Kennen wir uns?
Weltweit steigt die Zahl der Demenzkranken. Nun stürzt sich das Kino auf das Thema, mit dem oscarprämierten Drama «The Father» und dem Roadtrip «Supernova». Der eine Film macht alles richtig. Fast.
Von Theresa Hein, 24.06.2021
Das Schlimmste ist, dass Anthony Hopkins einen an den eigenen Vater erinnert. Nicht an Ihren oder meinen Vater im Besonderen, sondern wirklich ganz prototypisch und universell an den eigenen Vater, zumindest zu Beginn des Films «The Father».
Das passiert durch die Art und Weise, wie er sich seiner Tochter Anne, gespielt von Olivia Colman, gegenüber verhält. So erzählt Anthony, wie Hopkins auch im Film heisst, seiner Tochter, die Pflegerin habe seine Uhr geklaut. Er ist darüber gar nicht sonderlich entsetzt, er stellt es eher amüsiert fest. Er sagt, er habe der Pflegerin eine Falle gestellt und die Uhr herumliegen lassen, um zu prüfen, ob sie sie stehlen würde. Nun kann der alte Mann die Uhr nicht finden, also ist der Fall klar: Die Pflegerin hat sie geklaut.
«Ich weiss, dass sie es war», sagt er, auf dem Klavierhocker sitzend, dann macht er «hm», wirft in einer die Diskussion beendenden Geste die Arme nach oben und lächelt kurz. Nicht wie ein verbitterter Kauz. Sondern liebenswürdig und entwaffnend, mit dem bedeutungsvollen Subtext: «Ich bin dein Vater. Ich erzähle dir keinen Müll», oder, vielleicht treffender: «Du kennst mich doch.»
Eine der grössten Herausforderungen für Angehörige von Demenzkranken ist wohl die Verwandlung des Menschen, den man kennt, in einen anderen, fremden; es ist der Moment, in dem der Imperativ «Du kennst mich», die Kernaussage jeder engen zwischenmenschlichen Beziehung, sich auflöst. Der österreichische Schriftsteller Arno Geiger beobachtete einmal, wie lange es dauerte, bis er akzeptierte, dass sein Vater nicht nur alt, sondern auch krank war:
In der Früh zog er sich nur halb, verkehrt oder vierfach an, mittags schob er die Tiefkühlpizza mitsamt der Verpackung ins Rohr, und seine Socken deponierte er im Kühlschrank. Auch wenn wir das ganze Ausmass des Schreckens weiterhin nur langsam erfassten, war uns irgendwann doch klar, der Vater lässt sich nicht hängen, sondern leidet an Demenz. Jahrelang war mir dieser Gedanke nicht einmal gekommen, das Bild, das ich vom Vater gehabt hatte, war dieser Deutung im Weg gestanden. So absurd es klingt, aber ich hatte es ihm einfach nicht zugetraut.
Die Menschen, mit denen die Republik für diesen Beitrag gesprochen hat, bezeichnen Demenz wegen der Belastung für Familie, Freundinnen und Partner auch als «Krankheit der Angehörigen».
Welche Herausforderung das Thema Demenz mit sich bringt, wird dieses Jahr in mehreren prominent besetzten Kinofilmen verhandelt, darunter eben das oscarprämierte Drama «The Father», das heute (24. Juni) im Kino startet. Ein zweiter Film trägt den Namen «Supernova» und begleitet ein Paar um die sechzig (gespielt von Stanley Tucci und Colin Firth), bei dem einer der Partner an Demenz erkrankt. «Supernova», als Roadtrip ungleich kitschiger erzählt als «The Father», enthält einen bemerkenswerten Dialog, der das Dilemma der Veränderung des eigenen Selbst treffend zusammenfasst.
Zu diesem Dialog kommt es, als Tusker (Tucci), der an einer vergleichsweise früh auftretenden Form von Demenz erkrankt ist, mit seiner Schwägerin auf dem Sofa sitzt. «Du bist immer noch der Mann, in den Sam sich verliebt hat», sagt seine Schwägerin tröstend. Tusker gibt zurück: «Das bin ich nicht. Ich sehe nur so aus.»
Alzheimer ist die häufigste Form von Demenz
Weltweit leben geschätzt mehr als 50 Millionen Menschen mit Demenz, die Vereinigung Alzheimer’s Disease International geht allerdings davon aus, dass sich die Zahl alle 20 Jahre knapp verdoppeln wird. In der Schweiz seien etwa 150’000 Menschen demenzkrank, sagt Julius Popp, Leiter des Zentrums für Alterspsychiatrische Versorgung der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich. «Das ist nur eine Schätzung. 40 bis 50 Prozent der Betroffenen bekommen nie eine formelle Diagnose, obwohl wir eigentlich ein sehr gutes Gesundheitssystem haben.»
Ich habe Popp angerufen, weil ich zwar weiss, dass bei Demenz irgendwie das Gehirn kaputtgeht, aber nie sicher bin, wie genau das vor sich geht.
Demenz ist ein Oberbegriff für Krankheiten, die die Gehirnfunktion des Menschen beeinträchtigen. Weil es aber so viele verschiedene Arten der Krankheit gibt, die auch in Kombination auftreten können, spricht man eher von «Demenzen», also im Plural.
Die häufigste Demenzerkrankung ist die Alzheimerkrankheit, bei der es im Gehirn zu zwei typischen Veränderungen kommt: Eiweissablagerungen in Form von «Plaques» ausserhalb der Nervenzellen, die der Körper nicht mehr abbauen kann. In den Nervenzellen selbst kommt es bei Alzheimer zu Veränderungen des sogenannten Tau-Proteins. Im Zusammenspiel führen die Eiweissablagerungen und die veränderten Tau-Proteine dazu, dass die Nervenzelle abstirbt. (Wie das abläuft, zeigt ein sehr anschauliches Video der deutschen Alzheimer Forschung Initiative e. V.)
Julius Popp vergleicht die Eiweissablagerungen im Hirngewebe mit Altlasten, die das Gehirn nicht rechtzeitig entsorgt hat. «Sie sammeln sich an und wirken toxisch. Die Tau-Veränderungen breiten sich von Zelle zu Zelle aus und stecken so ganze Hirnregionen an.»
Was Demenz in der Praxis heissen kann, versuchen «Supernova» und «The Father» wahrheitsgetreu darzustellen. Während die Krankheit in der Nullerjahre-Schmonzette «The Notebook» noch dargestellt wurde, als würde bei der betroffenen Seniorin Allie innerhalb von fünf Minuten mehrmals ein Lichtschalter in ihrem Gehirn an- und ausgeknipst, bemühen sich die beiden neuen Filme um eine akkuratere Darstellung.
«The Father» gelingt das deutlich besser. Das liegt einerseits an Anthony Hopkins als Vater und Olivia Colman als Tochter und andererseits eindeutig am Drehbuch.
«Supernova» enthält zwar Dialogfetzen wie diesen hier: «Man soll eigentlich nicht um die Lebenden trauern.» So ein Satz bleibt natürlich hängen, und man fragt sich sofort, wie sich das anfühlt, wenn alle einen innerlich zu Grabe tragen. Andererseits ist es ein Satz, dem auch ein sehr guter Schauspieler wie Stanley Tucci kaum das Papiergefühl nehmen kann. Hinter so einem Hammer stellt man sich als Zuschauerin dann doch schnell vor, wie sich im writers room zwei Drehbuchautoren ein high five geben.
«The Father» dagegen wirkt deswegen so nachdrücklich, weil die Gespräche so realistisch sind. Vage (oder auch zu gut, je nach Zuschauerin) erinnert man sich, den einen oder anderen Dialog so oder so ähnlich auch schon erlebt zu haben. Bei den Oscars wurde neben dem Hauptdarsteller Anthony Hopkins auch Regisseur und Drehbuchautor Florian Zeller mit dem Preis für das beste adaptierte Drehbuch ausgezeichnet. Zeller, der vor dem Film auch schon das Theaterstück «Le Père» geschrieben hat, gibt seinem Alten beim Sprechen Zeit, die dieser hastig ausfüllt. Anthony wiederholt sich, während er sich sammelt, er stottert, wenn er seiner Tochter und sich selbst zu erklären versucht, was in seinem Kopf vorgeht. Das geht in der Umsetzung von Hopkins dann etwa so:
Ich bin besorgt, es ist sehr besorgniserregend, ähm ähm, ich verliere all meine Sachen, jeder bedient sich einfach, wenn das so weitergeht, ha, dann bin ich bald splitterfasernackt und ähm, ich werde bald die Uhr nicht mehr lesen können, bitte.
In so einem Kurzmonolog (und davon gibt es im Film viele) ist alles drin, Angst, ein Witz (der vielleicht doch eine reale Angst birgt), Anschuldigung, flehentlicher Hilferuf. Natürlich kann man das nicht so schön in, sagen wir, einen Republik-Titel packen wie die geschliffenen Dialogzeilen aus «Supernova». Aber wenn man beide Filme kurz hintereinander ansieht, bekommt man schnell den Eindruck: Der eine Regisseur zeigt einen Film über Demenz. Der andere zeigt das Leben mit ihr.
Tochter Anne kümmert sich in «The Father» um ihren Vater, so gut es ihr möglich ist, will verständlicherweise ihr eigenes Leben aber auch nicht seinem unterordnen: Eigentlich will sie nach Paris ziehen und dort mit einem neuen Mann an ihrer Seite leben, aber jedes Mal, wenn sie versucht, ihrem Vater das beizubringen, tut dieser die Idee als Nonsens ab («Die sprechen da nicht mal Englisch!»).
Was Olivia Colman ihrer Anne nie zugesteht, ist ein Zustand der Gewöhnung an die Situation. Jeder, der mal eine Pflegesituation in der Familie mitbekommen hat, weiss, dass das eine wahrheitsgetreue Darstellung eines der grössten Probleme ist: Man kann es nicht einfach so abschütteln. «Es», das sind die unberechenbaren, verletzenden Kommentare, die plötzlichen Momente der absoluten Hilflosigkeit der kranken oder alten Person.
Anne machen die stichelnden Bemerkungen (zum Beispiel wenn Anthony ihr vermittelt, sie sei gegenüber ihrer Schwester immer nur die zweitbeste Tochter) genauso zu schaffen wie ein seltenes ehrlich gemeintes «Danke» ihres Vaters; seine Charmeoffensive gegenüber der jungen Pflegerin wirft sie ebenso aus der Bahn wie Anthonys Kabbelei mit ihrem Ehemann, als der seinen dementen Schwiegervater anfährt (in einer sehr, sehr höflichen Übersetzung des Originalzitats): «Wie lange hast du vor, hier noch rumzuhängen und allen auf die Nerven zu gehen?»
Angehörige sind Mitbetroffene
Zwar ist Anthony (schon durch den Titel) der unbestrittene Protagonist, etwa wenn er mit hängenden Schultern in seinem Schlafanzug zu weinen beginnt, weil seine Tochter sich von ihm im Pflegeheim verabschiedet, um nach Paris zu gehen, und er hilflos fragt: «Und was ist mit mir?»
Aber Zeller schafft in seinem Film eine Ausgewogenheit zwischen Krankem und Pflegender, indem er Anne in diesem tragischen Kräftemessen viel Raum gibt. In einer einprägsamen Szene geht sie zu ihrem schlafenden Vater ins Zimmer und setzt sich an sein Bett. Sie, der gerade eben noch in der Küche die Tränen kamen, weil ihr Vater an diesem Tag wieder besonders hässlich zu ihr war, nimmt seinen ruhenden Kopf sanft in die Hände und blickt ihn liebevoll an.
Dann legt sie ihre Hände um seinen Hals und versucht ihn zu ersticken.
Es ist nur ein kurzer Tagtraum von Anne, die Zwangsgedanken eines erschöpften Menschen, der sich nicht mehr zu helfen weiss. Und es ist ein kurzer Einblick in das, worum es auch geht in einer Pflegesituation: Momente, in denen man als Angehöriger gerne aufgeben würde, über die aber kaum jemand spricht.
Julius Popp, der Zürcher Universitätsarzt, sagt, Angehörige seien immer auch Mitbetroffene. «Man dürfte sie gar nicht auslassen, wenn man von Betroffenen spricht. Wir wissen aus Studien, dass die Angehörigen nicht nur irgendwann erschöpft sind, sondern oft Angst- oder Depressionssymptome entwickeln und dann selbst behandlungsbedürftig werden.» Er sagt, das betreffe viele, 30 bis 50 Prozent. «Oft ist das den Angehörigen auch gar nicht bewusst. Viele fühlen sich selbst schuldig, sobald sie versuchen, sich auch nur ein bisschen zu schonen.»
Ich frage Popp, was Filme und Literatur, die sich mit Demenz auseinandersetzen, falsch machen. Er antwortet, was ihn besonders ärgere, sei, dass manchmal der Eindruck entstehe, man könne nichts tun: «Eine fatale Verkürzung. Das ist ein Mythos, der nicht stimmt. Man kann sowohl gegen Demenzen im Allgemeinen als auch gegen die Alzheimererkrankung im Besonderen sehr viel machen. Man kann sie noch nicht heilen, aber das ist nicht gleichzusetzen mit einem ‹Wir können nichts mehr für Sie tun›.»
Die Hoffnungslosigkeit hoffnungslos ausbuchstabiert
Ich denke, als Popp das sagt, an den Film «Supernova». Da findet Sam irgendwann heraus, dass sein demenzkranker Partner Tusker vorhat, sich das Leben zu nehmen. Sam bewahrt lange die Fassung und tut so, als wüsste er von nichts. Das Thema kommt dann aber doch auf, und zwar als die beiden beim Abendessen (ausgerechnet vor einem banalen Nudelauflauf) sitzen. Da erklärt Tusker mit tragender Stimme, er finde, es sei nicht fair gegenüber Sam, wenn er selbst immer seniler werde. Sam wird natürlich laut und ruft: «Es geht nicht um fair, es geht um Liebe! Ich will das bis zum Ende zusammen durchstehen, mit dir!»
Puh, denkt man sich da, jetzt wissen wir es auch, es geht um Liebe. Noch ein Grund, warum man bei «Supernova» nach dem Anschauen kaum Fragen hat. Die ganze Hoffnungslosigkeit wird hoffnungslos ausbuchstabiert.
Anders bei «The Father», wo es dem Regisseur durch eine Idee sehr gut gelingt, die Zuschauerin nicht nur zusehen, sondern teilhaben zu lassen. Die Verwirrung im Kopf des Protagonisten Anthony ist nämlich in die Struktur des Films eingeschrieben: Menschen, die Anthony nicht kennt (und die Zuschauer auch nicht), kommen und gehen. Auf einmal sitzt da ein fremder Mann die Zeitung lesend im Wohnzimmer; der Panik in Hopkins Gesicht schliesst sich der Zuschauer erschrocken an. Anthonys Tochter Anne wird, ein weiterer Trick, von zwei verschiedenen Schauspielerinnen gespielt – Olivia Williams (auch sie brillant) und eben Olivia Colman, erst am Ende erfährt man, wer nun die Tochter ist. Szenen und Gespräche werden wiederholt, dabei ist nie klar, welche nun genau so stattgefunden haben und welche sich nur in Anthonys Kopf abspielen.
Was übrigens weder in «The Father» noch in «Supernova» eine Rolle spielt, ist Geld. Die demenzkranken Menschen befinden sich in einem sowohl liebevollen als auch finanziell abgesicherten Familienverbund.
Dabei spielt es in der Realität natürlich eine gewaltige Rolle, wie immer.
Nicht alle Demenzkranken haben schicke Apartments
Die gemeinnützige Organisation «Alzheimer Schweiz» hat im Jahr 2019 in einer Studie die enormen Kosten untersuchen lassen, die Menschen mit Demenz tragen müssen, und dabei nach Krankheitsgraden und Wohnsituation (allein, zu Hause, im Heim) unterschieden. Am teuersten wird es für Menschen mit einer mittelschweren Demenz im Heim, bis zu 72’000 Franken kostet die Betreuung dann jährlich. Jemand, der mit einer mittelschweren Demenz zu Hause in Partnerschaft lebt, kommt laut der Studie im Schnitt auf 38’000 Franken jährlich (dabei sind die Unterschiede von Kanton zu Kanton enorm, die ganze Studie können Sie hier einsehen).
Laut der Organisation sparen Angehörige, die die Betreuung von erkrankten Menschen zu Hause übernehmen, dem Gesundheitssystem jährlich Kosten von rund 5,5 Milliarden Franken. Und wir reden hier von der Schweiz: 60 Prozent der Menschen mit Demenz leben in Ländern mit mittlerem oder geringem Durchschnittseinkommen (Tendenz steigend, wie dieses Schaubild zeigt).
Das ist das eine Defizit. Und das andere: Die Filme zeichnen Figuren im Hier und Jetzt, ohne tiefgehende Hinweise darauf, wie die Person früher, vor der Krankheit, war. In «Supernova» lernt der Zuschauer, dass Tusker irgendwann nicht mehr schreiben kann, das Lesen fällt ihm zunehmend schwer, er hat Probleme, sein Hipster-Granddad-Shirt zuzuknöpfen, aber sein Charakter scheint sich nicht gross zu verändern. Und weil er immer noch sehr süffisant mit seinem Partner Sam streiten kann, wirkt es manchmal, als habe hier jemand mit einer Schablone nur die Demenzsymptome ausgeschnitten, die sich visuell hübsch darstellen lassen. «Supernova» lässt einen am Ende, auch wegen seiner papiernen Protagonisten, doch merkwürdig unberührt. Dabei bemüht sich dieser Film doch auf den ersten Blick viel mehr ums Drama als «The Father».
Auch bei «The Father» erfährt man als Zuschauerin nicht, ob Anthony früher ein geduldiger oder ein ungeduldiger Mensch war; wie seine Beziehung zur Tochter vor seiner Krankheit aussah, ob es ihn schmerzt, dass er nicht mehr ausgehen kann, was er gerne gelesen hat, als es noch ging. Nur: In diesem Film ist das egal. Der ungewisse Tanz, den Colman und Hopkins als Tochter und Vater hier aufführen, ist einfach zu gut erzählt. Einmal sitzen die beiden beim Frühstück und machen Witze, weil Anthony noch im Schlafanzug dasitzt und gleich die Pflegerin kommt.
Anne: «Du solltest dich anziehen, bevor sie kommt.»
Anthony: «Wer?»
Anne: «Laura, die neue Pflegerin, die nette.»
Anthony: «Ach so, ja.»
Anne: «Wir ziehen dir gleich eine Weste an.»
Anthony: «Und eine Hose!»
Weder der Vater noch die Tochter lässt sich in diesem Moment fallen, sie trauen der Harmonie nicht. «Wie lange geht das noch gut?», zeichnet sich des Öfteren als Frage auf dem Gesicht von Anthony Hopkins ab. Und bei Olivia Colman, manchmal: «Wie lange geht das noch?»
Nie wird der Ausnahmezustand in Zellers Film benannt, und doch schwebt er über allem, von der ersten Kamerafahrt durchs Treppenhaus über Anthony mit hängenden Schultern in seinem Schlafanzug bis hin zu einer Szene, in der sich die Formel «Du kennst mich doch» schon lange endgültig aufgelöst hat; eine Szene, in der der eine gar niemanden mehr kennt und die andere zwar natürlich ihren Vater noch kennt – aber nicht mehr kann.
«The Father» macht sich die Mühe, die Last der Krankheit nicht anhand einer seltenen Variante zu illustrieren, sondern an der häufigen, «gewöhnlichen». Dadurch und durch die Feststellung, dass das, was gewöhnlich ist, nicht bedeutet, dass man sich daran gewöhnen muss, gewinnt der Film seine Kraft.
Florian Zeller (Regie): «The Father», UK 2020, 98 Minuten. Mit Anthony Hopkins, Olivia Colman, Kinostart in D-CH am 24. Juni 2021.
Harry Macqueen (Regie): «Supernova», UK 2020, 93 Minuten. Mit Colin Firth und Stanley Tucci, Kinostart in D-CH am 14. Oktober 2021.
Arno Geiger: «Der alte König in seinem Exil». Deutscher Taschenbuchverlag, München 2011. Ca. 18 Franken, 192 Seiten.
Hier finden Sie die Film- und Literaturliste von Alzheimer.ch, die sich an Betroffene und Angehörige gleichermassen richtet.