Sprachnotiz von Nicoletta Cimmino
#6: Riechen
Was dabei herauskommt, wenn man seine Biografie zurückverfolgt – und zwar anhand von Parfüms.
Von Nicoletta Cimmino, 01.02.2022
Liebe Leserinnen und Hörer der Republik
Letzte Woche ist Thierry Mugler gestorben, der französische Modemacher – Sie haben möglicherweise davon gehört.
Ich wurde ein bisschen nostalgisch, als ich von seinem Tod erfuhr. Nicht wegen der Mode – die war damals in den 1990ern, als er in Paris gross und ich am Jurasüdfuss erwachsen wurde, unerschwinglich. Zudem waren das für mich zu breite Schulterpolster. Und zu schmale Taillen.
Nein, ich wurde nostalgisch wegen Muglers Parfüm «Angel».
Das war, wenn man so will, mein erstes erwachsenes Parfüm.
Ich erinnere mich, wie ich es mit 18 kaufte, zum ersten Mal, in Paris. In der Parfümabteilung der Galeries Lafayette rochen die glamourösen Verkäuferinnen in der Parfümabteilung danach. Und bald ich. Ehrlich gesagt: Heute finde ich den Duft viel zu klebrig.
Aber die Erinnerung daran hat bei mir die Frage geweckt: Gibt es den Begriff Parfümbiografie? Ich glaube, nicht offiziell, gefunden habe ich nichts.
Ich meine damit, dass ganze Lebensabschnitte auf unauflösliche Art und Weise mit einem Parfüm verbunden sind. Und wenn ein Lebensabschnitt vorbei ist, passt der Duft nicht mehr.
Meine Parfümbiografie begann mit 13, mit einem Fläschchen «Semiramis», von der Mutter geschenkt bekommen. Etwas mit Moschus und einer Ahnung von Verbotenem – oder was Teenager darunter verstehen.
Es folgten verwirrende, aufregende Jahre zwischen Jugend und Erwachsensein. Eine Verwirrung, die sich in der Parfümwahl niederschlug: Nach «Semiramis» kam – eben – «Angel». Und dann «CK» von Calvin Klein. Ein Unisex-Duft; und damit ist alles gesagt. Ich roch nach Unisex.
Diese Phase war dann bald schon passé – war nicht so attraktiv zu riechen, als hätte man in Mundwasser gebadet. Und so kam ein spanisches Parfüm, «Flores frescas» hiess es, und wie es der Name schon antönt, war das alles andere als unisex. Ich fand es nur in Spanien, weil es nur dort verkauft wurde. Dass es nach vielen Jahren ohne Vorwarnung aus dem Sortiment genommen wurde, stürzte mich in eine kleine Identitätskrise. Dios mío! Der Duft und ich waren eins geworden. Und plötzlich gab es ihn nicht mehr.
Es folgte eine Zeit, in der ich gar kein Parfüm benutzte, weil sich das schlecht mit Schwangerschaftsübelkeit verträgt. Und dann roch ich lange einfach nach Baby. Also meistens extrem gut und teilweise nicht so gut.
Nun trage ich seit einigen Jahren ein Parfüm, das ich in einem gepflegten Zürcher Warenhaus entdeckt habe, wie so eine arrivierte Frau Mitte 40. Es wurde zwar vor einiger Zeit ohne Vorwarnung aus dem Sortiment genommen. Möglicherweise war ich einfach die Einzige, die es kaufte, was sich für ein Warenhaus auf die Länge nicht lohnt, das sehe ich ein. Die Identitätskrise, die blieb dieses Mal aus, ich bestelle es jetzt einfach in Deutschland. Und schicke der Manufaktur, die es produziert, alle guten Gebete, damit sie nie auf die Idee kommt, es nicht mehr herzustellen.
Meine Sprachnotiz endet, wie sie begann – mit einem Hauch von Nostalgie. Wie ein gutes Parfüm.
Nicht zu viel und nicht zu wenig.
Wir hören uns – wenn Sie mögen – in zwei Wochen wieder.