Wie Corona die Löhne der Topmanager veränderte
Die Pandemie bescherte der Schweizer Wirtschaft den grössten Einbruch seit der Erdölkrise. Während Zehntausende ihre Stelle verloren, kündigten Konzernchefs an, auf Teile ihres Lohnes zu verzichten. Haben sie Wort gehalten?
Von Philipp Albrecht, 05.07.2021
Die Schweiz hatte noch Glück. Im Vergleich zu anderen Industrieländern kam ein Grossteil der Unternehmen bisher glimpflich durch die Krise. Die Wirtschaftsleistung (BIP) schrumpfte 2020 zwar um 2,9 Prozent, doch die Märkte erholten sich innerhalb von zehn Monaten wieder vollständig.
Allerdings erwischte es viele im Angestelltenverhältnis: Zehntausende verloren ihre Arbeit. Ende 2020 suchten 35 Prozent mehr Menschen in der Schweiz eine Stelle als ein Jahr zuvor.
Aus Solidarität kündigten deshalb im Laufe des letzten Jahres einige Wirtschaftskapitäne an, auf Teile ihres Lohnes zu verzichten. Wer die tatsächlich gezahlten Löhne nun aber genau anschaut, stellt fest: Die Empathie in der Teppichetage wirkte wie ein Tropfen auf den heissen Stein.
Sehen wir uns zuerst die Top 10 der Managerlöhne im Swiss-Market-Index (SMI) an:
Der SMI versammelt die 20 wertvollsten Firmen im Land. Nehmen wir die übrigen 10 CEO von SMI-Konzernen zur Liste oben hinzu und schauen die Veränderung des Lohnes aller 20 CEO an, zeigt sich, dass die Vergütungen 2020 im Durchschnitt um 4,9 Prozent geschrumpft sind.
Der Rückgang war auf diesem hohen Lohnniveau für die Chefs wohl kaum spürbar. Aber er ist immer noch hoch, wenn man diese Veränderung mit jener in allen restlichen börsenkotierten Schweizer Firmen vergleicht. Die über 200 Unternehmen, die im SPI (Swiss-Performance-Index) gelistet sind, verzeichneten letztes Jahr bei den CEO-Vergütungen einen Rückgang von nur gerade 1,1 Prozent, wie die Beratungsfirma HCM International ausgerechnet hat.
Die gängigste Erklärung für diesen Unterschied hat mit der besseren Sichtbarkeit der SMI-Firmen zu tun. Denn der SMI ist der bedeutendste Aktienindex der Schweiz; ein beträchtlicher Teil des Geldes aus der Schweizer Altersvorsorge steckt in diesen Titeln. Auf die Geschäftsverläufe dieser Unternehmen sind die meisten Augen von Fondsmanagerinnen, Analysten und Finanzjournalistinnen gerichtet. Darum ist nicht nur Transparenz gefragt, sondern auch ein gewisses Vorbildverhalten in der Chefetage.
Anders verhält es sich bei den meisten anderen börsenkotierten Firmen. Sie dürfen sich, salopp ausgedrückt, ab und zu einen Ausrutscher erlauben.
Das führt uns zu den Verwaltungsratspräsidenten (VRP), die in der Hierarchie über den CEO stehen, deren Vergütungen aber in der Regel tiefer sind als die CEO-Löhne. Ihre Vergütung ist 2020 im Schnitt nur um 1,8 Prozent gesunken, also auf ähnlichem Niveau wie der Lohnrückgang der CEO von Firmen aus dem SPI-Index. Sogar noch kleiner ist der Unterschied bei den Präsidenten der SMI-Konzerne. Ihre Löhne gingen nur gerade um 0,6 Prozent zurück.
Warum verzichteten bei den grossen SMI-Firmen die CEO aus Solidarität mit den Angestellten im Mittel auf fast 5 Prozent des Lohns, während die VRP etwa gleich viel verdienten wie zuvor? Die Antwort hat wieder mit der Sichtbarkeit zu tun – und mit der unterschiedlichen Funktion: Die Präsidentinnen sind vor allem für die langfristige Strategie des Konzerns verantwortlich und weit weg vom Tagesgeschäft, während die CEO viel näher bei den Angestellten (und bei den Medien) sind. VRP-Löhne werden in der Öffentlichkeit deutlich weniger diskutiert als CEO-Löhne.
In der Krisenkommunikation mancher Spitzenmanager offenbart sich eine gewisse Doppelzüngigkeit. Wie die Zahlen zeigen, gingen die Löhne in SPI-Firmen kaum spürbar zurück, obwohl dies zu Beginn der Pandemie angekündigt worden war. Ein Beispiel: Adecco-Chef Alain Dehaze kündigte im Mai 2020 einen Teillohnverzicht an. Er sprach von einer Reduktion in der Höhe von 20 Prozent. Am Ende des Jahres waren es dann aber lediglich 10 Prozent weniger als 2019.
Auch beim Basler Duty-free-Konzern Dufry kürzten sich das Management und der Verwaltungsrat von April bis Juni 2020 die eigenen Löhne um 30 Prozent. Am Ende verdienten sie jedoch mehr als vor der Pandemie.
Ihnen half dabei ein kleiner Trick: Sie stellten einfach die Zusammensetzung ihrer Vergütung um. Diese besteht in der Regel aus dem Basissalär (Cash), einem kurzfristigen Bonus (meist Cash) und einem langfristigen Bonus, der in der Regel aus Aktien besteht, die erst in ein paar Jahren wieder verkauft werden können.
Die Boni basieren auf den Zielsetzungen des Unternehmens – meist Umsätze und Gewinne. Und weil nun die Pandemie vielerorts die Zielsetzungen durcheinanderbrachte, wurden diese einfach neu definiert. So, dass am Schluss wieder gleich viel oder mehr Lohn herausschaute, weil der Wegfall im Grundlohn mit einem höheren Bonus kompensiert wurde. Der Bonus-Zuschlag wurde schliesslich mit einem ausserordentlichen Einsatz für das Unternehmen in der Krise begründet.
Von einzelnen Ausnahmen abgesehen, sind die Schweizer Unternehmen also eher mit Lippenbekenntnissen aufgefallen. Es liegt in der Hand der Aktionärinnen, ihre Meinung zu diesem Verhalten kundzutun. Jeweils im Frühling haben sie an der Generalversammlung die Chance dazu. Dann stimmen sie unter anderem rückwirkend über die Vergütungen von Verwaltungsrat und Geschäftsleitung ab. Wie die nächste Grafik zeigt, ging bei den Aktionären der SMI-Konzerne dieses Jahr die Zustimmung um 4,2 Prozentpunkte zurück.
Im Schnitt stimmten nur 83,5 Prozent der Aktionäre für die Vergütungsberichte. Das «nur» ist hier absichtlich kursiv geschrieben, weil die Zahl zwar sehr hoch ist, wenn man sie etwa mit politischen Volksabstimmungen vergleicht, die Zustimmung an Konzern-Generalversammlungen aber in der Regel noch höher ist.
Das liegt am Aktienrecht, das in diesem Thema etwas inkonsequent ist und einen Notausgang offen lässt. Konkret hat diese Abstimmung über den Vergütungsbericht nur einen konsultativen und keinen bindenden Charakter. Wenn nun eine Mehrheit der Aktionäre rückwirkend gegen die Entlöhnung stimmt, kann sich der Verwaltungsrat darüber hinwegsetzen. Geschehen ist das dieses Jahr beim Pharmaunternehmen und SMI-Konzern Alcon: An der GV Ende April lehnten 56 Prozent der Aktionäre den Vergütungsbericht ab. Konsequenzen hat das Resultat aber keine: CEO und VRP haben so viel Geld und Aktien erhalten, wie im Vergütungsbericht angekündigt.
Normalerweise reagieren Firmen im Vorfeld der Generalversammlung, wenn sich Opposition von Aktionären abzeichnet. Dann verzichten sie «freiwillig» auf einen Teil des Lohnes, um einer Blamage aus dem Weg zu gehen. Wie dieses Jahr bei der Credit Suisse, wo der abtretende Präsident Urs Rohner vorgängig auf den aktienbasierten Bonus von 1,5 Millionen Franken verzichtete, weil die CS in zwei Investment-Fiaskos involviert war, die der Grossbank im vierten Quartal einen Verlust von 353 Millionen Franken bescherten.
Das Mitleid der Aktionäre hielt sich letztlich in Grenzen, da Rohner auch ohne Bonus noch immer einen Grundlohn in der Höhe von 3 Millionen Franken bezog.