Desinformation aus der Bundeskanzlei
Die Bundesverwaltung nahm kritisch Stellung zur Public-Cloud-Recherche der Republik. Doch ihre Argumentation hält einer genauen Betrachtung nicht stand.
Von Adrienne Fichter, 31.01.2022
Am 14. Januar publizierte die Republik eine Recherche zur öffentlichen Beschaffung der sogenannten Public Cloud zur Speicherung von Behördendaten, die im Sommer 2021 für Schlagzeilen gesorgt hatte.
Der Beitrag zeigte auf, dass die Bundesverwaltung bei der Ausschreibung für diese Cloud interne Datenschutzbedenken ignoriert hatte, dass sie die Anforderungen an diese Public Cloud auf ausländische Big-Tech-Firmen massgeschneidert formulierte – und dass die Ausschreibungsunterlagen rechtswidrige Elemente enthielten. Dies insbesondere bezüglich des Rechtsschutzes der potenziellen Anbieter. Sie hätten sich nach altem Beschaffungsrecht gegen eine Vergabe kleinerer Aufträge an Konkurrenten rechtlich wehren können – doch die Ausschreibung bedingte, dass die Anbieter auf diesen Rechtsschutz verzichten.
Am 17. Januar reagierte die Bundeskanzlei auf die Recherche. Und veröffentlichte folgende Stellungnahme.
(…) Die Aussage der «Republik» ist falsch. Das Bundesverwaltungsgericht hat kein rechtswidriges Vorgehen festgestellt. Das Gericht hat in einem Entscheid zugunsten der Bundesverwaltung vielmehr festgehalten, dass es bis Ende Dezember 2020 keine Rechtsgrundlage für ein Wegbedingen des Rechtsschutzes gegeben habe. Ob der Rechtsschutz für den Abruf aus den Rahmenverträgen wegbedungen werden kann, war bis Ende 2020 umstritten. Seit Anfang 2021 ist dies geklärt. Die Vergabestelle orientierte sich an der Lösung, die per Januar 2021 in Kraft trat. Dies wurde vom Gericht nicht als rechtswidrig beurteilt, wie die «Republik» fälschlicherweise behauptet.
Zur Erinnerung: Den Zuschlag für die Beschaffung einer Public Cloud mit einem Auftragsvolumen von 110 Millionen Franken sollten die Unternehmen Microsoft, Oracle, IBM, Amazon und Alibaba erhalten. Der unterlegene Konkurrent, Google, legte beim Bundesverwaltungsgericht eine Beschwerde gegen diesen Zuschlag ein – und unterlag in einem Zwischenentscheid. Auf diesen Entscheid bezieht sich die Bundeskanzlei in ihrer Stellungnahme.
Die Schweiz will Behördendaten in einer Cloud speichern, die von chinesischen und amerikanischen Konzernen zur Verfügung gestellt wird. Die Republik zeigte in einer Recherche auf, wie die Verantwortlichen beim Entscheid für Alibaba, Amazon und Co. Warnungen ignorierten und sogar rechtswidrige Fehler begingen.
Die Republik hat nach der Replik der Bundeskanzlei ihre Berichterstattung kritisch hinterfragt, mehrere Gespräche geführt und die ihr vorliegenden Unterlagen erneut überprüft. Und wir halten in der Folge an unserer Darstellung fest: Das Bundesverwaltungsgericht hat eindeutig eine Rechtswidrigkeit festgestellt.
Das ergibt sich aus dem Zwischenentscheid des Bundesverwaltungsgerichts selbst, und es wurde von mehreren in den Beschwerdeprozess involvierten Juristinnen bestätigt.
Hier nochmals die Argumentation:
In Bezug auf den Rechtsschutz für die kleineren Aufträge (sogenannte Mini-Tender-Abrufe) ist es irrelevant, ob sich die Vergabestelle an den neuen Beschaffungsregeln «orientierte». Die Ausschreibung wurde auf simap.ch am 7. Dezember 2020 aufgeschaltet – womit das alte Recht anwendbar ist. Ob sich die Bundeskanzlei am ab 2021 geltenden Recht «orientierte», ändert nichts an der rechtlichen Sachlage. Sie hatte sich nach der Rechtsgrundlage zu richten, welche am Stichtag in Kraft war.
Dies räumt die Bundeskanzlei indirekt selbst ein, indem sie schreibt, «dass es bis Ende Dezember 2020 keine Rechtsgrundlage für ein Wegbedingen des Rechtsschutzes gegeben habe». Sie bestätigt damit selber, dass die zuständige Behörde ohne Rechtsgrundlage gehandelt hat.
Das Bundesverwaltungsgericht schrieb wörtlich, «dass die Ausschreibung, wenn sie denn angefochten worden wäre, in Bezug auf die Ausgestaltung des Rechtsschutzsystems für das Mini-Tender-Verfahren aufgehoben worden wäre».
Jetzt wird es ein bisschen kompliziert, weil es um zwei verschiedene Phasen im Beschaffungsprozess geht.
Wenn das Gericht sagt, dass die Ausschreibung aufgehoben worden wäre, hätte Google (oder eine andere Anbieterin) diese angefochten, so stellt es damit fest: Die Ausschreibung enthielt einen rechtswidrigen Punkt.
Nun hat Google eben nicht bereits die Ausschreibung selbst angefochten, sondern den Entscheid, den Zuschlag an andere Anbieter zu vergeben. Gemäss Beschaffungsrecht können rechtswidrige Punkte der Ausschreibung zum Zeitpunkt des Zuschlags aber grundsätzlich nicht mehr thematisiert werden. Sie gelten als akzeptiert. Darum formulierte das Gericht bloss eine Hypothese darüber, was gewesen wäre, wenn ein Anbieter schon die Ausschreibung selbst angefochten – und die gleichen Argumente wie Google bei der Beschwerde gegen den Zuschlag vorgebracht hätte.
Die Aussage der Bundeskanzlei, die Republik habe «falsch» berichtet, ist also nicht korrekt. Ebenso falsch ist die Aussage der Bundeskanzlei, das Bundesverwaltungsgericht habe kein rechtswidriges Vorgehen festgestellt. Nochmals: Dass das Gericht im Konjunktiv II spricht, heisst nicht, dass die Ausschreibung nicht rechtswidrig war. Sondern es hat damit zu tun, dass Google nicht die Ausschreibung, sondern den Zuschlag angefochten hatte.
Fazit: Die Ausschreibung war anfechtbar. Es gab rechtswidrige Elemente darin. Sie waren jedoch nicht «gravierend genug», um die gesamte Ausschreibung trotz verspäteter Rüge wegen Nichtigkeit aufzuheben.
Und das Gericht hielt dies in mehreren Punkten fest.