Die Kinder der Entthronten

Sie regieren längst nicht mehr über ganze Völker und wollen doch nach wie vor die Geschicke ihrer Länder mitbestimmen. Doch was haben die Nachkommen einstiger Monarchen dem Europa des 21. Jahrhunderts noch zu bieten?

Von Helen Lewis (Text), Stephan Pörtner (Übersetzung) und Jelka von Langen (Bilder), 14.05.2022

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Vorgelesen von Patrick Venetz
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Prinz Leka II. von Albanien in seiner Königsresidenz in Tirana. Im Salon posiert er vor einem Bild, das die Hochzeit seiner Grosseltern zeigt.

Eine Besonderheit des europäischen Adels sind die Vornamen, die sich wie Schnee­wehen anhäufen. Es ist Mittagszeit in Tirana, der Haupt­stadt Albaniens. Gleich treffe ich Leka Anwar Zog Reza Baudouin Msiziwe Zogu, den Kron­prinzen der Albanerinnen.

Die albanische Königs­residenz ist leicht zu übersehen, sie liegt in einer ruhigen Seiten­strasse hinter dem nationalen Kunst­museum. Während der Buckingham Palace über 775 Zimmer verfügt, darunter 188 Schlafzimmer für das Personal, 52 für die königliche Familie, 19 Prunkgemächer und 78 Badezimmer, gleicht die albanische Residenz einem kleineren, unauffälligen Haus in einem wohlhabenden amerikanischen Vorort. Das Eingangstor öffnet zu einem Innenhof, in dem das Land seine ungeliebten sowjetischen Statuen lagert: Lenin, Stalin und der albanische Kommunisten­führer Enver Hoxha blicken mit steinerner Miene auf ein unbekanntes Mädchen der Stachanow-Bewegung. Lenin hat keine Arme. Hoxhas Nase fehlt.

Das Tor wird von einem älteren Diener bewacht, für den der Begriff «treuer Gefolgs­mann» erfunden worden sein könnte. Als Britin fühle ich mich angesichts seiner kaum verhohlenen Irritation über meine Anwesenheit gleich wie zu Hause.

Und da ist er, der Prinz: 39 Jahre alt, über 1,80 Meter gross, blonder Bart, marineblauer Blazer. Mit einem leichten südafrikanischen Akzent verabschiedet er sich von seiner Frau, Kronprinzessin Elia, und ihrer einjährigen Tochter, Prinzessin Geraldine. Die beiden sind im Begriff, in den Park zu gehen – ohne Bodyguards –, und Prinz Leka II. führt mich in den Salon, wo mir der treue Diener einen Espresso serviert.

Der Raum nebenan ist der albanischen Geschichte gewidmet. («Was für ein schöner Krummsäbel», bestaune ich die familien­eigene Schwert­sammlung, da mein Smalltalk-Repertoire für so eine Gelegenheit nicht ausreicht.) Dahinter befindet sich ein gemütliches Wohn­zimmer mit einem Ledersofa, dessen Behaglichkeit durch die an der Wand hängenden Pfeile und Bögen etwas beeinträchtigt wird.

Lekas kosmopolitischer Name erzählt die Geschichte seiner Familie. Zog steht für seinen Grossvater, ein osmanischer Bey oder Stammesfürst, der 1922 Premier­minister von Albanien wurde, sich drei Jahre später zum Präsidenten und 1928 zum König ernennen liess. Dieses Arrangement hielt elf Jahre lang, bis 1939 Mussolini einmarschierte und Albanien zu einem Teil des italienischen Reiches machte. Zog floh mit seiner Frau Geraldine und seinem zwei Tage alten Sohn, der später Leka I. genannt wurde, nach Griechenland. Danach siedelte die Familie in die Türkei über, dann nach Frankreich, London, Ägypten und schliesslich wieder nach Frankreich, wo Zog 1961 starb. Seine Witwe und sein Sohn wanderten nach Spanien und später nach Rhodesien (heute Simbabwe) aus, bevor sie sich in Südafrika niederliessen.

Die anderen Namen von Leka II. sind eine Hommage an die mächtigen Männer, die dem Königs­haus während des langen Exils geholfen haben: Anwar nach dem ägyptischen Präsidenten Anwar as-Sadat; Reza nach Mohammad Reza Pahlavi, dem letzten Schah von Iran; Baudouin steht für Boudewijn, einen Onkel des derzeitigen Königs von Belgien. Msiziwe ist ein Ehren­titel der Zulu, abgeleitet von dem Wort für «Helfer»; er soll daran erinnern, dass die Regierung Südafrikas bei der Geburt von Zogs Enkel die Entbindungs­station symbolisch zu albanischem Staats­gebiet erklärte.

Prinz Leka wuchs in den letzten Tagen der Apartheid auf. Er erinnert sich noch gut daran, wie er als Kind den Strand von Durban besuchte und fragte, warum der Zulu-Fahrer der Familie nicht mitkommen durfte. «Es war ein Strand für Weisse», sagt er. Er schaute zu den schwarzen Kindern hinüber, die in ihrem abgetrennten Bereich spielten, und fragte sich, warum er nicht mit ihnen spielen durfte. «Schauen Sie Trevor Noahs Sendung?», fragt er mich nach dem südafrikanischen Comedian und Moderator der «Daily Show». «Mit seinen Ansichten und seiner Philosophie kann ich mich identifizieren.» Prinz Leka lehnt sich in seinem Stuhl vor. «Wenn wir uns unseres Vermächtnisses und der Leiden der Vergangenheit nicht bewusst sind, verheisst das nichts Gutes für die Zukunft.»

Touristen­attraktionen oder peinliche Artefakte

Leka ist ein wandelnder Widerspruch – ein Prinz, der in einer demokratischen Republik lebt. Als einziger Sohn eines einzigen Sohnes ist seine Position eine einsame. Er hat sich eine gewaltige Aufgabe gestellt: Er will in einem armen Land mit einem instabilen, von einem halben Jahrhundert Autoritarismus gezeichneten politischen System als Integrations­figur wirken. In einer von religiöser Gewalt geprägten Region. Die Mittel, die ihm zur Verfügung stehen, sind beschränkt: ein klangvoller Name, ein freundliches Auftreten und eine Handvoll Social-Media-Accounts. Leka ist auf Facebook und Instagram aktiv und äussert sich gelegentlich auf Twitter, wo sein nicht verifizierter Account eine «Mischung aus persönlichen und offiziellen Ereignissen» verspricht.

In Europa werden königliche Familien entweder als Touristen­attraktionen, peinliche Artefakte, geistige Führer oder Symbole der nationalen Identität betrachtet. Länder, die ihre Monarchen zugunsten des Faschismus, des Kommunismus oder der Militär­herrschaft ins Exil geschickt hatten – Griechenland, Serbien, Rumänien, Bulgarien und natürlich Albanien –, erlaubten ihren königlichen Familien später, in die Heimat zurück­zukehren, und gingen damit einen heiklen Pakt mit der Geschichte ein. Sie sind königlich, aber keine Königinnen. Monarchen ohne Thron, gefangen zwischen Vergangenheit und Zukunft. Erstaunlich viele von ihnen sind in die Politik gegangen. Was erwarten ihre Länder von ihnen?

Leka lebt bescheiden. Der ursprüngliche Königs­palast wurde 1946 von den Kommunisten beschlagnahmt, und der königliche Haushalt erhält keine staatlichen Mittel. Er hat keine von der Verfassung anerkannte Rolle. Seine Chancen, den Thron wieder zu besteigen, sind ausgesprochen gering. In gewisser Hinsicht ist seine Geschichte typisch für einen Millennial: Anders als frühere Generationen von Kronprinzen, die ein sicherer, unbefristeter Arbeits­platz mit festem Gehalt und vielen Zuwendungen erwartete, übt Leka königliche Aufgaben nur aus, um sich zu profilieren – in der Hoffnung, irgendwann eine Vollzeit­stelle zu bekommen.

Ein unbezahltes Praktikum als Monarch.

Die Geschichte Europas ist auch die Geschichte seiner Königshäuser – der Habsburger, der Bourbonen, der Romanows, der Stuarts, des Hauses Hohenzollern und des Hauses Oranien.

Es gab importierte Könige: Als die europäischen Grossmächte beschlossen, Albanien brauche einen Monarchen, schickten sie 1914 einen deutschen Hauptmann, der diese Aufgabe übernehmen sollte. (Es dauerte sechs Monate, bis er ins Exil gezwungen wurde.) Ein paar Könige wurden gewählt: Der löbliche Versuch des Gemein­wesens der Polnischen Krone und des Grossfürsten­tums Litauen, den Bewerberkreis für die Monarchie zu erweitern, führte wiederholt zu Kriegen. Und es gab Könige, die hingerichtet wurden: Karl I. von England wurde mit einer Axt geköpft, Ludwig XVI. auf der Guillotine hingerichtet.

Zurzeit gibt es in Europa noch zwölf Monarchien, darunter drei Fürsten­tümer, ein Grossherzogtum und den Vatikan. Doch es wimmelt geradezu von entthronten oder im Exil lebenden Adligen, von denen viele in ihre angestammten Länder zurück­gekehrt sind.

König Michael von Rumänien wurde von den Kommunisten vertrieben, aber seine Tochter Margareta, Hüterin der rumänischen Krone, ist wieder im Land und hat eine Wohltätigkeits­stiftung mitbegründet. Konstantin II., ehemaliger König von Griechenland, floh nach dem Staats­streich von 1967 mit seiner Familie nach Italien. Heute lebt er zurück­gezogen in einem griechischen Ferienort. Kronprinz Alexander von Serbien wurde in einer Suite im «Claridge’s» in London geboren. Sein Vater war während des Zweiten Weltkrieges aus Jugoslawien geflohen. Er lebt heute im Königs­palast in Belgrad. Simeon von Sachsen-Coburg und Gotha, ehemaliger König von Bulgarien, verbrachte fünfzig Jahre im Exil. Nach seiner Rückkehr im Jahr 1996 wurde er Premier­minister des Landes.

König Zog, auch genannt «Zog, der Tyrann», als Statue in Tirana.
Wie eine ganz normale Familie: Fotos der Dynastie.

Je weiter die Königshäuser von der Macht entfernt sind, desto seltsamer wird die Angelegenheit. So gibt es drei Anwärter auf den französischen Thron. Einer von ihnen – Jean-Christophe Napoléon Bonaparte, der im Bereich Private Equity arbeitet – hat ein Linkedin-Profil. Ein anderer, Jean d’Orléans, Graf von Paris, ist sechs Generationen von Frankreichs letztem König Louis-Philippe entfernt, verspürt aber das Bedürfnis, die monarchistische Präsenz im Internet aufrecht­zuerhalten. «In den letzten dreissig Jahren hat die Politik unseres Landes durch ihren hedonistischen Individualismus die sozialen Bindungen grundlegend verändert», erklärt er auf seiner Website. «Es erscheint mir daher wichtig, meine Verpflichtungen mit angemessener Kommunikation zu begleiten.»

Der dritte Anwärter geht noch weiter. Louis de Bourbon, Herzog von Anjou, hat eine Twitter-Präsenz, wie man sie eher von Autorinnen auf Newsletter-Plattformen kennt. Der selbst ernannte Louis XX. hat sich gegen die gleich­geschlechtliche Ehe ausgesprochen und die «schweigende Mehrheit» der französischen gilets jaunes unterstützt.

Im Jahr 2020, nachdem ein Aktivist während einer antirassistischen Demonstration die Hand einer königlichen Statue in Kentucky abgerissen hatte, twitterte er: «Als Erbe von #LouisXVI und als solcher der Wahrung seines Andenkens verpflichtet, hoffe ich, dass der Schaden behoben und die Statue restauriert wird.» Die Amerikaner zeigten sich unbeeindruckt. Viele der 8000 Kommentare auf den Tweet ähnelten sich. «Ihre Familie war noch nie besonders gut darin, die Stimmung des Volkes einzuschätzen, nicht wahr?», hiess es in einem. Ein anderer lautete: «Sie tun so, als wäre eine Hand der wertvollste Körperteil, der Ludwig XVI. je vor einer Menschen­menge abgetrennt wurde.»

Die französische Öffentlichkeit betrachtet das Gerangel zwischen den drei Thron­anwärtern mit einer Mischung aus Gleich­gültigkeit und Verachtung. Andere ehemalige König­reiche sind ihren Aristokraten gegenüber jedoch wohlgesinnter.

Lekas Anwesenheit in Tirana ist ein Zeichen dafür, dass die intoleranten, paranoiden Tage des Kommunismus vorbei sind. Obwohl die Politik seines Vaters rechts gesinnt war, gibt er sich betont unparteiisch, und seine Patchwork­familie – eine anglikanische Mutter, eine katholische Gross­mutter, ein muslimischer Gross­vater und eine orthodoxe Gattin – dient als Modell für ein Land, das jene Spaltungen zu überwinden versucht, die den Balkan so lange Zeit heimgesucht haben. Leka selbst sieht sich als Antwort auf die Frage: Braucht ein Land, das sich nicht über eine Religion oder eine Ideologie definiert, einen anderen Brennpunkt, ein Symbol der nationalen Einheit?

«Es mangelt uns an Vorbildern», meint Grida Duma, Parlaments­abgeordnete der «Partia Demokratike e Shqipërisë» (PDS), einer Mitte-rechts-Partei. «Seit byzantinischer Zeit haben wir das Glück und das Pech, zwischen den Kulturen zu stehen – und als kleines Land inmitten der Kulturen ist es sehr schwierig, eine Identität aufzubauen.»

Aus König Zog wurde «Zog, der Tyrann»

Bevor ich in Tirana ankam, wies mir das Königshaus einen Mittels­mann zu, Beniamin Bakalli, der im Internet als ehemaliger «Protokoll­chef» der Familie bezeichnet wird. Er ist ein wortgewandter Geschäfts­mann mittleren Alters mit amerikanischem Pass und einer tiefen Abneigung gegen den Kommunismus. Vor dem geplanten Interview mit Prinz Leka führte mich Bakalli in ein unter­irdisches Museum im Zentrum der Stadt, in einen der 170’000 verlassenen Bunker des Landes, die als Denkmäler aus Stahl­beton an die Paranoia des kommunistischen Diktators Enver Hoxha erinnern. Bakalli kaufte ein Ticket, obwohl er – wie er erwähnte – Anspruch auf freien Eintritt hätte. Weil mehrere Mitglieder seiner Familie zu den Opfern des Kommunismus gehören, an die das Museum erinnert.

Als Leka 1982 geboren wurde, war Hoxha noch an der Macht. Damals waren die Chancen für seine Familie gering, nach Albanien zurück­zukehren. Hätten sie es gewagt, wären sie von der kommunistischen Regierung wahrscheinlich hingerichtet worden. Allein für den Besitz eines Bildes von König Zog drohte eine lange Gefängnis­strafe.

Unter der kommunistischen Herrschaft erklärte sich Albanien zu einer Republik und wollte nichts mehr von seinen ehemaligen Monarchen wissen. Lea Ypi, eine Professorin für politische Philosophie an der London School of Economics, die im kommunistischen Albanien aufgewachsen ist, erinnert sich, dass der ehemalige Herrscher im Schul­unterricht nie König Zog, sondern immer «Zog, der Tyrann» genannt wurde.

Dass ihn das kommunistische Regime als Tyrann brandmarkte, entbehrt nicht der Ironie. Hoxha – oder «Onkel Enver», wie die Kinder ihn zu nennen hatten – liess mindestens 6000 politische Gegnerinnen, Intellektuelle und religiöse Führer hinrichten. Selbst seinen eigenen Schwager liess er umbringen, ebenso alle seine Innen­minister mit Ausnahme von einem. Er brach mit der Nach-Stalin-Sowjetunion, nachdem er zur Ansicht gelangt war, Nikita Chruschtschow sei ein Weichei. Seine einzigen wichtigen Verbündeten waren die chinesischen Kommunisten – bis 1978, als er auch mit ihnen brach. Albanien, lange Zeit zwischen dem Osmanischen Reich und dem christlichen Europa eingeklemmt, war über Jahrhunderte hinweg ein religiös vielfältiges Land. Doch 1967 wurde es zu einem atheistischen Staat, weil Hoxhas Regierung keine alternativen Macht­strukturen duldete.

Die Exponate im Bunker­museum belegen seinen Kontroll­wahn (Touristen mussten an der Grenze ihre Bärte abrasieren) und das allumfassende Ausmass des von ihm errichteten Überwachungs­staates. Ypis Familie entwickelte einen ausgeklügelten Code, um über Freunde und Familien­angehörige zu sprechen, die in Arbeits­lager gesteckt worden waren. So besuchten diese eine «Universität» und «graduierten» (wurden entlassen) oder «schmissen hin» (wurden hingerichtet).

Hoxha starb 1985. Er hinterliess das drittärmste Land der Welt. Sein Vermächtnis eines Einparteien­staates endete sechs Jahre später, als die ersten Wahlen mit mehreren Parteien abgehalten wurden. Der Übergang vom Kommunismus zum Kapitalismus gestaltete sich als schwierig, da schätzungs­weise zwei Drittel der Bevölkerung ihre neue wirtschaftliche Freiheit nutzten, um in Schneeball­systeme zu investieren – deren unvermeidlicher Zusammen­bruch Panik, Aufstände und Massen­auswanderung auslöste.

In den späten 1990er-Jahren, so Ypi, «gab es keinen Staat mehr». Zu der – altbekannten – Lebensmittel­knappheit und den Strom­ausfällen kam, dass die Waffenlager der Armee geplündert wurden. Männer und Frauen waren bewaffnet, «und da sie im Kommunismus im Umgang mit Waffen geschult worden waren, konnten sie diese auch benutzen».

Auf Wahlkampf­tour für die Monarchie

Vor diesem Hintergrund setzte der Sohn von König Zog 1997 eine Abstimmung über die Wieder­einführung der Monarchie durch. Der auffällige, über zwei Meter grosse Leka I., der regelmässig Militär­kleidung trug, kehrte für den Wahl­kampf nach Albanien zurück. Er reiste kreuz und quer durchs Land, um für seine Sache zu werben.

Politik­wissenschaftlerin Ypi erinnert sich an die Fernseh­werbung, in der die Vorzüge des Königtums angepriesen wurden. «Jeden Abend wurden auf der einen Seite des Bildschirms Aufnahmen von Albanien in Flammen gezeigt, auf der anderen Seite Bilder der Wahrzeichen von Oslo, Kopenhagen und Stockholm», schreibt sie in ihren kürzlich erschienenen Memoiren «Frei. Erwachsenwerden am Ende der Geschichte». «Unter den Fotos war in blauer Schrift zu lesen: ‹Norwegen: konstitutionelle Monarchie›; ‹Dänemark: konstitutionelle Monarchie›; ‹Schweden: konstitutionelle Monarchie›.» All das könnte dir gehören, versprachen die Werbespots, wenn du Zogs Erben nach Hause zurück­kehren lässt. Während Ypi diese Werbung schaute, hörte sie das Feuern der Kalaschnikows draussen in den Strassen.

Die Abstimmungs­kampagne hatte keinen Erfolg. Das offizielle Ergebnis war eine Zweidrittel­mehrheit für die Republik. Leka I. beharrte bis zu seinem Tod darauf, die Abstimmung sei manipuliert worden. Eine Neuauszählung der Stimmen führte zu gewalt­vollen Protesten, woraufhin Leka I. erneut aus dem Land fliehen musste und in Abwesenheit wegen Organisation eines bewaffneten Aufstands verurteilt wurde.

Doch das Rad der Geschichte drehte sich weiter. Fünf Jahre später, im Jahr 2002, wurde er begnadigt und in seine Heimat eingeladen. Mit seinem zwanzig­jährigen Sohn an der Seite stieg er in Tirana aus dem Flugzeug.

Das Leben von Prinz Leka II. veränderte sich schlagartig. Vom Privat­mann im globalen Süden wurde er zum Halbprinzen eines Heimat­landes, das er nicht wirklich kannte. Er war unter Albanern aufgewachsen, «alten Männern aus den Bergen», die der Generation seines Grossvaters angehörten und sich an eine vergangene Zeit des Landes erinnerten. Er war stets überzeugt, dass dort sein Schicksal lag.

Eine Stadt wie viele in Europa, mit trendigen Vierteln. Aber die Narben der Vergangenheit sind im heutigen Tirana noch überall sichtbar.

«Ich kann kaum glauben, dass ich schon seit zwanzig Jahren wieder hier bin», sagt Leka, während wir unseren Kaffee unter einem Bild von der Hochzeit seiner Grosseltern trinken. Er hat es vor ein paar Jahren in einem Laden entdeckt, der von zwei alten Damen geführt wird. «Das Schlimmste daran, vierzig zu werden, ist die Feststellung, dass man zweifellos erwachsen geworden ist», sage ich. «Wir werden älter», stimmt er mir zu. «Wenn wir vierzig Jahre alt werden, fragen wir uns: Was haben wir erreicht?»

Nach der Rückkehr der Familie begann der junge Leka, sich auf seine Rolle als König vorzubereiten. Wie sein Vater besuchte er die königliche Militär­akademie Sandhurst im Süden Englands. Er studierte Internationale Beziehungen in Kosovo und Italienisch in Perugia. Er kehrte nach Tirana zurück und arbeitete für die albanische Regierung, zunächst drei Jahre lang als Berater im Aussen­ministerium, danach drei Jahre im Innen­ministerium und ein Jahr im Büro des Präsidenten.

Dennoch fragt sich Leka zu Recht: Was hab ich erreicht? Als sein Vater vor einem Jahrzehnt starb, erbte Leka eine Krone, die es nicht gibt. Er hat einen Job, den nur sehr wenige Menschen in der Geschichte je innehatten – aber welchen eigentlich genau?

Mit seiner nach Grossmutter Königin Geraldine benannten Stiftung engagiert er sich für wohltätige Zwecke. Manchmal fungiert er als diplomatischer Joker. So begleitete er 2019 den albanischen Präsidenten bei einem Besuch in Monaco. Manchmal wird er gebeten, bei der Navigation durch die labyrinthische (und korrupte) Bürokratie und Justiz Albaniens zu helfen. «Vergessen Sie nicht, dass dies ein sehr kompliziertes Land ist», sagt Leka. «Viele Menschen fühlen sich übergangen oder benachteiligt; sie haben Probleme.» Dem faszinierenden, anhaltenden Zauber der Monarchie ist es zu verdanken, dass gemein­nützige und inter­nationale Organisationen oder Politiker seine Anrufe annehmen.

Der «Prinfluencer» ersetzt die geprägten Münzen

Dann ist da noch seine inoffizielle Botschafter­rolle, mit der er das internationale Ansehen eines Landes aufpoliert, das ein halbes Jahrhundert lang für Aussen­stehende vollkommen abgeschottet war. Denken andere Europäer überhaupt an Albanien, stellen sie es sich als Herkunfts­land von Drogen­händlern und kriminellen Banden vor. Ebendieses beliebigen Vorurteils wegen nahm Leka die unerwartete Interview­anfrage einer britischen Autorin für ein amerikanisches Magazin an. «Die Wahrscheinlichkeit, dass man in London ausgeraubt wird, ist fünfmal höher als in Tirana», erklärt er mir. «Wir haben 375 Kilometer unberührte Küste, das Ionische Meer, das Adriatische Meer … Albanien hat unglaublich viel Potenzial.»

Recht hat er: Es ist ein Land mit mittel­alterlichen Ruinen, wilden Bergen – und keinem einzigen McDonald’s.

Eine der Hauptaufgaben eines Königs­hauses besteht schlicht darin, sichtbar zu sein. Deshalb hielten die mittelalterlichen Monarchen Königs­umritte ab, sie bereisten ihre Länder, berührten die Kranken und hörten sich die Klagen der Armen an. Sie liessen ihre Porträts in Kathedralen und auf Landgütern ausstellen, ihr Gesicht auf Münzen prägen.

Die sozialen Netzwerke sind das heutige Äquivalent dazu, und Leka ist zu einer Art, nun ja, «Prinfluencer» geworden. Seine Frau Elia ist auf Instagram besonders beliebt (69’000 Follower) – vor der Heirat 2016 war sie Mitglied der albanischen Antwort auf die Spice Girls, einer Band namens Spirit Voice. Er postet Fotos von sich mit bärtigen Religions­führern, im Smoking auf Hochzeiten anderer Royals oder das obligate Selfie mit Baby Geraldine am Strand.

Es ist in Mode, heutige Prominente zu belächeln, weil sie «berühmt sind fürs Berühmtsein», doch erfunden haben dieses Phänomen die Schatten­monarchen. Mangels Armee oder Bürokratie für die Umsetzung ihrer Wünsche schöpfen sie Kraft aus ihrer Symbolik.

Wie andere Influencer auch, müssen moderne Royals (und Anwärter) ihre Marke sorgfältig vor Kontroversen schützen. Sie tendieren dazu, Tugenden zu vertreten, die so nebulös und vage sind, dass sie über der Partei­politik zu stehen scheinen. «Toleranz» ist die naheliegendste, das klingt sanfter, als von Pluralismus zu sprechen. «Den Planeten retten» heisst die entschärfte Version von Umwelt­schutz. «Frauen stärken» ist ein weiterer Favorit. Wenn auch ein heikler in Albanien, wo Leka negative Kommentare erntet, wenn er Geraldine allein im Kinder­wagen spazieren führt – für viele Albaner ist Kinder­erziehung Frauen­sache und somit unter der Würde des Vaters, ganz zu schweigen eines Prinzen. So gesehen sind seine Unter­stützung für Frauenhilfs­organisationen und Vater-Posts auf Instagram stille politische Statements.

Darin unterscheidet sich Leka von seinem Vater – dem «Soldaten», wie er ihn nennt. «Er stammte aus einer anderen Zeit», wählt der Sohn seine Worte sorgfältig. Tatsächlich sagen mir immer wieder Menschen, die ich in Albanien treffe, dass Leka II. zu nett sei für einen Herrscher. «Er hat gute Manieren, ist gebildet; aber politisch, Verzeihung, zu anständig», so der albanische Journalist und Autor Erald Kapri. Fehlt ihm der Killer­instinkt? «Den sollte man in der albanischen Politik schon haben», meint Kapri.

Leka weicht der Frage aus, ob er jemals König sein werde: «Meine Familie arbeitet nicht an einem Referendum.» Er möchte «Teil des Systems sein» und freut sich, wenn er zu Regierungs­sitzungen mit ausländischen Botschafterinnen, Abgesandten der Nato oder der Europäischen Union eingeladen wird. Als ich ihn nach der Einsamkeit seines Jobs frage – bei wem kann er sich beklagen? –, antwortet er mit einem kurzen Lächeln: «Ich beklage mich nie.» Ich bohre weiter, in der Hoffnung, auf eine geheime Whatsapp-Gruppe abgesetzter Royals zu stossen, die sich bei langweiligen Staats­banketten unter dem Tisch Tränen lachende Emojis zusenden. Aber er gibt bloss zu, mit seiner Frau über seinen Job zu sprechen.

Berufs­politiker seit 800 Jahren

Karl von Habsburg ist dem Zoom-Meeting beigetreten. Der 61-jährige Kopf des Hauses Habsburg-Lothringen wäre heute das Staats­oberhaupt der österreichisch-ungarischen Monarchie – wenn es denn noch eine solche gäbe. Stattdessen fummelt er an seinem Mikrofon und spricht mit mir.

Karls Vater Otto, geboren 1912, war der letzte Kronprinz. Mit allen Vornamen und stolzer Titulatur hiess der älteste Sohn von Karl I., dem letzten Kaiser von Österreich und König von Ungarn, «Seine Kaiserliche und Königliche Hoheit Franz Joseph Otto Robert Maria Anton Karl Max Heinrich Sixtus Xavier Felix Renatus Ludwig Gaetan Pius Ignatius». Die Ermordung von Ottos Grossonkel, Erzherzog Franz Ferdinand, war der Auslöser für den Ersten Weltkrieg – und damit für die Auflösung eines Reiches, das unter anderem Teile des heutigen Österreichs, Italiens, Ungarns, Polens, Kroatiens und der Tschechischen Republik umfasste.

Otto von Habsburg war noch ein Kind, als er zum Ex-Kronprinzen wurde und eine neue Bestimmung finden musste. Er lernte sieben Sprachen und blieb in der Politik aktiv. Er promovierte in Politik- und Sozial­wissenschaften und wehrte sich gegen den Aufstieg der Nazis. Nach dem Einmarsch Hitlers in Österreich floh er in die Vereinigten Staaten. Otto widmete sich der «paneuropäischen Bewegung», verzichtete 1961 – gegen den Willen seiner Mutter Zita – pragmatisch auf den Thron und war stattdessen zwanzig Jahre lang Mitglied des Europäischen Parlaments, was zugegebener­massen eine weniger glamouröse Rolle war als die eines Kaisers.

Doch waren die Spesen­vergütungen üppig und die Gefahr, ermordet zu werden, gering. Otto half bei der Organisation des Paneuropäischen Picknicks von 1989 an der Grenze zwischen Österreich, dem markt­wirtschaftlichen Westen Europas, und Ungarn, dem kommunistischen Osten. In seinem Nachruf im «Guardian» wurde dieses als «eines der Ereignisse, die zum Fall der Berliner Mauer und zum Zusammen­bruch des Sowjet­kommunismus führten» bezeichnet.

Vier von Ottos Kindern wurden ebenfalls Politikerinnen: Karl war eine Zeit lang Mitglied des Europäischen Parlaments für Österreich, Walburga sass im schwedischen Parlament, Gabriela amtete als georgische Botschafterin in Deutschland und Georg ist ungarischer Botschafter in Frankreich. «Die Leute vergessen oft, dass meine Vorfahren 800 Jahre lang Berufs­politiker waren», gibt Karl zu bedenken. «Ja, die Umstände haben sich ein wenig geändert … aber das Virus werden wir nicht los.» Das «Virus» ist in seinem Fall ein echtes, lebenslanges Engagement für die paneuropäische Bewegung, die in einer Zeit des zunehmenden Nationalismus nicht mehr im Trend ist.

Letztes Jahr schenkte eine Gruppe tschechischer Monarchisten Karl eine Nachbildung der in ihrem Land verehrten Wenzels­krone zum Geburtstag. Den Berichten entnahm ich ein leichtes Missverhältnis zwischen der Begeisterung der Monarchistinnen und der ihres Wunsch­monarchen. War das nicht peinlich – eine Erinnerung daran, was er verloren hatte? «Es ist sehr unhöflich, Geschenke abzulehnen», erklärt Karl diplomatisch. «Also ist es nett. Aber es ist auch nicht gerade ein Gegenstand, den man sich zu Hause aufs Kaminsims stellen möchte.» Er hat die Replik dem St.-Georgs-Orden in Wien geschenkt, in dessen Räumen sie ausgestellt wird.

Was kann eine alte Familie wie die Habsburger dem Europa des 21. Jahrhunderts bieten? «Ein Geschichts­bewusstsein», antwortet Karl. «Will man verstehen oder vorhersagen, was theoretisch in der Zukunft geschehen kann, muss es eine Grundlage dafür geben.» Wie andere Schatten­könige erfüllt er eine informelle diplomatische Funktion, er ist eine Art hermelin­besetzter, inoffizieller Kanal. Bei den Vorbereitungen für das Begräbnis von König Hassan II. von Marokko im Jahr 1999, so erzählt Karl, «war ich im Vergleich zum Vertreter des österreichischen Staates in einer ziemlich privilegierten Position, da zwischen seiner und meiner Familie persönliche Beziehungen bestehen».

Vor diesem Hintergrund frage ich ihn, ob er glaubt, dass die Habsburger jemals wieder an die Macht kommen werden. «Die Wörter nie und immer sind Ausdrücke, die man nur im religiösen Kontext verwenden sollte, nicht unbedingt im politischen», sagt Karl. Dann fügt er mit der Selbst­sicherheit des Angehörigen einer Dynastie, die 1273 erstmals auf dem Thron des Heiligen Römischen Reiches sass, beiläufig an: «Zwei Generationen sind in diesem Rahmen sehr wenig.»

Tiefes Bedürfnis nach Vergangenheit

«Die Monarchie war wie Löwenzahn», schreibt der Fantasy-Autor Terry Pratchett in «Hohle Köpfe», seinem Roman über das Auftauchen eines lange Zeit verschollenen Erben des fiktiven Throns von Ankh-Morpork. «Egal, wie viele Köpfe man abschlug, die Wurzeln waren immer noch unter der Erde und warteten darauf, wieder zu spriessen … Wer immer die Menschheit erschaffen hatte, hatte sie mit einem grossen Konstruktions­fehler versehen: Sie neigt dazu, in die Knie zu gehen.»

Der Skanderbeg Square mitten in Tirana.
Hier ist das Domino-Spiel noch angesagt.

Die Abschaffung der Monarchie beseitigt diese Neigung nicht. Auch die Vereinigten Staaten verehren ihre eigenen quasiaristokratischen Dynastien – die Kennedys, die Bushs und wohl auch die Trumps –, und sie freuen sich über ihren Ableger des Hauses Windsor, obwohl das Land Krieg geführt hat, um Prinz Harrys Vorfahren aus der amerikanischen Politik zu verdrängen.

Die Monarchie spricht ein tiefes Bedürfnis der Menschen an – das Bedürfnis nach einer Verbindung zur Vergangenheit, nach einem Gefühl der Kontinuität über die Zeit hinweg. Weniger harmlos sind der weit verbreitete Wunsch nach festen, unumstösslichen Hierarchien und die hartnäckige Ablehnung der Idee, dass Ämter aufgrund von Leistung verteilt werden sollten. Dies sind starke Strömungen in der menschlichen Psyche, und sie sind resistent gegen Veränderung.

An meinem letzten Tag in Albanien treffe ich den sozialistischen Bürger­meister von Tirana, Erion Veliaj, in einer privaten Lounge am Flughafen. Er ist jung, energetisch und charismatisch, erklärt, die Wurzeln seiner Partei lägen in der antimonarchistischen Bewegung, «aber das hindert mich nicht daran, zu akzeptieren, dass die Monarchie Teil unserer Geschichte ist». Seine Stadt ist geprägt von der Herrschaft König Zogs, der europäische Architekten mit der Gestaltung breiter Strassen und offener Plätze beauftragte und so eine ländliche Siedlung in eine moderne Haupt­stadt verwandelte.

Tirana sieht heute aus wie viele europäische Städte, doch sind die Narben der Vergangenheit überall sichtbar. Die Bunker sind immer noch da. Zehn Gehminuten von meinem Hotel entfernt steht das «Haus der Blätter», die ehemalige Zentrale des Geheim­dienstes, heute ein Museum. Dieser Bezirk ist der hipste Teil der Stadt, wo Espresso getrunken und an der Sonne Sushi gegessen wird. Einst wurde er Blloku genannt – der Block, der für Hoxha und sein Politbüro reserviert war, in dem sie sich vor der unzufriedenen Bevölkerung verschanzten.

Bürgermeister Veliaj akzeptiert aus pragmatischen Gründen Lekas inoffizielle Rolle. Sie gehört für ihn zu einem generationen­übergreifenden Prozess, um mit einem Teil der Geschichte Frieden zu schliessen. Diese Akzeptanz wäre bei Lekas Vater, der sich der politischen Rechten angeschlossen hatte, nicht möglich gewesen. «Man kann vergiften oder heilen», sagt Veliaj über Prinz Leka II. «Er ist de facto ein Botschafter des neuen Albaniens geworden. Das weiss ich sehr zu schätzen. Politisch stehen wir an entgegen­gesetzten Enden des Spektrums, und doch bin ich stolz, ihn einen sehr guten Freund nennen zu dürfen.»

Niemand, den ich in Albanien traf, glaubt, dass Leka jemals König werden könnte. Bei den Wahlen 2021 gewann die rechts­gerichtete monarchistische Partei PLL nur einen einzigen Sitz. Auf meine Frage nach seiner Nachfolge antwortete Leka, er werde Prinzessin Geraldine fragen, ob sie seine Nachfolgerin werden wolle, sobald sie 18 Jahre alt sei. «Laut der albanischen Königs­verfassung geht die Thronfolge rechtlich gesehen direkt an den ersten Sohn.» Doch die Regeln könnten neu interpretiert werden, nicht zuletzt deshalb, weil Zogs Gesetze erst von den Italienern, dann von den Kommunisten überarbeitet wurden und die Verfassung keinen rechtlichen Bestand mehr hat. Es klingt wie eine süsse Billigung der Geschlechter­gleichstellung und nach persönlicher Entscheidung. Erst später wurde mir klar, dass sich Wahl­freiheit und Monarchie ausschliessen. Genau darum geht es: Du bekommst, wer dir vorgesetzt wird.

Andererseits gilt es vielleicht diese Art von Widersprüchen anzunehmen. Albanien ist das Experiment einer multiethnischen Mehrparteien­demokratie. Eine Republik mit einem inoffiziellen Monarchen, der in einem einfachen Haus lebt und mit seiner Tochter ohne bewaffnete Bodyguards im Park spazieren geht? Klingt absurd. Aber eine Diktatur ist einfach, eine Demokratie ist es nicht. Menschen haben ein tiefes, beinahe spirituelles Bedürfnis nach Führungs­figuren, die mehr sind als blosse Bürokraten oder Gesetz­geber. Wir wollen Symbole.

Bevor ich die königliche Residenz verliess, zeigte mir Leka noch etwas. Über der Doppel­tür im Empfangs­saal hing ein Porträt von König Zog. Es war seinem Vater von einer Familie geschenkt worden, die es ein halbes Jahrhundert lang trotz grossen persönlichen Risikos in ihrem Keller versteckt hatte. Als Herrscher Albaniens war Zog ein Tyrann und ein Modernisierer, eine Viper und ein Visionär, der um jeden Preis an die Macht kommen und sie behalten wollte.

Sein Enkel muss einen eigenen Weg finden, königlich zu sein – oder stattdessen auch gewöhnlich.

Zur Autorin

Helen Lewis ist eine britische Journalistin und Autorin beim Magazin «The Atlantic». Hier erschien der Text am 12. April 2022 online unter dem Titel «Among Europe’s Ex-Royals», in der Print­ausgabe im Mai mit dem Titel «The Shadow Royals».