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Die Bundes­kanzlei schafft Fakten in der Cloud-Frage

Der Bund hat die Verträge mit Amazon, Alibaba und Co. bereits unterzeichnet. Obwohl die rechtliche Grundlage für das Geschäft noch nicht geklärt ist.

Von Adrienne Fichter, 27.09.2022

Synthetische Stimme
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Es scheint eine neue Mode in Bundesbern zu geben: Verträge zu unterzeichnen, bevor der demokratische und rechts­staatliche Prozess in einer Sache abgeschlossen ist.

So geschehen beim Kampf­flieger F-35. Nachdem das Parlament grünes Licht gab, hat das Departement für Verteidigung (VBS) den Beschaffungs­vertrag vergangene Woche unterzeichnet. Trotz der Volks­initiative «Stopp F-35», die mit Erfolg eingereicht worden war und die eigentlich eine Abstimmung über den spezifischen Kampfjet­typ verlangt hätte.

Ähnlich liegt der Fall bei der umstrittenen Public-Cloud-Beschaffung. Auch hier hat die Bundes­kanzlei als das feder­führende Amt des Bundes Nägel mit Köpfen gemacht, bevor die Rechtslage geklärt ist.

Denn am Dienstag hat die Bundes­kanzlei kommuniziert: Die Rahmen­verträge mit Amazon, Oracle und Co. im Wert von 110 Millionen Schweizer Franken sind bereits unterzeichnet.

Obwohl die umstrittene Beschaffung derzeit noch untersucht wird.

Zur Erinnerung die Ausgangs­lage: Der Bund möchte seine Daten in der Cloud speichern und dazu am liebsten auf die Dienste von Anbietern aus den USA oder China zurückgreifen. Den Zuschlag erhielten Microsoft, Oracle, IBM, Amazon und Alibaba. Das Problem dabei: die amerikanischen und chinesischen Überwachungs­gesetze, die den jeweiligen Behörden den Zugriff auf die Daten von Schweizer Bürgerinnen ermöglichen könnten. Die Bundes­kanzlei hat den grossen Cloud­anbietern zwar viele Zugeständnisse in Sachen Daten­schutz abringen können, wie sie berichtete.

Dennoch sorgte das Vorhaben für Empörung und für Widerstand auf dem Rechtsweg, der noch nicht geklärt ist. Zum einen klagte ein Schweizer Bürger gegen die Verarbeitung seiner persönlichen Daten in amerikanischen und chinesischen Clouds. Das Bundes­verwaltungs­gericht wollte sich nicht mit seinem Anliegen auseinander­setzen. Und wurde dafür vom Bundes­gericht gerügt, wie die Republik berichtet hat. Nun muss das Bundes­verwaltungs­gericht sich erneut mit der Beschaffung beschäftigen. Das Urteil steht noch aus.

Der Bundes­kanzlei sind diese juristischen Sach­zwänge bewusst.

Ein negativer Bescheid würde nämlich bedeuten: Die Kapazitäten in den bestehenden Cloud-Daten­zentren wären vorhanden, sie dürften aber nicht genutzt werden. Um bei der Analogie zum F-35 zu bleiben: Das wäre, als wenn die eingekauften Kampfjets nach Lieferung am Boden bleiben müssten. Es gibt aber einen Unterschied: Die grossen Tech-Konzerne erhalten im Gegensatz zu Kampfjet-Produzent Lockheed Martin in diesem Fall keinen einzigen Rappen. Da es keine Bezugs­pflicht gibt, ist das nicht weiter problematisch. Alibaba und Co. haben in diesem Fall auch keinen rechtlichen Anspruch auf Schadenersatz.

Doch beim Vorgehen der Bundes­kanzlei gibt es ein anderes Problem: Im Gerichts­verfahren des klagenden Bürgers blieb offen, auf welcher gesetzlichen Grundlage dessen Daten überhaupt verarbeitet würden. Die Republik hakte nach, und es zeigt sich: Es gibt dafür kein spezifisches Gesetz. Dies sei nicht nötig, die Beschaffung laufe unter «administrative Hilfs­tätigkeit», sagte Florian Imbach, Informations­beauftragter der Bundes­kanzlei. Sie werde unter anderem durch die Datenschutz­gesetzgebung legitimiert.

Bundes­parlamentarier wie SP-National­rat Fabian Molina waren konsterniert, als sie diese Antwort in der Republik lasen. Sie traten in Aktion. Molina sagt dazu: «Ich beantragte, dass das in der GPK untersucht wird.» Die Geschäfts­prüfungs­kommission des Nationalrats (GPK) beschäftigt sich nun also erneut mit dem Fall. GPK-Präsident SVP-Nationalrat Alfred Heer bestätigt dies.

Solange die Untersuchung zur Rechtmässigkeit der Beschaffung läuft, sollten die Rahmen­verträge nach Meinung des GPK-Mitglieds Molina in der Schublade bleiben. Dem SP-Politiker missfällt entsprechend das Vorpreschen der Bundes­kanzlei: «Dass die Bundes­kanzlei die Verträge unterzeichnet, noch bevor das Urteil des Bundes­verwaltungs­gerichts vorliegt und die GPK ihre Abklärungen abgeschlossen hat, ist ein Skandal.»

Die Bundeskanzlei setzt mit den Rahmen­verträgen zwar neue Massstäbe. Im Gegensatz zu anderen Cloud-Projekten des Bundes hat sie offenbar beachtliche Verhandlungs­erfolge bei den Anbietern erzielt. Sie kommuniziert ausserdem transparent und veröffentlicht das Pflichten­heft für die Cloud-Leistungen, Evaluations­kriterien und sämtliche Arbeits­materialien. Das gab es vorher noch nie.

Dennoch pokert sie hoch. Denn auch wenn das Bundes­verwaltungs­gericht ihr recht geben sollte – wovon auszugehen ist –, ist der rechtliche Streit noch nicht zu Ende. Der Bürger wird seine Klage höchst­wahrscheinlich nochmals an das Bundes­gericht weiterziehen und einen Abbruch des Cloud-Projekts verlangen. Das Verfahren könnte noch viele Monate dauern. Und der Datenfluss in die amerikanischen und chinesischen Clouds je nachdem auf sich warten lassen.

So oder so: Der Rechtsstaat und die Gewalten­teilung verkommen zur Farce, wenn Fakten geschaffen werden, bevor die parlamentarische Aufsicht und Bundes­richterinnen ihre Arbeit erledigt haben. Und führt zur Resignation, wie auch der Rückzug der Initiative «Stopp F-35» durch die Initiantinnen gezeigt hat.

Das Cloud-Drama in Bern wird wohl bald in den nächsten Akt gehen.

In einer früheren Version haben wir geschrieben, dass die Bundes­kanzlei sich vertraglich ausbedungen hat, dass die Bezüge der Cloud-Leistungen erst bei grünem Licht durch die Justiz erfolgen dürfen. Da es aber keine Bezugs­pflicht gibt, musste dies nicht vertraglich festgehalten werden.

Zur Recherche

Ein Bürger klagt gegen die Public-Cloud-Beschaffung und erringt einen Teilsieg – so lautete das Ergebnis einer Recherche vor ein paar Wochen. Das Bundes­gericht gab dem Beschwerde­führer teilweise recht, nun befasst sich das Bundes­verwaltungs­gericht damit.