Familienmitglied von acht Maori-Stämmen, und jetzt auch eine Rechtspersönlichkeit: der Mount Taranaki auf Neuseeland. Maria Feklistova/EyeEm/Getty Images

Bruder Berg und Schwester Schwein

Nicht nur Menschen haben Rechte. Auch Stiftungen und Aktiengesellschaften dürfen ein Gericht anrufen, ihre Interessen vertreten. Warum aber bleiben Natur und Tiere davon ausgeschlossen?

Ein Essay von Markus Schärli, 04.08.2021

Auch arme Menschen, die keine Steuern bezahlen, nehmen an Abstimmungen und Wahlen teil.

Frauen haben die gleichen Rechte wie Männer. Kinder dürfen nicht zur Arbeit gezwungen werden. Und sie haben Anspruch auf Schulbildung.

Die Sklaverei ist verboten.

Das sind doch lauter Selbst­verständlichkeiten, würden die meisten jetzt sagen. Drehen wir das Rad der Geschichte jedoch um nur 300 Jahre zurück, kann von Selbst­verständlichkeit keine Rede mehr sein.

Jedes Recht muss mühselig errungen werden, bevor es selbst­verständlich wird. Rechte zu haben, war ein Kampf – und bleibt ein Kampf. Heute stellt sich die Frage: Ist es gerecht, dass nur menschliche Wesen über Rechte verfügen? Was gilt für nicht­menschliche Existenzen? Für das Schwein oder den Fluss, den Baum oder den Gletscher?

Wie wir der Natur und den Natur­wesen begegnen, hat viel damit zu tun, wie wir unsere rechtliche Beziehung zu ihnen verstehen und definieren. Das zeigt sich exemplarisch im Fall des neusee­ländischen Flusses Whanganui.

Für das Volk der Maori sind Eigentums­beziehungen gegenüber der Natur fremd – so, wie wir sie in unserem Gesellschafts­system definiert haben. Gerrard Albert, Sprecher eines Maori-Stamms, der am Whanganui lebt, formuliert es so: «Wir behandeln den Fluss wie einen Bruder oder eine Schwester, wie Vater oder Mutter. Er hat Rechte, so wie du und ich. (…) Der Fluss gehört nicht uns, wir gehören dem Fluss.»

Allerdings lag dieses Rechts­verständnis der Maori schon 1880 in diametralem Widerspruch zum Verständnis der britischen Krone, in deren Namen der Fluss wirtschaftlich ausgebeutet wurde. Ökologische und kulturelle Werte wurden zerstört, und ein über hundert­jähriger Kampf der Maori-Stämme um ihre physische und meta­physische Beziehung zum Fluss begann.

Rund 140 Jahre später, im Jahr 2017, verabschiedete das neuseeländische Parlament das «Te Awa Tupua»-Gesetz, das die Ansprüche des Flusses und damit auch jene der Maori-Stämme regelt. Das Aussergewöhnliche daran ist, dass das Rechts- und Beziehungs­verständnis der Maori übernommen wurde. Das Parlament erklärte den Whanganui nicht einfach zum Schutz­gebiet, ihm wurde eine eigene Rechts­persönlichkeit zugesprochen.

Der Unterschied von Schutz und Recht

Warum ist das von Bedeutung, über den Einzelfall hinaus? Warum genügt es nicht, den Fluss oder andere Natur­wesen einfach unter Schutz zu stellen (was heute der Regelfall ist)? Was steckt hinter dem Begriff der «Rechts­persönlichkeit» – warum ist sie derart wichtig?

Zwischen blossem Schutz und einer eigenen Rechts­persönlichkeit besteht ein zentraler Unterschied. Dieser lässt sich nur begreifen, wenn man sich kurz damit auseinander­setzt, wie unser Rechts­system funktioniert. Es bietet nämlich nur jenen echten Schutz, die über eine «Rechts­persönlichkeit» verfügen. Als Rechts­person definiert eine Rechts­ordnung jene Subjekte, die das Rechts­system in Anspruch nehmen dürfen.

Nur eine Rechtsperson kann Klage erheben, ein Gericht anrufen oder sich auf Grund­rechte berufen. Wer hingegen keine Rechts­persönlichkeit hat, wer also kein Rechts­subjekt ist, darf nicht um seine Rechte kämpfen.

Deshalb fordert der deutsche Rechts­professor Jens Kersten als einer unter vielen: «Die Verfassung des Anthropozän sollte die Natur als ein Rechts­subjekt begreifen, das seine Rechte selbst­ständig einfordern, einklagen und durchsetzen kann.» Doch ob und welche Natur­wesen diese Rechts­persönlichkeit haben sollen, ist ein politischer Entscheid – ein Entscheid, der von den Macht­verhältnissen geprägt ist.

Das Schweizer Rechts­system unterscheidet zwischen natürlichen und juristischen Personen. Natürliche Personen sind Menschen. Zu den juristischen Personen gehören sogenannte Sach­gesamtheiten (etwa eine Stiftung) sowie verselbständigte Personen­vereinigungen wie beispiels­weise Vereine oder Aktien­gesellschaften.

Kann sich ein Fluss vor Gericht verteidigen?

Eine Person des Rechts zu sein, ist somit ein künstliches Konstrukt. Deshalb kann auch ein Vermögen in Form einer Stiftung gegen jene klagen, die es schädigen. Oder es kann eingeklagt werden für Schäden, die es verursacht hat. Das Vermögen kann auch Verträge abschliessen. Den Natur­wesen hingegen werden solche Möglich­keiten bis heute verwehrt – obwohl dies rechts­technisch gesehen genauso problemlos möglich wäre wie bei einem Vermögen oder einem Unternehmen.

Es ist macht­politisch offensichtlich nicht erwünscht.

Ein Fluss, der mit Rechts­persönlichkeit ausgestattet wird, kann seine Interessen vertreten und dazu sämtliche rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, die der Staat mit seiner Rechts­ordnung zur Verfügung stellt. Genauso, wie das die Aktien­gesellschaft oder der Verein tut. Solche Rechte gehen bedeutend weiter als eine blosse Unterschutz­stellung. Denn im Kern geht es um die jeweiligen Interessen.

Solange die Interessen gleichgerichtet sind oder zumindest nicht kollidieren, ist niemand auf ein Rechts­system und eine Rechts­persönlichkeit angewiesen.

Das Rechts­system kommt erst dann zum Einsatz, wenn die Interessen aufeinander­prallen. Bei einem Schutz­gebiet entscheidet bei einer Interessen­kollision immer diejenige Rechts­persönlichkeit, die das Schutz­gebiet errichtet hat. Sie entscheidet im konkreten Konflikt­fall, wessen Interessen höher zu gewichten sind. Hat der Fluss jedoch eine eigene Rechts­persönlichkeit, kann er seine Interessen uneingeschränkt selbst vertreten und gegen andere Interessen vor einem unabhängigen Gericht verteidigen.

Ein Fluss, der vor Gericht zieht?

Natürlich muss er von Menschen vertreten werden, wie das bei der klagenden Aktien­gesellschaft, beim Verein oder der Stiftung auch der Fall ist. Es gibt in unserem Rechts­system unzählige solcher Vertretungs­beispiele, auch ausserhalb des Gesellschafts­rechts. Die Eltern vertreten ihre kleinen Kinder, die keinen eigenen Willen äussern und nicht befragt werden können. Urteils­unfähige Menschen haben rechtliche Vertreterinnen.

Auch Naturwesen könnten sich vertreten lassen.

Ein Berg erhält Rechtspersönlichkeit

So lässt sich der Berg Taranaki von acht Maori-Stämmen aus seinem Gebiet vertreten, welche ihn seit jeher als Familien­mitglied betrachten. Denn inzwischen ist der Whanganui-Fluss in Neuseeland kein Einzelfall mehr. Auch dem Taranaki wurde die Rechts­persönlichkeit zugesprochen.

Für die Verbindung einer nicht­menschlichen mit einer menschlichen Rechts­person wurde vom französischen Soziologen und Philosophen Bruno Latour der Begriff der «hybriden Persönlichkeit» geprägt. Wie immer diese hybriden Persönlichkeiten ausgestaltet werden, es stellen sich stets folgende zwei Fragen:

  • Wie kann sichergestellt und kontrolliert werden, dass die Vertreterinnen nicht die eigenen Interessen wahrnehmen, sondern jene der Naturwesen?

  • Wenn man davon ausgeht, dass Rechte auch mit Pflichten verbunden sind – wie sollen Natur­wesen ihre Verpflichtungen wahrnehmen können?

Die erste Frage ist schnell beantwortet. Damit Vertretungs­vollmachten nicht missbraucht werden, braucht es Kontrollen, wie man sie auch bei den Unternehmen kennt. Das Problem liegt weniger darin, dass nicht bekannt ist, wie solche Kontroll­mechanismen aufzubauen sind – es liegt viel eher an der konkreten Umsetzung. Auch die besten Kontroll­mechanismen können nicht alle Missbräuche verhindern. Was allerdings lediglich Ansporn dazu sein sollte, die Kontroll­mechanismen zu optimieren.

Auch die zweite Frage stellt mit etwas Fantasie keine Probleme. So kann ein Fluss, indem er Rechte vergeben lässt (etwa zur Nutzung für die Schiff­fahrt oder für die Energie­produktion), Einkommen generieren, um damit Verpflichtungen nachzukommen: zum Beispiel Prämien für Haftpflicht­versicherungen bezahlen, um Schäden zu vergüten.

Mit ihm begann die juristische Neueinschätzung der Natur in Neuseeland: Der Whanganui fliesst auf 290 Kilometern vom Mount Tongariro in die Tasmanische See. Alamy

Und was ist mit den Gletschern?

Grundsätzliche Probleme wären keine auszumachen. Trotzdem konnten sich Natur­wesen bis heute nur in Einzel­fällen wie in den Beispielen aus Neuseeland Persönlichkeits­rechte erkämpfen. Doch die Idee ist inzwischen auch in der Schweiz angekommen. Lisa Mazzone, damals noch National­rätin der Grünen aus Genf (heute Stände­rätin), reichte 2017 ein Postulat ein, in dem sie verlangte, es sei abzuklären, ob die Gletscher in der Schweiz mit einer Rechts­persönlichkeit ausgestattet werden könnten.

Der Bundesrat hält, wenig überraschend, nichts von dieser Idee.

An diesem Punkt wird die Machtlosigkeit rechtloser Wesen offensichtlich. Weder ein Gletscher noch ein Schwein können innerhalb des Rechts­systems für eigene Persönlichkeits­rechte kämpfen – denn um dafür kämpfen zu können, müsste man die Rechte bereits haben.

Die Publizistin und Politikwissen­schaftlerin Hannah Arendt (1906–1975) beschreibt diese Machtlosigkeit in aller Klarheit. Sie hält aus der Sicht rechtloser Menschen fest, was es bedeutet, wenn Rechte vorenthalten werden, und fordert deshalb ein Recht auf Rechte; «das Recht, niemals ausgeschlossen zu werden von den Rechten, die sein Gemeinwesen garantiert». («sein» bezieht sich hier auf den Menschen, Anm. d. Red.)

Denn der Verlust des Rechts auf Rechte, so Arendt, ziehe den Verlust der Relevanz nach sich. Oder, anders gesagt: Eine Verfassung mit ihren garantierten Grund­rechten ist nur für diejenigen wertvoll, die sich darauf berufen können.

Für alle andern sind sie toter Buchstabe.

Eine wegweisende Abstimmung in Basel

Was für Landschaften, Flüsse und Berge gelten soll, gilt noch viel mehr für leidens­fähige Natur­wesen. Zum Beispiel für die Schimpansin Cecilia, die im argentinischen Zoo von Mendoza dahinvegetierte.

Richterin María Alejandra Mauricio entschied 2016, dass die Schimpansin keine Sache sei, die der Zoo besitzen könne, sondern ein Rechts­subjekt mit eigenen Ansprüchen an ein artgerechtes Leben.

Cecilia ist kein Einzelfall. Dass nicht­menschliche Wesen als Teil unserer Gesellschaft über Grund­rechte verfügen müssten, versucht die Initiative «Grundrechte für Primaten» im Kanton Basel-Stadt durchzusetzen.

Der Initiant, der Verein Sentience Politics, verlangt ein Recht von nicht­menschlichen Primaten auf Leben sowie auf körperliche und geistige Unversehrtheit. «Wir haben mit dieser Abstimmung die einmalige Möglichkeit, die elementarsten Interessen auch anderer fühlender Mitgeschöpfe zu schützen», sagt dazu die promovierte Schweizer Juristin Charlotte Blattner.

Gemäss Gesetz müsste das Basler Stimmvolk bis im November 2021 über die Initiative abstimmen können – allerdings hat es die Basler Obrigkeit bisher geschafft, den Abstimmungs­termin der 2017 eingereichten Initiative mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln hinaus­zuzögern. Unter anderem versuchte es der Grosse Rat mit einer Ungültigkeits­erklärung, die jedoch vor Bundesgericht nicht standhielt.

Damit wurde der Kampf um das Recht um eine Stufe vorgelagert. Das Basler Parlament will nicht nur den Natur­wesen das Recht auf Rechte absprechen, sondern scheut sich auch nicht davor, dem Stimm­volk das Recht abzusprechen, über diese Frage zu entscheiden.

Der Schleier des Nichtwissens

Doch zurück zur Grundsatz­frage: Warum sollte das «Recht auf Rechte» allen Gesellschafts­mitgliedern gewährt werden? Inklusive Naturwesen?

Die Antwort ist trivial: weil ein Rechts­system gerecht sein sollte.

Oder, wie es der deutsche Rechts­philosoph Gustav Radbruch (1878–1949) in einer berühmt gewordenen Schrift formuliert: «Wo Gerechtigkeit nicht einmal erstrebt wird, wo die Gleichheit, die den Kern der Gerechtigkeit ausmacht, bei der Setzung positiven Rechts bewusst verleugnet wurde, da ist das Gesetz nicht etwa nur ‹unrichtiges Recht›, vielmehr entbehrt es überhaupt der Rechts­natur.» Systematische Ungerechtigkeit, so Radbruch, sei mit einem Rechts­system, das dem Recht dienen soll, unvereinbar.

Mit dieser Schlussfolgerung dürften die meisten Menschen einverstanden sein. Die Uneinigkeit beginnt bei den Folge­fragen: Was ist gerecht? Welche Grund­rechte muss eine Verfassung den Gesellschafts­mitgliedern gewähren? Und vor allem: Wer soll Grund­rechte einfordern und einklagen können?

Der US-amerikanische Philosoph John Rawls (1921–2002) schlägt zur Beantwortung dieser Fragen ein Gedanken­experiment vor. Er nennt es the veil of ignorance: «Schleier des Nichtwissens».

Eine gerechte Verfassung, so Rawls, könne nur erreicht werden, wenn die Entscheide jener, welche die Verfassung gestalten, nicht durch bereits existierende Merkmale und Umstände verzerrt werden.

Das bedeutet: Wenn ich den Entscheid fälle, was gerecht ist, dann muss meine persönliche Situation hinter dem Schleier komplett verschwinden. Ich weiss nicht, ob ich unter der neuen Verfassung reich sein werde oder arm, handicapiert oder gesund. Ich kenne weder meine Hautfarbe noch mein Geschlecht oder meinen Intelligenz­quotienten. Ich bin völlig im Unklaren über die Umstände meines Daseins.

Zu diesem Unwissen gehört auch, und damit ergänzt der amerikanische Philosoph und Tierethiker Tom Regan (1938–2017) die Idee von Rawls, dass ich nicht weiss, ob ich als menschliches oder nicht­menschliches Naturwesen von dieser Verfassung betroffen sein werde. Ich darf also nicht wissen, ob ich der Bauer oder das Schwein bin. Nur wenn ich hinter diesem «Schleier» im Ungewissen darüber bleibe, wer oder was ich sein werde, bin ich in der Lage, eine gerechte Verfassung auszuarbeiten.

Und nicht eine, die mich in meiner aktuellen Situation bevorteilt.

Kant, neu interpretiert

Dieser Grundgedanke einer gerechten Rechts­ordnung, die nur dann entstehen kann, wenn deren Schöpferin nicht ihre eigenen Interessen und Privilegien kennt, wird in der Philosophie seit langem vertreten. Der Gedanke ist im berühmten kategorischen Imperativ Immanuel Kants angelegt, der in einer aktualisierten Version heissen könnte: «Entscheide im Unwissen über deine persönliche Situation und deine Spezies­zugehörigkeit so, dass die Maxime deines Willens zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetz­gebung gelten kann.»

Der Entscheid über eine gerechte Grund­ordnung für alle und alles kann in einer Demokratie nicht theoretisch festgelegt werden. Er würde sich aus Millionen von Einzel­entscheiden zusammen­setzen. Es spricht aber einiges dafür, dass vor allem die Empfindungs­fähigkeit jene Grenze bilden würde, innerhalb derer die Bürgerinnen unter dem «Schleier des Nichtwissens» einem Wesen Rechts­fähigkeit und Rechts­persönlichkeit sowie elementare Grundrechte zugestehen würden.

Niemand will in seiner körperlichen Integrität verletzt werden können, ohne sich dagegen wehren zu dürfen.

Oder, wie es der englische Jurist, Philosoph und Sozial­reformer Jeremy Bentham (1748–1832) formulierte: «Die Frage ist nicht: Können sie vernünftig urteilen? Oder: Können sie sprechen? Sondern: Können sie leiden?»

Es sind radikale Konsequenzen, die sich aus solchen Überlegungen ergeben.

Hätte das Schwein Grund­rechte und eine Rechts­persönlichkeit, könnte es den Bauern verklagen, der es quält. Das wäre für den Bauern gewöhnungs­bedürftig. Aber Bauern konnten sich mit der Zeit auch damit abfinden, dass sie keine Verding­kinder mehr beschäftigen und ausbeuten dürfen, sondern Mitarbeitende einstellen müssen, die sich rechtlich wehren können. Sie gewöhnten sich daran, dass sie ihre Kinder zur Schule schicken mussten und sie nicht auf dem Hof behalten durften, so dringend ihre Mitarbeit auch benötigt wurde.

Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass dieser Veränderungs­prozess abgeschlossen ist, solange nicht alle Wesen einer Gesellschaft entsprechend ihrer Bedürfnisse und Möglichkeiten als Rechts­personen in unsere Rechts­ordnung aufgenommen sind.

«Wilde» waren keine Rechtssubjekte

Gesellschaften verändern sich, indem Rechtlose Rechte erkämpfen. Privilegien der Geburt gehen verloren, neue Privilegien entstehen.

Die Verteilung der Rechte und Privilegien mithilfe einer Rechts­ordnung ist immer eine «Moment­aufnahme in der Geschichte der Kämpfe», so der deutsche Politik­wissenschaftler Thomas Biebricher. Sie widerspiegle die gesellschaftlichen Kämpfe und Konflikt­linien und sei diesbezüglich nichts anderes als ein «asymmetrisches Siegerrecht».

Hier schliesst sich der Kreis mit der Geschichte der Maori. Denn vor 140 Jahren liessen die Richter des obersten Gerichts von Neuseeland in einem Landstreit zwischen Wi Parata, dem Vertreter des Maori-Stammes der Ngāti Toa, und Bischof Wellington, keinen Zweifel daran, welche Rechts­stellung die Briten nicht nur den Bergen und Flüssen, sondern auch den Maori zugestanden: «Die Eigentums­rechte der Krone am Gebiet von Neuseeland wurden gemäss Völker­recht durch Entdeckung und Besitz­nahme begründet, denn das Gebiet wurde nur durch Wilde bewohnt.»

«Wilde» waren in den Augen des neusee­ländischen Gerichts Natur­wesen, denen keine Rechts­persönlichkeit zugesprochen werden konnte.

In der Demokratie widerspiegelt eine Rechts­ordnung immer die Interessen jener, die sich bereits eine Stimme erkämpft haben. Aus der Sicht derjenigen, die noch keine Stimme haben – der Schweine beispiels­weise – ist es eine Unrechts­ordnung, die unerträgliches Leid nicht nur akzeptiert, sondern sogar verwaltet.

Der Kampf um das Recht sei eine Pflicht des Berechtigten gegen sich selbst, so der deutsche Rechts­wissenschaftler Rudolf von Jhering (1818–1892): «Behauptung der eigenen Existenz ist das höchste Gesetz der ganzen belebten Schöpfung; in dem Trieb der Selbst­erhaltung gibt es sich kund in jeder Kreatur.»

Insofern muss sich die hybride Naturperson zuerst im politischen System bilden und durchsetzen; so, wie sich auch die juristische Person durchgesetzt hat.

Menschliche Natur­wesen müssen, um es in der Sprache der Maori auszudrücken, für ihre nicht­menschlichen Brüder und Schwestern deren rechtliche Existenz erkämpfen. Die Veränderung des Rechts­systems kann nicht vom System selbst erwartet werden. Denn, wie es Jhering sagt, ist es eine wahrhaft romantische Vorstellung, «dass das Recht sich schmerzlos, mühelos, tatenlos bilde gleich der Pflanze des Feldes; die raue Wirklichkeit lehrt uns das Gegenteil».

In der Schweiz sind das Postulat von Lisa Mazzone (Rechts­persönlichkeit für Gletscher) oder die bevor­stehende Abstimmung in Basel (Grund­recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit für Primaten) erste zögerliche Schritte in Richtung einer Rechts­ordnung, die auch aus der Perspektive der Natur­wesen diesen Namen verdient. Es ist ein Anfang.