Hochzeitstag
Fotograf Lesha feiert mit seiner Frau Agata den Hochzeitstag im Grünen. Besorgt schauen sie sich am Tag darauf die russische Militärparade in Moskau an – und schöpfen Hoffnung.
Von Lesha Berezovskiy (Text und Bilder) und Annette Keller (Bildredaktion und Übersetzung), 18.05.2022
Uns geht es so weit gut. In der Woche vor dem 9. Mai, dem russischen Tag des Sieges über Nazideutschland, waren wir sehr angespannt, jeden Tag etwas mehr. Von allen Seiten hörten wir von neuen Bombardierungen, die bevorstehen sollen, sogar unsere engsten Freunde sprachen davon. Viele von ihnen haben deshalb Kiew für eine Weile verlassen. Wir teilten diese Befürchtungen nicht.
In der Nacht vom 6. auf den 7. Mai heulen dann doch die Sirenen. Sie lassen mich kaum schlafen, Zweifel treiben mich um. Waren die Warnungen vielleicht doch begründet? Wären wir besser aufgehoben ausserhalb der Stadt? Und dann feiern Agata und ich am 8. Mai auch noch unsern zweiten Hochzeitstag. Das alles zusammen ist dann doch Grund genug, der Einladung eines Freundes zu folgen, der etwas ausserhalb der Stadt in einem Sommerhaus lebt, seit er aus Lwiw zurückgekehrt ist.
Ich bin mir nicht sicher, wie viel Schutz dieser Ort wirklich bietet – es gibt zum Beispiel keinen Keller, in den man sich zurückziehen könnte, sollte tatsächlich etwas passieren. Wir fahren trotzdem und versuchen, uns über ein paar Tage in der Natur zu freuen und unseren Hochzeitstag wenigstens ein bisschen zu feiern.
Trotz der Sorgen im Hinterkopf verbringen wir sehr friedliche und entspannte Tage mit unseren Freunden. Klar sprechen wir viel über den Krieg und schauen immer wieder nach, ob etwas passiert ist, das wir wissen müssten. Aber in Kiew ist es ruhig geblieben.
Das Sommerhaus befindet sich in der Nähe eines Waldes, bei einem Spaziergang finden wir dort die Überreste einer Bombe, die am ersten oder zweiten Kriegstag dort eingeschlagen sein muss, als wir voll unter Beschuss waren. Es erinnert nicht mehr viel an den Einschlag – ein paar angekohlte Bäume und einige wenige Metallstücke, die wir einer russischen Rakete zuordnen können. Ich vermute, die Menschen aus der Umgebung haben bereits aufgeräumt und die «russischen Souvenirs» entfernt.
Am 9. Mai dann, dem Tag, der uns solche Sorgen machte, hören wir uns die Ansprache von Putin an und schauen die Übertragung der Militärparade in Moskau. Keine der Voraussagen, nichts, was wir erwartet haben, wird wahr. Zum Glück. Putin wirkt auf uns nicht besonders zuversichtlich oder gar machtvoll. Auch die Parade erscheint im Vergleich zu anderen Jahren fast erbärmlich. Keine Männer, nur Jungs im Alter zwischen 16 und 18 Jahren von den verschiedenen Militärakademien des Landes und erstaunlich wenig Kriegsmaschinen. Das gibt uns etwas Hoffnung.
Obwohl es in den letzten Wochen ruhig war in Kiew, bleibt ein latentes Gefühl der Bedrohung. Die ersten eineinhalb Monate nach Beginn der Invasion lebten wir nur 15 bis 20 Kilometer von der Front entfernt, die Gefahr war sehr präsent. Das hat Spuren hinterlassen. Die meisten unserer Freundinnen, die zu Kriegsbeginn Kiew Richtung Westen verlassen haben, hielten uns für verrückt, weil wir geblieben sind.
Wenn ich in letzter Zeit von einem sicheren Ort sprach und damit unsere Wohnung meinte, war das stets mehr eine mentale Sicherheit. Denn im echten Leben war es das bestimmt nicht. Niemand konnte wissen, ob Kiew den russischen Streitkräften standhält, und manche Leute sind davon nach wie vor nicht überzeugt. Ich habe jeden Tag an unserer Entscheidung gezweifelt, hierzubleiben. Es ist gut gegangen, bis jetzt. Unser Alltag hat trotz allem eine brüchige und irreale Normalität zurückgewonnen. Grosse Sorgen mache ich mir aber nach wie vor um meine Grosseltern, die in der besetzten Region Luhansk ausharren müssen.