Sprachnotiz von Nicoletta Cimmino
#2: Vertrauen
Warum der Hotel-Kleiderbügel die Wurzel allen Misstrauens ist. Und darum eine Metapher für das Leben.
Von Nicoletta Cimmino, 07.12.2021
Liebe Hörerin, lieber Leser der Republik.
Vor zwei Wochen übernachtete ich in einem Hotel. Es war ein hübsches Hotel, frisch renoviert, gut gelegen, grosses Zimmer, bequemes Bett. Alles in allem eine Freude.
Die Freude, die verblasste dann ein bisschen, als ich meine Kleider aufhängen wollte. Denn im Schrank hingen diese komischen Kleiderbügel, die es nur in Hotels gibt. Sie wissen schon, die, die man nicht ganz von der Stange nehmen kann, sondern nur den unteren Teil, den man, wenn das Kleidungsstück dann am Bügel ist, wieder in die Metallschlaufe an der Garderobenstange stecken kann.
Als motorisch unterdurchschnittlich begabte Person werde ich immer sehr ungeduldig – oder unwirsch. Je nach Tagesform. Die Kleider landen dann statt am Bügel meistens auf dem Stuhl.
Das Hotel hat nicht diese Art Kleiderbügel gewählt, weil es mich plagen will.
Sondern weil es mir misstraut. Es sieht in mir – und allen anderen Gästen – potenzielle Diebinnen und Diebe.
Verständlich! – höre ich Sie denken … Kleiderbügel werden doch ständig geklaut. Stimmts?
Vielleicht. Beweisen kann es niemand. Sogar der Branchenverband Hotelleriesuisse nicht. Er gibt auf meine schriftliche Anfrage bekannt, man könne nach Abklärungen bei der Rechtsabteilung und der Ombudsstelle keine Auskünfte geben, wie es um die Kleiderbügel-Situation stehe in der Schweiz. Es bestünden keine Zahlen dazu, da das meist zwischen Hotel und Gast geklärt werde, ohne weitere Intervention.
Es gibt also keine Kleiderbügel-Klau-Statistik.
Aber eigentlich geht es mir gar nicht darum. Sondern um das Gefühl, das mich erfüllt, wenn ich in ein Hotelzimmer komme, den Schrank aufmache und dort unschuldige, normale und total praktische Kleiderbügel hängen. Die ich, wenn ich möchte, sogar klauen könnte. Es aber nicht tue.
Das Gefühl ist nämlich: Hey. Da vertraut mir jemand. Jemand vertraut mir so fest, dass er kein Bedürfnis hat, sich gegen eine mögliche Enttäuschung zu schützen.
Was ich sagen will: Die Kleiderbügel-Situation ist eine Metapher für das Leben.
Wenn man dem Gegenüber grundsätzlich etwas Schlechtes zutraut, wird man sich so absichern, in der Regel, dass das Zwischenmenschliche irgendwie nie ganz gastfreundlich, offen und unkompliziert sein wird. Man wird vom Schlechten ausgehen. Und das Gegenüber wird dieses Misstrauen spüren.
Und mit diesem Gedanken verabschiede ich mich von Ihnen: Möge man Ihnen vertrauen, selbst wenn vieles dagegenspricht.
Wir hören uns in zwei Wochen wieder.