Pump and Dump
Die Pumpe bringt die Muttermilch zum Fliessen. Und sie ist ein äusserst paradoxes Werkzeug.
Von Camille Henrot (Text und Bild), Antje Stahl (Redaktion) und Theresa Hein (Übersetzung), 16.10.2021
Und noch immer ist die Arbeit der Mütter unbezahlt.
Nach der Geburt meines Sohnes Iddu fing ich an, mir den Kopf darüber zu zerbrechen, warum Mütter eigentlich nie als von ihren Kindern unabhängige Individuen dargestellt werden. In keinem Buch, das ich zum Thema Kindererziehung las, wird die Mutter getrennt von ihrem Baby betrachtet. Der Blick, der sie zu seinem Objekt oder Anhängsel macht, bleibt so ungebrochen, dass ihre ganze Existenz von der des Kindes abzuhängen scheint.
Dieser Akt der Auslöschung und meine eigene Erfahrung damit (ich fühlte mich, als forderte die Gesellschaft mich stillschweigend auf, doch bitte zu verschwinden), brachten mich dazu, eine Serie von Kunstwerken über die Milchpumpe zu realisieren. Beim Gebrauch der Milchpumpe scheint sich nämlich die einzige Situation einzustellen, in der die Mutter als von ihrem Kind unabhängiges menschliches Wesen auftritt – und dabei trotzdem ihrer nährenden Rolle gerecht werden darf.
Ich fragte meine Freundin Jenny Schlenzka, Direktorin des Performance Space New York, die erst kürzlich ihr zweites Kind geboren hatte, ob sie für mich Modell stehen würde. Ich hatte die Haltungen, die Frauen einnehmen, wenn sie Milch abpumpen, zu diesem Zeitpunkt schon fast wieder vergessen: Wo sie die Hände platzieren, wie sich der Körper positionieren muss, um es einigermassen bequem zu haben. Kurz bevor Jenny mich dann in meinem Studio besuchen sollte, schickte sie mir einen Auszug aus Maggie Nelsons meisterhaftem Text «Die Argonauten»: «Ausser Fotos in Bedienungsanleitungen von Milchpumpen (und Pornos von Stillenden) gibt es eigentlich keine Bilder von Frauen, die stillen», schreibt sie. «Begriffe wie Kolostrum, Milcheinschuss und Hintermilch treten ins Leben wie Hieroglyphen aus einem lange vergessenen Land.»
Stillen kann auf sehr vielen verschiedenen Ebenen ja durchaus sehr befriedigend sein. Wenn ein Säugling an der Brustwarze saugt, stimuliert er sie, gleichzeitig wird die Brust entleert und vom Druck und Gewicht der Milch befreit. Der französische Schriftsteller Michel Leiris schrieb einmal über die selbstbefriedigende Erfahrung, sein Sperma auf den Boden schiessen zu sehen, von der Lust an der Verschwendung – und der Moment, in dem die Milch heraustropft oder spritzt, könnte vermutlich auf ganz ähnliche Weise beschrieben werden. Die Milchpumpe wurde nur leider dafür erfunden, Verschwendung zu vermeiden. Ausserdem weckt ihr Gebrauch eine Reihe von Schuld- und Schamgefühlen, die so gar nichts mehr mit diesem prickelnden sexuellen Vergnügen zu tun haben.
Milchpumpen-Stillen ist etwas schmerzhaft an der Brust. Und das mechanische Atmen der Maschine erinnert an den Klang von Melkmaschinen für Kühe. Die Maschine ermöglicht es dir dann vielleicht gerade noch, die Hände frei zu haben. Sie zwingt dich allerdings auch dazu, an ein und demselben Ort sitzen zu bleiben, sie verhindert, irgendwas anderes zu tun, als darauf zu warten, dass die Milch aus deinem Körper fliesst. Tropfen für Tropfen.
Jedes Mal, wenn mein Körper und die Maschine zu einem einzigen grossen Ernährungsapparat verschmolzen, ging denn auch das Gedankenkarussell los: Was bedeutet es, dass Frauen die erste Mahlzeit des Menschen sind? Ist die Milchpumpen-Maschine ein Roboter-Baby? Wäre das Geräusch der Maschine ein guter Bass für ein zeitgenössisches Musikstück, ähnlich einem Synthesizer? Warum gibt es überall Bilder von Brüsten, aber keine Bilder von Brüsten, aus denen Milch läuft? Was, wenn die Maschine mich ermutigte, mich irgendwann ganz und gar dem Baby hinzugeben und meinen Job zu vernachlässigen? Ist künstlerische Praxis überhaupt ein Job? Ist Stillen ein Beruf?
Milchproduzentinnen verdienen ihre Brötchen, nur wird ihnen, sobald die Milch tatsächlich fliesst, scheibchenweise etwas davon abgeschnitten. Elizabeth Caucutts Studie «Why Do Women Wait?» (Warum warten Frauen?) zeigt – in den Worten von Kealey Boyd –, dass «Arbeitnehmerinnen, die die Entscheidung hinauszögern, Mutter zu werden, höhere Gehälter bekommen. Sobald sie allerdings Mutter werden, geht ihre Gehaltskurve wieder nach unten. Diese Geldstrafe trifft vor allem Frauen mit höherem Bildungsgrad. Das Ergebnis sind weniger Arbeitsunterbrechungen (also Kinder), weil die Kosten für Mutterschaftsurlaub sich auf den zukünftigen Geldbeutel der Frauen niederschlagen und es keine Politik für bezahlte Elternzeiten in den USA gibt.»
Auf den Internetseiten des amerikanischen Gesundheitsministeriums bin ich auf eine Liste von Ratschlägen für Arbeitgeber von stillenden Frauen gestossen. Sie sollen ihnen, heisst es dort, ein stilles Örtchen, einen sogenannten «lactation space», zur Verfügung stellen, dieser sollte mit einem bequemen Stuhl ausgestattet sein, könnte aber auch einem Pop-up-Zelt ähneln (als würden Stillende so etwas in einem Grossraumbüro gerne per Knopfdruck aufblasen). Ausserdem wird den Arbeitgebern dazu geraten, den Frauen eine «Pause» einzuräumen – für die sie allerdings nicht kompensiert werden müssen: «Wenn Extrazeit fürs Stillen oder Abpumpen benötigt wird, kann diese unbezahlt sein.» Diese beide Annahmen – Milch abzupumpen sei eine «Pause» und diese Zeit nicht notwendig zu vergüten – müssten eigentlich Grund genug sein, das amerikanische Gesundheitsministerium mit Protestbriefen zu überschütten.
Die Milchpumpe ist ein paradoxes Werkzeug, das sowohl für die Unabhängigkeit von Frauen eingesetzt wird als auch für die Entfremdung. Sie manifestiert die konfliktreiche Erwartung an stillende Mütter, an zwei Orten zugleich zu sein: zu stillen, während sie arbeiten, und zu arbeiten, während sie stillen. Gleichzeitig dient sie als Ansporn für die Mutter, sich einer quantitativen Produktion zu unterwerfen, und reduziert damit Frauen zu einer Ressource, die man ausbeuten kann. So ist die Milchpumpe das ultimative Symbol der Kommerzialisierung des weiblichen Körpers und der Arbeitskraft. Ja, sie verkörpert die höchst widersprüchlichen Anforderungen des Biotech-Kapitalismus, weil sie die Illusion aufrechterhält, die Unvereinbarkeit zwischen kapitalistischer Gesellschaft und der menschlichen Gesundheit könne von der Technologie aufgelöst werden. Kann sie nicht.
Mit «End of Me» wollte ich versuchen, diese Gedanken zur Milchpumpe in einer Skulptur aufgehen zu lassen. Sie erinnert an einen Körper, der sich seiner Kleidung entledigt hat, an einen, den sich die Milchpumpe einverleibt oder den sie in Gänze verflüssigt hat. Es handelt sich zwar nur um eine Figur, die sich hier selbst ernährt. Aber zugleich entleert sie sich selbst in einer Mischung aus Selbst-Aufopferung und Selbst-Schöpfung: Sie nährt sich und zehrt von sich, wie eine Art Phönix.
Die Philosophin Silvia Federici hat kürzlich auf eine üble Ironie aufmerksam gemacht: Mussten Feministinnen jahrzehntelang für die Freiheit kämpfen, keine Kinder zu bekommen, so stehen wir heute vor wachsenden finanziellen Hürden, falls wir uns doch eines wünschen. Wir leben in einer seltsamen Zeit und Gesellschaft, in der die fordernde Arbeit, nachts alle drei Stunden aufzuwachen, sich auf die Toilette zu setzen, an eine Maschine anzuschliessen und darauf zu warten, dass die Milch abgepumpt wird, tatsächlich ein Privileg ist. Eines, das sich nicht jede leisten kann.
Das Werk der französischen Künstlerin Camille Henrot wurde unter anderem mit dem Silbernen Löwen auf der 55. Biennale von Venedig ausgezeichnet. Die Geburt ihres Sohnes und die Konfrontation mit der neuen, sogenannten Mutterrolle lösten widersprüchliche Gefühle in ihr aus, mit denen sie sich intellektuell und künstlerisch auseinandersetzt. Zurzeit lebt Henrot mit ihrem Lebenspartner, dem Schweizer Komponisten Mauro Hertig, und ihrem Sohn Iddu in Berlin.