Braucht es die Klimakonferenz noch oder kann sie weg?
WWF-Klimaschutzexperte Patrick Hofstetter verhandelt in Sharm al-Sheikh einmal mehr für die Schweiz. Ein Gespräch über rote Linien, unaufhaltbare Verrücktheiten und fehlende Vorstellungskraft.
Von Elia Blülle, 18.11.2022
Patrick Hofstetter kam, sah und blieb. 2002 kehrte er aus den USA zurück, wo er an der Harvard University als Wissenschaftler zu industrieller Ökologie gearbeitet hatte. In der Schweiz fragte ihn der WWF dann, ob er das Klima- und Energiedossier übernehmen wolle; Hofstetter willigte ein, aber nur, um befristet für 6 Monate auszuhelfen. Heute ist er immer noch da.
Normalerweise ist Patrick Hofstetter als Umweltlobbyist in der Wandelhalle des Bundeshauses aktiv und gilt da bei fast allen Parteien und Journalistinnen als Kompetenzzentrum für Energie- und Klimapolitik.
Einmal im Jahr wechselt Hofstetter die Seiten. Seit 19 Jahren ist der WWF-Klimaschutzexperte auch Teil der Delegation, die an der alljährlich stattfindenden Uno-Klimakonferenz für die Schweiz verhandelt – mandatiert vom Bundesrat, der auch die Verhandlungsposition für Hofstetter vorgibt.
In diesen Tagen geht die 27. Klimakonferenz in der ägyptischen Touristendestination Sharm al-Sheikh in die Schlussphase.
Patrick Hofstetter, Stand heute: Mit welchem Gefühl werden Sie nach Hause reisen?
Was die Verhandlungen betrifft, liegt noch alles drin. Aber die Entwürfe für die Abschlusserklärung, die am Donnerstag präsentiert wurden, lassen Schlimmes vermuten: eine 20-seitige Sammlung, von der man sich wünschen würde, sie wäre ein üppig geschmückter Weihnachtsbaum. Ich sehe aber im Moment eher einen dürren Reisigbesen, der nicht geeignet ist, unsere Probleme wegzuwischen. Die Konferenz könnte aber dieses Jahr noch lange dauern. Hoffentlich gibt es noch etwas Klärung.
Gegenwärtig können sich die Länder nicht einmal auf einen Text einigen, mit dem sie beschlössen, aus «allen fossilen Energien auszusteigen».
Die Menschen können sich nicht vorstellen, ohne fossile Energie zu leben. Nehmen wir die Schweiz: Da findet der Bundesrat auch, eine Zukunft ohne fossile Energien sei nicht zumutbar. Deshalb hat er die Gletscherinitiative zur Ablehnung empfohlen. Und wenn wir in der Schweiz nicht daran glauben, ist es schwierig, von anderen Ländern zu verlangen, sie müssten aussteigen – vor allem auch dann, wenn sie damit sehr viel Geld verdienen.
Niemand glaubt mehr ernsthaft daran, dass wir die Erderhitzung auf 1,5 Grad begrenzen können. Wäre es nicht an der Zeit für mehr Realismus?
Wir wissen, dass es eine riesige Herausforderung ist, dieses Ziel zu erreichen. Aber was ist die Alternative? Akzeptieren, dass Ökosysteme auf der ganzen Welt zerstört werden? Dass Eiskappen schmelzen? Dass Inseln und Küstenregionen untergehen und Millionen Menschen ihr Zuhause verlieren? Unser einziger Realismus ist, dass wir dies verhindern müssen. Und wir folgen dem Weltklimarat in seiner Bewertung, dass das 1,5-Grad-Ziel mit schnellen, tiefgreifenden und globalen Transformationen noch erreichbar ist.
Es ist aber sehr unwahrscheinlich, dass das gelingen wird. Das globale CO₂-Budget für dieses Ziel dürfte beim heutigen Emissionstrend mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit in 9 Jahren aufgebraucht sein.
Und deshalb braucht es schnelles Handeln. Einen Stopp fossiler Emissionen, die für etwa 70 Prozent aller Treibhausgase verantwortlich sind. Eine Transformation hin zu grünen Technologien. Während wir um jeden Zehntelgrad ringen, investieren die Produzenten fossiler Energieträger jährlich Hunderte Milliarden Dollar in die Förderung fossiler Brennstoffe. Und sie verdienen allein im Jahr 2022 – nach Steuern – ungefähr 250 Milliarden Dollar. Dieses Geld anders zu investieren, ist der Schlüssel. Es mangelt nicht an technischen Lösungen, an Innovationen oder an Geld. Es mangelt einzig am politischen Willen, dieses Ziel zu erreichen.
Die Delegierten an der Klimakonferenz sollten durch das Scheitern und nicht durch falsche Hoffnungen angetrieben werden. Sie müssten pragmatischer sein und sich mit den harten Wahrheiten der Realität auseinandersetzen, schrieb der «Economist» jüngst in einem Leitartikel.
An der Konferenz geben wir der globalen Klimapolitik einen gemeinsamen Rahmen, an dem sich die Länder orientieren können. Das ist notwendig, weil sich dann auch die Wirtschaft daran ausrichtet. Dieser Mechanismus stimmt immer noch. Wenn es aber darum geht, zu fragen: Reicht das, was wir hier machen? Dann muss ich antworten: Nein, natürlich nicht. Wir benötigen zusätzliche globale Kooperation; neben der Klimakonferenz müssen sich auch Gefässe wie die G-7 und die G-20 mit neuen Klimalösungen befassen. Und es braucht Koalitionen von Ländern, die in Teilbereichen – zum Beispiel beim Kohleausstieg – weiter gehen wollen als die restliche Welt.
Sieben Jahre sind seit dem Pariser Klimaabkommen vergangen. Letztes Jahr hat man das Regelbuch dazu verabschiedet. Und jetzt spricht man von einer Umsetzungskonferenz. Wieso dauert das so lange?
Die Erzählung, das Klimaabkommen würde erst jetzt umgesetzt, stimmt nicht. Bereits ab 2016 hätte man das Abkommen umsetzen können, weil es den jeweiligen Ländern schon damals extrem viele Kompetenzen abgab. Ein Land muss sich bei der Wahl klimapolitischer Instrumente nicht an Regeln orientieren, die zuerst noch international besprochen werden müssen – mit Ausnahmen von einzelnen Bereichen wie den neuen CO₂-Märkten, die letztes Jahr in Glasgow beschlossen wurden. Das Problem ist ein anderes.
Welches?
Nehmen wir die Schweiz: Sie hat gegenwärtig eine Klimapolitik, die im Wesentlichen auf den Diskussionen von 2008 bis 2010 im Parlament beruht – also dem CO₂-Gesetz, das damals ausgehandelt wurde. Die Schweiz verfolgt keine konforme Umsetzung des Pariser Klimaabkommens – und daran wird sich auch nichts ändern, sollte das Stimmvolk im nächsten Juni den Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative annehmen. Das heisst, selbst die Schweiz scheint nicht imstande, das Pariser Abkommen umzusetzen. Das Scheitern ist also kein internationales, sondern ein nationales.
Der Schweizer Klima-Chefdiplomat Franz Perrez hat letztes Jahr nach der Ablehnung des CO₂-Gesetzes gesagt, die Abstimmung würde die Schweizer Position an der Klimakonferenz schwächen.
Ich hatte mich letztes Jahr in Glasgow auf eine viel schwierigere Konferenz eingestellt. Ein einziges Mal kam die Abstimmung zur Sprache. Ein relevanter ägyptischer Verhandler sagte, ich könne schon ambitioniertere Massnahmen fordern, aber zu Hause kämen wir auch nicht vorwärts. Wobei Ägypten sicherlich kein glaubwürdiger Absender für diese Kritik ist.
Im Jahr 2022 gab es auf der ganzen Welt verheerende Dürren, Waldbrände und Überschwemmungen, bei denen die Klimaerhitzung eine wesentliche Rolle gespielt hat. Hat dies die Klimakonferenz in Ägypten beeinflusst?
Das schüttelt den Apparat viel zu wenig durch. Die Ereignisse hindern den pakistanischen Verhandler, der aktuell für rund 140 Nicht-Industrieländer spricht, nicht daran, ambitioniertere Verhandlungsthemen zu blockieren. So schlugen die EU und auch die Schweiz vor, über das Umlenken der Finanzströme konkret zu verhandeln, damit die Klimawende so finanziert werden kann. Man erwartete, Pakistan würde nach den Flutkatastrophen im eigenen Land sagen, wir müssen die Verrücktheiten sofort stoppen. Aber stattdessen übernehmen sie die Position von China, Brasilien, Indien und Saudiarabien, die sich seit Jahren gegen eine progressive globale Klimapolitik stellen.
Die Spannungen sind immens. Auf die Frage, welches Minimalziel sie bei der Konferenz verfolge, antwortete die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock: «Dass sie stattfindet. Das weiss man in dieser Weltlage nie.»
Am Verhandlungstisch merke ich kaum, welchen Einfluss geopolitische Spannungen spielen. Auf meinem Level ist der russische Krieg in der Ukraine kein Thema. Russland ergreift das Mikrofon kaum. Ich stelle aber fest: Einige Staaten lassen sich gerade kaum von ihren starren Positionen abbringen.
Woran liegt das?
Die ägyptische Präsidentschaft war im Vorfeld sehr passiv und hat es nicht geschafft, ein gutes Momentum zu schaffen. Stattdessen organisiert sie Anlässe, an denen die Gasindustrie auf der Bühne sitzt und darüber spricht, wie der afrikanische Kontinent künftig mehr Erdgas verbrennen und verkaufen kann – also das Gegenteil von dem, was die Konferenz eigentlich will. Bis heute sollen bereits 12 Erdgas-Deals im Vorfeld und während der Klimakonferenz abgeschlossen worden sein. Der Umstand, dass die Konferenz in Ägypten stattfindet und seine Regierung eine Anti-Klimaschutz-Position eingenommen hat, wirft einen viel grösseren Schatten auf die Verhandlungen als alle anderen Faktoren.
Über 600 Vertreter der fossilen Energiewirtschaft lobbyieren an der Konferenz. So viele wie schon lange nicht mehr.
Seit 30 Jahren sind die fossilen Interessen sehr breit und gut an der Konferenz vertreten. Demokratiepolitisch ist es nicht völlig falsch, dass alle mit am Tisch sitzen und angehört werden. Aber ihre massive Übervertretung an dieser Konferenz ist frustrierend.
Dieses Jahr in Ägypten, nächstes Jahr in Dubai in den Vereinigten Arabischen Emiraten – beides Länder, die nicht für Demokratie und die Einhaltung von Menschenrechten bekannt sind.
Ägypten war lange der Verhandlungsgruppenchef der afrikanischen Länder, und deshalb wäre es schwierig gewesen, diese Konferenz zu verhindern. Aber jetzt, wo wir hier sind, bin ich überzeugt, kann man sagen: Es ist ein Fehler, eine solche Konferenz in einem solchen Land auszutragen, das nicht nur ägyptischen, sondern auch eingereisten Aktivisten und gar Delegationsmitgliedern droht, dass sie sich bewusst sein müssten, dass nach der Konferenz wieder ihre bisherigen Regeln der Militärdiktatur gelten würden. In den Emiraten ist die Situation womöglich eine andere. Das Land diversifiziert seine Wirtschaft und hatte an den Klimakonferenzen schon immer eine eigene Position, die sich von anderen Erdölstaaten unterschied. Schafft es die Konferenz nächstes Jahr, die wirtschaftlichen Opportunitäten einer Energiewende auch für die Erdöl exportierenden Länder zu vermitteln, wäre das sogar eine Chance. Das ist aktuell aber mein Wunschdenken.
Wir haben unsere Leserschaft gefragt, was sie von Ihnen wissen will. Am meisten interessieren sie sich dafür, wie überhaupt verhandelt wird. Da die Konferenz im Konsens entscheidet, fällt es Ländern wie Saudiarabien und China einfach, zu blockieren. Was braucht es in den Verhandlungen, um solche Staaten von einer Position zu überzeugen?
Das ist sehr abhängig vom Land. Die Chinesen stimmen nur jenen Verpflichtungen zu, bei denen sie überzeugt sind, dass sie sie umsetzen und einhalten können. Sie haben diesbezüglich ein sehr hohes Ethos. Darum war es immer wichtig, den Chinesen aufzuzeigen, wie Lösungen aussehen könnten. Erst seit sie Pioniere in der Elektromobilität sind, haben sie zum Beispiel eine Vision, wie sie den Strassenverkehr dekarbonisieren könnten. Vorher war es unmöglich, in diesem Punkt mit den Chinesen ins Gespräch zu kommen, weil das Auto bei ihrer vermögenden Bevölkerung einen hohen Status geniesst.
Und Saudiarabien?
Da ist die Situation eine andere. Saudiarabien gilt als wenig vertrauenswürdiger Verhandlungspartner, weil er als Erdölstaat klare Partikularinteressen verfolgt. Das Land hat aber neben Brasilien die weltbesten Verhandler. Wenn wir von ihnen etwas wollen, müssen wir im Gegenzug etwas anbieten – und sei es nur, um ihnen zu ermöglichen, dass sie ihr Gesicht wahren können. Zum Beispiel kann der Dialog über mögliche Entschädigungen für Erdöl, das sie im Boden belassen, so lange blockiert werden, bis sie bereit sind, auch über neue Emissionsverminderungen – also auch den gesamthaften Minderverbrauch von Öl und Gas – zu sprechen.
An der Klimakonferenz wird also wie auf einem Viehmarkt verhandelt.
Der einzige Unterschied ist, dass an einem Viehmarkt transparent ist, wer wie viel bietet. An der Klimakonferenz weiss man oft bis zur Schlussabstimmung nicht, wie die Interessen liegen. Wann ist die angekündigte rote Linie ein Bluff? Wo wird das Land ein Veto einlegen? Was ist Verhandlungstaktik? Das macht alles anspruchsvoll und zermürbend.
Wie viel wird bereits im Vorfeld einer Konferenz entschieden?
Die Vorbereitungen sind wichtig – und in diesem Jahr waren sie in vielen Bereichen ungenügend, weil die ägyptische Präsidentschaft zu passiv war. Beim Mitigation Work Programme, das ich verhandle, konnten wir uns am Vorbereitungstreffen nicht auf Entwürfe einigen. Auch andere Punkte, für die sich die Schweiz stark eingesetzt hat, waren nach den Treffen ungenügend vorbereitet und haben es deshalb gar nicht erst auf die Agenda geschafft. Wenn die Vorbereitungen stimmen, kann sich an den Konferenzen – vor allem tief in der Nacht – noch sehr viel bewegen. In der Nacht ist alles möglich.
Ist das eine bewusste Verhandlungsstrategie? Man verhandelt so lange, bis die Teilnehmerinnen so übermüdet sind, dass sie allem zustimmen würden?
Das wäre eine gefährliche Strategie. Beim Abschlussplenum würde, wenn auch nur ein Land ein Veto einlegt, die Verhandlung scheitern. Aber in der Nacht sind nur noch jene da, die es auch wirklich interessiert. Mit 10 Leuten ist die Lösungsfindung einfacher als mit 100.
Eine solche Nachtschicht gab es an der diesjährigen Konferenz gleich zu Beginn. Nach 30 Jahren Diskussionen haben die Delegationen erstmals in der Geschichte Klimaschäden auf die Verhandlungsagenda genommen.
Neben der Emissionsverminderung und der Anpassung an die Klimaerwärmung benötigt es auch eine finanzielle Kompensation von Klimaschäden. Denn die Schäden werden nicht erst 2100 auftreten, sie sind bereits heute sichtbar – zum Beispiel bei den verheerenden Überschwemmungen in Pakistan. Müssten die Verursacher von Emissionen für solche Schäden aufkommen, hätten sie auch selbst ein sehr grosses Eigeninteresse, ihren Treibhausgasausstoss rasch zu reduzieren. Aber um ehrlich zu sein: Gejubelt habe ich nicht, als wir die Agenda beschlossen.
Wieso nicht?
Die USA haben eine Fussnote reingedrückt, die eine Debatte über direkte Haftung für Klimaschäden ausschliesst. Eine Haftung würde vorsehen, dass jene Länder bezahlen müssten, die hauptverantwortlich sind für die Krise. Jetzt wird man wohl einen neuen Fonds schaffen, in den willige Geberstaaten freiwillig Geld einzahlen können. Die Summen, die aber maximal gesprochen würden, sind weit von dem entfernt, was zum Beispiel Pakistan jetzt bräuchte. Egal, was die Konferenz dieses Jahr beschliesst, das Geld wird niemals reichen.
Industrienationen – darunter auch die Schweiz – scheuen rechtlich einklagbare Reparationszahlungen wie der Teufel das Weihwasser. Sie müssten die Last letztlich allein tragen, weil sie historisch am meisten CO₂-Emissionen verursacht haben.
Ich halte diese Position für bereits überholt. Denn die Entwicklungs- und Schwellenländer holen mit ihren Emissionen gerade mächtig auf. Gäbe es einen solchen Haftungsmechanismus, müsste zum Beispiel China bald kräftig mitzahlen. Darum glaube ich, die Zeit würde für Länder wie die Schweiz spielen – wobei das wieder zum Problem werden könnte.
Wieso?
Sobald die Entwicklungsländer Schäden mitbezahlen müssten, dürften sie einen Haftungsmechanismus nicht mehr unterstützen.
Letztes Jahr feilschte der US-Klima-Sonderbeauftragte John Kerry mit China und Indien bis zur letzten Minute um den Kohleausstieg. Am Ende war dann in der Mantelerklärung anstatt vom schrittweisen Ausstieg («phase-out») aus der Kohle nur vom schrittweisen Abbau («phase-down») die Rede. Das ist Wortklauberei, die in der Realität keinen Unterschied machen wird.
Dieser Aussage würde ich widersprechen. Kaum hatte die Klimakonferenz den Mantelentscheid getroffen, trat der damalige australische Premierminister vor die Medien und sagte, die Uno habe gerade bestätigt, dass ihre auf Kohleexporten basierende Wirtschaft eine gute Sache sei. Ein anderes Beispiel: Angenommen, die Konferenz würde sagen, man müsse der Atmosphäre dringend direkt CO₂ entnehmen. Das wäre ein Boost für Unternehmen wie Climeworks, die solche Carbon-capture-Anlagen herstellen. Investoren würden noch stärker investieren, obwohl es keinerlei Regeln oder finanzielle Anreize dafür gäbe. Fällen 200 Staaten unisono einen Entscheid, wirkt sich das auf den Markt aus und eröffnet neue Geschäftsfelder.
Gibt es Ideen für Mechanismen, damit die beschlossenen Texte eines Tages für alle verbindlicher werden?
Wir haben 2009 in Kopenhagen versucht, eine Architektur zu bauen, die dazu hätte führen sollen, dass die Beschlüsse verbindlicher werden. Das scheiterte aber an den grossen Emittenten wie China, die nicht wollten, dass die Uno entscheiden kann, wie viel Kohle, Öl und Gas sie noch verbrennen dürfen. So hätte der Mechanismus letztlich funktioniert. Auf globaler Ebene erachte ich heute Anreizsysteme aber als viel erfolgversprechender.
Wie könnte ein solches Anreizsystem genau aussehen?
Der Wirtschaft ist es letztlich egal, welche Spielregeln gelten, solange sich alle an dieselben Spielregeln halten müssen. Deshalb ist die Idee der Klimaklubs entstanden. Darin würden Länder zusammenkommen, die gemeinsame Regeln verabschieden – also zum Beispiel eine CO₂-Abgabe oder strenge Emissionsvorschriften. Der Handel unter den jeweiligen Klubmitgliedern wäre zollfrei, während Importe von Gütern, die mit zu billigem Öl oder zu billiger Kohle hergestellt wurden, aus allen anderen Staaten mit Gebühren belastet würden. Es gäbe also für jene Handelspartner einen Anreiz, die Regeln zu übernehmen, damit sie keinen Wettbewerbsnachteil in Kauf nehmen müssten. Auf der Ebene der Klimakonferenz mit 200 Mitgliedern wäre ein solches Konstrukt schwierig umzusetzen, aber der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz hat einen Vorschlag für einen Klimaklub bei den G-7 eingereicht. Mit weniger Akteuren könnte es funktionieren – am besten wäre eine Koalition zukunftsorientierter Länder, die zusammen eine relevante Wirtschaftskraft haben.
Die Klimakonferenz wird von allen Seiten immer wieder angegriffen, aber auch überhöht. Bei welchen Aussagen verdrehen Sie die Augen?
Ich staune, wie viele Menschen noch glauben, man könne die Welt retten, indem in Sharm al-Sheikh oder New York ganz viele Leute zusammenkommen und sich zunicken. Dass diese Hoffnung noch da ist, scheint mir nach den bisherigen Erfahrungen erstaunlich naiv. Wir dürfen die Hoffnung nie verlieren, aber nur das, was wir zu Hause in Angriff nehmen, hat überhaupt eine Chance international.
Zweitens?
Dass man meint, die Delegation könnte an der Konferenz frei über die Position der Schweiz entscheiden und dann letztlich fürs Resultat verantwortlich gemacht werden. Der Bundesrat legt in seinem Verhandlungsmandat fest, was wir hier erreichen wollen und wie weit ein Resultat gerade noch akzeptabel wäre. Wo sich das Schlussresultat dann einpendelt, entscheidet – leider – nicht die Schweiz allein.
Drittens?
Bei der Kritik, dass eine solche Konferenz extrem viele Flugemissionen verursache.
Der Klassiker.
Die Kritik missachtet, dass hier ganz viele Akteure zusammenkommen, die Klimalösungen massiv vorantreiben und skalieren. Nur etwa 10 Prozent der anwesenden Menschen beteiligen sich an den Verhandlungen. Die restlichen 90 Prozent kommen aus der Wirtschaft oder der Zivilgesellschaft, tauschen Lösungen und Projekte aus. Eine sehr effiziente Art, Klimaschutz zu betreiben. Gestern traf ich einen früheren Kollegen aus der Schweiz, der nur für wenige Tage hier war. Ich fragte ihn, was das soll. Er antwortete, mit der Konferenz hätte er neun andere Reisen substituiert, weil er Entscheidungen, Gelder und Unterschriften von Ministerinnen und Financiers einholen konnte, die er ansonsten extra hätte besuchen müssen. Die Wirtschaft, die letztlich Klimalösungen umsetzt, profitiert stark von der grossen Nähe der Akteure.
Eine Republik-Leserin schreibt, ihre Erwartungen an dieses Format der Weltgemeinschaft würden immer bescheidener. Ist eine solche Konferenz im schlimmsten Fall nicht sogar kontraproduktiv, weil damit das Gefühl gestärkt wird, dass es ja ein zuständiges Organ gäbe und darum andere politische und zivilgesellschaftliche Initiativen wenig beitragen müssten?
Im Gegenteil: Die Konferenz stärkt die Zivilgesellschaft. Allein aus dem Nicht-Wirtschafts-Sektor sind etwa 10’000 Leute an die Konferenz gereist. Sie nehmen eine grosse Kraft in ihr Land zurück; sie sehen, dass wir hier keine Weltlösung finden werden und uns dann pensionieren lassen können. Sie sehen, dass es allein auf diese Weise nicht funktioniert. Aber sie sehen auch, dass sie nicht allein sind in ihrem Engagement für mehr Klimaschutz und zu Hause umso beherzter zupacken müssen.
Eine andere Leserin schreibt, die Klimakrise mache sie sehr betroffen und gelegentlich würden auch Tränen fliessen. Sie fragt: Verspüren Sie nach all den Jahren auch noch Betroffenheit?
Auf jeden Fall. Nachdem im Juni 2021 klar geworden war, dass es auch in der Schweiz nicht möglich ist, die notwendige Klimapolitik zu betreiben, flossen am meisten Tränen. Da konnte man nicht mehr sagen, eine böse Partei sei schuld, denn eine Mehrheit hat so entschieden. Ein kollektives Versagen.
Die Leserin interessiert auch, wie Sie mit dieser Betroffenheit umgehen.
Im Sommer habe ich die Klimautopie «Das Ministerium für die Zukunft» von Kim Stanley Robinson gelesen. Normalerweise lese ich keine so dicken Bücher, der Roman umfasst über 700 Seiten. Stanley Robinson zeigt einerseits auf, wie sich die Welt weiterentwickeln könnte, wenn wir jetzt in der Schweiz, aber auch global nicht handeln. Andererseits bietet das Buch aber auch eine Idee, wie Politik aussehen könnte, die sich nicht nur im Schneckentempo fortbewegt. Es beschäftigt sich mit Möglichkeiten abseits unserer heutigen realpolitischen Vorstellungskraft. Und die fehlende Vorstellungskraft hindert uns letztlich, die ganz grossen Schritte zu nehmen.