Wir sind noch längst nicht postkolonial

Die simbabwische Autorin NoViolet Bulawayo hat einen Roman geschrieben, der die Komplexität des kolonialen Erbes anschaulicher macht als jedes Sachbuch. Und dabei sprüht vor Witz.

Von Daniel Graf (Text) und Nti (Bild), 19.06.2023

Vorgelesen von Danny Exnar
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Geboren als Elizabeth Zandile Tshele hat sich NoViolet Bulawayo ihren heutigen Rufnamen selbst gegeben – auch im Gedenken an ihre Mutter.

Im Roman heisst das Land «Jidada», «mit einem -da und noch einem -da»; man macht jedoch nichts falsch, wenn man bei diesem fiktiven Staat an Simbabwe denkt.

NoViolet Bulawayo hat sich für «Glory», ihren zweiten Roman, lauter Chiffren ausgedacht, die gerade dadurch ihre Wucht entfalten, dass sie so einfach zu de-chiffrieren sind. Wie einst in George Orwells «Animal Farm» sind es auch bei Bulawayo keine menschlichen Charaktere, die die Roman­welt bevölkern, sondern Pferde, Ziegen oder Krokodile mit allzumenschlichen Zügen.

Es ist der alte Trick der Fabel: Man lege den Menschen eine Tier­verkleidung an, auf dass man sie umso besser erkenne. Auf diese Weise hatte Orwell in «Farm der Tiere» literarisch nachgezeichnet, wie das Befreiungs­versprechen der Russischen Revolution in den stalinistischen Terror umschlug.

In Bulawayos «Glory» liegen die Dinge komplizierter, doch ihr Roman erzählt ebenfalls von einer gescheiterten oder genauer: von einer unvollendeten Befreiung. Auch im «Land der Farm­tiere» namens Jidada folgen auf die kolonialen Ausbeuter neue Formen der Unterdrückung. Weil die einstigen Befreier nun selber zu Tyrannen werden. Und weil die globalen Macht­verhältnisse in neokolonialen Strukturen fortleben.

All das könnte Stoff für eine zutiefst deprimierende Erzählung sein. Aber Bulawayo macht daraus eine fulminante Satire voller Sprach­witz und ehrfurchtsfreier Macht­kritik, immer entlang der jüngeren (nicht nur) simbabwischen Zeit­geschichte. Die alten Schlacht­rösser, die in Bulawayos Jidada noch immer auf Alpha­tier machen, sind jedenfalls unschwer als Karikaturen von Langzeit­diktator Robert Mugabe und dessen Nachfolger, dem amtierenden Präsidenten Emmerson Mnangagwa, zu erkennen. Und zwischendurch bekommt, drüben in den Vereinigten Staaten, der «Twitternde Pavian» seinen Auftritt.

«Ich hatte bei diesem Roman nicht das Gefühl, gross was erfinden zu müssen», erzählt NoViolet Bulawayo, als ich sie im Berliner Wissenschafts­kolleg zum Gespräch treffe, wo sie noch bis Juli Stipendiatin ist. Die Realität habe ihr die Roman­szenen förmlich aufgedrängt.

Altes Pferd

Die Handlung setzt ein mit den Feierlichkeiten zum Unabhängigkeits­tag. Alles wartet seit den frühen Morgen­stunden am Jidada Square auf das Alte Pferd, den «Vater der Nation» und einstigen Befreier, dessen Herrschaft «nun schon bald nicht ein, nicht zwei, nicht drei, sondern vier stramme Jahrzehnte dauerte». Überall leuchten die Farben der Jidada-Partei, überall jubeln «wahrhafte Anhänger»: Bereits im Unabhängigkeits­krieg waren sie dem Alten Pferd gegenüber «loyal gewesen, sind danach loyal geblieben, waren heute noch loyal und würden es auch morgen sein». Selbst die sengende Sonne gehört «qua Dekret zur Jubeltruppe Seiner Exzellenz». Eine Gruppe von «vier Versprengten – zwei Schweine, eine Katze, eine Gans – » wächst zwar «rasch zu einer soliden Menge mürrischer Tiere an». Doch die Hunde der Jidada Defenders, «angemessen bewaffnet», sorgen schnell dafür, dass die Abweichler kehrt­machen, «die Schwänze elend eingezogen».

Dann endlich nähert sich das Luxus­gefährt des Alten Pferdes «langsam wie ein Leichen­wagen», und «in der Hoffnung, einen Blick auf den legendären Vater der Nation zu erhaschen», stürzen «die Tiere übereinander wie betrunkene Frösche».

Die Rede des Herrschers jedoch verzögert sich noch einen Augenblick:

«Ich will nichts anderes als ein Schläfchen», brummte das Alte Pferd und nahm so bedächtig Platz, als wäre sein Hintern aus teurem Porzellan.

NoViolet Bulawayo: «Glory».

Bulawayo lässt derweil die Entourage aufmarschieren: Die Präsidenten­gattin, die ihren Doktor­titel bei der Universität Jidada in Auftrag gibt «wie eine Bestellung beim Drive-in von KFC» (worauf sie, «schneller als man ‹Diss› sagen konnte», einen PhD in Soziologie erhält und fortan Dr. Sweet Mother heisst). Die Minister­riege (einschliesslich «des Revolutions­ministers, des Korruptions­ministers, des Ordnungs­ministers, des Ministers für Dinge, des Ministers für Nichts, des Propaganda­ministers, des Ministers für Homophobe Angelegenheiten, des Desinformations­ministers und des Plünderungs­ministers»). Und natürlich den Vize­präsidenten, der bald schon, wenn das Alte Pferd tatsächlich abgetreten ist, zum Übergangs­präsidenten wird – bevor er sich anschickt, neuer Langzeit­präsident zu werden.

Tuvius Delight Shasha oder kurz «Tuvy» heisst er im Roman, aber man darf dabei getrost an den realen Emmerson Mnangagwa denken. Für ihn hat NoViolet Bulawayo ihre unerbittlichste Charakter­zeichnung reserviert.

«Neue Ordnung» lautet Tuvys Slogan für Jidada, und er wiederholt ihn so gerne, dass er auch seinen Papagei so nennt. eine «#freiefaire­glaubwürdige Wahl» bleibt indes noch in weiter Ferne, und die versprochene Gleich­behandlung aller greift nur insofern, als sich «die Kinder der Nation» nun «ohne jede Ungleich­behandlung in unendlichen Warte­schlangen» drängen – und alle im «Warteschlangen­land» gleich arm sind. Bis auf die Mächtigen. Die dürfen sich Jidadas «unermessliche Reichtümer jederzeit einfach so nehmen»:

Und das taten sie auch, sie nahmen und nahmen, sie nahmen-nahmen-nahmen-nahmen-nahmen-nahmen-nahmen-nahmen-nahmen-nahmen-nahmen-nahmen-nahmen-nahmen-nahmen-nahmen-nahmen-nahmen-nahmen-nahmen-nahmen-nahmen-nahmen-nahmen-nahmen-nahmen-nahmen-nahmen-nahmen-nahmen-nahmen-nahmen-nahmen-nahmen (…)

Kurz: Bulawayo zeichnet in aller Schärfe, wie die einstigen Unabhängigkeits­kämpfer selbst zu Ausbeutern werden. Und das Land in Korruption und Repression zu ersticken droht. Aber sie setzt buchstäblich auch die Vielstimmigkeit ins Bild, die die Bewohner der verordneten Linien­treue entgegensetzen.

Immer wieder unterbrechen kontroverse Social-Media-Threads die Erzählung – Dialoge, die Bulawayo meisterhaft dem Sound der Online-Debatten nachgebildet hat und die wie ein polyfoner Chor das Roman­geschehen kommentieren. Sie habe, sagt Bulawayo im Gespräch, eine Form gesucht, die all diese Stimmen in ihrer ganzen Vielfalt aufnehmen kann. Literarisch ist das ein glänzender Einfall, weil es auch die ironischen Brechungen vervielfältigt und das Geschehen dynamisiert. Es gibt ausserdem einen Hinweis darauf, dass Bulawayos Sympathie all jenen gehört, die sich den Traum von echter Freiheit auch nicht durch korrupte Eliten im eigenen Land nehmen lassen.

In der Danksagung am Ende des Buches geht die erste Verbeugung an «alle Jidadas dieser Welt, die an vielen Fronten gleichzeitig ihre Freiheit fordern». Darin steckt die Erkenntnis, dass nicht nur in Jidada-Simbabwe, sondern an zahlreichen Orten das Ende der Kolonial­herrschaft für das Gros der Menschen noch lange nicht die erhoffte Freiheit bedeutet. Es heisst aber auch, viel weitreichender, dass um diese Freiheit «an vielen Fronten», im Inneren wie geopolitisch, gestritten werden muss.

Genau das ist es, was «Glory» so eindrücklich vor Augen führt: wie komplex das Projekt eigentlich ist, das mit dem Schlagwort «Postkolonialismus» gemeint ist.

Dieser Westen

Mit «Glory» richtet Bulawayo ihre scharfe Kritik auch auf das Fortleben kolonialistischer Denk­muster im Westen.

Exemplarisch für die Kontinuität des Rassismus stehen im Roman die Ermordung von George Floyd, die rassistisch motivierte Polizei­gewalt und das Suprematie-Denken in Trumps Amerika. Vor allem in den Schluss­kapiteln lässt Bulawayo die Bewohner von Jidada zudem sehr explizit und schnörkellos Kritik an einer neokolonialen Weltordnung üben:

Uns entging keineswegs, wie der Westen, der Afrika so liebend gern «rettete» und damit vor der ganzen Welt prahlte, das mit der einen Pfote tat, während er uns mit allen anderen Pfoten ausplünderte und schröpfte, sodass am Ende mehr Geld aus dem Kontinent strömte, als in ihn hineintröpfelte. (…)

Es war kein Versehen, dass multinationale Konzerne jedes Jahr kolossale Profite in Afrika einfuhren und nach Hause verschifften, wie es schon zu Kolonial­zeiten der Fall gewesen war. Sogar Stock und Stein könnten berichten, dass die Erde Afrikas fortwährend heulte und bebte und seufzte unter dem Abbau seiner kostbaren Mineralien, der nur selten ihren eigenen elenden Kindern zugutekam.

Die herausforderndste Pointe von Bulawayos Roman aber lautet nun: Das anti­westliche Ressentiment ist auch die wichtigste Ressource der afrikanischen Autokraten.

Seitenweise wettern die Mugabe- und Mnangagwa-Avatare in «Glory» gegen den Westen, weil sich dieses Narrativ seit Jahrzehnten eingespielt hat bis zur Machterhalts­folklore. Weil sich auf diese Weise noch immer am besten von Missständen, hemmungsloser Selbst­bereicherung, Minderheiten­diskriminierung und radikalem Demokratie­defizit ablenken lässt. Weil sich oppositionelle Stimmen am ehesten mundtot machen lassen, wenn man sie als Marionetten «dieses Westens» brandmarkt, «der uns Demokratie und Wandel vorschreiben will».

Mit anderen Worten, die Jidadas dieser Welt müssen sich gegen beides zur Wehr setzen: den Neokolonialismus des Westens und die autokratische Instrumentalisierung dieses Arguments; die Kontinuität des westlichen Rassismus und die populistische Vereinnahmung dieser Demütigung durch Tyrannen aus den eigenen Reihen.

Keines dieser Freiheits­hindernisse relativiert die historische und gegenwärtige Schuld des jeweils anderen. Aber der Weg zur postkolonialen Selbst­bestimmung muss all diese Unterdrückungs­formen überwinden. Schliesslich haben die Kolonial­herren den vormals beherrschten Nationen keine Demokratien hinterlassen; sondern Instabilität und die Prinzipien von Unterdrückung und Ausbeutung, die auch die vermeintlichen Befreier verinnerlicht haben.

Hinzu kommt, und auch das lässt der Roman immer wieder anklingen: Mit China hat längst ein neokolonialer Akteur jenseits der West­mächte die Bühne betreten.

Wenn die Fabel von «Glory» eine Lehre bereithält, dann lautet sie: Die koloniale Erblast hat viele Facetten; die postkoloniale Forderung nach Freiheit «an vielen Fronten».

Postkolonial?

«Wir sind doch gar nicht postkolonial», sagt NoViolet Bulawayo im Gespräch mit der Republik. Das sei nur ein bequemer Begriff, und die Silbe «post» irreführend: «Because it’s not over.»

Wie unvollendet die postkoloniale Befreiung ist und welches die historischen Gründe dafür sind, das kann man aktuell auch bei der äthiopisch-amerikanischen Politologin Adom Getachew in ihrer preisgekrönten Studie «Die Welt nach den Imperien» nachlesen. Und dem Umschlagen von Befreiungs­bewegungen in neue Formen der Unfreiheit ist Christoph Menke in seiner «Theorie der Befreiung» nachgegangen, einem der grossen philosophischen Würfe der letzten Zeit.

Dass aber ein satirischer Roman die Komplexität der historischen Verhältnisse einfängt und dabei, aller thematischen Düsternis zum Trotz, noch schreiend komisch ist, das ist nicht weniger staunenswert. Jan Schönherr hat das Ganze übrigens glorios ins Deutsche übersetzt.

Namen

Der Name NoViolet Bulawayo enthält selbst schon eine ganze Geschichte. Sie führt auch noch einmal in die Abgründe der jüngeren simbabwischen Historie – und zum amtierenden Präsidenten Mnangagwa, dem die Simbabwerinnen wegen seiner Brutalität auch im echten Leben einen tierischen Spitz­namen gegeben haben: das Krokodil.

In den offiziellen Dokumenten heisst NoViolet Bulawayo nach ihrem Geburtsnamen: Elizabeth Zandile Tshele. Ihren heutigen Ruf­namen hingegen hat sie selbst gewählt. Violet war der Name ihrer Mutter, die starb, als Bulawayo gerade 18 Monate alt war. «No» heisst «mit» auf Ndebele, ihrer Mutter­sprache. Ihr Vorname bedeutet also «Mit Violet». Bulawayo ist der Name ihrer Geburts­stadt und der dazugehörigen Provinz, aber es sei, so erzählt sie beim Gespräch in Berlin, ein Name, der quasi stellvertretend für die ethnische Gruppe der Ndebele stehe. Das ist deshalb wichtig, weil der Name Bulawayo schon seit langem besonders aufgeladen ist.

Seine wörtliche Bedeutung wird auch in dem Roman aufgegriffen: «Ort des Schlachtens». Historisch geht der Name auf den Ndebele-König Lobengula und eine Schlacht im 19. Jahrhundert zurück. «Glory» hingegen stellt die Verbindung zu einem grossen Trauma der simbabwischen Geschichte nach der Unabhängigkeit 1980 her: den sogenannten Gukurahundi-Massakern. 20’000 Zivilistinnen wurden zwischen 1983 und 1987 von Mugabes Fünfter Brigade ermordet, die meisten von ihnen waren Ndebele. Der damalige Minister für Staats­sicherheit und Chef des Geheim­dienstes hiess: Emmerson Mnangagwa.

Als in «Glory» die Sprache auf die Massaker kommt, ändert sich der Ton des Romans völlig. Erzählt wird nun anhand der Geschichte von Destiny (im Roman eine Ziege), die – genau wie auch NoViolet Bulawayo – im Alter von 18 ihre Heimat Richtung Vereinigte Staaten verliess und erst nach 13 Jahren in ihr Geburts­land zurückkehrt. Aus der Stadt Bulawayo wird im Buch ein Dorf, in dem Destiny der Geschichte ihrer Familie nachgeht – und erfährt, dass auch ein Teil ihrer Familie bei den Massakern auf brutalste Weise ermordet wurde.

Seine Mutter hatte [Hlangabeza] an jenem Morgen losgeschickt, um etwas Zucker auszuborgen, als die Gukurahundi durchs Tor kamen. So nannte man, erfuhr ich jetzt, die Defender, die unter dem Vorwand, nach Dissidenten zu suchen, den schrecklichsten Terror über unsere Gegend brachten. Mit Dissidenten meinten sie anscheinend uns unschuldige Zivilisten – denn wir waren es, die scharenweise starben.

Der vom Mugabe-Regime orchestrierte Terror gegen die Ndebele begann im Januar 1983. In ihrem Roman hat NoViolet Bulawayo die Massaker in Destinys Dorf aber bewusst auf den 18. April datiert – das Datum, an dem seit 1980 in Simbabwe die Unabhängigkeit gefeiert wird. «Im April 1983 befanden wir uns mitten in einem Genozid», sagt die Autorin bei unserem Gespräch in Berlin, «und ich wollte, dass die Menschen darüber nachdenken, was Unabhängigkeit heisst, wenn gleichzeitig Menschen massakriert werden.» Sie gehöre, sagt Bulawayo, einer Generation von Kindern an, deren Eltern diese Traumatisierung erfahren und nie darüber gesprochen hätten. «Die Geschichte von Destiny zu erzählen, gab mir eine Möglichkeit, dieses Schweigen zu brechen.» Es sei insbesondere für alle Marginalisierten, in Simbabwe und anderswo, von grosser Wichtigkeit, die eigene Geschichte zu erzählen, «in your own words, in your own language».

Mnangagwa, «das Krokodil», oder um genau zu sein: die Romanfigur Tuvy ist in Bulawayos Buch ebenfalls ein altes Pferd. Doch Tuvy hat offenbar einen Doppel­gänger. Immer öfter sehen die Jidadier, vor allem jene der Bulawayo-Region, nämlich ein furcht­einflössendes Krokodil, das genau den Schal trägt, der doch Tuvys Marken­zeichen ist. Und jener Satz der «Schwarzen Amerikanischen Brüder (…), die ihre Mörder mit dem simpelsten, verzweifeltsten Gebet um ihr Leben anflehten – I can’t breathe I can’t breathe», dieser Satz kehrt nun, als Tuvy zum neuen Herrscher gewählt wird, bei einem Teil von Jidadas Bewohnern wieder: «We can’t breathe.»

Diesen Sommer, im August 2023, sind in Simbabwe wieder Wahlen. Emmerson Mnangagwa will erneut als Präsident bestätigt werden und die Macht seiner Regierungs­partei ZANU-PF festigen. Seine wichtigsten Waffen im Wahl­kampf sind repressive Gesetze – und die Diffamierung aller Oppositionellen als «Marionetten des Westens».

Nachtrag zu Orwell

Natürlich ist Orwells «Farm der Tiere» nicht der einzige Einfluss für Bulawayos Fabel und die Entscheidung für Tier­figuren als handelnde Akteure. Die afrikanische Erzähl­tradition ist voll davon.

«Wir sind aufgewachsen mit den Geschichten unserer Gross­mütter», erzählt Bulawayo, «in denen sich Tiere verhielten wie Menschen.» In indigenen Kulturen werde die Hierarchisierung von Mensch und Tier ohnehin zurückgewiesen: «Menschen und Tiere sind gleichwertig.» Und da die Menschen im Süden Afrikas häufig Nachnamen trügen, die von Tieren stammen – so wie zum Beispiel der Name «Dube» einfach «Zebra» heisst –, entstehe eine ganz andere Verbindung. Man betrachte Zebras dann quasi wie Geschwister.

Am Ende unseres Gespräches kommen wir trotzdem noch einmal auf Orwell zu sprechen und darauf, dass «Animal Farm» ja ein kanonisches Werk von einem britischen Autor sei, also Teil der Literatur­geschichte der früheren Kolonial­herren. Ich frage halb im Spass, halb ernsthaft, ob ihr Umgang mit Orwell dann so eine Art spielerische Revanche sei, eine kulturelle Aneignung in der Gegen­richtung. Bulawayo lacht, dann antwortet sie: Zur Kunst gehöre doch, dass diese Dinge gar nicht so wichtig seien. Entscheidend sei vielmehr, dass man mithilfe von Literatur die Grenzen der eigenen Kultur gerade überwinden könne. «Meine Welt wird sozusagen erweitert dadurch, dass ich in der Literatur an all diese Orte gelangen kann.»

Welterweiternd. Das lassen wir als Fazit stehen.

Zum Buch

NoViolet Bulawayo: «Glory» Roman. Aus dem Englischen von Jan Schönherr. Suhrkamp, Berlin 2023. 460 Seiten, ca. 36 Franken.