Einer Branche trocknen die Wurzeln aus
Die Probleme der Medienwelt verleiden nicht nur alten Hasen den Job: Immer weniger junge Menschen wollen überhaupt in den Journalismus einsteigen. Wie sich eine neue Krise anbahnt und was dagegen helfen könnte.
Von Ronja Beck, 29.04.2021
Im Leben jedes mehr oder weniger jungen Menschen stellt sich irgendwann die Frage: Was zur Hölle will ich eigentlich machen?
Eine Lehre als Köchin? Wirtschaft studieren? Auf Bali Bötchen an Touristen vermieten?
Es gibt viele Antworten auf diese Frage. Eine, die jungen Menschen immer seltener in den Sinn kommt: Journalismus.
Die Zahlen der Journalistenschulen sind alarmierend. Sowohl in der deutsch- als auch in der französischsprachigen Schweiz berichten sie von grossen Rückgängen bei den Anmeldungen. Grosse Medienhäuser wie Tamedia oder CH Media haben Mühe, neue Talente zu finden.
Journalismus ist für viele junge Menschen nicht mehr sexy. Das sagen Leute, die schon lange im Geschäft sind, wie auch junge Journalistinnen. Und während noch ein Aderlass beim Fachwissen beklagt wird, ist die nächste Krise bereits in der Mache: Den Medien geht der Nachwuchs flöten.
Soll ich mir das wirklich antun?
Die Journalismusschule MAZ berichtet, dass heute ein Viertel weniger Studierende die Diplomausbildung absolvieren als noch 2016. Beim Westschweizer Äquivalent, dem Centre de Formation au Journalisme et aux Médias (CFJM), sind es seit 2014 gar ein Drittel weniger. Und haben sich bei der Ringier-Journalistenschule vor zehn Jahren noch 270 Menschen beworben, waren es beim aktuellen Jahrgang gerade mal 100.
Ein Teil dieses Verlustes lasse sich mit veränderten Ausbildungskonzepten erklären, heisst es aus den Schulen. «Aber es ist klar, der Druck, der auf dem Beruf liegt, schlägt deutlich bei den Ausbildungsinstitutionen durch», sagt Hannes Britschgi, seit zehn Jahren Leiter der Ringier-Journalistenschule.
Einstellungsstopps, Massenentlassungen, «Synergien nutzen» – für viele junge Menschen klingt Journalismus so verlockend wie eine Stelle als Kellner in Pandemiezeiten. Die von steten Sparmassnahmen begleitete Branchenkrise macht einen Einstieg denkbar unattraktiv. Vor allem dann, wenn sich leicht andere Karrierewege auftun.
«Als ausgebildeter Jurist überlegst du dir heute dreimal, ob du in den Journalismus gehen willst oder nicht doch in die Advokatur, in die Verwaltung oder zu einer Bank», sagt Dominique Strebel, bis vor kurzem Co-Leiter der Diplomausbildung am MAZ und selber Jurist und Journalist. Die Löhne im Journalismus stagnieren, die Arbeitsbelastung steigt, Sicherheiten schwinden. Wer Alternativen hat, wäre dumm, diese nicht wenigstens zu prüfen.
Dann sind da die Sparmassnahmen der grossen Verlage, die auch vor den Jüngsten in den Redaktionen keinen Halt machen. «Wenn du als Medienunternehmen gerade 5 oder 10 Prozent der Belegschaft abbauen musst, hast du kein grosses Bedürfnis, neue, junge Leute zu rekrutieren», sagt Marc-Henri Jobin, Direktor des CFJM in Lausanne. «Am Ende passen wir uns als Schule diesen Verhältnissen an. Die Leute, die bei uns eine Ausbildung machen, sollen schliesslich eine Zukunft im Journalismus haben.»
Wer schaut zu den Jungen?
Zukunft ist das Wort der Stunde. Christian Mensch hat während fünf Jahren bei CH Media die Stagiaires bei ihrer zweijährigen Praxisausbildung begleitet. Er erzählt, wie sich immer weniger und schulisch immer schlechter qualifizierte Menschen auf einen Stage bewerben. Auch beim «Tages-Anzeiger» ist die Zahl der Bewerbungen auf ein Volontariat seit einigen Jahren rückläufig, wie Volontärbetreuerin Susanne Anderegg schreibt. Im vergangenen Jahr haben sich rund 50 Personen beworben, in früheren Jahren waren es jeweils über 100.
«Die Unternehmen sehen nicht, in was für ein Problem sie hineinsteuern», sagt Christian Mensch. «Die Branche ist so durchgeschüttelt, dass sie keine Aufmerksamkeit aufbringt, sich um den Nachwuchs zu kümmern. Um die Menschen, die doch in fünf bis zehn Jahren das brain der Publikationen sein sollten.»
Während die Medienhäuser mit dem brain drain kämpfen, weil gestandene Journalisten ihren Beruf an den Nagel hängen, verpassen sie es gleichzeitig, sich um den brain gain zu kümmern: um kompetente Journalistinnen, die nachrücken.
«Man hat in der Branche zu den Jungen nie sehr viel Sorge getragen», sagt Christian Mensch. «Aber die derzeitigen Entwicklungen verschlimmern die Lage noch mal. Gerade jetzt wäre Nachwuchsförderung so wichtig.»
Wer den Einstieg dennoch wagt
Trotz gestrichener Stellen und schwieriger Arbeitsbedingungen gibt es immer noch junge Menschen, die sich für den Beruf entscheiden. Ilir Pinto ist einer von ihnen. Der 27-Jährige hat ursprünglich eine kaufmännische Lehre gemacht und nach einem abgebrochenen Wirtschaftsstudium im Frühling mit der zweijährigen Diplomausbildung am MAZ begonnen. «In meinem ersten journalistischen Praktikum wusste ich nach einer Woche: Das ist es», erzählt er und klingt dabei euphorisch.
Ilir Pinto arbeitet beim «Zofinger Tagblatt» und ist sich der aktuellen Probleme in seinem Berufsfeld bewusst. «Einen gewissen Druck spüre ich bei der Arbeit. Und ein bisschen blende ich die Probleme auch aus.» Dennoch glaubt er, dass man seinen Platz schon finde, wenn man etwas richtig gerne mache.
Ähnlich wie Ilir Pinto geht es Sharleen Wüest. Die 20-Jährige studiert ebenfalls am MAZ und macht ein Stage bei CH Media. Sie spricht mit viel Begeisterung über den Job. «Ich mache ihn aus Überzeugung, weil er mir Spass macht. Dafür nehme ich gewisse Schwierigkeiten in Kauf.»
Wüest ist klar, dass ihr Alter und ihre derzeitigen Lebensumstände gewisse Abstriche zulassen: Unregelmässige Arbeitszeiten etwa und ein niedrigerer Lohn, verglichen mit einem Job in einer Kommunikationsabteilung, sind für sie derzeit keine triftigen Argumente gegen den Beruf der Journalistin. Sie sorge sich auch nicht um die Zukunft, sagt sie. «Vielleicht ist das etwas naiv, ich kenne die Branche ja noch nicht so gut. Aber ich sage mir: Ich mache das, wobei ich Leidenschaft verspüre und es nehme, wie es kommt.»
Nur: Vermag die Leidenschaft auf Dauer zu halten?
«Es gehört dazu, dass die Leute am Ende sind»
Es ist viel Frustration, die einem beim Gespräch mit zwei jungen Journalistinnen bei Tamedia entgegenschlägt. Die Frauen, die ihren Namen hier nicht lesen wollen, haben zu Beginn ihrer Karriere ähnlich gedacht wie die beiden MAZ-Studierenden. «Du hörst am Anfang viel und weisst, was es für Probleme gibt. Aber du erlebst sie noch nicht», erzählt eine der Frauen. «Bis du plötzlich selber in diesem Haifischbecken schwimmst und nach Luft schnappst.»
Die Journalistinnen haben sich für den Job entschieden, um relevanten Themen die Aufmerksamkeit zu geben, die sie verdienen. «Stattdessen muss ich mich mit Umstrukturierungen, Klickzahlen und Sexismus in der Branche rumschlagen. Für viele Journalistinnen ist das Arbeitsklima unerträglich geworden», sagt eine der Frauen. Die wachsenden Erwartungen von oben würden den Konkurrenzkampf in den Redaktionen befeuern. Der Druck sei immens. «Es gehört inzwischen dazu, dass die Leute am Ende sind», sagt die andere.
Die Journalistinnen sind mit viel Lust in ihre Karrieren gestartet. Doch die Lust ist in wenigen Jahren immer mehr der Ernüchterung gewichen. Die Unternehmensleitungen erwarten von ihnen, mit weniger Ressourcen mehr zu leisten. Gleichzeitig ist von interner Förderung keine Rede. Im Wissen, dass sich auf vielen Redaktionen in der Schweiz dieselben Szenarien abspielen, liegt der Gedanke eines Branchenwechsels nicht fern. «Noch ist der Leidensdruck nicht genug gross», sagt eine der Tamedia-Journalistinnen. «Noch nicht.»
Dann doch lieber in die Kommunikation
Es sind genau solche Erzählungen, die Marco Graf davon abgehalten haben, sich für seinen Kindheitstraum zu entscheiden. Der 22-Jährige macht an der ZHAW den Bachelor in Kommunikation. Nach drei Semestern hat er sich für Vertiefung Organisationskommunikation entschieden – und damit gegen die Vertiefung Journalismus. Und das, obwohl er lange Jahre hoffte, mal als Fernsehmoderator zu arbeiten.
«Viele Journalismus-Dozenten haben als Erstes von der Krise in der Branche gesprochen», sagt Graf. «Vertreterinnen aus der Kommunikation wirkten begeistert von ihrem Job. Die Journalisten hingegen eher ausgebrannt.» Als ihm dann auch noch die Kommunikationsmodule an der ZHAW besser gefielen, war der Entscheid gefällt.
Die Dozentinnen seien sehr offen mit den Problemen im Journalismus umgegangen, erzählt auch Sylvana Bucher. Auch sie hat sich an der ZHAW für Organisationskommunikation entschieden. «Wenn Journalismus nun meine absolute Leidenschaft wäre, hätte ichs gemacht. Egal, wie schlecht die Aussichten sind», sagt sie.
Wo wir wieder bei der Frage wären: Wie lange hätte die Leidenschaft gehalten?
Die Zahlen der Aussteiger geben kaum Zuversicht. Rund 350 Journalistinnen haben die Branche in den letzten fünf Jahren gewechselt, wie die Republik gerade aufgezeigt hat. Die Tendenz ist steigend – allein im laufenden Jahr haben über drei Dutzend Medienschaffende den Beruf verlassen.
Was macht es mit der vierten Gewalt, wenn immer mehr Medienschaffende der Branche den Rücken kehren? Wer steigt aus? Warum und wohin? Lesen Sie die Recherche «Jede Woche eine Journalistin weniger».
Diese Abgänge sind zu einer massiven Bedrohung für die Qualität der Medien angewachsen. Um diese abzuwenden, braucht es Zulauf. «Die Öffentlichkeit hat immer noch das Gefühl, es gebe zu wenige Stellen für viel zu viele Bewerber», sagt Stagiaire-Betreuer Christian Mensch. «Dass es immer schwieriger wird, gute Leute zu finden, wird kaum diskutiert.»
Was es braucht, um das Ruder herumzureissen
Das eine wirksame Antidot gegen die Nachwuchsprobleme gibt es nicht. Man muss an verschiedenen Punkten ansetzen, darin sind sich alle einig, mit denen die Republik gesprochen hat.
Einer ist die geplante Medienförderung des Bundes. Die Subventionen könnten etwas Druck von den Redaktionen nehmen. Doch noch ist man sich im Parlament nicht einig, welche Redaktionen Anspruch auf die Gelder haben sollen.
Ein unbestrittener Teil des Massnahmenpakets sind die Bundesgelder für die Schulen. Dass diese Finanzspritzen Entspannung bringen, lässt sich am MAZ bereits beobachten: Während die zweijährige Diplomausbildung, die viele Studierende ganz oder zu einem erheblichen Teil selbst bezahlen müssen, an Teilnehmenden verloren hat, verzeichnen die einjährigen Lehrgänge, die zu 80 Prozent vom Bund getragen werden, einen Zulauf.
Doch ob nun Bundesgelder auch in die Unternehmen fliessen oder nicht: Am Ende muss der Beruf seine Anziehungskraft zurückgewinnen, vor allem, wenn die Redaktionen diverser werden sollen. Wer ein schlecht bezahltes Praktikum nach dem anderen machen muss, um auch nur einen Fuss in die Branche zu bekommen, und das unter ständig wachsendem Druck, braucht eine Extraportion Zähigkeit – und ein Extrafach im Portemonnaie. Leidenschaft allein bewahrt talentierte junge Leute nicht davor, in eine existenzielle oder psychische Notlage zu kommen.
Die zwei Journalistinnen von Tamedia sagen, der Gedanke, dass es Journalismus in irgendeiner Form immer geben werde, habe sie in ihrer Berufswahl bestärkt. Damit sie im Beruf bleiben, müsste es jetzt nur noch eine Form sein, in der sie den Job wirklich gerne machen.