Grenzprobleme
Lesha hat Sorgen: Es ist schwierig, Kontakt zu seinen Grosseltern zu halten. Dort, wo sie wohnen, gibt es immer wieder Explosionen. Seine Frau Agata hatte derweil Ärger an der Grenze.
Von Lesha Berezovskiy (Text und Bilder) und Sven Gallinelli (Übersetzung und Bildredaktion), 03.10.2022
Nach unserer Rückkehr aus den Ferien in den Karpaten gab es erst mal gute Neuigkeiten von der Frontlinie des Krieges: Täglich befreite die ukrainische Armee Städte in der Region Charkiw und stiess weiter in die Region Luhansk vor. Ich kenne die befreiten Städte, ich bin da immer durchgereist, wenn ich meine Familie in Isjum in der Nähe von Kupjansk besucht habe.
Ich erinnere mich, wie der Zug in Kupjansk für fast 30 Minuten anhielt und das Perron voll war mit Einheimischen, die getrockneten Fisch verkaufen wollten. Es gibt dort einen schönen Fluss, den Oskol, Fischen ist eine Möglichkeit, um Geld zu verdienen. Wenn der Zug dann den Bahnhof verlässt, gibt es nur noch einen Geruch im Waggon: denjenigen von getrocknetem Fisch.
Die Befreiung der Städte in der Region Luhansk weckte in mir die Hoffnung, dass ich vielleicht nächstes Jahr meine Grosseltern besuchen kann, die dort leben. Es ist derzeit sehr schwierig, Kontakt mit ihnen aufzunehmen, weil die Russen alle mobilen Internetverbindungen gekappt haben. Am 19. September schaffte es mein Grossvater, mich anzurufen, und ich war sehr froh, zu hören, dass es meinen Grosseltern gut geht. Auch sie hoffen, dass ihr Ort bald befreit wird.
Seither habe ich nichts mehr gehört, ich lese aber in den Nachrichten, dass es rund um den Wohnort meiner Grosseltern immer wieder zu Explosionen kam. Ich mache mir Sorgen. Ich hoffe, es geht ihnen weiterhin gut. Für mich ist die Situation schwierig. Gerade habe ich ein paar Arbeiten für Magazine abgeschlossen, was mir Freude macht. Doch die Freude wird durch die Nachrichten aus meiner Heimat getrübt.
Auch um meine Frau Agata musste ich mir kürzlich Sorgen machen. Sie reiste für ein paar Tage nach Polen, um zu arbeiten. Ich befürchtete, dass es schwierig für sie werden könnte, in die Ukraine zurückzukehren. Wie ich schon früher erwähnt habe, hat sie einen russischen Pass.
Und tatsächlich gab es bei ihrer Rückkehr Probleme. Zuerst hatte sie Mühe, nur schon einen Bus in Richtung Ukraine zu besteigen. Die Busfahrer sagten ihr: «Wir werden an der Grenze Probleme bekommen, wenn wir dich mitnehmen.» Also nahm sie einen Bus, der nur bis zur Grenze fuhr, und versuchte dann, zu Fuss über den Zoll zu kommen. Am Grenzposten wurde sie dann während Stunden aufgehalten, musste Videointerviews geben und mit dem Postenchef sprechen.
An der Grenze wurde ihr gesagt, man sehe es nicht gerne, wenn jemand nur für ein paar Tage ausreise. «Willst du die ganze Zeit hin- und herreisen?», wurde Agata gefragt. Schliesslich konnte sie dann doch einreisen. Agata versucht, es positiv zu sehen. Sie sagte mir: «Es war ein Tag voller Emotionen. In der ‹Financial Times› wurde ein Projekt veröffentlicht, bei dem ich mitgewirkt hatte, dadurch bekam ich auf Instagram viele positive Rückmeldungen. Gleichzeitig der ganze Stress an der Grenze. Es war eine emotionale Achterbahnfahrt. Schlussendlich hatte ich ja Glück. Aber wir werden sicher auch in Zukunft mit solchen Problemen zu kämpfen haben.»
Ich spüre, wie Agata es langsam leid ist, immer diese Bürokratie auszuhalten. Ihr EU-Visum endet im Dezember, und nach ihrem Trip nach Warschau hat sie entschieden, vorerst nicht mehr in die EU zu reisen. Ihr Visum würde wohl auch nicht verlängert, weil es nun in vielen EU-Ländern einen Einreisestopp für Russen gibt. Natürlich unterstützen wir das grundsätzlich, aber es ist halt auch schwierig. Ich wünschte mir, man würde da ein bisschen differenzieren zwischen Menschen, die aus Russland einreisen, und solchen, die in der Ukraine leben oder aus ukrainischen Familien stammen.
Aber selbst wenn Agatas Visum verlängert würde, gäbe es an den Grenzen wohl weiterhin Probleme. Wir haben darum entschieden, dass wir nicht länger mit solchen Problemen konfrontiert werden möchten. Das heisst, dass Agata vorerst mal bis nächstes Jahr in Kiew bleibt. Wer weiss, vielleicht wird es ja irgendwann möglich sein, dass sie einen ukrainischen Pass bekommt. Bis dahin scheint es uns besser, zusammenzubleiben in solch unsicheren Zeiten.
Nach all diesen Ereignissen musste ich etwas Abstand gewinnen und mich wieder mal körperlich betätigen, weil mich das etwas ablenkt. Also bin ich mit ein paar Freunden nach Tschernihiw gefahren, um dort Freiwilligenarbeit zu leisten. Das tat gut. In den letzten zwei Monaten habe ich sportliche Aktivitäten ziemlich vernachlässigt. Es ist höchste Zeit, dass ich meine Trainingsroutine wieder aufnehme.