Kunst ist verletzlich
Grosse Malerei kann eine Verbündete sein oder ein Feindbild. Die Klimaschützerinnen müssen sich entscheiden. Eine Aktivistin der Reformationszeit macht vor, wie das geht.
Von Kia Vahland, 15.11.2022
Künstlerinnen und Kunstfreunde hören es nicht gerne, aber: Kunst ist verletzlich. Man kann sie verbrennen, zertrümmern, zerfetzen oder verlieren. Holzwürmer fressen sich in Gemäldetafeln, wenn man sie lässt; Zeichnungen vergilben im Licht, wenn niemand sie schützt. Dass überhaupt so zahlreiche Werke aus fernen Zeiten überlebt haben, ist ein Wunder, das allein der Fürsorge früherer Generationen zu verdanken ist. Es braucht sehr viele Menschen, um ein Kunstwerk über Jahrhunderte zu bewahren; ruinieren oder zerstören kann es dagegen eine Einzelperson oder Kleingruppe in wenigen Sekunden.
Wer auch nur von Ferne glaubt, unter bestimmten Umständen könne diese Zerstörung oder das Spiel mit ihr angemessen sein, mag noch so gute Absichten haben. Er oder sie reiht sich ein in die lange Geschichte der Gewalt gegen Kunst. Die ist in jeder Epoche von neuem so spektakulär, weil auch Menschen, die sich für Museen nicht interessieren, intuitiv spüren: Originale Werke sind keine Dinge wie alle anderen. Nicht weil sie manchmal so teuer sind, sondern weil ihnen eine Art Leben innezuwohnen scheint, auch wenn sie doch eigentlich nur aus Leinwand und Farbe, Kohle und Papier, Marmor oder Holz bestehen. Und dieses imaginäre Leben ist verwundbar, so wie auch Menschen verwundbar sind.
Auf solch einen Schockeffekt setzen die Aktivistinnen der «Letzten Generation», die an der politischen und gesellschaftlichen Ignoranz gegenüber dem Klimawandel verzweifeln und deshalb drastische Protestformen wählen. Wozu nun eben auch Suppen- und Breiwürfe auf (durch Glas geschützte) berühmte Gemälde in Museen gehören.
Sie wollen dabei wissen, was wichtiger sei: Kunst oder Leben? Und fragen: Warum regen sich alle über die Attacken auf Gemälde mehr auf als über Umweltzerstörung? Eine Antwort könnte sein, dass es eine triste Aussicht wäre, im Klimawandel zwar die menschliche Zivilisation zu retten, aber nicht ihre Kunst und Kultur.
Dabei scheint weniger Kunsthass als mediale Dynamik die Letzte Generation anzutreiben. Die Aktivisten probieren alle möglichen Protestformen aus, haben damit aber nie so viel Aufmerksamkeit erzielt wie mit einem Kartoffelbreiwurf auf ein Gemälde Claude Monets. Erst das Werfen mit flüssigen Lebensmitteln auf Gemäldescheiben hat die Initiative wirklich ins Gespräch gebracht.
Denn wenn etwa Tomatensuppe an der Scheibe eines Werkes von Vincent van Gogh herunterfliesst, wird sichtbar, wie schnell auch solch ein allseits bekanntes Werk zerstörbar wäre – und tatsächlich gehen die Aktionen, auch wenn das gar nicht beabsichtigt ist, ein hohes restauratorisches Risiko ein: Sollte doch einmal Flüssigkeit über die Bildränder in Leinwände eindringen, quellen diese auf und die Farbschichten platzen.
Vielleicht müssen sich die Klimaschutzgruppen noch entscheiden, ob sie Politik mit oder gegen Kunst machen wollen. In der Geschichte der politischen Revolte gibt es beides. Wie schnell sich Bildersturm und Bilderagitation dabei abwechseln können, zeigen die Ereignisse aus der Reformationszeit in Rom.
Aufgewiegelt von Flugblättern aus dem Umfeld Martin Luthers, verwüsteten protestantische Deutsche im Mai 1527 im sacco di Roma die Ewige Stadt. Papst Clemens VII. konnte knapp durch einen Geheimgang in die Kerker der Engelsburg fliehen. Dort sass er bei Wasser und Brot fest, während die deutschen Landsknechte brandschatzten, plünderten – und systematisch Kunst zerstörten. Sie rissen im Vatikan die Seidenfäden aus den Tapisserien, spielten Fussball mit den Köpfen von Heiligenstatuen, zerkratzten die Gesichter von Päpsten auf Raffaels Fresken.
Viele Renaissancekünstler reagierten entsetzt: Waren sie doch bisher so stolz, dass ihre Werke länger «leben», als dies Menschen tun, und Malerei die bunte Schönheit eines Moments über Jahrhunderte erhalten kann. Das aber galt nur, solange niemand mit Hammer und Messer kam.
Besonders traumatisierend waren die Ereignisse für den Maler Sebastiano del Piombo, der den sacco gemeinsam mit Clemens VII. in der Engelsburg überlebt hatte und anschliessend dessen Bleisiegler wurde. Noch Jahre später klagte del Piombo gegenüber seinem Freund Michelangelo, er sei nicht mehr der «alte Bastiano», der er vor dem sacco war: «Ich komme immer noch nicht wieder zu Verstand.»
Malen mochte er kaum noch – bis ihm eine Idee kam: Er experimentierte mit Ölmalerei auf Stein statt auf Leinwand, Holz oder Putz, wohl in der trügerischen Hoffnung, das als beständig geltende Material halte Angriffen besser stand. Die Ergebnisse waren betörend, glatt und strahlend. Von einem päpstlichen Angestellten wie ihm wäre nun in dieser neuen Technik katholische Propaganda zu erwarten gewesen.
Stattdessen porträtierte Sebastiano in Öl auf Schiefer die Frau, die das System Kirche herausforderte wie keine andere: Giulia Gonzaga, Aktivistin für eine Komplettreform des Katholizismus. Die Männer und Frauen in Gonzagas spirituellem Netzwerk wollten so gut wie alles, was die deutschen Lutheraner auch wollten, mit einer Ausnahme: Sie wollten es innerhalb der Kirche erreichen. Ihr Vorhaben war kühn, und es fand auch unter Künstlern wie Michelangelo und Sebastiano del Piombo Sympathien.
Ein Initiator der innerkatholischen Reformbewegung war der spanische Freigeist Juan de Valdés. Nach seinem Tod 1541 übernahm Gonzaga seinen Nachlass und orchestrierte die Bewegung, zu der auch hochrangige Kurienvertreter gehörten. Das fiel ihr leicht, weil sie längst landesweit berühmt war: Seit einem früheren Porträt, das ebenfalls Sebastiano del Piombo gemalt hatte, war Gonzaga in Italien immer wieder als die schönste und tugendhafteste Frau der Welt besungen und gefeiert worden. Nun war sie auch: eine der radikalsten Frauen ihrer Zeit.
Beide Gemälde existieren heute nur noch in Kopien, die entweder Sebastiano und seine Werkstatt oder andere Künstler fertigten. Die beste Fassung hängt im Museum Wiesbaden, sie zeigt Gonzaga als Reformerin und ist in Öl auf Schiefer gemalt. Zu sehen ist eine ernste, im Leben stehende Denkerin. Sie blickt uns an, wissend und herausfordernd. Raumgreifend tritt sie auf, stützt sich leicht auf einen erleuchteten Tisch, hat alles unter Kontrolle. In einer anderen Fassung des Motivs, heute in den Florentiner Uffizien, legt Gonzaga ihre Hand in eine Bibel.
Immer trägt sie eine Stola aus Marderpelz. Ausgestopfte und mit Nasenring versehene Wiesel an einer Gürtelkette zu tragen, war damals unter Damen modern. Auf dem Wiesbadener Gemälde ist das Wiesel am besten erkennbar, wenn man vor dem Original steht, so schwach ist der Farbauftrag inzwischen. Gonzaga balanciert das Tier, von dem man kaum sagen kann, ob es lebt oder tot ist, auf ihrer rechten Hand; es ist an einem Ring an ihrem Mittelfinger befestigt. Keine machtvolle Geste, sondern liebevolle Führung lässt sie dem kleinen Raubtier angedeihen.
So sah die Heldin der innerkatholischen Revolte also aus, in den Augen ihres Malers: eine standhafte Beschützerin, gemalt auf einer Schieferplatte, damit die Anliegen dieser Frau auch alle Unbill überleben mögen.
Doch selbst Schiefer kann brechen. Und das Erbe Giulia Gonzagas fiel gleich nach ihrem Tod 1566 der Repression zum Opfer. Papst Pius V. liess ihren Nachlass konfiszieren und mit darin befindlichen Beweisen einen Freund Gonzagas, einen prominenten Kleriker, auf dem Scheiterhaufen als lutheranischen Ketzer hinrichten. Nach Lektüre aller Unterlagen bedauerte der Papst nur eins: dass es nun zu spät war, Giulia Gonzaga als Häretikerin bei lebendigem Leibe zu verbrennen. Das Andenken an die Revoluzzerin konnte er nicht verbrennen, zu oft waren Sebastiano del Piombos Gemälde kopiert worden, zu bekannt waren die Gedichte, die Gonzagas Tugenden besangen.
Die lutheranischen deutschen Landsknechte wollten die Kunst in Rom für die Fehler der Päpste bestrafen; die kirchenkritische italienische Aktivistin dagegen ging ein Bündnis mit der Kunst ein. Es ist eine Wahl, die man so oder so treffen kann. Auch dann noch, wenn die Welt aus den Fugen zu geraten droht.
Horst Bredekamp: «Theorie des Bildakts», Suhrkamp, Berlin 2010. 463 Seiten.
Kia Vahland: «Lorbeeren für Laura. Sebastiano del Piombos lyrische Bildnisse schöner Frauen», Akademie-Verlag, Berlin 2011. 294 Seiten, ca. 140 Franken.