Gute Pestizide, schlechte Pestizide
Kann die Schweiz auf synthetische Pflanzenschutzmittel verzichten? Das fordert die Pestizidinitiative – und stösst eine hitzige Debatte zwischen Umweltschützerinnen, Bauernverbänden und Chemiekonzernen an.
Von Katharina Wecker, 30.04.2021
Wir schreiben das Jahr 2031. Vor zehn Jahren hat das Schweizer Stimmvolk die Initiative «Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide» überraschend angenommen.
Nach der Übergangsfrist haben die Landwirte erfolgreich auf ökologischen Pflanzenschutz umgestellt. Es fliegen und krabbeln wieder mehr Insekten über die Felder. Jeder Apfel, jedes Weizenkorn ist nun bio. Die Menschen müssen sich keine Gedanken mehr über gesundheitliche Auswirkungen von Pestizidrückständen im Grundwasser und in ihren Lebensmitteln machen. Die Initiative war ein voller Erfolg.
In einem Paralleluniversum, ebenfalls im Jahr 2031, ebenfalls zehn Jahre nachdem die Schweizer Stimmbevölkerung die Pestizidinitiative angenommen hat.
Nachdem synthetische Pestizide weggefallen waren, hatten die Landwirte keine effektiven Alternativen mehr, um Krankheiten wie Drahtwürmer in Kartoffeln oder Erdflöhe in Zuckerrüben zu bekämpfen. Immer wieder kommt es zu Ernteausfällen, vor allem bei Kartoffeln, Rüebli und verschiedenen Kohlsorten. Gemüse muss vermehrt importiert werden. Schweizer Landwirte können im internationalen Wettbewerb nicht mehr mithalten. Das Bauernhofsterben wird immer schlimmer. Die Annahme der Initiative war ein Desaster.
Welches dieser zwei Szenarien ist wahrscheinlicher?
Welche Konsequenzen hätte eine Annahme der Pestizidinitiative, die vom Bauernverband als «extrem» bezeichnet wird? Blüht der Schweiz das Ende der modernen Agrarwirtschaft? Oder würde das neue Gesetz die ökologische Nachhaltigkeit der Landwirtschaft sichern, wie die Initiantinnen versprechen?
Was sind die Argumente dafür und dagegen?
Zunächst mal: Worum geht es eigentlich? Die Pestizidinitiative, über die das Schweizer Stimmvolk am 13. Juni abstimmt, verlangt ein Verbot aller synthetisch-chemischen Pflanzenschutzmittel. Der Einsatz von Pestiziden, welche Moleküle enthalten, die es in der Natur nicht gibt, wäre ab 2031 untersagt. Landwirte dürften sie auf ihren Äckern nicht mehr versprühen; Privatpersonen müssten in ihren Gärten auf Bioalternativen ausweichen; die SBB müssten das Unkraut um ihre Gleise anderweitig entfernen. Selbst importierte Lebensmittel wären vom Verbot betroffen.
Inhaltlich überschneidet sich die Pestizidinitiative teilweise mit der Trinkwasserinitiative, über die ebenfalls am 13. Juni abgestimmt wird. Letztere will Pestizide aber nicht komplett verbieten, sondern ihren Einsatz über Subventionen steuern. Nur noch Landwirtinnen, die pestizidfrei produzieren, sollen dabei finanzielle Unterstützung vom Staat erhalten.
Die beiden Volksinitiativen sind mit dafür verantwortlich, dass sich rund um das Thema Pestizide eine hitzige Debatte entwickelt hat. Die Initianten werben mit dem Pestizidverbot für mehr Artenvielfalt, gesündere Lebensmittel und sauberes Trinkwasser. Jedes dritte Kind sei mit dem Herbizid Glyphosat belastet, schreiben sie auf ihrer Website – und sogar jedes Kind mit dem Insektizid Chlorpyrifos. Sie stellen sich klar auf den Standpunkt: Pestizide schaden der Gesundheit.
Die Agrarchemieriesen Syngenta und Bayer wiederum propagieren auf einer gemeinsamen Website und in diversen Social-Media-Kampagnen den Einsatz von Pestiziden. Ob es bald keine Paprikachips mehr gebe, fragen sie da beispielsweise. Auch der Schweizer Bauernverband engagiert sich gegen die «extremen Agrar-Initiativen». Die Gegnerinnen stellen in ihren Kampagnen vor allem die massiven ökonomischen Folgen ins Zentrum, welche ein Pestizidverbot ihrer Meinung nach hätte: Die einheimische Produktion würde sinken, die Importe im Gegenzug würden steigen und die Preise für Lebensmittel sich stark erhöhen.
Die Argumente sind bei den Gegnern wie auch bei den Befürworterinnen der Initiative oft sehr vereinfacht, schwarz und weiss. Und doch haben alle ein bisschen recht.
Wie schädlich sind Pestizide für Menschen?
«Pestizidrückstände auf Südtiroler Spielplätzen gefunden», titelt die NZZ.
«Pestizide im Trinkwasser: Soll man das noch trinken?», fragt die «Zeit».
«Pestizid-Cocktail in Schweizer Äpfeln», schreibt SRF.
Solche Überschriften können verunsichern. Natürlich möchte niemand seine Kinder beim Spielen Chemikalien aussetzen oder Spuren von Pestiziden in seinem Essen und seinem Getränk finden. Doch sind solche Rückstände überhaupt gesundheitsgefährdend?
In der Schweiz und in der EU gelten die strengsten Richtwerte für Pestizide weltweit. Die Höchstwerte für Rückstände in Lebensmitteln würden so festgelegt, dass dadurch keine gesundheitliche Gefahr für Menschen bestehe, schreibt das Bundesamt für Landwirtschaft in einem Bericht.
Damit ein Wirkstoff eine Zulassung erhält und als Pestizid verkauft werden darf, müssen die Anbieter umfangreiche Untersuchungen zur Giftigkeit und zum Rückstandsverhalten bei den Behörden vorlegen. Pestizidwirkstoffe gehörten damit zu den «chemischen Stoffen, die hinsichtlich möglicher Gefahren und Risiken für die Gesundheit am besten untersucht» seien, schreibt das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung, das ähnliche Vorgaben kennt, wie sie in der Schweiz gelten.
Unmittelbar stellen die synthetischen Stoffe für die menschliche Gesundheit also keine Gefahr dar. Doch was ist, wenn man den Pestiziden über Jahre und Jahrzehnte ausgesetzt ist? Drohen Langzeitfolgen?
Diese Frage lässt sich nur schwer beantworten. «Bestimmte Krankheiten auf einzelne Schadstoffe zurückzuführen, ist fast unmöglich», sagt Aurélie Berthet, die an der Unisanté in Lausanne zu Pestiziden und Gesundheit forscht. «Menschen sind vielen Schadstoffen ausgesetzt – nicht nur Pestiziden. Wie sich dieser Cocktail auf unsere Gesundheit auswirkt, wissen wir nicht.»
Um gesundheitliche Langzeitschäden zu untersuchen, bräuchten Forscherinnen zwei Vergleichsgruppen – idealerweise ein Dorf A, in dem ein fragliches Pestizid verwendet wird, und ein identisches Dorf B, in dem das Pestizid nicht eingesetzt wird. So könnten Wissenschaftler in Beobachtungsstudien Dorf A mit Dorf B vergleichen und untersuchen, ob das Pestizid für Erkrankungen verantwortlich ist oder nicht.
Das Problem: Solche perfekten Vergleichsdörfer gibt es nicht. Dorf B liegt vielleicht in der Nähe einer Autobahn mit höherer Luftverschmutzung. Verschiedene Faktoren können das Ergebnis beeinflussen.
Trotzdem gibt es Hinweise auf langfristige Gesundheitsgefahren. Vor allem bei Personengruppen, die über Jahre und Jahrzehnte regelmässig synthetischen Pestiziden ausgesetzt sind, wie etwa Landwirtinnen. Eine Meta-Analyse der schwedischen Örebro University hat gezeigt, dass Menschen, die beruflich mit Pestiziden in Kontakt kommen, eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, an Parkinson zu erkranken. In Frankreich ist Parkinson mittlerweile als Berufskrankheit für Landwirte anerkannt.
Aber nicht nur synthetische, sondern auch natürliche Pestizide, die vom verlangten Verbot nicht betroffen wären, können giftig sein. «Bio ist nicht per se gesund», sagt die Biologin Berthet. «Auch diese Wirkstoffe können Asthma oder andere gesundheitliche Reaktionen auslösen.» Schwefel könne in hoher Konzentration die Atemwege irritieren und Husten verursachen, Kupfer zu Nierenversagen oder neurologischen Problemen führen. «Die biologischen Wirkstoffe stellen zwar kein gesundheitliches Problem für die Bevölkerung dar, aber für die Landwirte schon», sagt Berthet. «Die Menge macht das Gift.»
Wie schädlich sind Pestizide für die Umwelt?
Schweizer Landwirtinnen versprühen pro Jahr bis zu 2000 Tonnen Pestizide, um ihre Ernte vor Insekten, Pilzen und Unkraut zu schützen. 299 zugelassene Wirkstoffe stehen ihnen dafür zur Verfügung, 50 davon sind auch in der Biolandwirtschaft erlaubt. Das Problem: Pestizide bleiben nicht nur auf den Feldern. Regenfälle können sie von den Äckern in benachbarte Biotope oder Gewässer schwemmen – und auch durch die Luft verteilen sich die Pflanzenschutzmittel.
Der intensive Einsatz von sogenannten Breitbandpestiziden führt dazu, dass die Pflanzenwelt verarmt. Herbizide bekämpfen Unkraut und andere Pflanzen, die auf dem Acker unerwünscht sind. Insektizide töten Schädlinge, Käfer und Würmer. Vögeln und Insekten, die in der Nähe von Feldern leben, wird die Nahrungsgrundlage entzogen.
Besonders umstritten sind sogenannte Neonicotinoide, eine Gruppe von Insektiziden, die das zentrale Nervensystem von Insekten angreifen, lähmen oder sogar zum Tod führen können. Nachdem ein Bericht der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit die Gefahr für Bienen und Hummeln 2018 bestätigt hatte, wurden die drei Neonicotinoide Imidacloprid, Clothianidin und Thiamethoxam in der EU und in der Schweiz für den Freilandeinsatz verboten. In Gewächshäusern dürfen sie weiterhin verwendet werden.
Wissenschaftler machen vor allem die intensive Landwirtschaft für den Rückgang der Insekten verantwortlich. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verschwand immer mehr Lebensraum der Insekten. Heckenlandschaften und Wildwiesen wurden in Monokulturen verwandelt. Zeitgleich setzten Bäuerinnen immer mehr Pestizide und Dünger ein. «Wenn Pestizide verwendet werden, müssen wir ihre Anwendung strikt auf die kultivierten Pflanzen beschränken und verhindern, dass die biologischen Chemikalien über die Luft oder den Regen in die umliegenden Gegenden und Naturgebiete gelangen», schreiben der Botaniker Peter Raven und der Biologe David Wagner im Fachblatt PNAS.
Pestizide wirken sich aber auch auf Mikroorganismen aus. Eine Studie von Agroscope, dem Kompetenzzentrum des Bundes für landwirtschaftliche Forschung, zeigte kürzlich, dass Pestizidrückstände in Böden weit verbreitet sind. Die Konzentrationen sind sehr niedrig und konnten nur mithilfe von empfindlichen Messgeräten gemessen werden. Dennoch legen die Ergebnisse nahe, dass Pestizidrückstände einen negativen Einfluss auf das Bodenökosystem haben.
Je mehr Pestizidspuren die Forscher fanden, desto weniger Mykorrhiza-Pilze waren in den Böden vorhanden. Das Pilzgeflecht wächst wie ein Spinnennetz um die Wurzeln einer Pflanze und versorgt sie mit Wasser und Nährstoffen aus dem Boden. Als Gegenleistung wandeln die Pflanzen Sonnenlicht in Zucker um und geben diesen an den Pilz weiter. Der Pilz und die Pflanze sind also voneinander abhängig und bilden eine Symbiose, eine Art Partnerschaft.
Biopestizide sind zwar natürlichen Ursprungs, aber deswegen nicht zwangsläufig weniger schädlich für die Natur. In hoher Konzentration werden sie zum Gift. Kupfer zum Beispiel ist ein essenzielles Spurenelement für Pflanzen, Tiere und Menschen, blockiert aber lebenswichtige Enzymreaktionen bei Pilzen.
Biolandwirtinnen verwenden deswegen Kupfer gegen Pilzkrankheiten bei Äpfeln, Kartoffeln und Weinreben. Wenn sich zu viel Kupfer im Boden anreichert, vertreibt es dort Regenwürmer und schadet Mikroorganismen. Darum gilt der Regenwurm auch als Indikator für Bodenfruchtbarkeit – je weniger davon herumkriechen, desto weniger fruchtbar ist der Boden.
Sowohl synthetische als auch Biopestizide können also für die Umwelt problematisch sein. Trotzdem ist sich die Wissenschaft einig, dass der Ökoanbau insgesamt besser für die Biodiversität ist. Denn auf konventionell bewirtschafteten Äckern bauen Landwirte meistens nur eine Kultur an, wie zum Beispiel Mais. Doch Monokulturen entziehen dem Boden immer die gleichen Nährstoffe – der Boden laugt aus. Im Bioanbau hingegen werden die Pflanzen, die auf einem Feld wachsen, meist variiert. Dadurch bleibt der Boden länger fruchtbar. Davon profitiert die Tierwelt. In der Schweiz müssen Landwirtinnen spätestens alle drei Jahre die Fruchtfolge ändern. Nur dann erhalten sie Direktzahlungen vom Staat. Biobauern variieren in der Regel jährlich die Kultur oder lassen das Feld brach liegen.
Auf biologisch bewirtschafteten Feldern leben etwa 35 Prozent mehr Feldvögel und 23 Prozent mehr blütenbestäubende Insekten, zeigt der Agrarwissenschaftler Jürn Sanders in einer grossen Studie. Die Pflanzenvielfalt fällt auf Biofeldern sogar um 86 Prozent höher aus als im konventionellen Landbau.
Können wir auf synthetische Pestizide verzichten?
Die Pestizidinitiative sieht eine Übergangsfrist von zehn Jahren vor, damit die Landwirtinnen und andere Pestizidnutzer auf Alternativen umstellen können. Das sei essenziell, sagt Stefan Brunner, Biobauer aus dem Berner Seeland. Man müsste umdenken: Neues lernen und experimentieren.
Brunner baut auf seinem Hof alles von Getreide über Wurzelgemüse bis Hülsenfrüchte an – seit über zehn Jahren ohne den Einsatz von synthetischen Pestiziden. Er wird für die Initiative stimmen. Brunner sagt, die Frage sei nicht, ob wir ohne chemische Pflanzenschutzmittel könnten. «Sondern ob wir wollen.»
Der Bauernhof wird mittlerweile in der sechsten Generation von der Familie Brunner geführt. 2010 hat Stefan Brunner den Betrieb von seinen Eltern übernommen. Er lebt dort mit seiner Frau, vier Kindern und seinen Grosseltern. Für seinen erfolgreichen biologischen Anbau macht er hauptsächlich sein Wissen über Böden verantwortlich.
Der Boden, die Erde mit ihren Mikroorganismen, brauche wie der menschliche Körper eine ausgewogene Ernährung, sagt Brunner. «Wir untersuchen den Boden, welche Nährstoffe da sind, und fügen dann die fehlenden Spurenelemente gezielt hinzu, um das Gleichgewicht wiederherzustellen.»
Im Unterschied zu den meisten konventionellen Bauern achtet Brunner darauf, dass seine Felder möglichst immer bewachsen sind. Er nutzt die Fotosynthese der Pflanzen, um den Boden zu nähren. «Wir tun das, was unsere Grosseltern auch schon getan haben», sagt er. «Ich verbinde die Technologie von heute mit dem Wissen von früher.»
Auch sein Kollege Jean-Denis Perrochet, Bioweinbauer am Neuenburgersee, arbeitet seit 2012 ohne synthetische Pflanzenschutzmittel, rein biologisch. Eine Herausforderung dabei sei Mehltau, sagt Perrochet – eine Pilzkrankheit, die die Rebstöcke befällt. Er behandelt befallene Pflanzen mit dem Biopestizid Kupfersulfat. Doch weil zu viel Kupfer im Boden umweltschädlich sein kann, versucht er es nun mit Kuhmilch.
Allerdings sei sein grösstes Problem nicht der Mehltau, sondern die Unkrautbekämpfung, sagt Perrochet. Am Jurafuss, wo sein Weingut «La Maison Carrée» liegt, ist es im Sommer warm, gleichzeitig fällt viel Regen – perfekte Bedingungen für Unkraut. Perrochet und seine Kollegen entfernen das Unkraut maschinell mit einem kleinen Traktor.
Damit die Maschinen aber reibungslos liefen, müsse man den richtigen Moment abpassen. Es darf nicht zu trocken und nicht zu nass sein. «Wir haben sandigen Boden, lehmigen Boden, steinigen Boden. Das erschwert die Arbeit», sagt Perrochet. «Der Wechsel von konventioneller Landwirtschaft zur pestizidfreien ist nicht immer einfach. Aber wenn man will, dann funktioniert sie auch ohne chemischen Pflanzenschutz.»
Fast jeder sechste Bauernhof in der Schweiz ist laut dem Dachverband Bio Suisse unterdessen ein Biobauernhof. Dort wird ohne den Einsatz von synthetischen Pestiziden gearbeitet. Allerdings funktioniert das nicht für den kompletten Gemüse- und Feldbau. Laut einer Studie von Agroscope wäre vor allem der Anbau von Zuckerrüben, Mais und Raps erschwert bis unmöglich. Auch bei Kartoffeln, Rüebli und verschiedenen Kohlsorten rechnen die Studienautorinnen mit teilweisen oder ganzen Ernteausfällen.
Forscher von Agroscope haben Hunderte Studien über biologische Landwirtschaft aus der ganzen Welt ausgewertet. Das Ergebnis: Biolandwirte ernten im Durchschnitt 15 Prozent weniger als ihre Kolleginnen, die konventionell arbeiten.
Die Gründe dafür sind vielfältig. Ohne synthetische Pestizide können Biobäuerinnen nicht so schnell und effektiv auf Krankheiten und andere Pflanzenschädlinge reagieren. Es ist schwieriger, mit organischen Düngern das richtige Timing zu finden, weil sie Nährstoffe langsamer abgeben als Kunstdünger. Zudem wurden bisher hauptsächlich Pflanzen für den konventionellen Anbau gezüchtet, die auf den Gebrauch von synthetischen Pestiziden und Kunstdünger abgestimmt sind.
Für den Bioanbau bräuchte es dagegen Sorten, die krankheits- und unkrautresistenter sind. Zudem eignen sich nicht alle Gegenden für den Bioanbau. In manchen Regionen hat man beispielsweise Probleme mit Bodenerosionen, da erlaubt die konventionelle Landwirtschaft mehr Möglichkeiten für bodenschonende Methoden.
Klar ist: Die komplette Umstellung der Landwirtschaft auf den biologischen Landbau kostet viel Geld und Zeit.
Das kleine Königreich Bhutan machte 2013 Schlagzeilen, als es ankündigte, das erste Bioland der Welt zu werden. Ursprünglich wollte das Land den Wandel innerhalb von zehn Jahren schaffen, mittlerweile hat die Regierung das Ziel auf 2030 gesetzt. Agrarwissenschaftler Arndt Feuerbacher von der Universität Hohenheim analysierte in einer Studie die potenziellen Auswirkungen dieser Umstellung auf die bhutanische Wirtschaft. Das Ergebnis: Die Ernte würde um knapp ein Viertel fallen, was sich negativ auf das Bruttoinlandprodukt auswirken würde. Allerdings könnten die Verluste durch die internationale Vermarktung der Bioprodukte wieder ausgeglichen werden.
Feuerbacher hat bei seiner Recherche über Bhutan auch gelernt, dass ein Verbot synthetischer Pestizide nicht automatisch aus allen Landwirten vorbildliche Biobauern macht. Denn wenn Landwirtinnen synthetische Pflanzenschutzmittel ersetzen, müssen sie erst lernen, welche biologischen Pestizide sie stattdessen verwenden können. Neue Maschinen zur manuellen Unkrautvernichtung müssen angeschafft und robustere Sorten gepflanzt werden. «Dafür ist eine hohe Eigenmotivation notwendig.»
Der Agrarwissenschaftler hält deswegen nichts von einem totalen Verbot. Man müsste stattdessen Anreize setzen, um den Wandel zu einer pestizidfreien Landwirtschaft attraktiver zu machen. Das könnten beispielsweise Subventionen für die Produktion von Biolebensmitteln sein – aber auch tiefere Mehrwertsteuern auf ökologische Produkte, um die Preise zu senken und so mehr Kunden zu gewinnen.
Und jetzt?
Bioprodukte sind, momentan zumindest, teurer als konventionell produziertes Gemüse und Obst. Weniger synthetischer Pflanzenschutz hätte sehr wahrscheinlich auch höhere Preise zur Folge. Wären die Konsumentinnen bereit, dafür tiefer in die Taschen zu greifen?
Sandra Helfenstein, Sprecherin des Schweizer Bauernverbands, zeigt sich wenig optimistisch. «Die Konsumenten geben in Umfragen an, dass sie mehr Umweltschutz und möglichst wenig Pflanzenschutzmittel wollen. Aber kaum stehen sie im Laden, schauen sie auf die Optik und auf den Preis. Dann ist alles vergessen», sagt sie. «Die Anforderungen an die Produkte sind streng. Bei uns können sie einen Apfel mit Pilzflecken nicht verkaufen.»
Die Konsumentinnen würden ausblenden, dass es für makellose Produkte Pestizide brauche, sagt auch Gemüsebauer Thomas Wyssa. Er baut verschiedene Salate, Zucchetto und Fenchel auf seinem Hof im Kanton Freiburg an. Nachhaltige Landwirtschaft ist ihm wichtig; die Pestizidinitiative lehnt er aber ab. Denn ganz ohne synthetische Pestizide könne er sein Gemüse nicht anbauen, sagt er.
Die Menschen sind seiner Meinung nach zu weit weg von der Lebensmittelproduktion. «Das Bauern-Bashing hat extrem zugenommen», sagt Wyssa. «Ich würde mir wünschen, dass man mehr mit uns spricht. Wir wollen niemanden vergiften, wir essen unser Gemüse schliesslich auch selbst.»
Wyssa hat, so sagt er selber, in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren seinen Pestizideinsatz immer stärker reduziert. Insgesamt verwenden konventionell arbeitende Bauern 40 Prozent weniger Pestizide als noch vor zehn Jahren. Momentan nimmt Wyssa an einem Modellprojekt teil, bei dem spezielle Maschinen die Pestizide nur auf den Blattsalat und andere gepflanzte Kulturen sprühen und nicht über den ganzen Acker. «So können wir bis zu 80 Prozent Pestizide einsparen», sagt er.
Das Projekt wird von Agroscope finanziert und ist Teil des «Aktionsplans zur Risikoreduktion und nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln», der 2017 vom Bundesrat verabschiedet wurde. Darin wurden Dutzende Wirkstoffe identifiziert, die als risikoreich gelten. Sie sollen so schnell wie möglich durch andere Produkte ersetzt werden.
Zudem sollen weitere Alternativen zu chemisch-synthetischem Pflanzenschutz gefördert werden. Der Plan stiess 2017 von allen Seiten auf viel Kritik. Umweltgruppen ging er nicht weit genug. Die Lobbygruppe der Chemiekonzerne fand, die Vorteile von Pestiziden seien unterschlagen worden. Und die Bauernverbände beklagten, dass nur die Landwirte im Fokus seien, aber nicht andere Bereiche, wo Pestizide ebenfalls eingesetzt würden.
Dieselben Akteurinnen führten auch heute wieder ähnliche Argumente gegen die Pestizidinitiative ins Feld. In der öffentlichen Debatte hat sich im vergangenen Jahr kaum etwas verändert. Immerhin: Die Schweiz diskutiert über Pestizide – und fragt sich, ob eine Landwirtschaft ohne synthetische Gifte möglich wäre. Hätte das ein Desaster zur Folge, wie Gegner der Initiative behaupten? Oder würde diese das Beste sein, was der Umwelt hierzulande je passiert wäre?
Die Antwort lautet: weder noch. Ein «Weiter so wie bisher» schadet den Insekten und der Artenvielfalt. Giftige Pestizide gefährden die Gesundheit der Landwirtinnen. Aber ein komplettes Verbot würde die Ernte einiger Sorten tatsächlich erschweren oder gar unmöglich machen und viele Landwirte ökonomisch empfindlich treffen oder gar ruinieren.
Unbestritten ist, darin sind sich die allermeisten Bäuerinnen und Forscher einig: Wenn weniger Pestizide – sowohl synthetische als auch biologische – auf den Feldern landen, dann ist das gut für die Gesundheit von Mensch und Umwelt. Wie, wie viel weniger und wie schnell – diese Fragen muss die Gesellschaft politisch aushandeln.