Die Frau, eine Verpackung
Es hat Tradition, den weiblichen Körper als Gefäss zu betrachten. Das prägt bis heute den Umgang mit schwangeren Frauen – ganz besonders mit jenen, die einen Abbruch erwägen.
Von Marie-José Kolly, 25.01.2022
Das Muster ist typisch: Kaum verschärfen Konservative irgendwo auf der Welt ein Abtreibungsgesetz (etwa texanische Republikaner im Herbst 2021), wittern die nächsten ihre Chance.
Kurz vor Weihnachten lancierten Nationalrätinnen der SVP zwei Initiativen, mit denen sie nach eigener Aussage Schwangerschaftsabbrüche reduzieren wollen. Sie könnten das Recht von Frauen, über ihren eigenen Körper zu bestimmen, wieder stärker einschränken.
Die eine heisst «Lebensfähige-Babys-retten-Initiative» und will ein striktes Abbruchverbot ab dem Zeitpunkt, an dem ein Fötus mit intensivmedizinischer Unterstützung ausserhalb der Gebärmutter überleben könnte. (Möglich wird das ab der 22. Schwangerschaftswoche, es zieht aber oft körperliche und kognitive Beeinträchtigungen nach sich.) Die Initiative erlaubt Ausnahmen nur, wenn die Schwangerschaft die Frau «in eine akute, nicht anders abwendbare Lebensgefahr» bringt.
Die andere nennt sich die «Einmal-darüber-schlafen-Initiative»: Ärztinnen sollen Frauen, die einen Abbruch wünschen, einen Tag Bedenkzeit geben müssen – damit ihr Entscheid nicht unter Druck und Stress falle.
Bevor wir zum eigentlichen Punkt kommen, sollten Sie wissen:
Die Dienstleistung «Schwangerschaftsabbruch» kann man, rein technisch betrachtet, nicht einfach so einfordern, wie man etwa ein Piercing oder einen Espresso bestellen kann. Immer geht ein beratendes Gespräch mit einer Ärztin voraus – das bestimmt das Strafgesetz.
Immer geht auch eine Unterschrift voraus, mit der die Frau bestätigt, dass sie sich aufgrund der Schwangerschaft in einer «Notlage» befindet.
Innerhalb der ersten 12 Schwangerschaftswochen (das sind 12 Wochen nach der letzten Menstruation, also rund 10 Wochen nach der Befruchtung) kann sie selber und ohne Angabe von Gründen entscheiden.
Danach entscheidet der Arzt mit. Er kann dem Abbruch zustimmen, wenn er ihn als notwendig erachtet, um eine «schwerwiegende körperliche Schädigung» oder eine «schwere seelische Notlage» abzuwenden.
Spätabbrüche erfolgen meist aus Gründen spät, die mit freier Wahl wenig zu tun haben: Oft weil eine Fehlbildung beim Fötus erst spät erkannt oder bestätigt wird. Manchmal weil die Schwangerschaft die körperliche oder (in der Schweizer Handhabung selten) die psychische Gesundheit der Frau gefährdet.
Die Initiantinnen wollen nach eigenen Angaben mit dem Verbot rund 100 Spätabbrüche pro Jahr verhindern. Nur: Hätten sie einen Blick in die Statistik geworfen, wüssten sie, dass das gar nicht geht. So weit die Daten zurückreichen, gab es pro Jahr noch nie mehr als 70 Abbrüche nach der 22. Woche (meist waren es rund 50 oder weniger).
Allein der letzte Punkt zeigt: Die Initianten scheinen nicht genau zu wissen, womit sie es hier eigentlich zu tun haben. Die ganze Aufmachung der beiden Initiativen zeugt von einem grundsätzlichen Unverständnis der Situationen, die zu Schwangerschaftsabbrüchen führen, – und davon, wie solche Situationen in der Schweiz gehandhabt werden. (Oder aber davon, dass die Initiantinnen jene, von denen sie gerne Unterschriften hätten, aus politischen Motiven bewusst in die Irre führen.)
Sie zeugt zudem, und das ist noch bedenklicher als die unterlassene Recherche, von einem bestimmten Frauenbild. Sie zeichnet die Vorstellung der sorglosen, ja, der kopflosen Frau:
Der Frau, die für einen Abbruch im Spital erscheint, sich die Sache aber eigentlich noch gar nicht so recht überlegt hat. Der Frau, die leichtfertig entscheidet.
Der leichtsinnigen Frau, die man dazu zwingen muss, eine Nacht darüber zu schlafen und am nächsten Tag wieder anzutanzen, weil sie sich sicher nicht sowieso schon nächtelang schlaflos im Bett herumgewälzt hat mit der Frage, ob sie, jetzt, schwanger sein und bleiben möchte. Mit der Frage, ob sie ihren Körper einem anderen Wesen zur Verfügung stellen will, neun Monate lang, und es dann gebären will. Ob sie, in ein paar Monaten, ein Kind haben möchte und ob sie das kann: ein Kind, für immer.
Wie man ganz anders über ungewollt schwangere Frauen nachdenken kann, zeigt etwa das Beispiel des US-amerikanischen Arztes George Tiller: «Trust women» war seine Maxime. Er wurde 2009 von Abtreibungsgegnern ermordet.
Falls Sie ebenfalls an der Fähigkeit von Frauen zweifeln sollten, einen soliden Entscheid zu fällen: Auch die Ärztinnen, mit denen meine Kolleginnen und ich über die Jahre gesprochen haben und die Abbrüche durchführen, sagen: Nein, natürlich sind das keine leichtfertigen Entscheide. Viele Frauen und Paare könnten sich aber schnell entscheiden, weil sie grundsätzlich wüssten, ob sie jetzt ein Kind möchten oder nicht. Wer verhütet, will keine Schwangerschaft herbeiführen. Andere sind ambivalent und brauchen mehr Zeit, suchen vielleicht eine Beratungsstelle auf. Und die seltene Extremsituation des Spätabbruchs stellt sowieso «eine besonders belastende Erfahrung dar», schreibt die Nationale Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin. Eine Erfahrung, die Frauen nicht «einfach so» auf sich nehmen.
Doch wie gesagt: Der Verdacht liegt nahe, dass es bei solchen Vorstössen um Tatsachen oder Empirie sowieso nicht geht – sondern um eine fest verankerte Vorstellung vom Frauenkörper. Letztlich steckt hinter diesen und anderen Initiativen gegen Abbruchrechte im Kern die gängige Vorstellung von der Frau, die erst einmal ein Gefäss ist: Eine Verpackung für den Fötus. Sie wird damit als gleichsam kopfloses Wesen auf ihren Körper reduziert und ihr Körper wiederum auf die Gebärmutter.
Diese Vorstellung hat Tradition:
Schon in der Neusteinzeit stellten Menschen Behältnisse in Frauengestalt her (Tongefässe, die Männer darstellen, sind selten).
In mittelalterlichen Fastnachtsspielen verwendete man gerne Haushaltsgefässe als Schimpfnamen für Frauen.
Den titelgebenden «Zerbrochenen Krug» nutzte Heinrich von Kleist in seinem Drama als Symbol für die zerrissene Jungfräulichkeit seiner Protagonistin.
Die Vorstellung ist auch universell: Man findet frühe Belege in der Antike wie im alten Orient, man findet sie im Theater, in der Literatur, im Film, in der Redewendung, in der Religion – die Frau als sac oder coffre, als Pfanne oder Topf, als vessel oder ship.
Und diese Vorstellung hält sich offensichtlich bis heute: Wer schwanger ist, ist erst einmal, eben, schwanger und existiert fortan erst einmal nur noch um den Fötus herum.
Für mich gebe es dann aber nur Kräutertee, sagte mir im Herbst jemand auf dem Weg zur Kaffeemaschine – jemand, dem ich kurz vorher von dem Kindchen erzählt hatte, das ich erwarte.
«Zeig mal deinen Bauch» – so begrüsste mich eine Zufallsbegegnung, die von der Schwangerschaft gehört hatte, kurz nach Weihnachten. (Der Bauch steckte nicht ganz zufällig diskret unter einem Parka.)
Man kann das natürlich als gesellschaftlich antrainiertes Verhalten zu verstehen versuchen oder als Dinge, die Menschen aus Verlegenheit sagen. Aber nachvollziehen heisst nicht rechtfertigen. Der Fokus auf Körperteile, das Verb im Imperativ, die Bevormundung: Das sind Dinge, die keine Frau (und kein Mann) sollte hinnehmen müssen. Ich bin nicht gewöhnt, dass man mit mir als erwachsenem Menschen so umgeht – und, quite frankly, ich gedenke nicht, mich daran zu gewöhnen.
Es ist an der Zeit, den seit der Steinzeit tradierten Blick, den die Gesellschaft auf Frauen wirft, umzulenken: vom Bauch auf die Augenhöhe.