Die Aufstreberin

Ronja Jansen hätte als Juso-Präsidentin eigentlich den lärmigsten Job in der Schweizer Politik. Doch es bleibt bisher verblüffend ruhig um sie. Warum schafft sie es nicht aus dem Schatten ihrer Vorgängerin Tamara Funiciello?

Von Cinzia Venafro (Text) und Pati Grabowicz (Bilder), 21.09.2021

Die Macht der Bilder: Juso-Präsidentin Ronja Jansen im ehemaligen Tresorraum der Schweizerischen Volksbank in Basel.

Politiker lieben Wahlkämpfe. Ausser Ronja Jansen. Im Sommer 2019 wählen die Juso die Nachfolge von Tamara Funiciello. Am liebsten hätten sie eine neue Tamara Funiciello: Die bisher lauteste und erfolg­reichste Präsidentin gibt nach drei Jahren ab. Beerben wollen sie Mia Jenni und Ronja Jansen.

Gleicher Jahrgang, ähnlicher Nachname, gemeinsames Auftreten, die Konkurrentinnen sprechen gar mit gemeinsamer Stimme. Wahl­kampf? Differenzen? Unter­scheidungs­merkmale? Bei einem Treffen mit Mia Jenni und Ronja Jansen kurz vor der entscheidenden Wahl an die Partei­spitze sucht man vergeblich nach Reibung zwischen den beiden Nachwuchs­politikerinnen. «Wir machen keinen Wahlkampf gegen­einander. Das wäre antifeministisch», sagen sie und lassen sich, wie selbstverständlich, gemeinsam zitieren. Wahlkampf bringe nur «unsachliche Kampagnen, sexistische Vorwürfe, Gerüchte und sonstiges unlauteres Gebaren».

Am Ende entscheidet folgerichtig der Zufall, wer der beiden das Rennen macht: Mit 91 zu 90 Stimmen wählen die Delegierten am 31. August 2019 Ronja Jansen zu ihrer Präsidentin.

Sie erbt, wie auf dem Gaben­tisch für sich und die Mutter­partei, die 99-Prozent-Initiative der Juso mit dem Slogan «Löhne entlasten, Kapital gerecht besteuern». Bereits beglaubigt von der Bundeskanzlei, fordert die Initiative eine höhere Besteuerung von sogenanntem Vermögens­einkommen. Etwa von Zinsen aus Erspartem, Gewinnen aus Aktien­­geschäften oder Dividenden.

Es ist das «Herzensprojekt» der neuen Präsidentin, geerbt von der Vorgängerin, auch wegen der Innenpolitik der Partei: Die Juso wollen den Klassen­kampf in der SP wieder auf die Agenda setzen. Kein Wunder, wurde es so manchem etablierten SP-Parlamentarier flau im Magen. Im Grunde hätten Jansen und Co. ja recht. Aber umsetzbar? Niemals!

Dann kommt Corona, und die Folgen der Pandemie erschüttern ewig geglaubte Wahrheiten. Nix mit liberalem Markt als Lösung für alles. Die FDP duckt sich vor jeder Debatte über die gerade aufblühende Stärke des Sozial­staates. Und das Heft zur Rettung der Schweizer KMU, des «Rückgrats der Schweizer Wirtschaft», hält wie nie zuvor der Staat in der Hand.

Den Markt, der sich nach liberalen Grund­sätzen selbst reguliert, gibts nicht mehr. Hundert­tausende Angestellte sind auf Kurzarbeit, Tausende Unter­nehmen haben mit Corona-Krediten den Bankrott abgewendet. Kredite, die der Staat ohne weitere Prüfung vergeben hat. Eine halbe Million in einer halben Stunde.

Die Pandemie bringt zwar «Jedem seine Krise», wie die Republik bei der ersten Corona-Session des Parlaments im Juni 2020 feststellte. Doch links der Mitte fühlt man sich ideologisch weit gesünder: In der Krise zeige sich, dass der «neoliberale Wahnsinn», wie ihn SP-Urgestein Jean Ziegler seit Jahrzehnten anprangert, eben nichts taugt.

Und Jansen, zeitweilig mit Freunden in ein extra angemietetes Haus in der Westschweiz geflüchtet, tut in dieser Zeit das, was die ganze Schweiz behördlich verordnet zu tun versucht: nichts.

Ein ärgerlicher Notstopp für die Juso-Präsidentin: «Als ich langsam dachte: Okay, jetzt check ich das mit dem Präsidium, kam der erste Lockdown. Da war natürlich nichts mit Aktivismus.»

Während die Schweiz von Lockdown zu Lockdown light stolpert, klopft sich die Sozial­demokratie auf die Schulter. Beflügelt vom Abstimmungs­erfolg zur Unternehmens­steuerreform III von 2017 und vom gewonnenen Referendum gegen die Erhöhung der steuerlichen Abzüge für Fremd­betreuung Ende September 2020, frohlockt Ständerat und Ex-Parteipräsident Christian Levrat: «Es gibt keine Steuer­reform ohne die SP.»

Ein Bild, eine Botschaft

Und noch immer liegt da auf dem Gabentisch die 99-Prozent-Initiative. Ihre Annahme würde das Schweizer Steuer­system im Kern verändern: vom Fokus auf Einkommen zum Fokus auf Vermögen. Überraschungs­frei wird sie im coronasicher gemachten Bundeshaus mit Plexiglas im Wert von 200’000 Franken zerzaust.

Die Wirtschaftskommission des Stände­rates lehnte das Juso-Begehren ohne Gegen­vorschlag mit 17 zu 8 ab, im Stöckli selbst erleidet die Vorlage dann mit 32 zu 13 Stimmen Schiffbruch.

Ronja Jansen kann nicht mal vom Ufer aus zuschauen. Während die Parlamentarier nach kurzer Debatte ihr Knöpfchen drückten – und einzig die SP, die Grünen und die EVP für einen Gegen­vorschlag plädierten –, ist sie weit weg vom Geschehen. Sie wollte auf der Zuschauer­tribüne des Ständerates sitzen, doch sie muss die Abstimmung am Bildschirm in ihrem Büro am Berner Theater­platz verfolgen. Wegen der Pandemie darf sie als Nicht-Parlamentarierin nicht ins Bundeshaus.

Eine Folge davon: Es gibt bei der Schweizer Bild­agentur Keystone-SDA bis heute keine plakativen Fotos von Ronja Jansen, mit denen Artikel über die 99-Prozent-Initiative bebildert werden könnten.

Jansen ist wenig sichtbar, und das ist nicht fremd­verschuldet. Die Frau mit dem strengen Blick drängt sich nicht vor. Berichten die grossen News­portale über das linke Volks­begehren, zeigen sie Bilder ihrer Vorgängerin Tamara Funiciello. «Geld arbeitet nicht. Wir schon», steht auf einem viel verwendeten Bild mit Gross­buchstaben auf einem Transparent. Darüber Funiciello im Kämpferinnen­pose, dahinter das Bundes­haus. So lassen sich Artikel verkaufen. In den Newsrooms der Medien­konzerne gilt längst als Faust­regel: Wird Funiciello gezeigt, klickt die Geschichte um ein Mehrfaches.

Die Macht der Bilder: Sie kann unfair sein, aber das macht sie nicht schwächer. Jansens Vorgängerin beherrschte das Handwerk der Aufmerksamkeit wie selten eine linke Frau zuvor. Bei den Männern wusste zuvor der Ex-Juso- und heutige Co-Präsident der SP, Cédric Wermuth, wie man Ikonen­bilder erschafft. Er tat es einst mit seinem Auftritt mit angezündetem Joint am Parteitag 2008.

Und Ronja Jansen? Für die Republik lässt sie sich in einem ehemaligen Banktresor­raum vor golden glänzenden Schliess­fächern fotografieren. Hier die arbeitende junge Frau, dort das böse, unbewegte Vermögen. Hier das Leben, dort das Geld – auf das man aus Sicht der Linken viel zu wenig Steuern bezahlt. Ein Bild, eine Botschaft. Gute PR für sich und die eigene Sache; geschenkt. Solche Bilder hätte es gebraucht, als die Menschen ihre Meinungen bildeten – solche Bilder braucht Jansen, wenn sie auf dem politischen Parkett nicht unsichtbar sein will.

Beim Gespräch mit der Republik sitzt sie am Küchen­tisch einer WG im Berner Länggass­quartier und serviert Tee.

Klar, sie sei ein «wandelndes Juso-Klischee», sagt die Basel­bieterin und verfällt, auf die Familie angesprochen, immer stärker in den Dialekt. Linkes Aufwachsen in einer linken Lehrer­familie. Vor kurzem übernahm ihr jüngerer Bruder das Co-Präsidium der Juso im Kanton Baselland.

Ronja Jansen, wann gehen Ihnen die Linken auf die Nerven?
(überlegt lange) Oh, es nervt mich, wie staatstragend sich die SP manchmal gibt. Die Linke geht ja schon mit Kompromissen in Verhandlungen. Dabei ist gerade jetzt, wo Krisen­gewinnler Milliarden abschöpfen und Niedrig­verdiener die Kosten für die Pandemie tragen, eine dezidiert linke Politik gefragt. So richtig nerve ich mich, wenn man mir sagt: «Ja weisch, mir mached halt Realpolitik.» Dabei orientiert man sich nicht am realen Ausmass von Problemen, sondern daran, was morgen umsetzbar ist. Das ist sehr schwierig.

Was muss sich ändern?
Ich finde ja nicht gerade, dass die SVP unser Vorbild sein sollte. Man muss aber anerkennen: Die SVP hat jahrzehnte­lang ein Thema bewirtschaftet, obwohl ihre Position nicht mehrheits­fähig war. Am Ende haben sie es aber geschafft, den Diskurs zu verschieben. Genau das muss uns Linken doch auch gelingen!

Angriffslustig, trotzdem fast provokativ deeskalierend: Lehrer­tochter Ronja Jansen erinnert im Gespräch an die Streberin aus der ersten Reihe. Immer Antworten parat. Spricht erst, wenn aufgefordert. Geliebt von der Deutsch­lehrerin, sogar von der Mathe-Aushilfe. Und neun Jahre lang nie vor der Tür.

Im Kindergarten der Schweizer Politik hilft das leider wenig. Klar, kein Vergleich zum Nachwuchs ganz rechts. Da gibt die Junge SVP mal den Klassen­clown, mal den Pausen­platz­schläger, da bestimmt mal Gagapolitik den Partei­aktivismus, und Exponenten werden wegen Verstosses gegen die Anti-Rassismus-Strafnorm verurteilt.

Erweckungs­erlebnis mit Osterhase

Ronja Jansen hätte das Rüstzeug, nicht als Streberin dazustehen, sondern als Aufstreberin der Linken durch­zustarten. Sie absolviert ein Wirtschafts­studium, von dem sie derzeit beurlaubt ist. Das gibt ihr dort Kenntnisse, wo bei der SP traditionell eine Markt­lücke klafft: in der Wirtschafts­politik.

Die frühere Nationalrätin Susanne Oberholzer Leutenegger scherzte einst, nach dem SP-Wirtschafts­konzept gefragt, nicht völlig zu Unrecht: «Das SP-Wirtschafts­papier bin ich.» (Das andere Konzept hiess Rudolf Strahm.) Auch heute, wo zwar ein Papier existiert, gibt es nicht mehr Köpfe. Schliesslich kann das Schlacht­ross Jacqueline Badran nicht ewig für die SP den Wirtschafts­karren aus dem Dreck ziehen.

Wenn man als Sozi Wirtschaft studiere, brauche man «eine dicke Haut», sagt Ronja Jansen. Die Professorinnen, die Frage­stellungen – sogar die Prüfungen seien ideologisch gefärbt. «Antwortet man mit liberalem Duktus, punktet man leider sehr oft bei den Professoren», sagt sie. «Die haben sich sogar zu Abstimmungs­empfehlungen im Plenar­saal verleiten lassen. So was regt mich wahnsinnig auf.»

Linke Frauen würden «viel zu wenig bei Wirtschafts­themen mitreden», sagt Jansen und wird während des Gesprächs immer fordernder, klarer und weniger konziliant: «Auch bei den Juso sprechen Frauen öfters zu klassischen feministischen Themen. Das ist wichtig. Aber bei der Verteilung der Ressourcen und bei der Frage nach Gerechtigkeit haben wir genauso viel zu sagen.»

Ihr Fazit in Kürze: Die entscheidende Frage nach der Gerechtigkeit – die werde auch in der Wirtschafts- und Finanz­politik beantwortet.

Ungerechtigkeit habe sie bereits als Kind «so richtig hässig» gemacht. «Es ist eine sehr absurde Geschichte, aber sie zeigt, warum mich das Thema Umverteilung so sehr politisiert hat.»

Also erzählt Ronja Jansen vom Kinder­garten in Frenkendorf: Alle Kinder hätten damals ein Nestli mit einem Oster­hasen bekommen. Nur ein Junge hatte keinen Hasen in seinem Nestli: «Ich fand das so ungerecht.» Deshalb habe sie dem Buben ihren Hasen geschenkt. «Ich wollte schon als Kind, dass alles gerecht ist. Mir war wichtig, dass niemand unfair behandelt wird.»

Wie der Hase läuft und erlegt wird, lernte sie schmerzhaft auf dem Nachhause­weg. «Da schubste mich genau dieser Junge ins Gebüsch und lachte mich mit den anderen Kindern aus, weil ich keinen Schoggi­hasen hatte. Ich lief heulend nach Hause.» Heute wisse sie, dass «eines dieser Scheiss­kinder» einfach zwei Hasen gegessen hatte.

«Solche Erlebnisse, die ich nicht mit meinem Gerechtigkeits­sinn vereinen konnte, haben mich immer schon beschäftigt. Auch darum bin ich ein politisch denkender Mensch geworden», sagt Jansen. Und man glaubt es ihr tatsächlich. Naiv vielleicht, schön zurecht­gelegt: bestimmt. Ein Gründungs­mythos, ein Erweckungs­erlebnis aus dem roten Bilderbuch.

Auf ihre partei­politischen Anfänge blickt Jansen hingegen betont nüchtern zurück. «Ich weiss noch sehr gut, wie ich in die Partei gekommen bin. Bei der ersten Versammlung bin ich während der Pause extra lange aufs WC, weil ich mich nicht getraut habe, mit anderen zu sprechen.»

«Donaldine Trump»

Eingetreten war sie wegen der 1:12-Initiative der Juso. «Diese Plakate mit dem Burger mit 12 Fleisch­stücken sind mir damals sehr eingefahren. Es erschien mir nichts als gerecht und eben fair, dass ein Chef höchstens 12-mal so viel wie die am schlechtesten bezahlte Mitarbeiterin erhalten soll.»

Sie war empört, als die Stimm­bevölkerung die Vorlage 2013 mit 65,3 Prozent Nein-Stimmen ablehnte. Als dann im Jahr darauf auch die «Mindest­lohn»-Initiative scheiterte, verstand sie «die Welt nicht mehr».

Danach führte Jansen am Familientisch oft politische Diskussionen. Als Tochter einer SP-Sekretärin und Religions­lehrerin sowie eines Lehrers hat sie dabei ein Heimspiel und schaffte es, «dass meine Familie seit meiner Juso-Präsidentschaft noch linker geworden ist».

Das Linkssein wurde Ronja Jansen bereits von den Grosseltern mitgegeben. Ihre Grossmutter, die heute 79-jährige Pfarrerin Barbara Jansen, war in der Friedens­bewegung. «Sie engagierte sich für Geflüchtete und hatte auch eine Fiche», berichtet die Enkelin nicht ohne Stolz. Grossvater Reiner Jansen, der Mann von Barbara, predigte von der Kanzel «das Miteinander und die Gerechtigkeit. Fair sein stand über allem.» Bis heute leben die drei Generationen Jansens in Frenkendorf BL, wo Ronja seit 2018 in der Gemeinde­kommission sitzt.

«Es nervt mich, wie staatstragend sich die SP manchmal gibt. Die Linke geht ja schon mit Kompromissen in Verhandlungen»: Ronja Jansen.

Frau Jansen, glauben Sie an Gott?
Nein, ich glaube wohl nicht an Gott. Ich würde mich eher als Agnostikerin bezeichnen. Meine Mutter ist jetzt auch nicht hyper­gläubig. Aber klar, meine Grosseltern waren ein Leben lang Pfarrer und Pfarrerin. Das prägt.

Kein Wunder, hilft die reformierte Kanzel weiter, wenn man Ronja Jansens Stil zu politisieren verstehen will.

«Ora et labora – bete und arbeite»: Der von den katholischen Benediktinern geprägte Spruch verband das Tun mit dem Sinn. Und der Reformator Zwingli erhob die Arbeit von der täglichen Mühsal zu «etwas Gutem, etwas Göttlichem». Ein direktes Echo davon findet sich 500 Jahre später in dem Juso-Abstimmungs­slogan «Geld arbeitet nicht. Wir schon».

Umgekehrt fand die Konzern­verantwortungs­initiative Resonanz bei den Kirchen, was diesen viel Kritik einbrachte. Ronja Jansen brachte die Abstimmung ihren ersten grossen Shitstorm. Weil die Initiative an einer Nein-Mehrheit der Kantone scheiterte, twitterte Jansen noch am Abstimmungs­sonntag, das Ständemehr gehöre «auf den Müllhaufen der Geschichte». Etablierte Parlamentarier ächzten, ein SVP-Nationalrat betitelte sie als «Donaldine Trump» und wollte Jansen ihrerseits auf dem Müllhaufen sehen.

Jansen duckte sich nicht. Sie doppelte anderntags nach: «Das habe ich nicht aus dem Affekt heraus gesagt, ich finde schon länger, dass das Stände­mehr abgeschafft gehört.» Minderheiten­schutz sei zwar grund­sätzlich etwas Gutes. «Die Kantons­zugehörigkeit als einziges Argument heraus­zupicken, ist für mich aber nicht mehr zeitgemäss.»

Es war ein Twitterfight wie aus dem Lehrbuch. Und für einmal stand Jansen ihrer Vorgängerin Funiciello in nichts nach. Den Vorwurf des SVPlers nahm sie auseinander: «Es ist ein klassisches Beispiel: Ich habe ein politisches Konstrukt angegriffen und er mich als Person. Wenn man sagt, jemand gehöre auf den Müllhaufen, spricht man der Person die Daseins­berechtigung ab.»

Es sind solche Momente, in denen Ronja Jansen ihr politisches Potenzial anzapft. Denn rhetorisch hat sie – einmal in Fahrt – so viel Talent wie ihre Vorgängerin. Unvergessen ihr Auftritt in der SRF-«Arena» zur AHV-Reform. «Juso-Jansen liest in der AHV-‹Arena› den Männern die Leviten», schrieb damals das Nachrichten­portal «Watson».

Geschliffen hat sie ihre Rhetorik schon als 17-Jährige in Michigan, USA. Als Austausch­schülerin wurde sie Teil der Highschool-Theater­gruppe. «Das war keine einfache Zeit», erinnert sie sich. «Aber langfristig hat es viel ausgelöst: Es öffnete meinen Blick weg von der engen Schweizer Perspektive. Seither fühle ich mich verantwortlicher dafür, was auf der ganzen Welt passiert.»

Coole Frauen im Parlament reicht nicht

In der nächsten Zeit wird es wieder das Thema Gerechtigkeit sein, das Jansen auf das nationale Parkett befördert: Gerade hat das Parlament eine Renten­altererhöhung für Frauen von 64 auf 65 Jahre verabschiedet. Für Jansen ein «absurder Vorschlag». Wegen der wachsenden Produktivität der Arbeit­nehmer sei «jetzt der Moment, die Arbeits­zeit zu reduzieren».

Fabian Molina und Tamara Funiciello sitzen im Nationalrat, Cédric Wermuth ist heute Co-Präsident der SP – Jansens Vorgänger an der Juso-Spitze haben schnell Karriere gemacht. Das Zeug dazu hätte auch Jansen. Strebt sie nach einem Sitz im Nationalrat?

Sie winkt ab. Und rechnet im Hinter­kopf ihre Wahl­chancen aus: SP-Nationalrat Eric Nussbaumer erhielt bei den Wahlen 2019 derart viele Stimmen, dass er wohl erneut antreten muss. Und mit Samira Marti hält die jüngste National­rätin den zweiten Baselbieter SP-Sitz. «Man darf sich doch nicht auf ein Amt versteifen. Sonst guckt man nur noch auf die nächsten Wahlen, das ist ungesund», sagt Jansen. Vielleicht ziehe es sie auch wieder zurück an die Uni.

«Machts Ronja Jansen wie einst Tamara Funiciello?», fragte die «Basler Zeitung» unlängst. Dafür müsste die SP bei den Wahlen 2023 einen dritten Sitz gewinnen und sich dabei gegen die starken Grünen durchsetzen. Zudem müssten sich die Baselbieter Sozial­demokratinnen, wie 2019 die Berner, auf eine reine Frauenliste einigen – diese katapultierte Funiciello am Ende ins nationale Parlament. Die ehemalige Juso-Chefin kickte dabei mit Gewerkschafter Corrado Pardini ein national prominentes SP-Schlacht­ross aus der grossen Kammer.

Was eines Tages auch Jansen helfen könnte: Gute Listen­plätze für linke Männer müssen heute doppelt und dreifach erkämpft werden. Vor allem aber müsste Jansen genau das tun, was sie bisher zutiefst ablehnte: Wahl­kampf betreiben, auch gegen die eigenen Leute, vielleicht auch gegen das eigene Naturell.

Noch politisiert Ronja Jansen im Schatten ihrer Vorgängerin. Die Abstimmung vom 26. September über ihr Herzens­projekt, die 99-Prozent-Initiative, scheint bereits entschieden. Die letzte SRG-Umfrage beschied sehr mässige Aussichten. 37 Prozent Ja, 57 Prozent Nein. Doch mit der AHV-Reform und der heftig geführten Debatte um das Frauen­rentenalter hat die Juso-Chefin neue Kampf­themen auf dem Silbertablett.

«Es reden noch viel zu wenig linke Frauen bei der Finanz­politik und bei Wirtschafts­themen mit», insistiert Jansen. Und fügt nach der dritten Tasse Tee an: «Es ist ja schön und gut, dass nach dem Frauenstreik viele coole junge Frauen ins Parlament gewählt wurden. Aber danach muss auch etwas passieren! Die Parteien können sich doch nicht einfach auf die Schulter klopfen, weil mehr Frauen gewählt wurden. Es braucht eine feministische Politik – und die sehe ich bisher nicht. Oder wo bleibt die Vereinbarkeit von Beruf und Familie? Wo die Lobby, die eine Erhöhung des Frauen­renten­alters zu verhindern vermochte?»

Ronja Jansen will als Taten sehen, was ihre Partei als Slogan vor sich herträgt: «Ändern, was dich stört.» Mit etwas mehr Kaltschnäuzigkeit, die kein Wider­spruch zu Ehrlichkeit sein muss, könnte sie es schaffen. Und von der Streberin zur Aufstreberin werden.