Eine Geschichte der Enttäuschung

Sanktionen haben kaum einmal Kriege beendet, sondern sie oft befeuert. Wie werden sie in Putins Russland wirken? Gut möglich, dass der Schuss schon wieder nach hinten losgeht.

Eine Analyse von Elia Blülle, 06.04.2022

Vorgelesen von Patrick Venetz
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Kugelschreiber scheinen so viel sauberer zu sein als Bajonette, und sie können vom Laien mit so viel weniger Anstrengung, so viel weniger Bewusstsein für die Konsequenzen gehandhabt werden.

William Arnold-Forster, britischer Offizier, Politiker und Schriftsteller, 1920, im Magazin «Foreign Affairs».

Ilya Matveev, ein Politik­wissenschaftler aus Sankt Petersburg, fasste kürzlich die ökonomische Situation Russlands in einem Satz zusammen, dem es nichts hinzuzufügen gibt: «30 Jahre wirtschaftliche Entwicklung sind im Eimer.»

Die Reaktion auf die russische Invasion der Ukraine, diesen Völker­rechts­bruch, kam wuchtig – und zertrümmerte der russischen Wirtschaft auf der Stelle die Knochen. Noch nie wurde eine Gross­macht mit so harten Wirtschafts­sanktionen belegt wie Russland in den letzten Wochen.

Vielen reicht das aber noch nicht. Der allgemeine Tenor lautet: je mehr, je drakonischer und breiter die Sanktionen gegen Russland, desto besser.

«Russland sollte in die Steinzeit zurück­geworfen werden», fordert etwa der russische Schach­spieler und Menschen­rechts­aktivist Garri Kasparow. Und der französische Wirtschafts- und Finanz­minister Bruno Le Maire rief unlängst einen «wirtschaftlichen und finanziellen Krieg» gegen Russland aus. Auch in der Schweiz wünscht sich gemäss Umfragen ein Drittel der Bevölkerung schärfere Massnahmen.

Die Sanktionen sind politisch alternativlos geworden. Sie scheinen vielen das einzig mögliche Mittel zu sein, um den Völker­rechts­bruch abzustrafen, ohne eine nukleare Eskalation zu riskieren.

Doch tatsächlich sind sie ein grosses Experiment. Ausgang: ungewiss.

Die Wirtschafts­sanktionen könnten Russland zum Rückzug zwingen, den Krieg sabotieren und Putin von weiteren Invasionen abhalten. Möglich, vielleicht sogar wahrscheinlich sind aber auch andere Szenarien. Nämlich Isolation, Wut, Verarmung und anti­westlicher Fundamentalismus – nicht nur in Russland, sondern auch anderswo.

Das zeigen die Erfahrungen der Vergangenheit.

Den Aufstieg des Faschismus begünstigt

Um zu verstehen, wieso eine Diskussion um die Folgen von Sanktionen so wichtig ist, lohnt sich ein Blick zurück. Denn die Geschichte des letzten Jahrhunderts zeigt: Sanktionen wurden zwar meist mit guten Absichten verhängt, hatten aber oft katastrophale Folgen – nicht selten tödliche.

Etwa die Wirtschafts­blockaden im Ersten Weltkrieg. Sie waren brutal, wie der Historiker Nicholas Mulder in seinem kürzlich erschienenen Buch «Wirtschafts­waffe» beschreibt.

«Absolut nichts mehr übrig. Jede Uhr in Prag ist weg. Eingeschmolzen, wegen der Metalle», schrieb laut Mulder ein amerikanischer Arzt in sein Tagebuch, als er Österreich-Ungarn besuchte. Der britische Journalist Henry Brailsford beobachtete kurz nach dem Krieg, wie die Kinder in einem Wiener Spital mit Papier eingewickelt wurden, weil es überall an Laken und Decken fehlte.

Bis zu 400’000 Menschen starben während des Ersten Weltkrieges in Zentral­europa an den Folgen der Wirtschafts­blockaden. Und trotzdem setzten die Alliierten auch nach dem Krieg weiter auf dieses Instrument.

1919 verpflichtete der frisch gegründete Völkerbund alle Mitglieds­staaten dazu, Sanktionen gegen Nationen zu übernehmen, die einen Angriffs­krieg lancierten. US-Präsident Woodrow Wilson, der sich vehement für eine gemeinsame Sanktions­politik starkmachte, sagte damals, Sanktionen seien «etwas viel Gewaltigeres als Krieg», da sie eine Nation zur Vernunft brächten. «So wie das Ersticken dem Einzelnen die Neigung zum Kämpfen nimmt.»

Anstatt Soldaten am Maschinen­gewehr sollten neu Männer hinter Mahagoni­schreibtischen Kriege entscheiden – am besten, bereits bevor diese überhaupt begonnen hatten. Die Politiker hofften, mit Wirtschafts­blockaden Konflikte auszubremsen. Dies getrieben von der Idee, dass der Mensch als Homo oeconomicus komplett vorhersehbar auf wirtschaftliche Anreize reagieren würde: stets rational, stets am eigenen Wohl orientiert, egoistisch.

«Keine Nation würde sich selbst zerstören, indem sie zu einer solchen Strafe einlädt», sagte der britische Aussen­minister 1920 mit Verweis auf den neuen Artikel in der Völkerbund­satzung und prognostizierte, die Wirtschafts­sanktionen würden künftig nur noch selten benötigt.

Doch das Gegenteil war der Fall.

In der Zwischenkriegszeit von 1919 bis 1939 hätten Wirtschafts­blockaden weit mehr Zivilistinnen das Leben gekostet als etwa Gas- oder Luftangriffe, schreibt Nicholas Mulder. Den empor­strebenden Faschisten und Bolschewiken dieser Zeit war das Elend ihrer Bevölkerung reichlich egal.

Besonders tragisch war das, weil die tödlichen Wirtschafts­sanktionen die Kriege nicht verhindern konnten, die sie hätten verhindern sollen. Etwa 1935, als der italienische Diktator Benito Mussolini in Äthiopien einmarschierte. Der Völker­bund schnitt Italien komplett von der Weltwirtschaft ab – und scheiterte gewaltig.

Das faschistische italienische Regime liess Hundert­tausende Menschen massakrieren und unterwarf das Kaiser­reich Abessinien innert weniger Wochen – trotz der Sanktionen. Als Folge der Wirtschafts­blockade gegen Italien zogen sich Nazi­deutsch­land und Japan ab 1936 noch stärker aus der Welt­wirtschaft zurück.

Adolf Hitler fürchtete, dass die Alliierten ihn blockieren könnten, und strebte nach einer «Rohstoff-Freiheit». Er peitschte die heimische Produktion von synthetischem Öl und die Förderung von Eisenerz an. Ausserdem empfanden Hitler, aber auch Japan die territoriale Expansion immer mehr als Notwendigkeit, um die strategische Unabhängigkeit zu wahren.

«Ich brauche die Ukraine, damit sie uns nicht wieder aushungern wie im letzten Krieg», soll 1939 Hitler einem Schweizer Diplomaten gesagt haben.

Historiker Mulder schreibt, dass die zahlreichen Wirtschafts­sanktionen in den 1930er-Jahren den Faschismus und seinen Aufstieg begünstigt hätten: «Das internationa­listische Streben nach wirksameren Sanktionen und das ultra­nationalistische Streben nach Autarkie gerieten in eine Eskalations­spirale.» Sanktionen zersplitterten die ohnehin geschwächte internationale Ordnung, was wiederum eine der entscheidenden Voraussetzungen für den Nationalismus und den Zweiten Weltkrieg war.

So zerschossen die Wirtschafts­sanktionen ihr eigenes Fundament: eine vernetzte, globalisierte Welt, in der Staaten voneinander abhängig sind.

Oft kontraproduktiv

Historische Vergleiche mit der Zwischen­kriegszeit sind mit Vorsicht zu geniessen, selbst wenn einige Vorzeichen heute ähnlich sind wie damals: der Nationalismus, die Inflation, die Handels­kriege und die globale Pandemie.

Zwei wichtige Lektionen lehrt uns die Rekonstruktion dieser Zeit trotzdem.

Erstens: In einer fragilen Welt­wirtschaft können politische und ökonomische Auswirkungen von Sanktionen rasch ausser Kontrolle geraten.

Zweitens: Wirtschafts­sanktionen haben selten bis nie ihr Ziel erreicht.

«Die Geschichte der Sanktionen ist grösstenteils eine Geschichte der Enttäuschung», schreibt Historiker Nicholas Mulder in seinem Buch. Gemäss einer viel zitierten Studie war im letzten Jahrhundert nur ein Drittel aller Sanktionen «zumindest teilweise erfolgreich». Beabsichtigte Störungen von militärischen Aktionen oder Umstürze scheiterten fast immer. Und wenn, dann gelang das nur in sehr schwachen Volks­wirtschaften wie in Südafrika. Dort halfen Sanktionen, die Apartheid zu beenden, und sie begünstigten 1994 einen demokratischen Regierungs­wechsel.

Heute müssen sich so viele Menschen wie noch nie mit Sanktionen arrangieren. In den letzten Jahren wurden sie immer öfter verhängt, obwohl sie oft kontra­produktiv waren – insbesondere dann, wenn sie über längere Zeit und ohne genau erklärtes Ziel eingesetzt wurden.

Zu dieser Kategorie gehören etwa die Uno-Sanktionen, die 1990 mit dem Einmarsch des Irak in Kuwait verhängt wurden. Sie schlossen den Irak praktisch vom inter­nationalen Handel aus. Was damals einen irakischen Rückzug aus Kuwait bewirken sollte, blieb auch nach dem Waffen­stillstand weitere zwölf Jahre bestehen.

Eine Frau, die 1991 im Irak geboren worden war, erzählte es jüngst der «Süddeutschen Zeitung» so: «Sauberes Trink­wasser, tägliche Mahlzeiten, Bleistifte, Papier, Milch, Zahnpasta, Seife, Shampoo, Antibiotika, medizinische Grund­versorgung, all das hatte ich nicht mehr.» Nun zahle sie jedes Jahr Tausende von Dollar für ihre Zähne und für die Folgen der damaligen Mangel­ernährung.

Die Schätzungen, wie viele Kinder im Irak als Folge der Sanktionen gestorben sind, variieren und sind höchst umstritten. Historisch eindeutig belegt ist hingegen: Die Sanktionen haben das Land in einen gigantischen Schwarz­markt verwandelt.

Und wenn das legale Geschäft stirbt, übernimmt die Mafia.

Von den Sanktionen in die Ecke gedrängt, arbeitete der irakische Präsident Saddam Hussein mit sunnitischen Stammes­netzwerken zusammen, um Öl und andere Waren zu schmuggeln – und stärkte so ihre Macht. Jene säkulare Opposition, die nach Jahren der Unter­drückung noch bestand, wurde ausgemerzt. Einzig Islamisten­gruppen, die sich über den Schwarz­markt finanzierten, überlebten. Sie bildeten später den Kern von Terror­organisationen wie al-Qaida oder dem sogenannten Islamischen Staat.

Vergleichbare Entwicklungen gibt es auch anderswo: Eine Studie zeigt, dass zwischen den Jahren 1981 und 2000 die Menschen­rechte in sanktionierten Ländern mehrheitlich erodierten. Neuere Erkenntnisse deuten darauf hin, dass Sanktionen oft auch die Armuts­kluft und die Kriminalität verschärfen, den Zugang zu Nahrungs­mitteln und Medikamenten einschränken und die Ungleichheit vergrössern.

Das alles stimmt nicht besonders hoffnungs­voll für die Erfolgs­chancen der aktuellen Russland-Sanktionen. Denn anders als 2014, als Russland völkerrechts­widrig die Krim annektierte, treffen die heutigen Massnahmen nicht mehr nur das Macht­netzwerk von Putin. Sondern auch normale Bürgerinnen – unabhängig davon, ob sie den Krieg unter­stützen oder nicht.

Die Mittel­schicht zerfällt

Wie schwerwiegend die Sanktionen gegen Russland sind, zeigen die unmittelbaren Effekte. Der Schock sitzt tief. Ökonomen erwarten, dass das Brutto­inlandprodukt in diesem Jahr um mindestens 9 bis 15 Prozent schrumpfen wird. Der Rubelkurs ist vorüber­gehend stark gefallen. Die Inflation ist ausser­gewöhnlich hoch.

Die Vereinigten Staaten, die Europäische Union und weitere Staaten sperrten den Luftraum für russische Flieger, verboten Investitionen in den Energie­sektor und den Handel mit Luxus­gütern. Wichtige russische Banken sind stark eingeschränkt, rund die Hälfte der 630 Milliarden Dollar an Devisen­reserven der Zentral­bank sollen eingefroren sein. Ausserdem zogen sich Hunderte westliche Unter­nehmen aus Russland zurück: Das bedeutet mehr Arbeits­losigkeit und weniger Konsum­güter.

Bereits heute leben rund 13 Prozent der russischen Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze – das heisst, sie können sich gerade knapp ernähren. Steigende Preise für Essen und Medikamente werden ihr Elend verschärfen. In Zukunft dürfte die Armuts­quote steigen, aber auch die Mittel­schicht zerfällt. Das ersparte Geld verliert an Wert. Viele der schwer­wiegenden Konsequenzen werden sich wohl erst in Monaten oder gar Jahren zeigen.

Die entscheidende Frage im Kriegs­kontext bleibt: Wird die Wirtschafts­krise die Opposition gegen Putin befeuern oder den Nationalismus nähren?

Vergangene Sanktions­regimes haben vor allem Letzteres bewirkt.

Eine Untersuchung ergab, dass Sanktionen die Macht­verteilung in Ländern oft stark verändern – paradoxer­weise zugunsten des totalitären Regimes. Der Autoritarismus gedieh oft blendend unter strengen Wirtschafts­sanktionen.

Dafür gibt es hauptsächlich drei Gründe.

Erstens machen Sanktionen die Bevölkerung noch abhängiger vom Regime. So geschehen im Irak: In den 1990er-Jahren wurden Nahrungs­mittel wegen der Sanktionen rationiert. Wer nicht kooperierte, musste hungern. Das sei der Traum jedes Geheim­polizisten gewesen, schrieb der Journalist David Rieff.

Zweitens ist es ein Mythos zu glauben, existenzielle Not würde in autoritären Staaten einen Umsturz befeuern. Darauf haben zum Beispiel Regime­gegner im Iran immer wieder hingewiesen: Wer um das eigene Überleben kämpfen muss, hat keine Zeit für die Revolution.

Drittens bricht durch die Verhängung von Sanktionen oft die intellektuelle und wirtschaftliche Elite weg. Wer keine Perspektive mehr hat, flieht. Die Zivil­gesellschaft zerbricht.

All das isoliert – nicht nur das Regime, sondern auch die Bevölkerung.

Eine willkommene Ausrede

In einem autoritären Staat, in dem die Medien und die sozialen Netzwerke kontrolliert werden und der antiwestliche Reflexe historisch eingeübt hat, ist es für Putin leicht, die Schuld für alles Leiden den Sanktionen zuzuschieben. Denn je abgeschotteter die Gesellschaft ist, desto einfacher hat es die Propaganda. Isolation ist der «fruchtbarste Boden» für Terror und «immer sein Resultat», schrieb Hannah Arendt in «Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft».

Es sind heute dieselben Gründe, die gegen breite und harte Wirtschafts­sanktionen sprechen, wie in den 1920er-Jahren, als Winston Churchill – noch als Kriegsminister – eine Blockade der Sowjetunion und Deutschland ablehnte. Ansonsten, sagte er, «hungern wir alle in den Bolschewismus».

Im heutigen Russland müssen die Menschen zwar aufgrund der Sanktionen nicht verhungern. Aber sie werden dadurch auch kaum freier und weniger nationalistisch.

Kommt hinzu: Nicht nur in Russland, sondern auch anderswo auf der Welt bezahlen die Menschen einen hohen Preis für die Wirtschafts­sanktionen.

Nach der Ankündigung des zweiten Sanktions­pakets, der Sperrung des Banken-Kommunikations­netzwerks Swift und dem Einfrieren von Zentralbank­reserven schossen die Preise für Rohöl, Erdgas, Weizen, Kupfer, Nickel, Aluminium und Dünge­mittel in die Höhe. Die ukrainischen Häfen wurden geschlossen, und internationale Unter­nehmen meiden russische Rohstoff­exporte. Es droht ein Mangel an Getreide, Metallen – und der Preis­schock treibt die globale Inflation an.

Ein allfälliger Öl- und Gas­boykott durch die grossen europäischen Volks­wirtschaften würde die Turbulenzen noch einmal beschleunigen. «Krieg in der Ukraine bedeutet Hunger in Afrika», warnte jüngst die Direktorin des Internationalen Währungs­fonds, Kristalina Georgiewa.

Was, wenn die Sanktionen nichts bewegen?

Die Schuld für den Völkerrechts­bruch und die Folgen für die ukrainische Bevölkerung und auch Menschen anderswo tragen allein jene, die den Angriffs­krieg befahlen und mittragen: die russischen Regierungs­mitglieder.

Dieser Völkerrechtsbruch und auch die offensichtlichen Kriegs­verbrechen in der Ukraine erfordern eine Reaktion der internationalen Gemeinschaft.

Julia Grauvogel, Politik­wissenschaftlerin und Sanktions­forscherin am Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien in Hamburg, sagt denn auch, die schnell getroffenen Massnahmen gegen Russland seien ein gutes Beispiel dafür gewesen, wie Regierungen auf kriegerische Aggressionen reagieren sollten.

«Das Signal war glaubwürdig, weil das Sanktions­bündnis sehr breit aufgestellt ist und in Kauf nimmt, dass es die eigenen Volks­wirtschaften trifft», so Grauvogel. «Das ist definitiv keine Schön­wetter­politik.»

Viele hoffen nun auch, dass dem Kreml das Geld für seine Kriegs­maschinerie ausgehen könnte – vor allem dann, wenn es auch noch zu einem kompletten Gas- und Ölembargo käme. Finnlands Premier­ministerin Sanna Marin sagte: «Solange wir Energie aus Russland kaufen, finanzieren wir den Krieg.»

Benno Zogg, Osteuropa-Experte vom Center for Security Studies der ETH, sagt, längerfristig könnte ein sofortiges Embargo die russische Armee tatsächlich schwächen – hauptsächlich in Kombination mit dem Technologie­­embargo.

Zogg sieht aber auch wesentliche Gefahren. Einerseits werde Putin die fehlenden Gelder für die Armee bei der Bevölkerung absparen. Andererseits dürfte ein finanziell geschwächtes Russland vermehrt auf militärische Mittel setzen, die billig sind und viel Zerstörungs­kraft haben – «im schlimmsten Fall Massen­vernichtungs­waffen».

Die Geschichte zeigt, dass Diktatoren, wenn sie eine bestimmte Schmerz­grenze überschritten haben, kämpfen, ohne die Kosten zu bedenken. Gerade deshalb ist es wichtig, dass klar wird, welches Ziel die Sanktionen verfolgen – und wie Russland sich davon befreien kann.

In dieser Hinsicht hat sich das westliche Bündnis bisher oft widersprochen.

«Es besteht zwar grosse Einigkeit bei den Massnahmen – nicht aber bei den Absichten», sagt Politik­wissenschaftlerin Julia Grauvogel. Das ist problematisch. Ihre Forschung zeigt, dass Sanktionen tendenziell dann erfolgreich waren, wenn ihre Ziele und Bedingungen dem sanktionierten Regime klar kommuniziert wurden.

Mit Diktatoren sollte man nicht kuscheln. Und dennoch steht die westliche Welt vor einem Dilemma, für das es keine einfache Lösung gibt: Entweder lässt sie Wladimir Putin ohne Bestrafung ziehen – oder riskiert mit zu scharfen Sanktionen einen Kollateral­schaden.

Noch kann niemand beurteilen, ob die Massnahmen wirken oder nicht.

Vielleicht wird diesmal auch alles anders verlaufen als in der Vergangenheit, denn an der aktuellen Ausgangs­lage ist das meiste neu. Aber es werden viele unbequeme Fragen auf uns zukommen: Was tun, wenn die Sanktionen nichts bewegen? Was, wenn Putin den Krieg weiter eskaliert? Sollte man dann Russland ins endgültige ökonomische Verderben stossen?

Die westlichen Demokratien sollten bei der Suche nach Antworten wachsam bleiben. Denn mit unbedachten Kollektiv­strafen für die russische Bevölkerung würden sie jene Ideologie füttern, die Putin vertritt: die Vorstellung, dass er als Herrscher, die Nation und ihre Bürger eins sind, verschmolzen im Sieg, im Untergang und im Leid. Alle gemeinsam verdammt. Totalitarismus.

In einer früheren Version dieses Beitrags haben wir geschrieben, dass «bis zu 630 Milliarden Dollar an Devisen­reserven» eingefroren sein sollen. Inzwischen hat die russische Zentralbank bekannt gegeben, dass rund die Hälfte dieser Gelder blockiert ist. Wir haben darum die entsprechende Stelle präzisiert.