Bleiben
Alles in Kiew ist schwierig geworden, auch das Besorgen von Medikamenten. Doch unser Fotograf will nicht weg. Ein Telefonat mit Verwandten in Russland trifft seine Frau Agata schwer.
Von Lesha Berezovskiy (Text und Bilder) und Annette Keller (Bildredaktion und Übersetzung), 02.03.2022
Als Erstes kann ich berichten, dass es meiner Frau Agata und mir so weit gut geht. Das heisst aber nicht, dass wir in Sicherheit sind. Dieses Wort ist für mich neuerdings relativ, und das Gefühl dazu gibt es nicht mehr. Wir sind jetzt wieder in unserer Wohnung, nachdem wir drei Tage an einem geschützten Ort verbracht haben. Mehr möchte ich zu diesem nicht sagen, um niemanden zu gefährden.
Am Freitag verlassen wir kurz vor der Ausgangssperre die Wohnung, um uns zu diesem geschützten Ort zu begeben. Als wir unterwegs sind, stellt Agata fest, dass sie eine Tasche mit Dokumenten in der Wohnung vergessen hat. Zudem benötigt sie Medikamente. Darum ziehe ich am Samstag los, um die Tasche zu holen und eine Apotheke zu suchen. Auf dem Weg zur Wohnung hat es zum Glück eine, die geöffnet ist. Allerdings hat sich davor eine sehr lange Schlange gebildet. Darin entdecke ich Freunde, sie stehen da schon seit drei Stunden. Ich stelle mich ebenfalls an.
Nach eineinhalb Stunden Anstehen ruft mich eine aufgelöste Agata an. Ein Telefongespräch mit ihren Freunden und ihrer Familie in Russland hat ihr vollends den Boden unter den Füssen weggezogen. Anstatt unterstützende Worte für sie zu finden, wurde Agata wiederholt vorgeworfen, keine Ahnung von Politik zu haben. Und dass doch Putin gerade dabei sei, Russland zu retten. Sie sind dermassen überzeugt davon, dass sie es nicht mal schaffen, Agatas «Ich liebe dich» zu erwidern. Das ist russische Gehirnwäsche.
Bis wir nach 39-stündiger Ausgangssperre am Montag wieder nach Hause zurückkehren, beschäftigen wir uns vor allem damit, online Unterstützung zu organisieren. Wir vernetzen Freunde im Ausland, die helfen möchten, ich gebe einige meiner Bilder für Charity-Auktionen frei. Zu Hause angekommen fühlen wir uns ein wenig schuldig, dass wir uns drei Tage lang an einem geschützten Ort isolieren konnten. Wir haben nicht vor, Kiew zu verlassen, und werden versuchen, uns hier so nützlich wie möglich zu machen.