebnis her gegeneinander­stellen und beurteilen kann.

Können Sie ein Beispiel geben?
Nehmen Sie die zunehmende Einsicht in die Fluidität von Geschlechts­konstruktionen, also die Idee: Geschlecht ist ein Spektrum, es gibt vielleicht mehr als nur zwei. Weil sich diese Erkenntnis gegen harte Widerstände langsam durchsetzt, gibt es jetzt in manchen Behörden Formulare, wo man als Geschlecht «divers» angeben kann. Nun gibt es aber viele, vor allem ausser­europäische Gesellschaften, die traditionell mehr als zwei Geschlechter kennen und deren gesamte Lebens­praxis, Rituale, Wert­vorstellungen, zum Teil auch kosmologisch-religiöse Vorstellungen noch nie von der Zwei­geschlechtlichkeit ausgegangen sind. Sind die jetzt fortschrittlicher als wir? In gewisser Hinsicht vielleicht. Trotzdem würden wir nicht denken, der Prozess, den wir durchgemacht haben, um auf die Idee zu kommen, dass Geschlecht ein Spektrum ist, sei ein nachholender gegenüber dem, was diese Gesellschaften schon immer gewusst haben.

Manche Probleme des Fortschritts­begriffs scheinen mit dazugehörigen Denkbildern zu tun zu haben. Warum die Vorstellung einer einheitlichen Entwicklungs­linie problematisch ist, haben Sie eben erläutert. Es gibt aber auch andere Denkbilder, zum Beispiel das Bild des sich erweiternden Kreises. Danach bedeutet Fortschritt: Der Kreis derer, die bestimmte Rechte haben, wird grösser. Also: Die Ehe war früher hetero­normativ, jetzt gibt es die Ehe für alle. Diese Erweiterungs­these hin zu mehr Inklusion hat auf den ersten Blick Plausibilität. Warum ist sie trotzdem problematisch?
Weil man dabei davon ausgeht, dass die Prinzipien selber sich nicht ändern. Die Denkfigur ist: Wir haben zum Beispiel schon eine bestimmte Vorstellung von Gleichheit oder von dem, was wir anderen Personen schulden. Aber es zählen eben nicht alle überhaupt als Personen. Zu unterschiedlichen historischen Zeitpunkten zählten zum Beispiel Frauen, Sklavinnen, Kinder oder Besitzlose nicht. Fortschritt als Erweiterung des Kreises zu verstehen, bedeutet dann, dass Schritt für Schritt diejenigen, die sich bisher gar nicht im Kreis der moralisch relevanten Personen befunden haben, zu diesem dazugezählt werden. Das hat oft etwas Hoheitliches: Wir lassen die jetzt auch rein. Aber selbst wenn man einsieht, dass da nicht einfach grosszügig etwas zugestanden wurde, dass vielmehr welt­geschichtlich die vorher ausgeschlossenen Gruppen heftig an die Mauern haben trommeln und klopfen müssen, bevor man sie reinliess; selbst wenn man erkennt, dass es konflikthafte Auseinander­setzungen gebraucht hat, um diese Fortschritte zu erzielen – dann bleibt trotzdem der Denkfehler, zu glauben, die Prinzipien selbst blieben dabei dann unverändert. Also: Wir haben schon, was normativ richtig ist, jetzt dehnen wir es auf andere aus. Der Kreis wird grösser, aber er ändert seinen Charakter nicht.

Und Sie würden zum Beispiel bei der Ehe für alle sagen: Es hat sich eben auch das gesellschaftliche Verständnis von Ehe geändert.
Genau. Das ist nicht einfach ein Eintreten in eine Institution, die dann gleich bleibt. In dem Moment, wo man sagt: «Ehe für alle», sagt man auch, Elternschaft ist nicht mehr biologisch gebunden, Geschlecht ist nicht biologisch festgelegt und so weiter. Da verändern sich Praktiken und Institutionen in einer Art und Weise, die mehr bedeutet als die Erweiterung des Kreises derer, die mitmachen dürfen. Nur das ist der wirkliche Fortschritt, dass die Gesellschaft diesen Veränderungs- und Lernprozess durchmacht und dem Einzelnen die eigene Lebens­praxis auch ein Stück weit in einem anderen Licht darstellt. Unser normatives Verständnis davon, was Gleichheit eigentlich heisst, reichert sich an. Und die reine Erweiterungs­idee leugnet eben diese entscheidende qualitative Veränderung auch der Prinzipien selbst, nicht nur ihres Einzugsbereichs.

Was bedeutet das für unser Verständnis von sozialem Wandel?
Wenn wir von Fortschritt reden, sprechen wir eben nicht nur davon, wie etwas sein soll. Wir müssen uns das Moment dieses Fort-Schreitens, des Wandels selber, anschauen und fragen, wie dieser Prozess funktioniert. Natürlich könnte man sagen: Ich weiss, was das Ziel ist, und jetzt geht es darum, das Engagement, den Mut, den Verstand aufzubringen, Dinge beim Namen zu nennen und zu verändern. Genau das braucht es auch. Aber viele glauben, man muss halt irgendwie an dieses Ziel kommen und der Weg dorthin fügt dem gewisser­massen nichts hinzu. In meiner Konzeption kommt auf dem Weg aber sehr viel hinzu.

Können Sie das an einem Beispiel erläutern?
Zunächst: Gesellschaftliche Veränderungen geschehen die ganze Zeit aus allen möglichen Gründen. Fortschritt ist so etwas wie Wandel innerhalb dieses Wandels. Oder der Versuch, die Veränderung zu verändern. Und dieser Wandel hängt stark von den umgebenden Bedingungen ab. Zum Beispiel der Umstand, dass Vergewaltigung in der Ehe unfassbar spät sanktioniert worden ist. Rein strafrechtlich war in Deutschland Vergewaltigung bis in die 1990er als «ausser­ehelich erzwungener Geschlechts­verkehr» definiert. In der Praxis führte das dazu, dass Vergewaltigung in der Ehe, wenn es nicht zu schweren Körper­verletzungen kam, kaum jemals geahndet worden ist. Es gibt sie ja quasi schon per Definition nicht, weil in der Ehe eben in dieser Hinsicht alles erlaubt zu sein schien. Jedenfalls dem Mann.

Es war in früheren Zeiten ja sogar umgekehrt ein Recht des Mannes, bei «Verweigerung» der sogenannten «ehelichen Pflichten» die Ehe aufzulösen.
Genau, es war das Recht des Mannes, die Frau auch zu ihren «ehelichen Pflichten» zu zwingen. Und der spannende Punkt ist jetzt vielleicht weniger, dass wir gutheissen, dass sich das geändert hat, denn das setze ich jetzt mal voraus. Sondern die interessante Frage ist: Wie konnte man über Generationen hinweg das Skandalöse daran gar nicht sehen? Wie kommt eine Situation zustande, in der das gar nicht wirklich skandalisierbar war? Es war ja nicht so, dass die Frauen früher darunter nicht gelitten hätten. Das haben sie natürlich, dafür haben wir viele Zeugnisse. Aber das klare Bewusstsein davon, dass das, was mit mir geschieht, nicht nur etwas ist, das mich verletzt, kränkt, zerstört, sondern auch ein Unrecht, etwas, das nicht sein soll – dieses Bewusstsein und die entsprechende Empörung ist in einem bestimmten gesellschaftlichen Rahmen, in dem Ehe­verhältnisse gesehen worden und begrifflich beschrieben worden sind, gar nicht aufgekommen. Und um das zu verstehen, muss man sich angucken, was eine bestimmte gesellschaftliche Praxis – diejenige, die aus heutiger Sicht verwerflich ist – eigentlich für angrenzende Praktiken, für Nachbar­praktiken hat.

Welche wären das hier?
Zum Beispiel der Umstand, dass Männer eben auch über das Vermögen der Frauen verfügt haben oder deren Arbeits­verträge einseitig auflösen durften. Oder Frauen überhaupt erst die Männer fragen mussten, wenn sie einen Arbeits­vertrag unterschrieben haben. Das kann man sich heute überhaupt nicht mehr vorstellen. Aber all das waren benachbarte Praktiken, zwischen denen es einen Zusammen­hang gibt. Da ist zum einen also die Ehe als ökonomische Institution, in der es keine Autonomie für die Frau gab. Dazu gehörte aber auch ein bestimmtes Verständnis von Sexualität, demzufolge Frauen per se passiv oder erleidend sind, sodass Leiden durch Gewalt auch nur noch ein kleiner Schritt weiter ist. All diese gesellschaftlich geprägten Vorstellungen spielten zusammen. Ähnlich war es mit dem Schlagen von Kindern. Wenn das Ganze eingebettet ist in ein ganzes Konzept von Kindheit, demzufolge die Kinder gewisser­massen Barbaren sind, die wir erst durch disziplinierende Erziehungs­massnahmen zu richtigen Menschen machen müssen, dann war das Schlagen von Kindern, das, was wir jetzt zu Recht als unfassbar grausam auffassen, etwas, wovon manche Eltern mit bestem Gewissen geglaubt haben, es ihren Kindern quasi schuldig zu sein. In dem grossartigen Film «Das weisse Band» ist das sehr gut nachzuvollziehen.

Fortschritt entsteht also, wenn sich nicht nur eine einzelne Praxis, sondern ein ganzes Set von Praktiken und Lebens­formen verändert – und deshalb muss man sich immer auch die herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse im Ganzen ansehen?
Die gesellschaftlichen Verhältnisse, ja, aber auch das, was ich die materielle Dimension nenne. Um mal ein ganz banales Beispiel zu nennen: die Erfindung der Schreib­maschine. Es gibt ja ein ganzes Genre von Angestellten­romanen, Irmgard Keuns «Das kunstseidene Mädchen» zum Beispiel oder auch das, was Sie jetzt in «Babylon Berlin» vorgeführt bekommen: Auf einmal gab es durch die Schreib­maschine eine Sorte von neuen Beschäftigungs­verhältnissen, die Frauen offen­standen. Auf einmal gab es Jobs, durch die man als unabhängige junge Frau in solche Büros eintreten und als Sekretärin arbeiten konnte.

Sie wollen sagen, die Schreib­maschine war ein Treiber der Frauen­emanzipation, auch wenn sie gar nicht zu diesem Zweck erfunden worden ist?
Genau. Bestimmte Technologien bringen Veränderungen hervor, die sich dann mit anderen Entwicklungen zusammenfügen können. Natürlich braucht man dann immer noch eine Frauen­bewegung! Aber was ich sagen will: Es gibt immer auch Veränderungen auf breiterer gesellschaftlicher Ebene. Die Pille ist ein anderes sehr gutes Beispiel. Oder Krieg. Nach dem Zweiten Weltkrieg, wo am Ende die Frauen die Trümmer beiseite­räumen mussten, gab es diese extrem konservativen Bestrebungen in den 50er-Jahren, als man die Frau im Film, in der Werbung und überall wieder extrem propagandistisch als Heimchen am Herd inszenierte. Das war eine regelrechte Rückhol­bewegung. Weil es im Chaos der letzten Kriegs- und ersten Nachkriegs­zeit gar nicht anders möglich gewesen war, als den Frauen weit über das bisherige Mass Verantwortung zu übertragen, kam es danach zum Rollback.

Wenn immer auch die gesellschaftlichen Rahmen­bedingungen eine grosse Rolle spielen: Was bedeutet all das für emanzipatorische Bewegungen?
Zunächst einmal, dass man als soziale Bewegung sich diese Zusammen­hänge klarmachen muss. Man muss wissen, dass man in einem Feld agiert, in dem man bestimmte Bedingungen vorfindet, die man sich ja auch zunutze machen kann. Es gibt manchmal das Missverständnis, man müsse nur lange genug Aufklärungs­arbeit leisten und dann komme der moralische Fortschritt schon irgendwann. Das hat auch die evolutionär gesinnte Sozial­demokratie mal geglaubt, und Walter Benjamin hat sie schwer dafür gescholten und gesagt, genau diese Vorstellung, dass man nur wie der Fisch im Wasser schwimmen müsse, sei der grosse Irrtum der Sozial­demokratie. Also zweierlei: Natürlich muss man sich von der Vorstellung freimachen, dass Fortschritt auch geht, ohne dass wir etwas dafür tun. Aber die Vorstellung, dass wir es einfach nur stark genug wollen müssen, ist eben auch falsch. Ob und wie sich moralischer Fortschritt gesellschaftlich durchsetzt, hängt immer auch von nicht moralischen Faktoren ab.

Kommen wir auf das Thema Sklaverei zu sprechen. Auch hier war ganz offensichtlich der gesellschaftliche Wandel so stark, dass wir heute überhaupt nicht mehr verstehen, wie man das jemals hat akzeptieren können. Wie kann man rückblickend erklären, warum das nicht schon früher als absolut indiskutabel betrachtet wurde?
Das ist ein sehr komplexer, gleichzeitig auch gut untersuchter Fall. Eine meiner Lieblings­philosophinnen, Elizabeth Anderson, kommt in einem Vortrag auf den Kapitän eines Sklaven­schiffs zu sprechen, ein historisch überlieferter Fall. Dieser Kapitän und Sklavenschiff­besitzer hat Tagebuch über sein Leben als guter Christ geführt.

Also jemand, der durchaus nach einer bestimmten Moral­vorstellung lebt.
Er gibt minutiös darüber Auskunft, wann er wieder gegen Gottes Gebote verstossen und solche Sünden begangen hat wie gottes­lästerlich zu fluchen. Offenbar also jemand, der nicht einfach nur macht, was er macht, sondern der auch Skrupel hat. Aber interessanter­weise keinerlei Skrupel, dass die Menschen im Unterdeck seines Schiffs brutalst versklavt worden sind, dass bei diesen Überfahrten Gewalt geherrscht hat, an der viele gestorben sind, und dass er die Menschen, die er auf seinem Schiff misshandelt, ausserdem einem Schicksal zuführt, in dem die Misshandlung weitergeht. Also alles Taten, die maximal davon entfernt sind, irgendeiner Art von christlicher Vorstellung gerecht zu werden.

Wie kann man sich das erklären?
Die klassische Erklärung wäre jetzt wieder die mit dem erweiterten oder nicht erweiterten Kreis: Für diesen Kapitän waren die Sklaven eben gar keine Personen, auf die er seine christlichen Werte hätte anwenden müssen. Moralischer Fortschritt besteht in dieser Theorie dann darin, dass sich der Kreis derer, die als Menschen behandelt werden, erweitert. Aber die zentrale Frage ist doch: Schauen wir bei diesem moralischen Fortschritt nur einem Erkenntnis­prozess zu oder ist das mehr? Und ich würde sagen, es ist mehr. Es ist ein gesellschaftlicher Transformations­prozess, in dem auch verschiedene Spannungen und Wider­sprüche auftauchen.

Können Sie das ein wenig ausführen?
Die westliche Geschichts­schreibung handelte ja lange vor allem von den heldenhaften weissen Abolitionistinnen, die irgendwann festgestellt haben, dass das, was sie da tun, im Widerspruch zu ihren Überzeugungen und den Werten ihrer Religion steht. Der Prozess der Bewusst­werdung ging ja aber stark von den Widerstands­kämpfen der Sklaven selbst aus. Und wenn man sich deren Zeugnisse ansieht, sieht man auch die ganzen Wider­sprüche in den Positionen der Sklaven­halter. Und in all das spielten auch gesellschaftliche Auseinander­setzungen um den Stellenwert der Arbeit hinein. Der Philosoph Kwame Anthony Appiah hat in seinem Buch über moralische Revolutionen die These aufgestellt, erst die grössere Wertschätzung der Arbeit im Laufe des 19. Jahrhunderts habe dazu beigetragen, dass unter weissen industriellen Arbeiterinnen Bewegungen der Solidarität mit den Sklavinnen entstanden. Die gesellschaftlich erkämpfte Anerkennung des Werts von Arbeit konnte irgendwann dann auch den Sklaven nicht mehr ganz vorenthalten werden. Und natürlich hat sich auch die Arbeit selbst, haben sich ökonomische Bedingungen zusammen mit politischen Bedingungen verändert. Es ist eine Vielzahl solcher Dynamiken, die dazu beiträgt, dass der gesellschaftliche Veränderungs­druck steigt. Lebens­formen verändern sich auch deshalb, weil sich materielle Bedingungen verändern.

Was, glauben Sie, werden die bei uns heute akzeptierten Praktiken und Lebens­formen sein, die für spätere Generationen genauso skandalös und unverständlich sein werden wie für uns heute der Gedanke an die Sklaverei?
Hoffentlich der Umstand, dass wir Flüchtende im Mittelmeer ertrinken lassen. Natürlich finden auch jetzt schon viele Menschen, dass das nichts Gutes über Europa aussagt. Und dass es eigentlich nicht haltbar ist, wie wir hier leben. Das lässt vielleicht ein bisschen darauf hoffen, dass man in nicht allzu ferner Zeit sagen wird, wie absolut illusorisch und irrsinnig die Vorstellung war, man komme dieser Situation mithilfe von Grenz­verschärfungen bei. Das wäre das eine.

Und das andere?
Meine vegetarisch-veganen Freundinnen würden wahrscheinlich sagen: Der Umstand, dass du jetzt immer noch so glücklich dein Steak auf dem Teller hast, wird dir wahrscheinlich noch in deiner Lebenszeit einmal ein ähnliches Gefühl bereiten. Das ist tatsächlich eine Frage, die ich mir manchmal stelle. Werde ich mich in zehn Jahren fragen: Wie konntest du das noch so lange machen? Ich glaube, unser Umgang mit der Natur wird sich ändern müssen. So, dass uns die heutige Vernutzung und Über­ausbeutung hoffentlich irgendwann nicht nur als dysfunktional, sondern auch als falsch erscheinen wird, ohne dass wir dabei in eine romantische Wieder­verzauberung der Natur zurückfallen.

Kommen wir noch zum zweiten grossen Begriff Ihres Buchtitels. Das Buch heisst ja nicht «Fortschritt und Rückschritt», sondern eben «Fortschritt und Regression». Warum?
Weil ich glaube, dass man das unterscheiden muss. Regression ist nicht einfach Rückschritt.

Sondern?
Regression ist nicht einfach nur Veränderung zum Schlechteren, sondern ein verhinderter, ein blockierter Erfahrungs­prozess. Eine blockierte, irregeleitete, illusionäre Dynamik. Rückschritte sind zum Beispiel, wenn bestimmte Rechte erkämpft und institutionalisiert worden sind, und das wird dann rückgängig gemacht. Also: Obama führt eine Kranken­versicherung oder wenigstens Ansätze davon ein in einem Land, in dem man glaubt, dass Kranken­versicherung eigentlich schon Kommunismus ist. Dann kommt Trump und macht das rückgängig. Man könnte sich aber vorstellen, dass man das auch wieder neu erkämpfen kann.

Also Rückschritt, aber noch keine Regression.
Genau. Oder man hat festgestellt, dass bestimmte ältere Apfel­sorten, die nicht mehr kultiviert worden sind, eigentlich unglaublich gut schmecken, und baut sie wieder an. Oder die Land­wirtschaft greift unter ökologischen Gesichts­punkten wieder auf bestimmte Prinzipien des Wirtschaftens zurück ...

Da wäre dann Rückschritt sogar etwas Gutes?
Ja, weil es eine Reflexion darüber gegeben hat, in welche Lage uns bestimmte industrielle Anbau­methoden gebracht haben und welche Wirkung das für Mensch, Tier, Natur hat. Auch Nostalgie kann man vielleicht manchmal ein bisschen albern finden, aber auch das ist noch keine Regression.

Sondern Regression bedeutet?
Dass Krisen nicht adäquat adressiert und thematisiert werden und nicht aus ihnen gelernt werden kann. Im Unterschied zum konservativen Beharren soll da nicht einfach nur irgendetwas unverändert bleiben, vielmehr ist Regression auch eine vorwärts­gerichtete Dynamik. Ein gutes Beispiel dafür ist der Faschismus. Für die Vertreter der Kritischen Theorie, der ich mich philosophisch ebenfalls zugehörig fühle, also für Horkheimer, Adorno, Benjamin und andere, war es ganz bezeichnend, dass sie Faschismus nicht nur als das absolut Böse, sondern auch als Regression aufgefasst haben. Es gibt von Walter Benjamin den prägenden Satz: Das Staunen darüber, dass die Dinge, die wir erleben, heute noch möglich sind, dieses Staunen sei «kein philosophisches». Womit er sagen wollte: Wer über das Aufkommen des Faschismus erstaunt war, hatte ein völlig falsches Geschichts­verständnis und ein falsches Verständnis von Fortschritt. Denn die Regression – das haben Horkheimer und Adorno ja dann in der «Dialektik der Aufklärung» gezeigt – war schon im Fortschritts­prozess selbst angelegt. Man muss also fragen, welche regressiven Tendenzen waren schon vorher die ganze Zeit da, als man sich noch im Fortschritt wähnte. Und entsprechend kann es nicht nur um die Erhaltung des Status quo gehen; auch nicht, wie beim einfachen Rückschritt, um die Wieder­herstellung des vorherigen Zustands.

Es geht also um so etwas wie die innere Verfasstheit einer Gesellschaft.
Die innere Verfasstheit einer Gesellschaft, die zu Erfahrungs­blockaden führt. Um nochmals auf Adorno zurück­zukommen: Adorno hat die Regression einen «Verrat am Möglichen» genannt. Das ist ein Gedanke, den er in Bezug auf Musik formuliert hat, aber das sind ja bei ihm auch immer gesellschafts­theoretische Begriffe. Regression in diesem Sinne ist dann nicht Rückschritt, sondern die Verweigerung dessen, was wir eigentlich erreichen könnten, ein Verrat an den Potenzialen, die wir eigentlich gesellschaftlich entfalten könnten. Regression verhindert das, was möglich wäre, wenn wir frei und selbstbestimmt unsere gesellschaftlichen Verhältnisse gestalten und auf Krisen angemessen reagieren würden.

Schon in den letzten Jahren hat «Regression» als politischer Begriff wieder eine Renaissance erfahren. Das Buch «Die grosse Regression» zum Beispiel erschien 2017 unter dem Eindruck von Trump, AfD, Brexit, dem Aufstieg der autoritären Rechten weltweit und der Krise der Demokratie. Wo hilft der Begriff ganz konkret, um unsere heutige Gegenwart zu analysieren?
Interessant ist, dass der Fortschritts­begriff mittlerweile ein bisschen altbacken wirkt, während Regression in aller Munde ist – spätestens seit dem Erstarken der rechtspopulistisch-autoritären, präfaschistischen Bewegungen. Es war einer der Impulse für mein Buch, zu sagen: Moment, das geht aber nicht, nur von Regression zu sprechen ohne den Fortschritts­begriff, denn das eine ist eben die Rückseite des anderen. Und im Unterschied zum Konservatismus ist Regression immer auch nach vorn gerichtet. Der Soziologe Oliver Nachtwey hat in diesem Kontext von «regressiven Rebellen» gesprochen. Die regressiven Bewegungen wollen nicht einfach nur Stillstand. Sie gehen auf die Strasse, sie mobilisieren, sie arbeiten aktiv daran, Transformations­dynamiken zurück­zudrängen. Und sie arbeiten mit Sündenbock-Motiven. Nehmen wir mal den Hass auf das, was sie «Gender­ideologie» nennen. Dahinter steht ja nicht einfach ein konservatives Familienbild, sondern dieser Hass ist eine aggressive Reaktion auf Veränderungen in der Gesellschaft. Bestimmte Bevölkerungs­gruppen werden zu Sünden­böcken gemacht für das eigene Leiden an den Krisen unserer Gesellschaft. Regressionen sind also verhinderte Lern- und Erfahrungs­prozesse, verhinderte Mitwirkung an Veränderungen, die sich ohnehin ergeben.

Die demokratie­feindliche und autoritäre Entwicklung der vergangenen Jahre hat sich ja noch zugespitzt. In Ländern weltweit lassen sich Verschiebungen nach rechts beobachten. Selbst eine Trump-Wiederwahl ist eine durchaus realistische Option. Warum ist es nicht gelungen, die antidemokratische Regression einzudämmen?
Obwohl diese Bewegungen sich ähneln, auch in ihren Feind­bildern, gibt es da sicher unterschiedliche Erklärungen für unterschiedliche Länder. Möglicherweise aber gilt generell, dass man sich zu sehr darauf konzentriert hat, das schon Erreichte zu erhalten, also die liberale Demokratie gegen diese Regressions­momente und die Autoritären zu verteidigen. Wenn man aber nicht zugleich den Weg nach vorn in die Emanzipation geht, dann kann man noch nicht mal das erhalten, was man hatte. Ich schliesse mein Buch ein bisschen provokativ mit Rosa Luxemburgs Formel «Sozialismus oder Barbarei». Auch dies war in einer Zeit gesprochen, die von massiv regressiven Tendenzen jeder Art geprägt war. Was sie damit meinte, ist nicht einfach: Es gibt diese beiden Alternativen, und ihr könnt die eine oder die andere wählen oder alles beim Alten lassen. Sondern die Aussage ist: Wenn man nicht bereit ist, eine grundlegende Transformation vorzunehmen und in einer massiven Krisen­situation die Probleme an der Wurzel zu fassen, hat man eigentlich nichts in der Hand, und dann eben droht die Barbarei.

Das sehen Sie heute auch wieder?
Im Grunde ist es genau das, was in Deutschland die CDU macht: sich immer mehr anzugleichen an die Forderungen von Rechts­aussen und den ganzen Anti-Migrations-Diskurs mitzumachen. Damit legitimiert man nur die regressiv-rechtsautoritäre Agenda. Die funktioniert ja vor allem über die zwei grossen Themen: gegen die Migration und gegen Queerness. Es geht also sozusagen gegen den Fremden und die andere – weil es in diesen Bereichen im Moment zeitgenössische emanzipatorische Diskurse gibt. Natürlich muss man die Autoritären genau dort auch attackieren, und wenn sie gegen queere Rechte, gegen Geflüchtete und gegen Migranten vorgehen, muss man sich schützend davorstellen. Aber man muss eben auch die Vision einer emanzipativen Trans­formation anbieten und vorantreiben.

Nun erleben wir derzeit eine Mehrfach­krise, und die einzelnen Krisen scheinen Aufmerksamkeit voneinander abzuziehen. Die Menschen in der Ukraine sind in Sorge, wegen des Krieges in Nahost vergessen zu werden. Durch beide Kriege, die aktuell die Welt­öffentlichkeit in Atem halten, und vorher durch die Pandemie ist wiederum die Klimakrise als Haupt­thema abgelöst worden. Bedeutet der Lern- und Erfahrungs­prozess, von dem Sie sprechen, für die Gegenwart, wir müssen eine Art von Polykrisen-Kompetenz ausbilden?
Ganz bestimmt. Und der sich anreichernde Erfahrungs­prozess müsste dazu führen, dass wir nicht eine Krise gegen die andere ausspielen. Wir brauchen ja leider gar nicht mehr so viel Fantasie, um uns vorzustellen, was es an sozialen Verwerfungen geben wird, wenn die Klimakrise so weitergeht wie bisher. Und sich dann hinzustellen und zu sagen, wir machen jetzt aber mal wieder auf national, wie das in Deutschland jetzt ausser der AfD auch die Wagenknecht-Fraktion macht … Es ist natürlich eine regressiv-illusionäre Position, zu glauben, dass man so einfach lösen kann, was global miteinander verflochten ist.

Von welchem möglichen Fortschritt erhoffen Sie sich, dass er 2024 endlich so etwas wie einen spürbaren Durchbruch erlebt?
Ich muss gestehen, im Moment bin ich wirklich nicht sehr hoffnungsvoll. Man hätte hoffen können, dass es wenigstens bei der Klimakrise endlich mal spürbare Fortschritte gibt. Aber wenn ich sehe, dass jüngst beim globalen Klima­gipfel die Ölstaaten eine besonders prominente Rolle spielen, dann kann ich nur sagen: Die Regressions-Skala schlägt nach oben aus bis jenseits der Messwerte. Noch während der Pandemie hat man hoffen können, dass die Vermarktlichung aller Grund- und Lebens­güter wie Gesundheit, Arbeit, Bildung ein wenig zurück­gedrängt wird. Es ging ja bis hin zu Macron, dass er gesagt hat, vielleicht ist der Markt nicht der richtige Ort, um Gesundheit zu liefern. Und ich dachte, jetzt könnte sich mal die Einsicht durchsetzen, dass bestimmte Güter nicht marktförmig behandelt werden dürfen, sondern vergesellschaftlicht werden müssen. Aber das ist ja alles überhaupt nicht passiert. Ich bin übrigens auch nicht so ein Hoffnungsfan, weil ich finde, das gehört eher in die Kirche. Aber natürlich muss man für eine realistische Hoffnung das Gefühl haben, dass da gerade ein Potenzial ist; dass etwas auf Veränderung hindrängt. Im Moment denke ich bei so vielem, das wird immer nur schlimmer. Aber ich möchte Ihnen das jetzt gar nicht zum Jahres­wechsel so als depressive Note mitgeben.

An wen oder was halten Sie sich denn, wenn es ganz düster wird?
(überlegt)

Auch an die Philosophie?
Ich würde schon sagen, das hilft manchmal. Literatur sowieso auch. Und Arbeit. Wenn man wirklich Dinge durchdenken und sie wenigstens irgendwie fassbar machen kann. Dann gibt es noch die sozialen Bewegungen, die auf konkrete Veränderungen hinwirken; die, auch wenn die Konjunkturen der Aufmerksamkeit sehr schwankend sind, an gut begründeten Transformations-Vorstellungen arbeiten und die echte Lern- und Erfahrungs­prozesse durchmachen. Die Vergesellschaftungs­initiativen sind ja ein Beispiel dafür. Das gibt mir dann immer ein bisschen Mut. Ja, und das andere, woran man sich hält, ist natürlich: an Menschen, die einem nahestehen.