Ab ins Gym
Das Rahmenabkommen war kaum beerdigt, da verordneten Wirtschaftsverbände der Schweiz schon einhellig ein «Fitnessprogramm». Ein Warm-up für die kommenden Monate.
Von Olivia Kühni, 07.06.2021
Sie waren alle bereit, den Finger auf der Enter-Taste, und drückten sofort. Als der Bundesrat am Mittwoch, 26. Mai, offiziell das Ende der Verhandlungen um das Rahmenabkommen mit der EU verkündete, dauerte es nicht lange, bis die Wirtschaftsverbände ihre Stellungnahmen hinterherschickten. Auffallend daran war, dass fast alle das Gleiche sagten:
Schade um dieses Ende, der bilaterale Weg ist gut für die Schweiz. Und – und hier wird es interessant: Was die Schweiz jetzt braucht, ist ein wirtschaftsliberales «Fitnessprogramm».
«Reformen zur nachhaltigen Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz», nannte dies der Dachverband Economiesuisse. Der Verband der Maschinenindustrie, Swissmem, sprach von einem «internen Reformprogramm zur Sicherung der Arbeitsplätze am Standort Schweiz»; Swissmem-Präsident Martin Hirzel selber von einem jetzt benötigten «mutigen Reformpaket» im Inland.
«Vitalisierung des Binnenmarkts»
Hans-Ulrich Biglers Gewerbeverband wiederum war gar so eifrig, dass ihm der «Forderungskatalog» schon am 17. Mai entwischte, also über eine Woche bevor der Bundesrat auch öffentlich das Ende der Verhandlungen verkündete – durchaus zur Irritation der anderen Verbände. Inhaltlich aber legte Bigler vor und forderte eine «Vitalisierung des Binnenmarkts». Konkret:
eine «Regulierungskostenbremse» für das Parlament (für die Wirtschaft besonders teure Vorlagen sollen künftig für ein Ja im Parlament mehr Stimmen brauchen; ein entsprechender Entwurf aus dem Bundesrat ist gerade in der Vernehmlassung)
eine Anpassung des Arbeitsrechts an die Bedürfnisse des flexiblen Arbeitsmarkts
eine Anpassung der Leistungen der Sozialwerke (um die Lohnabgaben nicht noch mehr zu erhöhen)
Ein bisschen mehr Zeit als alle anderen liess sich Avenir-Suisse-Direktor Peter Grünenfelder. (Weil sein Wochenkommentar immer freitags und nicht mittwochs erscheint, meldete er sich zwei Tage nach dem Bundesrat.) Dafür war er noch etwas präziser. Vordringlich anzugehen sei die Re-Liberalisierung des Arbeitsmarkts. Die heutige Sozialpartnerschaft gelte es «zu überprüfen» – «indem nicht mehr Gewerkschaftsfunktionäre, sondern reale Repräsentanten der Arbeitnehmerschaft Einsitz nehmen».
Das ist ein ziemlicher Frontalangriff auf die Gewerkschaften. Auch die heutige Ausgestaltung der flankierenden Massnahmen muss man laut Grünenfelder kritisch hinterfragen, denn «diese verfälschen den Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt und verkommen immer mehr zu einem Deckmantel für Protektionismus und einem staatlichen Lohndiktat». Der Avenir-Suisse-Direktor fordert ausserdem ebenfalls eine Flexibilisierung des Arbeitsrechts.
Parmelin beschwichtigt – FDP doppelt nach
Nun sind diese Forderungen wenig spektakulär. Sie sind entweder so vage (wer hat schon etwas dagegen, zu «vitalisieren» und zu «reformieren»?), dass sie irrelevant sind. Oder so aus der Zeit gefallen (jetzt die Sozialpartnerschaft schwächen?), dass sie wenig Chancen auf Erfolg haben. Gleich wenige Tage später betonte denn auch Bundespräsident Guy Parmelin präventiv gegenüber der «NZZ am Sonntag»: «Nein, wir können nicht alles liberalisieren. In der Schweiz ist das Leben teuer, deshalb müssen wir dafür sorgen, dass die Löhne stabil sind. Sonst bekommen wir ein soziales Problem.»
Trotzdem ist der geschlossene Auftritt politisch hochinteressant. Nach Parmelins Interview doppelte nämlich dann am vergangenen Mittwoch FDP-Präsidentin Petra Gössi im «Tages-Anzeiger» nach. Sie gab fast haargenau die Forderungen der Verbände wieder: Ein «Fitnessprogramm» brauche es jetzt. Das heisst: «Der Sozialstaat darf nicht weiter ausgebaut werden. Wir müssen den Arbeitsmarkt flexibilisieren, das Arbeitsrecht der Zeit anpassen, das Unternehmertum fördern, indem Firmengründungen einfacher werden. Zudem brauchen wir höhere Kontingente für Fachkräfte aus Drittstaaten.»
Was hier passiert, das nennt sich Signaling, auf bürgerliche Art: Gössi zeigt, wo sie steht. Jenen Leuten in der eigenen Partei, die Gössis Engagement für das CO2-Gesetz für einen grossen Fehler hielten – und welche die FDP allgemein gern wieder kompromissloser wirtschaftsliberal sähen. Und auch der SVP, auf welche die FDP nach den nächsten Wahlen dringend angewiesen sein wird, um ihre zwei Sitze im Bundesrat zu retten.
Bleibt die Grundfrage, wie es am besten weitergehen soll mit der Schweiz in Europa – und genauso die innenpolitischen Richtungsfragen auf allerlei Feldern wie Klimakrise, öffentliche Infrastruktur, Landwirtschaft, Sozialwerke. Leider wird sich keine davon wegen ein paar flott koordinierter Fitnessaufrufe in Luft auflösen.