Alle Macht bei Pfizer

Knallharte Politik, undurchsichtige Verträge, gute PR – gebrochene Versprechen. Wie Pfizer mit der Impfung zur einflussreichsten Firma der Pandemie wurde.

Von Hannah Kuchler, Donato Paolo Mancini, David Pilling (Text), Tobias Haberkorn (Übersetzung) und Lindon Hayes (Illustration), 11.01.2022

Albert Bourla dürfte gerade der gefragteste Geschäfts­mann der Welt sein. Als im Juni 2021 viele Länder nach ersten Erfolgen mit ihren Impf­kampagnen die Volks­wirtschaften wieder hochfahren konnten, flog der Vorstands­vorsitzende und CEO des Pharma­konzerns Pfizer zum G-7-Gipfel nach Cornwall. Sein Privatjet parkierte direkt neben dem Flugzeug des britischen Premier­ministers Boris Johnson.

Einige Wochen später wurde Bourla vom damaligen japanischen Premier­minister Yoshihide Suga zu den Olympischen Spielen empfangen. Zum ersten Mal, sagten japanische Amts­träger, habe mit Bourla ein Wirtschafts­boss im Gästehaus des Akasaka-Palasts genächtigt. Im September nannte US-Präsident Joe Biden den Griechen «Albert» und «einen guten Freund».

Dank der spektakulären Wirksamkeit seines Covid-19-Vakzins hält Pfizer den Schlüssel zur Rettung von Menschen­leben und Volks­wirtschaften in der Hand. Schätzungen der Welt­gesundheits­organisation (WHO) zufolge wären im Jahr 2021 allein in Europa etwa eine halbe Million mehr Menschen gestorben, hätte es keine Covid-Impfstoffe gegeben.

In unzähligen Mails, Text­nachrichten und Anrufen verhandelten nach der Zulassung des Impfstoffs Comirnaty Regierungs­chefs aus aller Welt mit dem 60-jährigen Bourla über die Lieferung seiner Impf­stoffe, gelegentlich auch in der Hoffnung, dadurch ihre eigenen politischen Karrieren zu retten. Den Rekord der Kontakt­aufnahmen hält angeblich der inzwischen abgewählte israelische Premier­minister Benjamin Netanyahu. Dreissig Mal soll er Bourla während seiner verlorenen Wahl­kampagne angerufen haben.

Doch während westliche Politikerinnen ihre Deals mit Bourla besiegelten, mussten die Regierungs­chefs ärmerer Staaten verzweifelt mitansehen, wie sich das Virus durch ihre ungeimpften Bevölkerungen frass. Man habe sie «auf dem Trockenen sitzen lassen, bis wir allmählich verdurstet sind», sagt Strive Masiyiwa, simbabwischer Milliardär und Koordinator des Impf­teams der Afrikanischen Union.

Ende 2020 überzeugte Masiyiwa Pfizer davon, zunächst 2 Millionen Impf­dosen bereit­zustellen, um damit einen Teil der etwa 5 Millionen Mitarbeitenden im afrikanischen Gesundheits­sektor zu impfen. Gespannt wartete er auf einen Vertrags­entwurf. «Immer wieder hiess es: nächste Woche. Dann war irgendwann April», erzählt er. Im Mai unterzeichnete die EU einen Vertrag über 1,8 Milliarden Impf­dosen. Wutentbrannt schrieb Masiyiwa an Bourla und fragte nach der Ursache für den Verzug. Letztlich spendete die US-Regierung unter Biden der Afrikanischen Union einige Impfdosen.

Die Pandemie brachte eine enorme Ausweitung staatlicher Macht mit sich. Volks­wirtschaften gingen in den Modus der Kriegs­wirtschaft, Ausgangs­sperren wurden verhängt. Doch in pharmazeutischer Hinsicht waren Regierungen fast vollständig abhängig von Privat­unternehmen.

Geschwärzte Verträge, Verschwiegenheits­erklärungen

Der Impfstoff hat Pfizers Möglichkeiten zur politischen Einfluss­nahme verändert. Noch im Juli 2018 hatte Bourlas Vorgänger die für das Jahr geplanten Preis­erhöhungen verschieben müssen, nachdem der damalige US-Präsident Donald Trump ihn auf Twitter öffentlich attackiert hatte. Jahrelang war die Potenz­pille Viagra Pfizers bekanntestes Produkt gewesen. Nun zeichnet das Pharma­unternehmen für ein Mittel verantwortlich, das einen grösseren Jahres­umsatz generierte als je ein Medikament zuvor.

Im Jahr 2021 wird Pfizer mit seinem Covid-Impfstoff voraussichtlich 36 Milliarden US-Dollar erwirtschaftet haben. Das ist mehr als doppelt so viel wie der Konkurrent Moderna. Durch eine aggressive Ausweitung seiner Produktions­kapazitäten konnte sich Pfizer mit grossem Abstand als Vakzin­hersteller durchsetzen. Im Oktober des letzten Jahres betrug sein Markt­anteil 80 Prozent in der EU und 74 Prozent in den USA.

Seit der Impfstoffzulassung Ende 2020 haben Pfizers Entscheidungen den Verlauf der Pandemie massgeblich geprägt. Das Unternehmen hat die Macht, Preise festzulegen und in einem undurchsichtigen System darüber zu bestimmen, welche Länder zuerst beliefert werden. Das gilt auch für die Booster­impfungen, die reiche Länder derzeit mit grösster Mühe zu beschleunigen versuchen.

Von solchen Entscheidungen hängt ab, ob Länder, Regionen und ganze Kontinente ihre Wirtschaft wieder in Gang bekommen oder im Wettlauf gegen das Virus zurück­fallen. Obwohl ärmere Länder seit September stärker mit Impfstoff versorgt werden, ist die ungleiche Verteilung weltweit nach wie vor eklatant. Bisher haben 66 Prozent der Bevölkerung von G-7-Staaten zwei Impfungen erhalten, in Afrika sind es nur gut 6 Prozent. Die Zahl der Booster­impfungen in Ländern mit hohem Einkommen ist fast doppelt so hoch wie die Zahl aller verabreichten Dosen in Ländern mit niedrigem Einkommen.

Das Aufkommen der neuen, potenziell gefährlichen Omikron-Variante macht die Gefahren einer derart ungleichen Verteilung nur noch deutlicher. Auch wenn der Ursprung der Variante bisher noch unklar ist: Seit langem warnen Wissenschaftlerinnen davor, dass Mutationen wahrscheinlicher sind, wenn grosse Teile der Welt­bevölkerung ungeimpft bleiben. «Niemand ist sicher, solange nicht alle sicher sind», sagt Seth Berkley, Geschäfts­führer von Gavi, der von der Uno unterstützten Impf­allianz.

Wie Pfizer mit dieser neu gewonnenen Macht umgeht und weiter umgehen will, ist streng geheim, denn der Impfstoff­hersteller schwärzt weite Teile seiner Verträge und verpflichtet sogar unabhängige Wissenschaftler zu Verschwiegenheits­erklärungen.

Keine Führungskraft von Pfizer war zu einem Interview für diesen Beitrag bereit. Stattdessen teilte ein Firmen­sprecher mit, Pfizer sei «äusserst stolz» auf seine Leistungen. «Durch die Auslieferung von bisher mehr als 2 Milliarden Dosen hat unser Impfstoff weltweit Millionen Leben gerettet.»

Um herauszufinden, wie das Unternehmen zur Bekämpfung von Covid beitragen und gleichzeitig so viel Profit daraus schlagen konnte, sprach die «Financial Times» mit mehr als 60 Menschen, die an der Entwicklung des Impfstoffs beteiligt waren, darunter derzeitige und ehemalige Angestellte von Pfizer sowie Regierungs­beamte auf der ganzen Welt. Sie alle sind dankbar für den sicheren, wirksamen Impfstoff. Doch viele von ihnen fragen sich, ob er die Macht­verhältnisse nicht zu sehr zu Pfizers Gunsten verschoben hat.

Laut Lawrence Gostin, Professor für globales Gesundheits­recht an der Georgetown University in Washington D.C., hätten Pfizer und andere Impfstoff­hersteller in ihren Verhandlungen auch deshalb so kompromisslos auftreten können, weil Politikerinnen grosse Zurück­haltung zeigten. «Ich gehöre nicht zur Anti-Big-Pharma-Fraktion», sagt Gostin. «Ich finde, dass sie ein Wunder geschaffen haben, einen wissenschaftlichen Triumph. Doch die Behauptung, sie würden gerecht, transparent und wohltätig mit dieser Macht umgehen, ist schlicht und einfach falsch.»

Der grösste Marketing­coup in der Geschichte

Der Impfstoff, der Bourla so viele Anrufe von Regierungs­chefs bescherte, wurde eigentlich in den Laboren von Biontech entwickelt, einem Forschungs­unternehmen aus Mainz.

Ende Januar 2020 verfolgte Uğur Şahin, CEO von Biontech, den Ausbruch des neuartigen Corona­virus in China. Şahin, der als Kind mit seinen Eltern aus der Türkei nach Deutschland eingewandert war, ist von der Wirksamkeit der mRNA-Technologie seit langem überzeugt. Er war in Sorge, das Virus könne die Welt ins Chaos stürzen. Also investierte er Biontechs Ressourcen in die Entwicklung eines Impfstoffs.

Doch wie auch Moderna konnte Biontech noch keine zugelassenen Produkte vorweisen, also auch keinen Umsatz und keine Profite. Şahin musste sich auf die Suche nach einem Kooperations­partner machen, der ihm das notwendige Kapital zur Verfügung stellte.

Sein erster Ansprech­partner war Pfizer, da beide Unternehmen bereits zusammen­gearbeitet hatten. Als Şahin erstmals von seinem Vorhaben der Impfstoff­entwicklung berichtete, zögerte das Pfizer-Management. Doch im März, als sich die Pandemie auch in den Spitälern in der Nähe des Pfizer-Haupt­sitzes in Manhattan bemerkbar machte, gaben die beiden Unter­nehmen ihre Zusammen­arbeit bekannt.

«Es ist ja nicht einmal ihr Impfstoff», formuliert es ein ehemaliger US-Regierungs­beamter, der an der Impfstoff­beschaffung beteiligt war. Dass das Vakzin in den USA inzwischen allgemein als «Pfizer-Shot» bekannt ist, sei «der grösste Marketing­coup in der Geschichte der US-Pharma­industrie».

Uğur Şahin, Vorstandsvorsitzender von Biontech, und Özlem Türeci, medizinischer Vorstand des Unternehmens.

Anders als für Astra Zeneca und Johnson & Johnson kam es für Pfizer nie infrage, den Covid-Impfstoff nicht gewinn­bringend zu vermarkten. Biontech musste mit seinem ersten Produkt Geld erwirtschaften, um die Gewinne reinvestieren zu können. Die Mainzer Biontech-Gründerinnen wollten die Hälfte des Profits für sich behalten. Dafür durfte Pfizer die Vermarktung in allen Ländern mit Ausnahme von Deutschland und der Türkei – den Heimat­ländern der Gründerinnen – sowie China übernehmen, wo Biontech bereits eine Vereinbarung mit Fosun Pharma getroffen hatte.

Während Biontech zum Zweck der Impfstoff­entwicklung bis zu 375 Millionen Euro Förder­geld vom deutschen Bundes­­ministerium für Bildung und Forschung erhielt, lehnte Pfizer eine Unterstützung durch die US-Regierung ab, um die vollständige Kontrolle über den Impfstoff behalten zu können, also auch über den äusserst wichtigen Aspekt der Preis­festsetzung.

Als Pfizer im Frühsommer 2020 die Verhandlungen mit der US-Regierung begann, bezog das Unternehmen eine resolute Position: Insidern zufolge forderte man 100 US-Dollar pro Dosis, das heisst 200 US-Dollar pro Immunisierung.

Laut einem ehemaligen Beamten der Trump-Regierung sei Pfizer-CEO Bourla «wunderbar proaktiv» aufgetreten und ausserdem – was ungewöhnlich ist – in Diskussionen mit allen möglichen Regierungs­mitgliedern «persönlich involviert» gewesen, auch mit Vertreterinnen der Aufsichts­behörden und des Weissen Hauses.

Trump hatte Moncef Slaoui zum Leiter der Operation Warp Speed ernannt, die die Entwicklung und Auslieferung von Impfstoffen beschleunigen sollte. Als altgedientem Mitarbeiter des britischen Pharma­unternehmens Glaxo Smith Kline (GSK) waren ihm die Industrie und die Risiken der Impfstoff­entwicklung gut bekannt, kurzzeitig war Slaoui auch im Vorstand der Firma Lonza. Doch sogar er war schockiert über den stolzen Preis, den Pfizer verlangte. Erhitzte Verhandlungen folgten, und Slaoui warnte Bourla, das Unternehmen werde den Eindruck erwecken, Profit aus einer Jahrhundert­pandemie schlagen zu wollen.

Ein Regierungs­beamter, der an den Verhandlungen beteiligt war, warf Pfizer «ein absolut rücksichts­loses Vorgehen während einer nationalen Notlage» vor. «Ich verstehe nicht, wie man Pfizer dafür in Schutz nehmen kann.»

Pfizer hat auf Anfragen bezüglich seiner Preis­strategie in den USA nicht reagiert. Doch ein ehemaliger Manager des Unter­nehmens, der damals noch bei Pfizer arbeitete, erklärte uns die komplizierte Kunst, während einer Pandemie den Preis eines Impfstoffs festzusetzen. Er verweist darauf, dass Prevnar, Pfizers Pneumokokken-Impfstoff, etwa 200 US-Dollar kostet. Hätte Pfizer die eingesparten Kosten für die Pflege von Covid-Patienten oder für den Nutzen einer Wieder­eröffnung der Wirtschaft einbezogen, hätte der Preis sogar noch höher ausfallen können.

«Wenn man das über den Daumen gepeilt mit Prevnar vergleicht, kommt man auf einen absurd hohen Preis», sagt er. «Wenn man neben den gesundheitlichen auch die wirtschaftlichen Auswirkungen einrechnet, könnte eine Dosis auch 1000 US-Dollar wert sein, denn die Impfung konnte potenzielle Ausgaben in Billionen­höhe verhindern. Da muss man sich doch eingestehen: So funktioniert es nicht.»

Slaoui zufolge habe Bourla bald erkannt, dass Pfizer mit einem so hohen Preis seinen Ruf aufs Spiel setzen würde. Nachdem Moderna, das grosszügige Förder­gelder der US-Regierung angenommen hatte, einem weit niedrigeren Preis zugestimmt hatte, setzte Pfizer den Preis in einem ersten Vertrag mit den USA sowie entsprechenden Verträgen mit anderen westlichen Ländern schliesslich auf 19,50 US-Dollar pro Dosis.

Doch auch das war letztlich viermal teurer als eine Dosis Johnson & Johnson und fünfmal teurer als eine Injektion von Astra Zeneca.

Mengenrabatt? Nein, Preis­erhöhung!

Für den Erfolg von Pfizers Impfstoff war nicht die ausgezeichnete Forschung entscheidend, sondern vielmehr die effiziente Herstellung.

Durch den rasanten Ausbau seiner Produktions­kapazität im Jahr 2021 konnte Pfizer den günstigeren Konkurrenten Astra Zeneca und Johnson & Johnson Markt­anteile abnehmen. Pfizers Strategie, die Produktions­kette weitgehend selbst zu organisieren, zahlte sich aus. Zusammen mit Biontech verfügt Pfizer über 9 Produktions­stätten – die grössten stehen in Kalamazoo (Michigan) und Puurs-Sint-Amands (Belgien) – sowie 20 Auftrags­hersteller. Alles wurde der Produktivität untergeordnet. Als Pfizer keine Tiefkühl­behälter für den Impfstoff auftreiben konnte, baute das Unter­nehmen sie kurzerhand selbst. Das dafür benötigte Trockeneis wird in einer eigens dafür gebauten Fabrik hergestellt.

Diese Kombination aus Herstellungs­kontrolle und Experten­wissen ermöglichte einen enormen Anstieg der Produktivität. Anfangs dauerte der Prozess der Herstellung und Abfüllung im Mittel 110 Tage. Inzwischen sind es nur noch 31. Im Januar 2021 hiess es noch, das Unternehmen könne für das Jahr 2 Milliarden Dosen bereit­stellen. Schon im August war klar, dass es eher 3 Milliarden werden würden.

Für 2022 sind 4 Milliarden Dosen geplant.

Astra Zeneca konnte seine Produktion nur mit grosser Mühe steigern. Das britisch-schwedische Pharma­unternehmen, das mit der Universität Oxford zusammen­arbeitet, hatte geplant, der EU innerhalb des ersten Halbjahrs 2021 300 Millionen Dosen zu liefern. Doch nach einer Reihe von Problemen sah es sich zu drastischen Kürzungen gezwungen und konnte nur 100 Millionen Dosen ausliefern. Die EU war darüber derart verärgert, dass sie Astra Zeneca verklagte. Ähnliche Probleme hatte Johnson & Johnson, das vorübergehend die Lieferungen an die EU stoppen musste. Europäische Regierungen brauchten die Impfstoffe, um ihre Bevölkerung zu schützen und auch ihren eigenen Ruf wieder­herzustellen. Pfizer schien der einzige verlässliche Zulieferer zu sein.

«Die Politiker haben sich die Finger verbrannt. Die wenigen, die über Preise oder andere Zugriffs­möglichkeiten verhandeln wollten, haben politischen Schaden genommen; vor allem in der EU, wo es nach dem frühen Aus­lieferungs­beginn zu enormen Schuld­zuweisungen kam», sagt Gesundheits­rechts­experte Lawrence Gostin. «Die Menschen fragten: ‹Warum habt ihr den Unternehmen nicht gegeben, was sie wollten?›»

Ursula von der Leyen, die Präsidentin der Europäischen Kommission, nahm im Januar 2021 direkten Kontakt mit Bourla auf. Als im Frühling deutlich wurde, dass Pfizer mehr Impfstoff liefern konnte, verhandelte sie einen Megadeal über bis zu 1,8 Milliarden Dosen bis Ende 2023.

«Die EU-Mitglieds­staaten wollten sich den Zugang zum Impfstoff für die nächsten Jahre möglichst früh sichern», sagt Sean Marett, Chief Commercial Officer von Biontech. Der Preis sei bei den Verhandlungen nicht der mass­gebliche Faktor gewesen. «Ich denke, Verlässlichkeit und Sicherheit waren sehr wichtig. Die Leute hatten Angst. Das konnte man fühlen. Europa fürchtete sich vor Lockdowns und neuen Virus­varianten. Man wollte den Menschen Sicherheit geben.»

Die EU erwartet fünfmal mehr Dosen von Pfizer als von ihrem nächst­grösseren Lieferanten Moderna. Eine so umfassende Verpflichtung würde normaler­weise mit einem Mengen­rabatt einhergehen. Doch Pfizer erhöhte den Preis um mehr als ein Viertel im Vergleich zur anfänglichen Vereinbarung, von 15,50 auf 19,50 Euro. Von der Leyen war einverstanden.

Die gleiche Preis­erhöhung nahm Pfizer in seinen Verträgen mit den USA und dem Vereinigten Königreich für 2021 vor.

Laut Jillian Kohler, Direktorin des WHO-Kooperations­zentrums gegen Korruption und für Transparenz und Rechenschaft in der Pharma­industrie, hat Pfizer schon immer den Ruf, «ziemlich aggressiv» vorzugehen und «Gewinn­maximierung über alles andere» zu stellen. Doch die Pandemie habe die Macht des Unternehmens ausgeweitet und «Pfizers Fähigkeit, horrende Forderungen an Regierungen zu stellen, nur noch verstärkt».

Pfizer hat seinen Investorinnen bereits angekündigt, die Preise erhöhen zu können, sobald Covid-19 in die endemische Phase eintritt und die Verbreitung des Virus langsamer und kontrollierter vonstatten­geht. Experten zufolge könnte ein solcher Preis­anstieg durch zunehmende Konkurrenz gedämpft werden. Die Verzögerung oder gar Aufgabe anderer Impfstoff­entwicklungen lässt Pfizers Dominanz jedoch immer sicherer aussehen. Unter den vier bereits vor der Pandemie aktiven Gross­herstellern von Impfstoffen ist Pfizer der einzige, der ein Mittel gegen Covid-19 vertreibt: Sanofi und GSK haben die Daten ihrer Phase-3-Studie noch nicht veröffentlicht, nachdem ein Dosierungs­fehler eine frühe Testphase ihres gemeinsamen Impfstoffs verzögert hatte. Merck schied schon im Januar 2021 nach schlechten Ergebnissen aus dem Rennen aus.

Für 2022 prognostiziert Pfizer auf der Grundlage von Verträgen, die bis Mitte Oktober geschlossen wurden, 29 Milliarden US-Dollar Umsatz durch sein Covid-Vakzin. In einer Telefon­konferenz zur finanziellen Situation des Unternehmens im Februar 2021 sagte Pfizer voraus, dass die derzeitigen Gewinn­margen von etwas weniger als 30 Prozent nach dem Ende der Pandemie steigen sollten, da die Kosten sinken würden.

«Die Margen werden sich verbessern, sobald wir die Pandemie hinter uns gelassen haben», sagte Frank D’Amelio, Finanz­chef des Unternehmens.

Wer mehr bietet, wird schneller beliefert

Pfizer-CEO Albert Bourla betont, dass er nicht ausschliesslich an Gewinnen interessiert ist. «Es freut mich, dass es für das Unternehmen finanziell sehr gut läuft. Noch mehr freut es mich aber, wenn ich ein Restaurant betrete und Standing Ovations bekomme, weil alle denken, dass wir die Welt gerettet haben», sagte er im Juli in einem Interview mit «Yahoo Finance».

Winnie Byanyima, ugandische Politikerin und Leiterin des Gemeinsamen Programms der Vereinten Nationen für HIV/Aids (UNAIDS), lief es beim Lesen dieses Interviews kalt den Rücken hinunter. «Er hat die Welt nicht gerettet. Er hätte die Möglichkeit dazu gehabt, hat es aber nicht getan», sagt sie und verweist auf die niedrigen Impf­quoten in Afrika.

Für ärmere Länder hat Pfizer den Preis drastisch gekürzt, auf bis zu 6,75 US-Dollar für die ärmsten und etwa 10 bis 11 US-Dollar für Länder mit mittlerer Wirtschafts­kraft. Das ist günstiger als Moderna, aber teurer als Astra Zeneca.

Doch auch wenn die Dosen dadurch erschwinglicher sind, haben viele Regierungs­chefinnen das Gefühl, Pfizer halte Lieferungen an sie zurück. Westliche Politiker mögen Bourlas Nummer auf Kurzwahl gespeichert haben. Andere Länder haben Schwierigkeiten, ihn – oder irgend­jemanden von Pfizer – überhaupt zu erreichen.

Albert Bourla, Vorstandsvorsitzender und CEO von Pfizer.

«Aus manchen Ländern haben wir gehört, dass sie Kontakt zu Pfizer aufnehmen wollten und nie jemand zurück­gerufen hat», sagte uns eine Person, die an der Impfstoff­beschaffung der Afrikanischen Union beteiligt war.

Vor der Unterzeichnung von Verträgen verlangte Pfizer von den Ländern Gesetzes­änderungen, die das Unternehmen vor Klagen schützen sollten. In vielen westlichen Rechts­systemen gab es entsprechende Gesetze schon. Vom Libanon bis zu den Philippinen brachte man Änderungen auf den Weg, um die Impfstoff­lieferungen sicherzustellen.

Laut Jarbas Barbosa, stellvertretender Direktor der Panamerikanischen Gesundheits­organisation, sind die von Pfizer gestellten Bedingungen «niederträchtig in einer Krisen­zeit, in der Regierungen kaum Nein sagen können».

Doch die Verhandlungs­führer befürchteten, dass Gegenwehr zu Liefer­verzögerungen führen könnte. Jonathan Cushing, Vorsitzender der Abteilung für globales Gesundheits­wesen bei Transparency International, sagt: «Letztlich ist es ein Überbietungs­wettbewerb: Wer am meisten bietet, wird als Erster beliefert.»

Gemäss Susan Silbermann, der ehemaligen Direktorin von Pfizer Vaccines, die die Covid-19-Taskforce des Unternehmens ins Leben gerufen hat, hat man bei Pfizer gewusst, dass man in der Anfangs­phase nicht die ganze Welt würde beliefern können. «Wir mussten feststellen, dass die Regierungen mit der Planung ihrer Impfstoff­beschaffung unterschiedlich weit waren. Es war nicht so, dass wir am liebsten zuerst mit Land X oder Land Y Verträge geschlossen hätten; wir haben mehrere Verhandlungen parallel geführt. Oft ging es darum, wie schnell die Regierungen reagiert haben.»

Die Verhandlungen mit Südafrika verliefen besonders angespannt. Die südafrikanische Regierung klagte über Liefer­verzögerungen, die, wie der ehemalige Gesundheits­minister Zweli Mkhize sagt, auf Pfizers «unverschämte Forderungen» zurück­zuführen seien.

Pfizer forderte die südafrikanische Regierung dazu auf, zur Deckung eventueller Schadenersatz­forderungen einen Staats­fonds anzulegen, doch das lehnte sie ab. Insidern zufolge habe das Finanz­ministerium die Anfrage des Gesundheits­ministeriums, den Vertrag mit Pfizer zu unterschreiben, mit der Begründung abgelehnt, dass das einer «Abtretung der staatlichen Souveränität» gleichkäme.

Doch Pfizer bestand für den Fall zivil­rechtlicher Klagen auf Schaden­ersatz und verlangte von der Regierung, dass sie Geld für einen Entschädigungs­fonds zur Verfügung stellte.

«Die südafrikanische Regierung sagte mir: ‹Diese Leute legen uns die Daumen­schrauben an›», so ein leitender Beamter, der an der Impfstoff­beschaffung Afrikas beteiligt war. «Die Menschen schrien nach einer Impfung. Also hat man unterzeichnet, was vorgelegt wurde.»

Laut Fatima Hassan, Gründerin der Health Justice Initiative aus Südafrika, hat das Gesundheits­ministerium in Verhandlungen mit einem «juristisch aufgerüsteten» Konzern wie Pfizer einen schlechten Stand. Ihre Organisation bereitet sich derzeit darauf vor, die Veröffentlichung der ungekürzten Verträge zwischen Pfizer und der südafrikanischen Regierung gerichtlich durchzusetzen. «Wir wollen wissen, wo sie sonst noch rücksichtslos waren», so Hassan. «Ein Privat­unternehmen darf auf keinen Fall so viel Macht haben. Die Verträge sollten öffentlich sein. Dann wäre ersichtlich, wozu Pfizer souveräne Staaten weltweit sonst noch drängen konnte.»

Ein hoher südafrikanischer Regierungs­beamter wollte sich nicht speziell zu Pfizer äussern, sagte aber: «Ich halte es für unmoralisch, wenn jemand so hohe Profite aus einer gravierenden Notsituation schlagen will, von der die ganze Menschheit betroffen ist.»

Der Verdacht der Hinhalte­taktik

Die nächste Wendung war die Weigerung des Unter­nehmens, die Dosen freizugeben, bevor überprüft werden konnte, ob die Länder die notwendige Infrastruktur zur Auslieferung des tiefgekühlten Impfstoffs hatten. Pfizer sorgte sich nicht ohne Grund: Auch viele westliche Gesundheits­dienste hatten Schwierigkeiten bei der Lagerung der Dosen. Laut Silbermann lag es in Pfizers Verantwortung, den Ländern die Anforderungen zu verdeutlichen, denn «eine Impfdosis bringt ja nichts, wenn sie liegen bleibt».

Doch laut einem Direktor von Covax, einer Initiative der WHO, die Impfdosen in Entwicklungs­länder liefert, hatten einige Regierungen den Eindruck, Pfizer habe den Bogen überspannt. «Manche Länder dachten, sie hätten alles abgedeckt, doch dann verlangte Pfizer noch mehr oder war unzufrieden mit den Massnahmen der Länder», sagt er.

Im September zog Bourla den Zorn vieler Menschen auf sich, als er sagte, dass der Impfstoff im Jahr 2022 so reichlich vorhanden sein werde, dass Impf­skepsis das grössere Problem darstellen werde. «Der Prozent­satz der Impf­skeptiker wird in diesen [einkommens­schwachen] Ländern viel, viel höher sein als in Europa, den USA oder in Japan», so Bourla.

Die Datenlage stützt diese Aussage: Die Regierung von Südafrika, wo im Laufe des Jahres 2021 Impfstoff­knappheit herrschte, kann die Bevölkerung derzeit nur mit grosser Mühe davon überzeugen, das vorhandene Angebot in Anspruch zu nehmen. Doch Bourlas Worte verstärkten auch den Eindruck, dass er den Bezug zum Alltags­leben in impfstoff­armen Ländern verloren hatte. Tom Frieden, Arzt für Infektions­krankheiten und ehemaliger Direktor der US-amerikanischen Seuchen­schutz­behörde CDC (Centers for Disease Control and Prevention), bezeichnet die Aussage als «ungeheuerlich». «Das steht auf einer Stufe mit Aussagen, die während der Aids-Krise gemacht wurden, etwa dass antiretrovirale Therapie für Afrikaner ungeeignet sei, weil sie die Uhr nicht lesen könnten. Das war furchtbar unverantwortlich.»

Da Pfizers Auftrags­buch nicht öffentlich ist und nicht einmal bekannt war, ob es überhaupt so etwas wie eine Warte­reihenfolge gab, hegten einige Regierungen allmählich den Verdacht, solche Zusatz­bedingungen seien Teil einer Hinhalte­taktik. Laut dem Epidemiologen Bruce Aylward, leitender Berater der WHO, räumen die Impfstoff­hersteller der WHO-Initiative Covax ganz offensichtlich keine Priorität ein. «Zeigen Sie uns die Reihen­folge. Wie läuft das ab? Wie wird sie organisiert? Wenn es chronologisch wäre, dann hätten wir schon längst an der Reihe sein müssen.»

Pfizer behauptet, transparent mit seinen Liefer­plänen umzugehen. Das Unternehmen strebe dieselbe Art von Haftungs­ausschluss an, wie sie ihm auch in den USA gewährt wird; und mit den Ländern, die das nicht gewähr­leisten können, arbeite man zusammen, um «auf einen gemeinsamen Nenner» zu kommen.

Der Konzern teilte mit, man habe reiche und arme Länder gleicher­massen kontaktiert und sich «vom ersten Tag an die Priorität gesetzt, den Impfstoff gerecht und unparteiisch zu verteilen». Doch nach dieser ersten Kontakt­aufnahme habe man festgestellt, dass sich reichere Länder den Grossteil reserviert hätten, weil ärmere Länder Impfstoffe vorgezogen hätten, deren Lieferung keine komplizierte Kühlkette benötigt.

«Erst in der zweiten Hälfte von 2021 neigte sich das Versorgungs­gleichgewicht zugunsten von Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen», so Pfizer.

Laut Aurélia Nguyen, der geschäfts­führenden Direktorin von Covax, hat Pfizer seine Ziel­vorgaben von Dosen erreicht, die man dem Programm liefern wollte. Doch sie fügt hinzu: «Schon bei der ersten Kontakt­aufnahme zu Pfizer wurde deutlich, dass Covax nicht mehr als eine Mindest­menge an Dosen erwarten konnte.»

WHO-Berater Bruce Aylward zufolge hat Pfizer nicht schnell genug geliefert. Zugutehalten müsse man dem Konzern jedoch, im Herbst das Tempo erhöht zu haben. Inzwischen hat Pfizer Impf­dosen an 161 Länder ausgebracht. Im Jahr 2021 stellte das Unternehmen Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen über 740 Millionen Dosen zur Verfügung, darunter waren 100 Millionen, die die US-Regierung unter Biden gespendet hat. Für 2022 hat Pfizer eine Milliarde zusätzlicher Dosen angekündigt.

Richard Hatchett ist CEO der Coalition for Epidemic Preparedness Innovations (Cepi; etwa: Koalition für Innovationen in der Epidemie­vorbeugung), die Cepi ist eine der Geldgeberinnen von Covax. Hatchett sagt, die Welt sei Pfizer, Moderna, Biontech, Astra Zeneca und vielen anderen Akteuren der Industrie «ein riesiges Danke­schön» schuldig. Vor Ende der Pandemie möchte er allerdings die Auftrags­bücher sehen. «Wenn alles legal läuft und die Auslieferungen in der Reihen­folge erfolgen, in der das Geld eingeht, sollte Transparenz doch kein Problem sein», sagt Hatchett. «Das könnte die Gemüter ein wenig besänftigen. Dass die Emotionen in solchen Fragen hochkochen, ist verständlich. Schliesslich sterben Menschen.»

«Es ist ein Geldregen ohne­gleichen»

Ein gutes Jahr nach ihrer Zulassung haben die Covid-Impfstoffe das Leben von mehr als der Hälfte der Welt­bevölkerung verändert. Etwa 59 Prozent haben mindestens ihre erste Impfung erhalten. Doch für rund 90 Prozent der Einwohnerinnen ärmerer Länder bleiben die Impfungen unerreichbar.

Dieses offensichtliche Ungleich­gewicht führt zu Schuld­zuweisungen. Einige Regierungs­beamte fragen, warum Pfizer und Moderna die wohl­habendsten Länder mit Booster­dosen beliefern, statt den bedürftigsten Ländern eine höhere Priorität einzuräumen.

Laut dem Arzt Tom Frieden, dem ehemaligen Direktor der CDC, würden Regierungen den Impfstoff­herstellern oft «Honig ums Maul schmieren», um an die benötigten Dosen zu kommen: Sie fördern Forschung und Entwicklung, bilden Ärztinnen aus, leisten Aufklärungs­arbeit und kaufen Milliarden Dosen. Im Gegenzug erwarten sie von den Herstellern Verantwortungs­bewusstsein. Es sei «verblüffend», wie sehr Pfizer und Moderna dies vermissen liessen. «Zwischen Impfstoff­herstellern und Regierungen gibt es ein paar ungeschriebene Gesetze. Die Hersteller haben diese Gesetze gebrochen. Also sollte man sie neu formulieren.»

In seinen öffentlichen Stellung­nahmen schiebt Bourla die Verantwortung oft der Initiative Covax, der WHO und den Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen zu. Es liege in ihrer Macht, genug Impfstoff zu bestellen. In einer Telefon­konferenz Anfang November warnte er erneut davor, dass die wohlhabenderen Länder ihnen die Dosen wegschnappen würden. «Wieder werden Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen abgehängt, weil sie nichts bestellt haben.»

In den Augen vieler Kritiker und Gesundheits­expertinnen liegt die Schuld weniger bei den Unternehmen als bei den Regierungen wohlhabender Länder, die ihre eigenen Bevölkerungen über alles stellen und so ihre Verantwortung für eine möglichst breite Verteilung des Impfstoffs vernachlässigen.

Im Laufe des Jahres 2020 haben es westliche Politiker versäumt, Covax hinreichend finanziell zu unterstützen. Als der Impfstoff endlich verfügbar wurde, konnte die Organisation nicht schnell genug handeln. Auch wurden in die Verträge keine Klauseln aufgenommen, die die Hersteller dazu verpflichtet hätten, ärmeren Ländern zu helfen. Nachdem sich der Beginn der Auslieferungen etwas unsicher gestaltet hatte, wegen Verzögerungen in der EU zum Beispiel, fühlten sich nervöse westliche Politikerinnen zum Horten genötigt. «Man beschloss bald, lieber zu viele Dosen zu bestellen als zu wenige», sagt ein ehemaliger leitender Angestellter von Pfizer. «Über viele Politiker wurde in den Nachrichten negativ berichtet, weil sie nicht auf eine Pandemie vorbereitet waren.»

Laut dem Schweizer Thomas Cueni, General­direktor des internationalen Pharma­­verbands IFPMA, liege es nun in der Verantwortung der überversorgten Regierungen der USA, des Vereinigten Königreichs, der EU und Kanadas, Covax die benötigten Impf­mengen zu verschaffen. «Diese Regierungen kennen den Stand ihrer Lieferungen am besten. Es liegt an ihnen, Spenden zu koordinieren und Covax Priorität einzuräumen, damit die Impf­ungleichheit bekämpft werden kann.»

Auch einige westliche Regierungen wünschen sich, sie hätten mehr getan. «Wir hätten das nicht den Unternehmen überlassen, sondern Anreize schaffen sollen, damit sie es als globale Mission betrachten», sagt ein US-Regierungs­beamter.

Oft weigerten Regierungen sich, ihr Handeln miteinander abzustimmen. 2020 beschlossen die USA unter Trump gar den Austritt aus der WHO (was sein Nachfolger Joe Biden rückgängig machte). Cepi-CEO Hatchett zufolge hat die Auslieferung an Impfstoffen darunter gelitten, dass es kein «Macht­zentrum» gab. «Eine breite Palette an Regierungs­organisationen wetteiferte miteinander um Impf­dosen. Und auch als die Preisfrage geklärt war, konkurrierten sie weiter darum, wer zuerst beliefert würde. Die Uno und die WHO können Regierungen nicht zur Zusammen­arbeit zwingen.»

Das Rennen um die Impfung der gesamten Welt­bevölkerung wird durch die Booster­programme der reicheren Länder verkompliziert. Die Auffrischungen sind in vollem Gange: In Israel haben 44 Prozent der Bevölkerung eine dritte Impfung erhalten, in Deutschland 41 Prozent, in der Schweiz knapp 28 Prozent, im Vereinigten Königreich 61 Prozent, in den USA etwas mehr als 10 Prozent.

Schon vor dem Auftreten der Omikron-Variante schien es offensichtlich, dass diese Booster­kampagnen die Dominanz von Pfizer über den Markt der Covid-Impfstoffe zementieren würden, denn der Impfstoff ist äusserst wirksam und das Unternehmen verzeichnet grosse Erfolge bei seiner Produktion. Die schnelle Ausweitung der Booster­pläne, die vor kurzem von einigen westlichen Regierungen angekündigt wurden, wird diese Dominanz nur noch weiter festigen.

Unter dem Slogan Science Will Win (die Wissenschaft wird gewinnen) hat Pfizer eine Werbe­­kampagne lanciert, unterdessen schreibt CEO Bourla ein Buch über diesen «Mondflug» (moonshot, was an den englischen Ausdruck für «Injektion» erinnert). Er betont Pfizers Position der Stärke auf einem Impfmarkt, auf dem wahrscheinlich jährliche Booster notwendig sein werden.

Im November 2021 teilte Bourla seinen Investoren mit, dass Pfizer mehr Menschen­leben beeinflusst habe als je ein Pharma­unternehmen zuvor. Die prognostizierten 80 Milliarden US-Dollar Umsatz im Jahr 2021 seien auf dem Pharma­markt wahrscheinlich ein Rekord für die Ewigkeit.

Laut Geoffrey Porges, Analyst bei SVB Leerink, einer Investment­bank mit Fokus auf das Gesundheits­wesen, wird die dadurch gewonnene Finanz­kraft Pfizers Wachstum noch jahrelang treiben. «Es ist ein Geldregen ohnegleichen.»

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Hannah Kuchler berichtet über die Covid-19-Pandemie, US-amerikanische Pharma- und Biotechnologie­unternehmen in New York und die Technologie­branche im Silicon Valley. Donato Paolo Mancini schreibt über Covid-19, Behandlungen, Impfstoffe und internationale Organisationen wie die WHO. Zuvor arbeitete er für das «Wall Street Journal» und «Dow Jones Newswires». David Pilling ist Afrika-Redaktor der «Financial Times», für die er seit 1990 tätig ist. Zusätzliche Recherchen für diesen Beitrag stammen von den «Financial Times»-Journalisten Kiran Stacey in Washington, Oliver Barnes und Sarah Neville in London, Erika Solomon in Berlin, Nikou Asgari in New York, Mehul Srivastava in Jerusalem und Sam Fleming in Brüssel.

Dieser Beitrag erschien zuerst am 30. November 2021 in der «Financial Times».