Geschlechterbalance in der Republik: Gute Zeiten, schlechte Zeiten
Seit zwei Jahren messen wir Monat für Monat die Geschlechterverteilung in den Autorenzeilen und legen regelmässig Rechenschaft ab. Was bringt das eigentlich?
Von Lucia Herrmann, Patrick Venetz (Text) und Nadine Redlich (Illustration), 25.06.2021
Dass dieser Beitrag im Juni erscheint, hat mit einem besonderen Datum zu tun: Es ist der Monat des nationalen Frauenstreiks. Vor zwei Jahren, am 14. Juni 2019, fand der letzte grosse Streik statt. Auch diesen Juni gingen wieder Zehntausende in Schweizer Städten auf die Strasse.
Wir nahmen den 14. Juni 2019 als Anstoss, die Geschlechterverhältnisse bei der Republik genauer in den Blick zu nehmen. In einem ersten Schritt werteten wir die Autorenzeilen systematisch aus – was hatte eine Autorin verfasst, ein Fotograf bebildert, ein gemischtes Team recherchiert?
Das Ergebnis traf uns damals unerwartet und hart. Wir publizierten mit einem deutlichen Männerüberhang. Nur in etwas mehr als einem Drittel der Beiträge waren weibliche Namen in der Autorinnenzeile zu finden.
Das entsprach so gar nicht unserem Selbstverständnis.
Also formulierten wir ein klares Ziel: Die Differenz zwischen allen Beiträgen von Autorinnen und allen von Autoren soll nicht grösser als 10 Prozentpunkte sein. Und wir begannen mit einer systematischen Auswertung. Monat für Monat zählen wir das intern aus, seit zwei Jahren.
Nun ist es wieder Zeit, zu fragen: Wie steht es um die Geschlechterbalance bei der Republik? Und was taugt unsere Auswertung überhaupt?
Was uns die Zahlen zeigen
Zuerst ein Blick auf den Stand der Dinge. Für die Auswertung der letzten zwölf Monate sammeln wir die Namen aus der Autorinnenzeile eines Beitrags, beispielsweise «Von Lucia Herrmann, Patrick Venetz (Text) und Nadine Redlich (Illustration)», und weisen ihnen ein Geschlecht zu.
Stehen nur weibliche Namen in der Autorinnenzeile, werten wir die Autorenschaft eines Beitrags als «weiblich», das Gleiche gilt umgekehrt für ausschliesslich männliche Namen. Und stehen beide Geschlechter in der Autorenzeile, rechnen wir den Beitrag beiden Geschlechtern an.
Manchmal können wir keine binären Geschlechter zuordnen, weil keine Autorinnenzeile existiert («Covid-19-Uhr-Newsletter»), sich Namen keinem binären Geschlecht zuordnen lassen oder die Autorenschaft eine Gruppe ist («das Expeditionsteam der Republik»).
Zum Vergleich schauen wir uns ausserdem alle Monate seit Publikationsstart im Januar 2018 an. Das Resultat sieht folgendermassen aus:
Das heisst: In den letzten anderthalb Jahren waren im Schnitt an über der Hälfte aller Beiträge Frauen beteiligt. Das liegt an den gemischten Teams. Zwar stehen Männer immer noch öfter als Frauen in der Autorenzeile, aber immer häufiger arbeiten sie mit Kolleginnen zusammen.
Das ist erfreulich – Teamarbeit macht Journalismus fast immer besser, selten schlechter. Aber auf die ausgeglichene Geschlechterverteilung zahlt es nicht direkt ein. Da messen wir die Differenz zwischen dem Anteil an Frauen- und Männernamen.
Diese Differenz nennen wir auch «Überhang». Fällt der Überhang ins Negative, standen mehr Männer als Frauen in der Autorinnenzeile, wächst er ins Positive, standen mehr Frauen in der Autorenzeile.
Und so hat er sich entwickelt:
In den letzten zwölf Monaten erreichten wir unsere Zielvorgabe von nie mehr als 10 Prozentpunkten Unterschied immer öfter – aber nicht zuverlässig.
Und: Der Wert schwankt von Monat zu Monat auffällig. Es gibt gute Zeiten, und es gibt schlechte Zeiten.
Warum erreicht die Redaktion der Republik das Ziel nicht zuverlässiger und häufiger? Und wie lassen sich die Schwankungen erklären?
Was diese Zahlen verschweigen
Zugegebenermassen zeichnet unsere Auswertung ein vereinfachtes Bild.
Wie bei einem Fussballspiel zählen nur die geschossenen Tore. Weder der nervenaufreibende Spielverlauf ist berücksichtigt noch der beherzte Einsatz der Spieler und auch nicht, wie die Trainerin Spieler einwechselt. Sichtbar wird einzig das Resultat.
«Die Schwankungen überraschen mich nicht», sagt der stellvertretende Chefredaktor Oliver Fuchs. «Wir sind ein relativ kleines Team. Wenn zum Beispiel einzelne Autorinnen an Langzeitrecherchen arbeiten, dann wirkt sich das sofort auf die Statistik aus.»
Als Beispiel: Eine mehrwöchige Recherche von Tech-Autorin Adrienne Fichter über Datenschutzprobleme beim Impfausweis gewichtet die Statistik gleich stark wie eine Ausgabe der Kolumne von Daniel Binswanger. In den Wochen, in denen Adrienne Fichter an ihrer Recherche arbeitet, publiziert Daniel Binswanger mehrere Kolumnen.
Das hat direkte Auswirkungen auf die Auswertung. Sie zeigt weder Länge noch Aufwand der einzelnen Beiträge. Die Statistik kaschiert auch die Anstellungsverhältnisse. Stand heute entfallen etwa 43 Prozent der Stellenprozente auf Journalistinnen in den «Tribes» (unsere Variante von Ressorts). Weniger Stellenprozente bedeuten weniger Zeit für Journalismus.
Wie wir die Zahlen beeinflussen
Warum also stellen wir in der Redaktion nicht nur noch Frauen ein, bis die Geschlechterparität erreicht ist – und beauftragen ausschliesslich freie Autorinnen, bis gleich viele Frauen und Männer an Beiträgen mitarbeiten?
«Es ist nicht so, dass wir zu wenig darauf achten», sagt Amanda Strub, Leiterin Human Resources. Das Geschlecht der Bewerber werde bei Neueinstellungen immer mitberücksichtigt. Liegen die Qualifikationen gleichauf, falle der Entscheid für die Bewerberin. Wichtigster struktureller Hebel dabei: Die Hälfte der Führungsaufgaben in der Republik übernehmen Frauen.
Neben den Kolleginnen, die bei der Republik angestellt sind, arbeitet die Redaktion auch mit freien Mitarbeitern zusammen oder kauft Beiträge ein. Das eröffnet die Möglichkeit – falls das Pendel zu sehr in die eine Richtung ausschlägt –, zügiger gegenzusteuern als bei Neuanstellungen.
«Bei der Vergabe von Aufträgen achten wir stark darauf, wenn immer möglich zuerst Frauen anzufragen», sagt Bettina Hamilton-Irvine, Co-Leiterin des Inland-Tribes und Chefin vom Dienst.
Dass wir bei Auftragsvergaben zuerst auf Frauen zugehen, hat nichts mit Nettigkeit zu tun. Sondern mit einer Wahrnehmung, die viele in der Redaktion teilen, die mit freien Kolleginnen zu tun haben: Männer trauen sich oft mehr (zu) als ihre Kolleginnen. Sie verkaufen die Ideen für Geschichten mit grösserer Selbstverständlichkeit, sie melden sich öfter von selbst und sie sagen schnell: «Ja klar, die Geschichte kann ich machen.»
«Und bei Frauen kommt hinzu, dass es vielen nach wie vor schwerfällt, sich zu exponieren. Das hat viele Gründe – auch den, dass Frauen selten nur für sich allein unterwegs sind», sagt Olivia Kühni, Redaktorin und Co-Leiterin des Tribes für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitales.
Aber wir haben es in der Hand, mehr Journalistinnen, Kolumnistinnen, Illustratorinnen und Fotografinnen eine Plattform zu geben. Im Alltag erfordert das ein Umdenken – kurz bewusst innezuhalten, nicht einfach bekannte Journalisten anzurufen, sondern zwei Schritte weiterzugehen und neue Stimmen zu suchen.
Was wir mit diesen Zahlen tun
Hören wir uns in der Redaktion um und fragen wir, ob das monatliche Auszählen der Autorenzeile etwas bewirkt hat, dann sind sich alle einig: Die Auswertung hat für die Geschlechterbalance sensibilisiert. Das ist die gute Nachricht.
Das ist eine gute Nachricht. Und eine gefährliche.
Beim Blick auf die positive Entwicklung der Geschlechterbalance über die letzten drei Jahre könnten wir versucht sein, uns zurückzulehnen: Das Monitoring hat sich institutionalisiert, wir haben gezeigt, dass wir ein Bewusstsein für Geschlechterfragen haben und dass wir uns Mühe geben.
Aber: Wir haben unser Ziel noch nicht erreicht.
Und nur weil wir ihm über die Zeit insgesamt näher kamen, heisst das nicht, dass das automatisch so weitergeht. Es ist und bleibt ein tägliches Seilziehen zwischen unserem Anspruch einer ausgeglichenen Geschlechterbalance, der richtigen Mischung im Magazin, der Welt um uns herum – und manchmal auch der eigenen Bequemlichkeit.
Wenn wir die letzte Etappe schaffen, dann kommt zur Belohnung gleich das nächste Ziel. Es lautet: nicht rückwärtsmachen.