Ist unser Land zu klein, um in der Klimakrise einen Unterschied zu machen? Bullshit!
Die Schweiz ist nur für einen kleinen Bruchteil der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich. Also macht es ohnehin keinen Unterschied, wie sehr wir uns bemühen? Fünf Gründe, warum das ein verdammt schlechtes Argument ist.
Von Hannah Ritchie (Text), David Bauer (Übersetzung, Grafiken) und Luca Schenardi (Illustration), 14.12.2023
Wenn die CO2-Emissionen der Schweiz von heute auf morgen auf null sinken würden, ginge die Klimaerwärmung ungebremst weiter. Die Schweiz verursacht etwa ein Tausendstel der weltweiten Treibhausgase.
An Stammtischen und auf der politischen Bühne, in der Schweiz und anderswo, wird das gerne als Totschlagargument hervorgeholt: Die Emissionen unseres Landes sind vernachlässigbar klein. Was wir tun, ist völlig egal. Es wird keinen Unterschied machen.
Zunächst: Ja, es stimmt – die Emissionen der meisten Länder der Welt wirken neben jenen von einigen wenigen grossen Akteuren tatsächlich verschwindend klein.
Trotzdem gibt es gute Gründe, warum sich reiche Länder mit angeblich vernachlässigbaren Emissionen der Herausforderung stellen müssen. Wie sie handeln, macht einen Unterschied.
1. Die reichen Länder haben eine moralische Verantwortung
Das erste Argument ist kurz und bündig. Es ist eine Frage der Moral.
Historisch betrachtet haben reiche Länder einen deutlich grösseren Anteil an den Emissionen als den, der sich ergibt, wenn man nur die aktuellen Emissionen berücksichtigt. Ihr Wohlstand basiert wesentlich auf der Verbrennung fossiler Brennstoffe.
Das Vereinigte Königreich beispielsweise ist heute für lediglich 0,9 Prozent der weltweiten Emissionen verantwortlich. Rechnet man jedoch alle historischen Emissionen auf, so sind es 4,5 Prozent. Deutschland ist verantwortlich für mehr als 5 Prozent aller menschengemachten historischen Emissionen. Auch bei der Schweiz ist der Anteil an den historischen Emissionen fast doppelt so gross wie der aktuelle.
Reiche Länder sind es dem Rest der Welt schuldig, ihre Emissionen rasch auf null zu reduzieren. Damit mindern sie die negativen Auswirkungen der Klimaerwärmung, die schon heute ärmere Länder besonders hart treffen. Und sie schaffen im verbleibenden globalen Kohlenstoffbudget Raum, den ärmere Länder für ihre Entwicklung brauchen können.
2. Wenn jedes Land mit vernachlässigbaren Emissionen nichts tut, scheitern wir
Gerade einmal fünf Länder der Welt haben Emissionen, die mehr als 2 Prozent des globalen Ausstosses ausmachen: China, die Vereinigten Staaten, Indien, Russland und Japan.
Alle anderen Länder der Welt emittieren weniger als 2 Prozent.
Stellen wir uns vor, all diese Länder würden beschliessen, nichts zu tun. Weil ihre Emissionen im globalen Kontext vernachlässigbar seien. Weil es für das Klima ja keinen Unterschied mache.
Das würde bedeuten, dass der weltweit grösste Treiber der Klimaerwärmung unangetastet bliebe.
Alle diese Länder zusammengenommen machen nämlich 38 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen aus. Mehr als China. Und fast dreimal so viel wie die USA.
Es ist klar, dass wir den Klimawandel nicht in den Griff bekommen werden, wenn grosse Akteure wie China, die USA und Indien nichts tun. Aber wir werden ebenso scheitern, wenn Länder mit angeblich vernachlässigbaren Emissionen nichts unternehmen.
Viele der reichsten Länder der Welt fallen genau in diese Kategorie: Deutschland, Frankreich, das Vereinigte Königreich, Südkorea, Saudiarabien, Italien, Norwegen, Kanada, Australien, die Schweiz. Sie machen mit ihren Emissionen den grössten Teil dieses Rest-der-Welt-Blocks aus.
3. Viele reiche Länder verlagern einen Teil ihrer Emissionen ins Ausland
Die bisher verwendeten Zahlen beruhen auf den sogenannten produktionsbedingten Emissionen, das heisst darauf, wie viel jedes Land innerhalb der eigenen Grenzen ausstösst. Alle Emissionen, die bei der Herstellung von importierten Waren und Dienstleistungen anfallen, sind dabei nicht eingerechnet.
Für die Schweiz gilt derzeit: Für jede Tonne CO2, die sie im Inland ausstösst, kommen zwei weitere Tonnen hinzu, die sie auslagert.
Anstelle von produktionsbedingten Emissionen kann man «verbrauchsbasierte» Emissionen berechnen, die jenem Land zugerechnet werden, das durch den Konsum tatsächlich dafür verantwortlich ist.
Bei den meisten Ländern ist der Unterschied zwischen den beiden Werten deutlich geringer als bei der Schweiz. So ändert sich auch am Gesamtbild der globalen Emissionen nicht allzu viel.
Dennoch zeigt sich, dass mit dieser Betrachtungsweise jene Länder mit angeblich vernachlässigbaren Emissionen nochmals einen grösseren Teil des Problems ausmachen, nämlich rund 40,5 Prozent.
4. Reiche Länder können grüne Technologien billig machen
Das Argument «Wir sind zu klein, um etwas zu bewirken» beruht auf der Annahme, ein Land könne nur auf das Klima Einfluss nehmen, indem es seine Emissionen reduziert.
Das stimmt nicht. Wir sprechen hier vor allem von reichen Industrieländern mit Einfluss in einer globalisierten Welt – politisch, wirtschaftlich, technologisch.
Damit die Welt ihren Treibhausgasausstoss reduzieren kann, müssen grüne Technologien erschwinglich sein. Nur so kann jedes Land seine Emissionen reduzieren, ohne dass dies auf Kosten der wirtschaftlichen Entwicklung geht. Wenn wir wollen, dass ärmere Länder einen sauberen Entwicklungspfad einschlagen, müssen kohlenstoffarme Technologien billig sein. Billiger als fossile Brennstoffe.
Wie kann das gelingen? Mit Innovation und mit einer kostensenkenden Lernkurve, die sich aus der Skalierung dieser Technologien ergibt.
Die Preise für Solar- und Windenergie sowie für Batterien sind in den letzten Jahrzehnten drastisch gesunken. Der Preis für Solarpanels ist seit den 1970er-Jahren um 99,8 Prozent gesunken, allein in den letzten zehn Jahren um 90 Prozent. Lithium-Ionen-Batterien kosten 98 Prozent weniger als 1990.
Dies geschah nicht zufällig. Die Preise fielen, als die Welt diese Technologien vermehrt einsetzte. Jedes Mal, wenn sich die kumulierte Solarkapazität der Welt verdoppelte, ist der Preis für Solarenergie im Schnitt um 36 Prozent gesunken.
Wenn reiche Länder frühzeitig investieren – wenn diese Technologien noch teuer sind –, senken sie die Preise für den Rest der Welt. Und können damit eine Wirkung entfalten, die alles andere als vernachlässigbar ist.
5. Kein Land zu klein, ein Vorbild zu sein
Kein Land steht gerne schlecht da im Vergleich zu seinen Nachbarländern. Wenn ein Land zeigt, was möglich ist, müssen andere nachziehen.
Lange Zeit galt es als schier unmöglich, eine Meile in weniger als vier Minuten zu laufen. Unzählige hatten sich daran versucht und waren gescheitert. Einige Mediziner sagten gar, es sei physiologisch nicht machbar.
Bis Roger Bannister es 1954 schaffte. Nur 46 Tage nach seinem Rekord unterbot ein anderer Läufer die Vier-Minuten-Marke ebenfalls. Ein Jahr später schafften es gleich drei Männer in einem Rennen. Mehr als tausend Läufer sind inzwischen unter vier Minuten geblieben.
Roger Bannister sprengte die Grenzen dessen, was die Menschen für möglich hielten.
Genauso können Länder, egal wie klein sie sind, Zeichen setzen. Noch hat es kein Land geschafft, von fossilen Brennstoffen wegzukommen. Oder Verbrenner von seinen Strassen zu verbannen. Oder seine Treibhausgasemissionen auf null zu reduzieren. Alle können sich immer noch damit rausreden, dass es nicht möglich sei. Bis ein Land es schafft. Dann gehen die Ausreden aus.
Norwegen stösst 0,1 Prozent der weltweiten Emissionen aus, etwa gleich wenig wie die Schweiz. Aber die Skandinavier haben eine Bestmarke bei der Einführung von Elektroautos aufgestellt. Fast 90 Prozent der in Norwegen verkauften Neuwagen sind Elektroautos. Damit ist bewiesen, dass es möglich ist. Und andere Länder sind herausgefordert, nachzuziehen. Die Ausreden gehen aus.
Der Text erschien erstmals am 11. März 2023 auf Hannah Ritchies Blog «Sustainability by Numbers» unter dem Titel «Why ‹My Country only Emits 1% of Emissions› Is no Excuse for Rich Countries to not Tackle Climate Change». Manche Stellen, an denen in der Originalfassung Bezüge zu Grossbritannien gemacht wurden, haben wir leicht umgeschrieben, um den Bezug zur Schweiz herzustellen. Ausserdem haben wir in Grafiken, für die inzwischen neuere Daten verfügbar waren, diese verwendet.