Bundesrat ist man nicht, Bundesrat wird man. Aber wie?

Und was kostet es? Über die ersten Wochen in der Regierung.

Von Elia Blülle und Angelika Hardegger, 06.12.2022

Vorgelesen von Magdalena Neuhaus
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Von Albert Rösti heisst es, er spaziere schon wie ein Bundesrat durch Bern.

Der SVP-Politiker ist Kronfavorit für die Nachfolge von Ueli Maurer. Kommt es so, wie Journalisten und Expertinnen prognostizieren, wird Rösti am Mittwoch drei Finger in die Luft strecken und auf die Verfassung schwören.

Rösti wäre gewählt. Bundesrat. Der mächtigste Posten in Bern. Und dann?

Die neuen Bundesräte wandeln schon im Bundeshaus, aber die alten besetzen noch die Büros. Es werden Geschenke und Schlüssel im Departement übergeben. Aber die Macht: Wie übergibt man die?

Die Tage, in denen Macht übergeben wird, sind besonders. Sie sind fragil – darum sagen sie in Monarchien auch: «The Queen is dead, long live the King.» Es soll keinen Moment geben, in dem die Rolle unbesetzt, die Macht angreifbar ist. Die Amts­übergabe ist eine Bruch­stelle, die im dümmsten Fall auch eine Demokratie gefährdet. Wie am 6. Januar 2021 in den USA. Da versuchten Umstürzler, den neu gewählten Präsidenten zu verhindern.

Nun ist die Schweiz die Schweiz, der Bundesrat der Bundesrat. Vorhersehbar und unspektakulär. Man würde meinen, der Macht­wechsel sei in der Schweiz bis auf die Übergabe der Kugel­schreiber geregelt. Aber tatsächlich beginnt mit der Wahl neuer Bundes­rätinnen eine Zeitspanne, über die man nur wenig weiss. Es gibt kaum Alt-Bundesräte, die bereit sind, persönlich davon zu erzählen. Es gibt kaum Historiker und Politologinnen, die sich dazu äussern.

Was es gibt: ein Drehbuch für die Übergangs­zeit, das die Bundes­kanzlei ausgearbeitet hat. Es gibt auch eine Checkliste, die regeln soll, was der Vorgänger der Nachfolgerin übergibt. Aber beide Dokumente behält die Bundes­kanzlei für sich.

Was sich aus dem inneren Zirkel sammeln lässt, ergibt zusammen­gesetzt folgendes Bild: Bundesrat zu werden, ist eine totale Über­forderung. Nach guter Schweizer Art eine Riesenbüez.

Alt-Bundesrat Hans-Rudolf Merz, der fast am Amt gestorben wäre, sagte kürzlich in einer Fernseh­debatte zur Bundesrats­wahl, man habe früher Neuwagen mit einem Kleber versehen: «en rodage». Was auf Deutsch so viel bedeutet wie: «wird eingefahren».

Als Bundesrat bekomme man nie einen Kleber «en rodage», sagte Merz. «Es geht am ersten Tag voll los.»

Das Departement

Ruth Dreifuss bekam die Macht in einem Koffer überreicht. Zwei Tage nach der Wahl im Jahr 1993, als klar war, dass sie dem Innen­departement vorstehen würde, klingelten der General­sekretär und ein Weibel frühmorgens an ihrer Tür. Sie brachten die Papiere zu den politischen Geschäften, für die sie zehn Tage später verantwortlich sein würde.

In diesem Moment, schreibt Ruth Dreifuss auf Anfrage der Republik, sei ihr so bewusst geworden wie nie zuvor: Jetzt bin ich Bundesrätin. Sie wurde es sehr plötzlich. Ähnlich überraschend wie auch Ruth Metzler, 34-jährig, davor Überfliegerin der Appenzell Innerrhoder Regierung. Metzler schreibt in ihrer Auto­biografie, nach der Wahl sei ihr Mann in Bern gemeinsam mit dem Sicherheits­dienst auf Wohnungs­suche gegangen, während sie sich auf das Amt vorbereitete. Den Vertrag habe sie unterschrieben, ohne die Wohnung zuvor gesehen zu haben.

Einmal gewählt, erhalten Bundes­rätinnen ein Büro im Bundeshaus. Die Bundes­kanzlei begleitet sie während der zwei, drei Wochen bis zum Amtsantritt.

Die Bundeskanzlei stellt auch Personal zur Verfügung, etwa für Medien­anfragen. Doch rasch rekrutieren Bundesräte ihre eigene Entourage. Ein bis zwei persönliche Mitarbeiterinnen – oft frühere Bundeshaus­journalisten, die den Betrieb gut kennen, oder langjährige Vertraute aus dem Partei­umfeld. In den ersten Wochen entscheiden neue Bundes­rätinnen, ob sie den General­sekretär der Vorgängerin behalten. Oft tauschen sie ihn aus. Sie treffen informell Amts­chefs und Direktorinnen, denen sie vorstehen werden und von denen sie über heikle Interna informiert werden: Wo lauern Gefahren? Was muss man über die anderen Bundesräte wissen? Welche Geschäfte drängen?

«Das geht dann zäckzäck»: So erzählte es Hans-Rudolf Merz im SRF-«Club». «Dann kommt der General­sekretär, der mir sagt, was für Sitzungen anstehen, um welche Zeit. Um acht Uhr dort. Um neun dort. Um zwölf Mittagessen mit jenem. Und dann ist man so drin.»

Es gehört zu den Wider­sprüchen des Amts: Die Politikerinnen wollen Macht, aber sind sie gewählt, werden sie erst einmal fremdbestimmt.

Das beginnt bei der Departements­verteilung. Wenige Tage nach der Wahl treffen sich die Bundes­rätinnen zu einer Sitzung. Der genaue Verlauf dieser Sitzung gehört zu den am besten gehüteten Geheimnissen in Bern. Sie findet statt ohne Bundes­kanzler, der sonst bei jeder Bundesrats­sitzung dabei ist. Es ist eine Sitzung ohne Protokoll. Eine Sitzung fast ohne Regeln.

Inoffiziell dürfen jene Mitglieder des Bundesrats, die am längsten dabei sind, das Departement zuerst auswählen. Doch faktisch werden auch langjährige Bundes­rätinnen in Departemente gezwungen, die ihnen missfallen. Einigt sich das Gremium nicht, gilt im Bundesrat das Mehrheits­prinzip: So musste zum Beispiel Adolf Ogi im Jahr 1995 das Militär­departement übernehmen. Er soll sich damals beklagt haben, man habe ihn in die Nationalliga B strafversetzt.

Heute bestreitet er das und sagt, alles sei freiwillig gewesen, und das mit der Straf­versetzung habe nicht er selbst gesagt, sondern einer seiner Mitarbeiter.

Ogi gehörte zu den beliebtesten Bundes­räten, weil er das Hemd kurzärmelig behielt. Doch viele Politikerinnen und Journalisten hatten ihm das Amt bei seiner Wahl zum Bundesrat nicht zugetraut. «Das war schlimm, rückte aber schnell in den Hinter­grund», sagt Ogi. Die Last des Amts wog sofort schwer. Ihm sei am Tag seiner Wahl bewusst geworden: «Jetzt musst du führen, mit voller Bereitschaft, Lust und Motivation loslegen. Klarmachen, was du willst.»

Anders als Ogi galt SP-Politiker Moritz Leuen­berger als abgehoben. Doch als Leuen­berger zurücktrat, holte er das Amt des Bundesrats auf den Boden. Vor dem Parlament sagte er: «Wir treten auf. Wir spielen. Wir treten ab.» Leuen­berger verglich die Politik mit einem Theater, in dem jeder eine Rolle spielt – selbst ein Bundesrat.

Ruth Dreifuss erzählt, wie sie nach der Wahl zwei Nichten in Mode­geschäfte schickte, damit diese ihr eine bundesrats­taugliche Garderobe besorgen würden. «In der Nacht, mit ihren Ratschlägen und mit viel Lachen, haben wir die Kleider dann probiert und ausgewählt.»

Es klingt, als habe Dreifuss Kostüme anprobiert. Nicht Kleider.

Wenn der Bundesrat eine Rolle ist, dann kann jeder reinschlüpfen. Selbst die Haupt­rollen im Land stehen allen offen – vorausgesetzt, man hat im Polit­theater lange genug mitgespielt und ist überzeugend aufgetreten.

Vielleicht weiss man auch darum wenig über die Zeit, in der eine Bundes­rätin abtritt und eine andere kommt. Der Vorhang wird ja nie geschlossen, das Stück läuft einfach weiter. Auch weil die Haupt­figuren umgeben sind von Dramaturgen und Souffleusen, die das Spiel mitgestalten und begleiten, aber selten selbst im Rampen­licht stehen. Insbesondere: die Verwaltung.

Der Chef

Jeder, der sich um ein Amt im Bundesrat bewerbe, unterschätze dieses Amt, sagt Hans-Rudolf Merz. «Die meisten haben vorher in der Politik irgendeine tragende Rolle gespielt. Und dann kommt man in den Bundesrat und hat ein Departement. Vielfach jenes, das man will, aber nicht immer. Dann steht man da und sieht, was das bedeutet.»

Es bedeutet: Bundesräte stehen je nach Departement vier, fünf, sechs Ämtern vor. Sie sind plötzlich Chefinnen von mehreren tausend Angestellten. Manager und Politiker zugleich, müssen sie sich in Dutzende komplexe Geschäfte einarbeiten, vielleicht schon wenige Tage nach der Wahl Fragen von Parlamentarierinnen beantworten. Im schlimmsten Fall werden Bundesräte vor eine politische Materie gesetzt, von der sie keine Ahnung haben.

In Bern kursieren Geschichten von frisch gewählten Bundesräten, die unmittelbar nach der Sitzung, an der die Departemente verteilt wurden, durch die Stadt hetzten und ins Telefon fluchten, weil sie ein Departement übernehmen mussten, das sie keinesfalls wollten.

«Das Schwierigste am Bundesrat ist das Anfangen», sagt Livio Zanolari, der als Sprecher sechs Bundesräte begleitet hat. «Man wird in eine andere Welt katapultiert.»

Manche Bundesräte haben vorher nicht geführt, geschweige denn regiert. Der ehemalige Bundesrat Alphons Egli war zum Beispiel ein angesehener Politiker und Rechts­anwalt. Doch als er 1982 in den Bundesrat gewählt wurde, litt er unter dem Amt. Schon vier Jahre später trat Egli zurück. Er war überfordert.

«Mein letzter Job war kein Traum­job», schrieb er in seinem Lebens­lauf, der Jahre später an der Trauer­feier zu seiner Beerdigung vorgelesen wurde.

Ein Parlamentarier wisse, wie das Parlament funktioniere, sagt der ehemalige Presse­chef Zanolari. «Aber wer Bundesrat wird, kennt oft die Verwaltung nicht. Oder zu wenig. Es kann Monate dauern, bis man in die Dimension der Verwaltung kommt.» Zanolari meint: Bis man allein das Departement versteht – seine Arbeits­philosophie, seine Abläufe. «Die Verwaltung ist ein mächtiger Apparat. Sie hat das Wissen, und das Wissen zählt», sagt er. Jedes Dossier, jedes Traktandum, jede Verhandlung: Dahinter steckt Wissen.

Neu gewählte Bundesräte sind hilflos, in Kleinst­fragen auf ihre Verwaltung angewiesen.

Ruth Metzler wollte vor ihrem Amts­antritt von einem Protokoll­chef wissen, wie sich ihr Mann bei Abend­anlässen kleiden soll. Seine Antwort: «Schauen Sie sich einen James-Bond-Film an, mit einem solchen Smoking liegen Sie richtig.»

Die Verwaltung arbeitet neue Bundes­rätinnen ein. Manche Amts­chefs leiten riesige Bereiche, allein das Bundes­amt für Gesundheit zählt 800 Angestellte. Die Amts­chefs und Direktoren bestimmen mit, was die neue Bundesrätin wissen muss. Sie sorgen bei der Übergabe der Macht für Kontinuität, anders als im Ausland werden sie nach einer Wahl selten ausgewechselt.

Martin Dumermuth arbeitete über 25 Jahre in der Verwaltung, bis August 2021 leitete er das Bundes­amt für Justiz. Er sagt, es gebe zwei Möglichkeiten für einen neuen Bundesrat, den Job anzutreten: «Entweder stellt er alles auf den Kopf und wechselt wichtige Leute aus. Oder er versucht, ihr Vertrauen zu gewinnen und von ihrer Erfahrung zu profitieren.» Die meisten Bundesräte würden sich für Letzteres entscheiden. Denn: «Die Verwaltung ist wie ein träger Tanker, der sehr viel Zeit zum Umsteuern benötigt. Und verliert ein Bundesrat das Vertrauen seiner Verwaltung, wird sie meistens noch träger.»

Wer führt also wirklich in den ersten Wochen nach einer Wahl? Der Bundesrat oder die Verwaltung?

Der Regierung nahestehende Personen sagen, das hänge vom Bundesrat ab. Davon, wie gut er sich auskenne in der Materie. Wie gut er führe. Auch Martin Dumermuth meint, er habe die Bundesräte nie als «Manipulier­masse» verstanden oder erlebt: «Aber je weniger sich eine Person mit den Abläufen auskennt, desto stärker ist sie auf die Verwaltung angewiesen.»

Vor seinem Amtsantritt bereitete sich Adolf Ogi zwischen Weihnachten und Neujahr beim Lang­laufen auf die kommenden Strapazen vor und überlegte sich dabei seine Führungs­grundsätze, die er später seinen Kadern abgeben wollte. Heute sagt er: «Meine Mitarbeiter, Amts­direktoren sollten von der ersten Minute an wissen, was der Ogi will. Sie mussten meine Ziele und Prioritäten kennen. Das ist absolut entscheidend, ansonsten wird man als Bundesrat geführt, und die Verwaltung sagt einem, wo es durchgeht.»

Als er später vom Verkehrs- und Energie­wirtschafts­departement ins Militär­departement wechselte, tauschte er als Erstes den dortigen General­sekretär aus, der zuvor für vier Bundesräte gearbeitet hatte. Der sei zwar hervor­ragend gewesen, aber auch eine graue Eminenz. «Ich sagte dem General­sekretär, er müsse jetzt ein Jahr früher in die Pension», erzählt Ogi heute. «Ich wollte nicht unter ihm Bundesrat sein.»

Neue Bundes­rätinnen balancieren nach ihrer Wahl auf einem dünnen Seil: Einerseits sind sie ohne ihre Verwaltung hoffnungslos verloren, andererseits müssen sie die politische Kontrolle behalten. Gefragt, was das Schwierigste sei am Bundesrats­amt, antwortete Pascal Couchepin kürzlich im «Blick», man müsse herausfinden, «wem in der Verwaltung man trauen kann».

Der Mensch

Könige hatten Leute, die sie weckten und betteten, wuschen und anzogen. Sie besassen absolute Macht und null Privat­sphäre. Bundesräte teilen die Macht mit sechs anderen, der Verwaltung, dem Parlament, dem Volk. Aber sie sind, schreibt der Historiker Urs Altermatt, «so etwas wie republikanische Royals». Sie sind die Prominenz in einem Land ohne Stars.

Bundesrätinnen haben Weibel, Chauffeur, Personen­schützerinnen, Sekretäre, persönliche Mitarbeiterinnen und Sprecher. Sie werden von vielen Personen umgeben, sind nur noch selten allein. Es ist paradox: Wer Bundesrat wird, rückt in der Gesellschafts- und Macht­ordnung auf. Er erhält Privilegien, die Distanz zum Rest der Schweiz vergrössert sich. Und trotzdem, oder gerade deshalb, rückt die Schweiz den Bundes­räten ziemlich nah.

Als Ruth Metzler gewählt war, fuhren in Appenzell Autos und Kleinbusse vor, «ganze Wander­gruppen nahmen den Weg auf unseren Hügel unter die Füsse», berichtet sie. Hans-Rudolf Merz plauderte kürzlich aus, er habe im Schlaf­zimmer eine Tür mit Spion eingebaut bekommen. Bei Micheline Calmy-Rey ging jede Distanz verloren, was ihre Frisur betraf. Auf der Strasse habe man sie an den Haaren gezupft und gerufen: «Nein, es ist keine Perücke!» So steht es in ihrer Biografie.

Anders als manche Bürger halten sich Journalistinnen zurück. «Schweizer Medien respektieren Grenzen, an die man sich im Ausland nicht überall hält», schreibt Ruth Metzler. Solange das Private das Amt nicht tangiert, berichten Medien kaum über das Liebes­leben von Bundesräten. Obwohl einige Bundeshaus­journalistinnen viel zu erzählen hätten.

Und doch: Wer Bundesrat wird, bezahlt einen Preis. Der frühere Aussen­minister Didier Burkhalter fasste das bei seinem Rücktritt in einem Satz zusammen. Das Amt, sagte er, sei «wie eine zweite Haut». «Es gibt keinen Platz mehr für ein Leben ohne. Sie haben das immer. Immer. Immer. Immer.» Burkhalter trat früh zurück und überraschend.

Der Preis, den ein Bundesrat für das Amt bezahlt, ist in den vergangenen Jahren gestiegen.

Simonetta Sommaruga sagte bei ihrem Rücktritt, man sei in der Schweiz stolz darauf, dass Bundes­räte im Tram unterwegs seien, sie schätze das auch sehr. «Aber es ist nur die halbe Wahrheit. Bei vielen Auftritten haben wir heute Personen­schutz. Und ich denke, wir sollten nicht alles hinnehmen.»

Sommaruga war von der SVP jahrelang massiv angegriffen worden. Vielleicht richtete sie sich an die Partei, vielleicht auch an die Medien, wenn sie sagte: «Alle sollten sich bewusst sein: Wenn der Ton rauer wird, wirkt sich das aus.»

Ruth Dreifuss wurde in ihrem ersten Jahr als Bundes­rätin von der Westschweizer Wochen­zeitschrift «Domaine public» gebeten, über ihr neues Amt zu schreiben. Sie zählte auf einer halben Seite auf, was einfach sei am Bundesrätin-Sein. Und sie füllte eine ganze Seite mit Dingen, die schwierig waren. Schwierig sei, schrieb Dreifuss: «Sich der Personalisierung der Macht widersetzen, weil sie verlogen ist (man macht nichts alleine).» Sie schrieb das im Jahr 1994, als es noch kein Twitter und kein Instagram gab.

Wenn die Personalisierung damals schon «verlogen» war: Was ist sie heute?

Die Bundesräte haben längst auch angefangen, sich selbst zu personalisieren. Sie lassen sich auf Reisen für Social Media fotografieren. Auf Instagram: Alain Berset beim Jassen, Cassis schüttelt Hände, Parmelin lächelt auf dem Ballenberg.

Bundesräte inszenieren und vermarkten sich, obwohl sie wissen, dass Bundeskanzler Walter Thurnherr recht hat, wenn er sagt: «Ab und zu ist man – wenn man die Bundesräte kennt – ziemlich überrascht, welche Fähigkeiten und vor allem welche Unfähigkeiten ihnen zugemutet werden. Da wird nicht selten übertrieben, denn bis auf Ausnahmen sind die Mitglieder des Bundes­rates normal­sterbliche Lebewesen.»

Schwierig sei, schrieb Ruth Dreifuss nach ihrem ersten Jahr im Bundesrat: «Zeit finden, um einen Freund zu trauern, vor Trauer und Entsetzen zu weinen, die Erinnerung an eine Begegnung, ein Lächeln wie Schnapp­schüsse zu bergen … und sich damit abfinden, der Sammlung nie mehr weitere hinzuzufügen.»

Schwierig sei, fuhr sie fort: «Älter werden, dicker werden, Augenringe im Rampen­licht tragen. Sich manchmal bei der Heuchelei ertappen, so tun, als ob man Leute erkennt, und seine Verfügbarkeit rationieren.»

Schwierig sei es, eine Belastung zu sein für Freunde, Familie und Angehörige.

Schwierig sei manchmal, die oppositionelle Rolle anderen zu überlassen.

Als Dreifuss zu ihrer ersten Sitzung im Bundesrat Platz nahm, erwartete sie ein grosser Strauss Blumen auf dem Pult. Es waren Ringel­blumen, in ihrer Mutter­sprache: soucis. «Soucis» bedeutet auf Französisch «Sorgen».

Dreifuss wurde praktisch über Nacht Bundes­rätin. Die Wahl vom Mittwoch wird viel unspektakulärer ablaufen.

Aber egal, wer gewählt wird, es gilt der Satz, den sich Ruth Dreifuss damals selbst zusprach: «Enfin, les soucis commencent!»

Endlich beginnen die Sorgen.