Geld her!

Wer an der Schweizer Grenze ins Visier der Zöllner gerät, muss nichts verbrochen haben und kann trotzdem plötzlich ohne Bargeld oder Auto dastehen. Sich dagegen wehren? Schwierig.

Von Brigitte Hürlimann (Text) und AHAOK (Illustration), 23.09.2021

Der heute 45-jährige Mann, nennen wir ihn Fred Smith, war in Frankreich in den Ferien, nahe der Basler Grenze. Er besuchte einen Freund, gönnte sich ein paar geruhsame Tage, ging shoppen. Am Sonntag, dem 16. August 2020, trat er die Heimreise via Flughafen Basel-Mulhouse an; bereits am kommenden Tag wurde er in Madrid wieder an seinem Arbeits­platz erwartet. Er sei deshalb frühzeitig am Flughafen eingetroffen, erzählt Smith am Telefon, ein gutes Jahr später. Mit der Bordkarte in der Hand sei er vor dem Schalter angestanden.

Dort wurde er von Schweizer Zöllnern ins Visier genommen. Er musste seinen Ausweis zeigen, das Hand­gepäck und das Porte­monnaie öffnen.

Das geschah um 13 Uhr. Vier Stunden und vierzig Minuten später war die Kontrolle beendet. Das Flugzeug in die spanische Haupt­stadt längst weg. Und das Porte­monnaie des Mannes leer. Er habe die Zöllner angefleht, sagt Smith, dafür zu sorgen, dass er mit einem anderen Flug noch gleichentags abreisen könne. Weil er doch am Montag­morgen habe arbeiten müssen. Doch weder der Zoll noch die Airline hätten sich dafür verantwortlich gefühlt. Niemand habe ihm weitergeholfen.

«I am a black man»

«So etwas habe ich in meinem Leben noch nie erlebt», sagt Fred Smith, und seine Fassungs­losigkeit ist ihm ein Jahr später und trotz miserabler Handy­verbindung deutlich anzuhören. «Es war entwürdigend. Die Zöllner steckten mich in ein Zimmer und sagten, ich müsse parieren, sonst würden sie mich in Hand­schellen legen. Was der Grund für die Kontrolle war? Warum sie ausgerechnet mich ausgesucht haben? I am a black man!»

Fred Smith stammt aus Nigeria, er lebt und arbeitet in Madrid. Im Rapport der Eidgenössischen Zollverwaltung über die Kontrolle am Flughafen steht, dass er einen «echten» Ausweis vorgezeigt habe, dass seine Identität «gesichert» sei. Im Porte­monnaie fanden die Zöllner 4930 Euro – und vermerkten dazu im schriftlichen Rapport: «nicht deklariert». Eine Seite weiter hinten wird der Befund wiederholt: Fred Smith habe die korrekte Anmeldung des Bargelds unterlassen.

Bloss: Bargeld im Wert von unter 10’000 Franken muss gar nicht deklariert werden.

Dennoch untersuchten die Zöllner Smiths Banknoten und stellten fest, dass diese mit Kokain kontaminiert waren. Grund genug für die Beamten, das Geld «vorläufig sicherzustellen». Das heisst, sie nahmen ihm das Geld weg und gaben ihm ein Formular, das als eine Art Quittung dienen soll.

Es ist zwar der Beleg dafür, dass der Schweizer Staat das Geld behändigt hat. Das Papier lässt die Betroffenen aber rechtlos zurück. Denn gegen eine solche «vorläufige Sicherstellung» durch den Zoll können sich die Kontrollierten nicht wehren. Es gibt kein Rechtsmittel. Sobald sich das Geld oder auch ein Auto in den Händen der Zollbehörde befindet, bleibt den vormaligen Eigentümern nur eines übrig: abwarten und Tee trinken. Dieser Zustand kann monate- oder gar jahrelang dauern.

Obwohl die Betroffenen nichts verbrochen haben, nicht zur Fahndung ausgeschrieben sind, weder Drogen, Waffen noch Sprengstoff mit sich führen. Fred Smith wurde aus nicht nachvollziehbaren Gründen kontrolliert. Zufall? Stichprobe? Spürsinn der Zöllnerin?

Der Anwalt spricht von «Racial Profiling»

Der Nigerianer stand auf jeden Fall mit leerem Porte­monnaie im Flughafen, sich selbst überlassen. Er rief einen Freund an, der sich in der Gegend auskennt, und dieser riet ihm, sich an den Basler Advokaten Andreas Noll zu wenden. Smith befolgte den Rat.

Bereits am darauffolgenden Tag, am Montag, 17. August 2020, verfasst der Anwalt ein erstes Schreiben an die Eidgenössische Zollbehörde. Er spricht von «Racial Profiling». Und verlangt, seinem Mandanten seien die 4930 Euro unverzüglich zurückzuerstatten, plus die Kosten für den verpassten Flug. Einen Monat später wird Noll mitgeteilt, die Zollbehörden hätten ein «selbstständiges Einziehungs­verfahren eröffnet».

Der Anwalt wiederholt seine Forderungen, das Geld sei seinem Klienten unverzüglich zurückzuerstatten, inklusive Verzugszinsen. Für eine Beschlag­nahmung gebe es keinen Grund: «Verletzt wurden und werden nicht nur mehrere Prozess­vorschriften, sondern zugleich grundlegende Prinzipien der Rechts­staatlichkeit.»

Aber halt, die Banknoten von Fred Smith waren doch mit Kokain kontaminiert. Das war der Grund für die provisorische Massnahme der Zöllner. Das muss doch rechtens sein?

Bundesgericht setzt Grenzen

Mit genau dieser Frage hat sich das Bundesgericht 2020 auseinandergesetzt – und entschieden, die blosse Drogen­kontaminierung von Barmitteln oder Gegenständen genüge nicht als Nachweis dafür, dass diese aus einer deliktischen Handlung stammten. Es braucht dazu weitere Indizien (die bei Fred Smith nicht vorlagen).

Denn einfach so dürfen die Zöllner Geld und Gegenstände nicht einsacken. Sie müssen den Verdacht einer kriminellen Vortat hegen – immerhin geht es ja um potenzielle Beweise, die den Strafverfolgern angeboten werden sollen.

Drei Themen stehen für die Zöllner im Vordergrund:

  1. der Verdacht auf Geldwäscherei;

  2. der Verdacht auf Terrorismus­finanzierung;

  3. die Kontamination mit Betäubungs­mitteln (was angesichts der Bundes­gerichts­rechtsprechung ein problematisches Kriterium ist).

Dazu kommt: Es ist alles andere als ungewöhnlich, dass Bargeld mit Drogen kontaminiert ist. Der Zürcher Rechtsanwalt und Spezialist für Verwaltungs­strafrecht, Friedrich Frank, sagt: «Man kann davon ausgehen, dass praktisch alles Geld Drogenspuren aufweist. Das Gleiche gilt für öffentliche Toiletten. Eine solche Kontaminierung allein reicht nicht aus, um den Verdacht auf eine kriminelle Handlung zu begründen; das hat das Bundesgericht festgehalten. Das wissen die Strafverfolger genau. Aber die Zollbehörde greift trotzdem ein.»

Warum bloss? Und vor allem: gestützt worauf?

Was Fred Smith am Flughafen Basel-Mulhouse geschah, ist erstens kein Einzelfall und basiert zweitens auf dem Zollgesetz. Dort ist in Artikel 104 geregelt, dass die Zöllner Geld und Gegenstände behändigen dürfen, wenn sie davon ausgehen, dass die «vorläufig sichergestellten» Dinge den Straf­verfolgern «voraussichtlich» als Beweismittel dienen könnten; sprich, wenn sie Kriminalität wittern. In diesem Fall müssen sie «unverzüglich» nach der Sicherstellung die zuständige Behörde informieren.

Die Zöllner teilen den Kolleginnen von der Strafverfolgung also beispielsweise mit: Wir haben am Flughafen bei Herrn Smith Geld sichergestellt, das Drogenspuren aufweist. Sonst haben wir beim Kontrollierten nichts Verdächtiges gefunden. Wollt ihr den Fall und das Geld übernehmen?

In der Causa Smith lautete die Antwort der zuständigen Staats­anwaltschaft (sinngemäss): Nein, danke. Kein Interesse. Die Strafverfolger sahen keinen Anlass dazu, eine Untersuchung zu eröffnen. Dieser Entscheid ist alles andere als erstaunlich, denn eben: Die blosse Drogen­kontaminierung ist noch kein Hinweis auf ein zugrunde liegendes Vergehen oder Verbrechen.

Zurückgeben oder definitiv einziehen

Die Strafverfolger winken also ab, sie wollen das angebotene Beweismittel, das kontaminierte Geld, nicht. Nun verbleiben der Zollbehörde zwei Möglichkeiten für das weitere Vorgehen.

Sie kann erstens das Geld oder den «sichergestellten» Gegenstand zurückgeben. Oder sie entscheidet sich zweitens für die Durchführung eines «selbstständigen Einziehungs­verfahrens». Letzteres ist rechtspolitisch zwar fragwürdig, aber im Zollgesetz so vorgesehen. Fragwürdig deshalb, weil die zuvor konsultierten Strafverfolger keinen Grund für ein Einschreiten gesehen haben; keinen Verdacht, keine Spur.

Die Zöllner dürfen nun trotzdem weitermachen. Sie funktionieren als eine Art von nachgelagerten, zweiten Strafverfolgern. Die ersten wollten nicht, jetzt kommt der Zoll an die Reihe.

Immerhin: Ab dem Moment, in dem die Zollbehörde das Verfahren für eine «selbstständige Einziehung» einleitet, steht den Betroffenen der Rechtsweg offen. Jetzt können sie sich wehren. Erst jetzt, muss betont werden. Von der «vorläufigen Sicherstellung» bis zur Einziehung können Monate verstreichen – und in dieser Zeitspanne stehen die Betroffenen so ziemlich rechtlos da.

Ausser natürlich, sie haben das Glück, auf Anwälte zu stossen, die sich in die komplexe Materie reinknien und trotz fehlender Rechtsmittel bei der Zollbehörde intervenieren. Bei Fred Smith brauchte es Geduld, Nerven, Hartnäckigkeit – und gleich zwei Juristen aus verschiedenen Fachrichtungen. Strafverteidiger Andreas Noll arbeitete für diesen und einen zweiten, ganz ähnlichen Fall Schulter an Schulter mit dem Verfassungs­rechtler Benedict Vischer zusammen.

«Ein Unding»

Der Zürcher Rechtsanwalt Friedrich Frank sagt: «Es ist ein Unding, dass sich die Betroffenen in einer solchen Situation kaum wehren können. Bei jeder Massnahme, die im Rahmen der Strafprozess­ordnung ergriffen wird, gibt es Beschwerde­möglichkeiten. Hier aber existiert faktisch ein rechtsfreier Raum zwischen Verwaltungsrecht und Verwaltungs­strafrecht, der vom Gesetzgeber offenbar wissentlich hingenommen wird. Das gilt im Übrigen nicht nur für diesen Grenzbereich, sondern ganz allgemein fürs Verwaltungs­strafrecht.»

Denn das Verwaltungs­strafrecht, ergänzt Frank, basiere grossmehrheitlich auf einem alten, nicht mehr zeitgemässen Gesetz mit sehr vielen Lücken. «Solche darf es aber nicht geben. Schliesslich werden nicht nur Übertretungen, sondern auch Vergehen und Verbrechen verfolgt. Schon Übertretungen können für die Betroffenen gravierende Nebenfolgen haben, welche über die blosse Busse weit hinausgehen. Dies vor allem dann, wenn es bei einem Schuldspruch zum Eintrag ins Strafregister kommt – was bei einer Busse ab 5000 Franken geschieht.»

Zwischen der «vorläufigen Sicherstellung» und der definitiven «selbstständigen Einziehung» durch die Zollbehörde haben die Betroffenen nur die Möglichkeit, eine Rechtsverzögerungs­beschwerde einzureichen. Nämlich dann, wenn die provisorische Massnahme und damit der rechtlose Zustand monatelang andauern; obwohl es im Gesetz heisst, die sichergestellten Gelder oder Gegenstände müssten «unverzüglich» den zuständigen Behörden angeboten werden. Lehnen diese das Angebot ab, liegt der Ball wieder beim Zoll. Der nun entscheiden muss: zurückgeben oder einziehen?

Aber warum dauert das so lange?

Geheime Untersuchungen

Es kommt zu Untersuchungs­handlungen. Was das genau bedeutet, vor allem beim Bargeld, darüber gibt die Eidgenössische Zollverwaltung aus «ermittlungs­taktischen Überlegungen» keine Auskunft. Es obliege ihr, die für eine Einziehung notwendigen Beweise zu erbringen, heisst es in ihrer schriftlichen Antwort.

Im Fall von Fred Smith befanden die Zöllner, das Einziehungs­verfahren sei «mit sofortiger Wirkung» einzustellen. Der Entscheid wurde den beiden Rechtsvertretern am 23. November 2020 mitgeteilt – mehr als drei Monate nach der vorläufigen Sicherstellung. Als Smith sein Porte­monnaie am Flughafen hatte leeren müssen. Und den Flug verpasste.

Er sei zwei Tage zu spät zur Arbeit erschienen, sagt der Mann im Gespräch mit der Republik. Sein Chef habe ihm deshalb gekündigt. Er sei heute noch auf Stellensuche. «Immerhin habe ich mein Geld zurückbekommen, aber das hat viel zu lange gedauert. Ich bin nicht vermögend, das war eine schwierige Situation für mich.»

Sogar die Rückgabe des Gelds an Fred Smith gestaltete sich komplex und führte nochmals zu Verzögerungen. Die Zollbehörde weigerte sich, das «stark mit Betäubungsmittel­spuren» kontaminierte Geld auf ein Konto einzuzahlen. Es folgte ein schriftliches Hin und Her mit den Rechtsvertretern. Schliesslich einigte man sich auf folgendes Vorgehen: Ein Zollmitarbeiter packte die 4930 Euro in Plastik ein und brachte sie persönlich im Basler Büro von Andreas Noll vorbei. Smith buchte bei der ersten Gelegenheit erneut einen Flug nach Basel und holte sein Geld beim Anwalt ab.

Die erneute Ausreise mit den immer noch kontaminierten Noten verlief dieses Mal reibungslos.

Wie viel Geld nimmt die Zollbehörde ein?

Frage an die Eidgenössische Zollverwaltung (EZV): Was begründet einen Anfangsverdacht für eine «vorläufige Sicherstellung»?
Antwort: «Der Sicherstellung von Barmitteln liegt eine Beurteilung sämtlicher Umstände zugrunde. Ein Anfangs­verdacht kann zum Beispiel aus dem Umstand begründet werden, dass die mitführende Person neben dem Bargeld auch noch Betäubungs­mittel in handelsfähiger Form mit sich führt.»

Und wie oft endet eine «vorläufige Sicherstellung» mit einer definitiven «selbstständigen Einziehung»?
Was Barmittel betrifft: In den Jahren 2019/2020 wurden 75 Fälle von der EZV mit selbstständiger Einziehung abgeschlossen. 78 Fälle wurden an die kantonalen Strafverfolgungs­behörden abgetreten oder von diesen direkt übernommen. Was Fahrzeuge betrifft: In den gleichen Jahren wurden 52 Fälle von der EZV mit selbstständiger Einziehung abgeschlossen. 21 Fälle wurden an die kantonalen Strafverfolgungs­behörden abgetreten oder von diesen direkt übernommen. Die EZV zieht aktuell nur Fahrzeuge und Barmittel ein. In den Jahren 2019/2020 wurden mehr Barmittel als Fahrzeuge eingezogen (75 zu 52 Fälle).

Wie viel Geld nimmt die Zollverwaltung durchschnittlich pro Jahr mit «selbstständigen Einziehungen» ein – und wo landet das Geld?
Das ist immer situativ. Schweizer Franken und Euro, aber mehrere hunderttausend pro Jahr. Die Barmittel, welche selbstständig eingezogen werden, werden den zuständigen Nationalbanken übergeben. Die Beträge werden der Bundeskasse gutgeschrieben.

Weiterbildung mit John Oliver

Dass die Behörden Geld oder Gegenstände einziehen, ohne dass den Betroffenen vorgeworfen wird, kriminell zu sein, ist übrigens keine schweizerische Extravaganz.

Der US-amerikanische Komiker John Oliver widmet dem Thema eine «Last Week Tonight»-Show. Er beschreibt Fälle von civil forfeiture, wie das Instrument in den USA genannt wird. Die Sendung wird vom Solothurner Rechtsanwalt und Strafrechts-Blogger Konrad Jeker – seit jeher ein scharfer Kritiker von «Einziehungen ohne Strafverfahren» – wärmstens empfohlen und als «ein fantastischer Weiterbildungs­beitrag» bezeichnet.

Prägnanter und amüsanter lässt sich das Thema wohl kaum darstellen. John Oliver spricht von legalized robbery – und führt aus: «Ihr Eigentum ist schuldig. Ausser, Sie können dessen Unschuld beweisen. Nicht Sie stehen vor Gericht, Ihr Eigentum steht vor Gericht.» Um seine Aussage nachvollziehbar zu machen, lässt der Komiker eine Szene filmen, in der ein Bündel Banknoten hart einvernommen wird.

Es bleibt standhaft und verweigert jegliche Auskunft.

Wer solche Darstellungen als die typisch überdrehten Einfälle eines amerikanischen Komikers abkanzelt, wird vom Bundesgericht eines Besseren belehrt. In zwei neuen Urteilen zur «selbstständigen Einziehung» durch den Zoll heisst es deutsch und deutlich: Die Sicherungs­einziehung stelle ein «Verfahren gegen Sachen oder Werte» dar. Eine schuldhafte Tatbegehung der betroffenen Eigentümer sei nie vorausgesetzt.

Der Staat nimmt ihnen zwar das Geld oder ein Auto weg, doch das ist in der Strafrechts­logik keine Strafe – sondern eben «eine Massnahme». Auf die Unschulds­vermutung können sich die betroffenen Eigentümer nicht berufen.

Es gehe, so das Bundesgericht, um den Schutz der Allgemeinheit. Die eingezogenen Gegenstände (nicht deren Eigentümerinnen) hätten einen Bezug zu einer Straftat. Die Sicherungs­einziehung sei eine sachliche, objektbezogene Massnahme. Also ganz im Sinne von John Oliver: Die Dinge werden bestraft, sie stehen im Fokus des Verfahrens. Nicht die Eigentümerinnen – denen nichts Kriminelles nachgewiesen werden kann. Denn sonst wäre es ja zu einem Strafverfahren gegen sie gekommen.

Höchst verdächtige Autos

In den beiden Fällen, die bis vor Bundesgericht gelangten, ging es um Autos beziehungsweise um Autolenker, die in zwei verschiedenen Kantonen die Grenze zur Schweiz passierten. Beide Fahrzeuge wurden kontrolliert, und in beiden fanden sich Drogenspuren (aber keine Drogen) sowie je ein Geheimfach, ebenfalls mit Drogen kontaminiert.

Die Zollverwaltung verfügte in beiden Fällen, die Autos seien definitiv einzuziehen. Was bedeuten muss: Die zuvor angefragten Strafverfolger wollten sich der Sache nicht annehmen, witterten offenbar keinen Fall. Ausser dem Geheimfach und den Drogenspuren liess sich in beiden Autos und bei den Lenkern wohl nichts finden, was als Fleisch an einem Kriminalfall­knochen taugen würde.

Die Fahrzeugbesitzer liessen sich die Einziehung nicht gefallen, sie wollten ihre Autos zurück und boten an, eventuell könnten die Geheimfächer vor der Rückgabe unbrauchbar gemacht werden.

Das Bundesgericht wies beide Beschwerden ab.

Es bejahte zweimal den Konnex des Gegenstands zu einer Straftat (Drogenspuren) sowie eine konkrete, künftige Gefährdung, die durch die beschlagnahmten Autos ausgehe. Ein «Geheimversteck» könne auch in Zukunft für illegale Zwecke verwendet werden. Das höchste Gericht sieht keinen Verstoss gegen das Verhältnis­mässigkeits­prinzip, wenn den Autohaltern angeboten wird, entweder die Kosten für einen Rückbau in den legalen Zustand zu zahlen oder einer Verwertung der Autos zuzustimmen. Im letzteren Fall wäre ihnen ein allfälliger Nettoerlös ausbezahlt worden.

Das blosse (und deutlich günstigere) Unbrauch­barmachen der Geheimfächer hingegen scheint nicht zu genügen, um das Gefährdungs­potenzial der Autos zu eliminieren.

«Wer ein Occasionsauto kauft, weiss in der Regel nicht, wozu es früher gebraucht worden ist. Und kennt ein allfälliges Geheimfach nicht. Viele Gebrauchtwagen dürften zudem Drogenspuren aufweisen», sagt der Zürcher Rechtsanwalt Friedrich Frank. Doch so ahnungslos ein Autobesitzer auch sein mag – der Wagen darf ihm vom Zoll trotzdem weggenommen werden. Wegen einer mutmasslichen Vortat, auch wenn sie mutmasslich von anderen begangen worden war.

Verwaltungs­strafrechtler Frank kommentiert in seinem Blog die jüngsten Entscheide des Bundesgerichts. Er kritisiert einmal mehr die lange Zeit, in denen die betroffenen Eigentümer faktisch rechtlos waren, weil ihnen gegen die «vorläufige Sicherstellung» kein Rechtsmittel zur Verfügung stand. «Ein – man kann es nicht anders sagen – skandalöser Zustand», schreibt Frank.

Die Post geht vom Zoll an den Zoll

Stichwort «skandalös»: Fred Smith, der fast fünf Stunden lang von Basler Zöllnern befragt worden war, den Flug zurück nach Madrid verpasste und seinen Job verlor, erlebte eine weitere rechtsstaatliche Skurrilität, die Fragen aufwirft. Nachdem ihm die Behörde sämtliches Geld abgenommen hatte, drückte sie ihm ein Formular in die Hand, in dem die «vorläufige Sicherstellung» der Barmittel festgehalten wird.

In diesem Dokument ist die Eidgenössische Zollverwaltung sowohl Absenderin als auch Empfängerin für die künftige Post an Smith.

Mit anderen Worten: Jegliche Post vom Zoll wird zunächst an den Zoll geschickt und nicht direkt an den in Madrid wohnhaften Mann – dessen Adresse im Formular fein säuberlich aufgeführt ist. Also auch Briefe, mit denen Rechtsmittel­fristen zu laufen beginnen. Die Situation ist etwa so, als ob ein Staatsanwalt seine Briefe an einen Beschuldigten an sich selbst schickt. Das dürfte mit einem fairen Verfahren nicht mehr viel zu tun haben.

Die Zollverwaltung begründet ihr Vorgehen damit, dass eine direkte Postzustellung an Empfänger, die im Ausland leben, «nicht ohne Weiteres möglich sei». Die Betroffenen hätten deshalb die Möglichkeit, ein Zustelldomizil in der Schweiz zu bezeichnen. Das könne eine Drittperson sein, eine Firma – oder eine «Versandzentrale der Eidgenössischen Zollverwaltung». Somit, schreibt die EZV, «erfolgt die rechtswirksame Zustellung immer in der Schweiz, was gesetzlich so vorgesehen ist».

Fred Smith bestreitet vehement, die Zollbehörde als Zustelldomizil für die weitere Korrespondenz bezeichnet zu haben. Er hat das entsprechende Formular auch nicht unterschrieben, was handschriftlich festgehalten ist: «Verweigert die Unterschrift.»

Der zweite Basler Fall

Was Fred Smith erlebt habe, sagt Andreas Noll, sei bedenklich und leider kein Einzelfall. Der Advokat vertritt zusammen mit seinem Mitarbeiter Benedict Vischer einen zweiten nigerianischen Mann, dem Ähnliches geschah und der fast drei Jahren darauf wartete, dass ihm die Eidgenössische Zollverwaltung das «vorläufig sichergestellte» Bargeld zurückgibt. Auch bei diesem Betroffenen hatte sich die Zollverwaltung auf der «Quittung» gleich selbst als Zustelladresse für ihre eigene Post bezeichnet.

Der heute 39-jährige Mann, der in Spanien lebt, wollte per Bus von Basel nach Amsterdam fahren. Er wurde kontrolliert, und es stellte sich heraus, dass er erstens Bargeld im Wert von 5200 Euro als «Bodypack» transportierte und zweitens an Händen und Stirn Kokainspuren aufwies. Der Mann hatte jedoch keine Drogen und auch sonst nichts Illegales bei sich. Die sehr ungewöhnliche Geldaufbewahrung – er hatte sich die in Plastik eingepackten Noten in den Anus geschoben – erklärte er gegenüber den Zöllnern mit seiner Angst, erneut überfallen und ausgeraubt zu werden. So, wie er das schon einmal erlebt habe.

Die Kontrolle im Bus geschah am 9. Oktober 2018. Fast ein Jahr später entschied die Behörde, das Geld sei «selbstständig einzuziehen» (weil die Staats­anwaltschaft den Fall nicht übernehmen wollte). Ein entsprechendes Verfahren wurde eröffnet. Noll und Vischer erhoben Einsprache – und hörten wiederum mehr als ein Jahr lang nichts.

Am 21. Januar 2021 verfassten die beiden Rechtsvertreter einen weiteren Brief an die Zollverwaltung: Es bestehe offensichtlich keine Rechtsgrundlage dafür, die Barmittel des Klienten zurückzubehalten. Das Geld sei innert 30 Tagen zurückzuerstatten. Mit Verzugszinsen.

Eine deliktische Herkunft ist nicht nachgewiesen

Gut vier Monate später – und damit mehr als zweieinhalb Jahre nach der Buskontrolle – trifft im Basler Advokaturbüro ein eingeschriebener Brief von der Zollverwaltung ein. Das Einziehungs­verfahren werde eingestellt. Das Geld dem Einsprecher zurückgegeben. Eine «deliktische Herkunft» sei nicht nachgewiesen. Verzugszins gebe es nicht. Immerhin lässt sich die Zoll­verwaltung dieses Mal auf den Vorschlag ein, das Geld direkt aufs Konto des Betroffenen zu überweisen.

In der Late-Night-Show von John Oliver leisten sich die Polizisten, die in Wildwest­manier bei Nichtkriminellen Geld eingezogen haben, mit ihrer Beute eine Margarita-Maschine, um den frustrierenden Polizisten­alltag ein bisschen erträglicher zu machen.

Das dürfte hierzulande kaum passieren, weder bei den Strafverfolgern noch bei der Eidgenössischen Zollverwaltung – Frust im Alltag hin oder her. Doch die Frage bleibt: Warum wird «vorläufig sichergestelltes» Geld so lange zurückbehalten? Im Wissen um die rechtlose Situation der Betroffenen? Wie lässt sich das mit der Eigentumsgarantie in der Verfassung vereinbaren?

«Nur schon einen Tag lang nicht über seine Barmittel zu verfügen», sagt der Zürcher Rechtsanwalt Friedrich Frank, «ist ein Tag zu viel für alle, die auf ihr Geld angewiesen sind.»