Eigentlich gibt es keinen Grund mehr, vor dem Zahnarzt Angst zu haben. Sagt unser Gesprächspartner – ein Zahnarzt.

«Ich finde es gut, wenns stinkt. Dann weiss ich: Hier muss was raus»

Schlechter Atem, braune Stummel, ängstliche Kunden: Warum bloss wird man Zahnarzt? Ein Gespräch über die Vorteile von Eiterbeulen und die Gefahr, während der Arbeit umgebracht zu werden. Und endlich die Antwort auf die Frage: Zahnseide oder nicht?

Von Ronja Beck, Carlos Hanimann (Text) und Randy Tischler (Bilder), 31.03.2021

Vielleicht kennen Sie das: Sie rutschen schwitzend auf einem unbequemen Stuhl herum. Die Luft ist kalt. An der Decke brennt ein Licht. Ein Mann mit Brille und Halbglatze betritt den Raum, krempelt die Ärmel hoch und wäscht sich die Hände.

Er fragt etwas, aber Sie verstehen nicht. Er sagt etwas, aber Sie hören nicht.

Sie sehen nur das spitze Besteck, das er neben Ihnen ausgebreitet hat und das nun gefährlich glitzert: Spiegel, Kratzer, Pinzetten, Zangen. Dann blendet er – in den Albträumen der meisten ist der Zahnarzt fälschlicher­weise noch immer ein Mann – Sie mit einer hellen Lampe. Sie öffnen den Mund. Und er stochert darin herum, bis Sie vor Schmerz zusammenzucken.

Der Zahnarzt, der Sadist.

Die meisten Menschen fürchten ihn. Eine zahnmedizinische Behandlung finden wir so nötig wie ein Plauder­stündchen mit einem Nazifolterer. In unseren Albträumen endet der Besuch beim Zahnarzt wie im Film «Marathon Man»: Wir bleiben erschöpft im Dunkeln liegen, während der Zahnarzt den Raum verlässt und sagt: «Er wusste nichts. Sonst hätte er es erzählt.»

Christoph Asper allerdings sagt: Heute gebe es keine Gründe mehr, sich vor der Zahn­behandlung zu fürchten. Unsere Angst stamme von schlechten Erfahrungen in der Kindheit.

Asper ist seit dreissig Jahren Zahnarzt an der Zürcher Langstrasse. In der Werbung verspricht er, uns allen «die Fresse zu polieren».

Wir treffen uns nach Feierabend zum Gespräch in seiner Praxis.

Herr Asper, auf dem Weg zu Ihnen haben wir über etwas geredet, das uns schwer schockiert hat: Der «Kassensturz» fand heraus, dass 57 Prozent der Wasser­proben in Zahnarzt­praxen verunreinigt waren. In jedem fünften Zahnarzt­stuhl, aus dem Wasser für die Mund­spülung kommt, fand man Legionellen. Ist es gefährlich, das Wasser bei Ihnen zu trinken?
Das Problem ist seit Jahrzehnten bekannt. Umso tragischer, dass es immer noch eines ist. Aber ich kann Sie beruhigen: Ich habe mein Wasser testen lassen. Es ist absolut keimfrei. Ich habe sogar ein Attest hier. Wollen Sie es sehen?

Schon gut, wir glauben Ihnen.
Es gibt tatsächlich Zahnarzt­praxen, da würde ich meinen Mund nie aufmachen. Aber das dürfen Sie nicht schreiben. In meinen Augen wird an vielen Orten nicht so sauber gearbeitet. Hygiene kostet enorm viel Geld und Zeit. Und wegen des Spülwassers: Man muss die Zahnarzt­stühle einfach jeden Abend mit Wasserstoff­peroxid durchsaugen. Und am nächsten Morgen früher da sein und ein Reinigungs­programm laufen lassen. Das kostet halt. Aber es ist keine Hexerei.

Der Zahnarzt Christoph Asper bezeichnet seine Arbeit als brandgefährlich.

Das Misstrauen gegenüber Zahnärzten ist sehr gross. Kaum jemand mag sie.
Ja, logo. Der Zahnarzt ist eine Hassfigur: Er macht einem weh, und dann muss man ihn auch noch dafür bezahlen.

Und er verdient so viel dabei.
Es geht eben, es geht! Ich zeig Ihnen mal ein paar Abrechnungen. Alles kleine Beträge.

Da! 1400 Franken!
Das war eine Wurzel­behandlung. Der Patient war dreimal hier. Ein tierischer Aufwand. So, und jetzt weg damit. Man sollte Journalisten nicht zu sehr trauen. Wollen Sie nicht wissen, wie viel die Wasser­analyse gekostet hat?

Bitte.
1600.

Uff. Wie viel Umsatz machen Sie?
Ganz ehrlich: Ich weiss nicht, wann ich das letzte Mal eine Rechnung über 4000 Franken verschickt habe. Das ist Monate her. Es stimmt eben nicht ganz, dass alle Zahnärzte so viel Geld verdienen. Die Zahnärzte, die ich kenne, haben ihren Job, zahlen ihr Haus ab, fahren irgendein Auto oder sogar gar keines.

Keinen Porsche?
Ich fahre Opel. Sehen Sie, das würde nie in der Zeitung stehen: Agglo­zahnarzt, der in Zürich arbeitet, kauft sich einen Occasion-Opel! Das ist nicht sexy.

Was verdient ein Zahnarzt?
Die meisten Zahn­ärztinnen arbeiten heutzutage in einem Zentrum, bei einer Kette – teils in Teilzeit – angestellt, und da können sie froh sein, wenn sie auf 100’000 Franken kommen. Als selbst­ständiger Zahnarzt, der seinen Investitions­kredit abbezahlt hat, können Sie 200’000 bis 300’000 Franken im Jahr verdienen. Gegen oben ist das natürlich offen.

Fazit: Sie verdienen ordentlich.
Man muss sehen, wir Zahnärzte machen harte körperliche Arbeit. Wir befinden uns permanent in einer komplett unnatürlichen Haltung. Wenn ich morgens aufstehe, fühle ich mich, als wäre ich am Abend zuvor durch die Prärie geritten. Und brandgefährlich ist die Arbeit auch noch. Nicht erst seit Corona.

Warum brandgefährlich?
Wegen der Infektions­gefahr. Mein Kopf steckt den ganzen Tag in der Höhle des Löwen. Es gibt kaum eine zahnärztliche Tätigkeit, bei der in der Mund­höhle kein Blut fliesst. Und das Wort Aerosol kenne ich seit dreissig Jahren, nicht erst seit Corona.

Trugen Sie schon immer Maske?
Ja, ich trug von Anfang an Hand­schuhe und Masken. Aber früher hatten sehr viele in der Zahn­medizin eine Hepatitis B.

Wie das?
Der Zahnarzt arbeitete ungeschützt von blosser Hand, machte einen blutigen Abdruck und gab den weiter: Mach mir bitte ein Gipsmodell! Von Hygiene keine Ahnung. Das kam erst später. Seither sind die Aufwendungen und Kosten für Hygiene extrem in die Höhe geschossen.

In der Zahnmedizin.
Ja. Der Hausarzt kauft sich ein Blutdruck­messgerät und manchmal noch ein Röntgen­gerät. Aber bis ich in meiner Praxis einen Bohrer schwingen konnte, musste ich eine Million als Kredit aufnehmen. Im Keller stehen ein Kompressor, eine Saug­maschine, Steig­leitungen, in einem Behandlungs­zimmer kosten das Mobiliar und das Instrumentarium schnell 200’000 Franken. Die ganze Sterilisation ist noch nicht mitgerechnet.

Hightech gehört dazu: Ein Zahnarzt braucht erst mal eine Million.
Das wirkt jetzt vielleicht spooky, ist aber einfach ein Hobby: Tierschädel.

Sie sind also nicht stinkreich geworden als Zahnarzt, der Job ist gefährlich, anstrengend, eklig. Warum wird man Zahnarzt?
Das habe ich eine junge Zahnärztin kürzlich auch gefragt. Sie sagte, sie hätte keine Lust gehabt, als Ärztin bis 40 der Tubel im Spital zu sein.

Und Sie?
Ich wollte eigentlich Tier­medizin studieren. Aber ich fing sehr spät an mit dem Studium. Zuerst arbeitete ich in Zürich ein paar Jahre als Hilfsarbeiter auf der Sihlpost, dann ging ich auf Reisen. Und Jahre später, ich war 26, kam dann die Frage, was ich jetzt tun sollte. Ich schrieb mich für ein Medizin­­studium ein und wurde Teil des Systems.

Warum wechselten Sie zur Zahnmedizin?
Ich merkte rasch: Die Hierarchie in den Spitälern ist nichts für mich. Karriere konnte ich eh nicht machen. Damals musste man sich dazu im Militär ein paar Stufen hochgearbeitet haben, das hatte ich nicht. Irgendwann lernte ich einen Zahnarzt kennen, schaute ihm ein paarmal zu und fand: Wow! Vorher hatte ich nur die blendende Lampe, die Löchlein an der Decke und den Schmerz im Mund gekannt.

Aber warum Sie Zahnarzt wurden, haben Sie noch nicht verraten.
Es ist ein sehr abwechslungs­reicher Beruf. Das Manuelle ist megaspannend und eine tägliche Heraus­forderung. Sie können etwas tun, nicht nur Rezepte schreiben.

Manche Patientinnen sagen: Lieber noch mal gebären als zum Zahnarzt.
Ich hatte kürzlich eine 90-Jährige hier, die sagte: «Wissen Sie, ich habe mich als Kind so auf meinen ersten Besuch beim Zahnarzt gefreut. Und dann hat das so wehgetan.» Die hat heute noch Angst. Und ihre Tochter auch. Aber heutzutage gibt es eigentlich keinen Grund mehr, vor dem Zahnarzt Angst zu haben.

Sind Sie sicher?
Ja! Wenn früher ein Kind beim Zahnarzt weinte, verpasste ihm der Zahnarzt eine Ohrfeige. Der Ross­metzger – so nannten wir den Zahnarzt. Das war denen ziemlich egal, ob sie den Kindern Schmerzen zufügten oder nicht. Ich habe einen Kollegen, der ist im Appenzellischen aufgewachsen. Dort durfte der kantonal approbierte Zahnarzt in den 70er- und 80er-Jahren alles machen. Aber keine Spritze geben. Stellen Sie sich das vor! Das ist Folter. So etwas vergessen Sie nie.

Wie nehmen Sie einem Patienten die Angst?
Indem ich ganz ruhig erkläre, was ich machen muss, was nicht so gut ist und was gar nicht so schlimm ist an seinen Zähnen. Und mit einer schmerz­freien Behandlung.

Sie haben keine Türen in Ihrer Praxis.
Das ist fürs Gefühl der Patientinnen: Ohne Tür können sie jederzeit abhauen. Und dann hat es vor allem mit Hygiene zu tun: Je weniger Klinken, desto weniger Kreuz­kontamination. Ausserdem ist mir wichtig – speziell hier an der Langstrasse – zu hören, was am Empfang vorne los ist.

Man möchte nicht alles sehen, was Herr Asper so zu sehen kriegt.

Haben Sie selber manchmal Angst bei Ihrer Arbeit?
Vor den Patienten eigentlich nicht, vor den Junkies beispiels­weise hatte ich nie Angst. Aber wir haben einen Pfeffer­spray in der Praxis, für den Fall der Fälle.

Haben Sie ihn schon mal gebraucht?
Nein. Einer wollte mich zwar mal töten, aber das war nicht hier, sondern in der Psychiatrie.

Okay, erzählen Sie.
Einmal musste ich in der psychiatrischen Klinik Rheinau einem kleinen Männlein eine Füllung machen. Und als ich fertig war und mich umdrehte, bekam ich einen fürchterlichen Schlag auf den Hinterkopf. Die Dental­assistentin wollte er auch noch runterhacken, aber ich konnte ihn gerade noch festhalten. Später kam heraus, dass seine Mutter Ärztin war und er Frauen hasste. Die Zahnärztin, die ihn die Woche zuvor behandelt hatte, war wohl das Abbild seiner Mutter gewesen. Also sägte er, bevor ich kam, ein Stück aus seinem Bett raus und schmuggelte es im After ins Behandlungs­zimmer. Der hat so harmlos ausgesehen. Aber er war ein Spezialist im Analschmuggel.

Er hat das Metallteil also während der Behandlung aus seinem Hintern gezogen und Ihnen über den Kopf geschlagen?
Er muss es vorher in die Hosen­tasche gezügelt haben. Aber in der Psychi denkst du dir nicht viel, wenn einer die ganze Zeit nervös in der Hose rumnestelt. Ich musste mich ja auf die Zähne konzentrieren.

Themenwechsel: Soll man beim Zahnarzt die Augen schliessen oder offen lassen?
Ich verstehe nicht, warum es Leute gibt, die einen anstarren. Das stresst mich.

Wir lassen die Augen offen.
Wirklich? Die meisten Leute schliessen die Augen. Das gibt die besseren Behandlungen. Der Patient, der die Augen schliesst, entspannt sich. Und mich auch.

Warum stört es Sie, wenn ein Patient die Augen offen lässt?
Wer mich anschaut, traut mir nicht. Das ist meine Interpretation.

Wollten Sie nie woanders als an der Langstrasse arbeiten?
Ich hatte vorher verschiedene Praxen angeschaut, in der Enge oder im Banken­viertel. Aber ich habe schnell gemerkt: Da bin ich der Falsche.

Warum?
Die Leute dort wollen nicht einen, der sagt: «Das flicken wir ein wenig.» Die Patienten kommen und sagen: «Ich bin jetzt 50 und würde gerne meine Zähne sanieren.» Dabei gibt es nichts zum Sanieren. Aber die wollen halt ein paar schöne, weisse Krönlein. Nur bin ich dafür nicht der Typ.

Da würden Sie zum Schönheits­chirurgen.
Ja. Die flotte Karre, das schöne Eigenheim haben diese Leute schon. Aber im Mund blitzt noch das Amalgam. Und das sieht nach Loser aus.

Was halten Sie von Goldzähnen?
Das Beste!

Warum?
Besser sind natürlich gesunde Zähne. Aber gleich danach: Goldzähne, also Goldfüllungen. Gold ist ein Edelmetall. Das sieht auch nach zwanzig Jahren genau gleich aus. Ein Problem kriegen Sie nur, wenn Sie zudem eine Amalgam­füllung haben. Dann haben Sie eine Batterie im Mund.

Eine Batterie?
Ja, zwischen dem Gold- und dem Silberzahn fliesst Strom über den Speichel.

Wie fühlt sich das an?
Haben Sie schon mal eine Batterie abgeleckt?

Das muss sehr lange her sein.
Es fühlt sich immer noch gleich an. Wenn Sie so eine grosse Batterie ablecken, die man für alte Taschen­lampen benutzt, dann spüren Sie ein Kräuseln: zssss – ein merkwürdiges Gefühl. Aber heute ist das nicht mehr so aktuell, weil fast niemand mehr Amalgam­füllungen hat. Und Gold will in der Schweiz eben niemand, ausser Freaks und Hip-Hopper.

Warum?
Es ist zu bling-bling. In der Schweiz wollen die Leute so aussehen, als wären sie noch nie beim Zahnarzt gewesen.

Ein Wohlstands­phänomen?
Ja. Aber noch auf einem gesunden Niveau. In den USA müssen die Zähne weisser als weiss sein. Die Jungen kleben sich Veneers auf.

Veneers! Wir kennen es nur von Instagram. Klären Sie uns auf.
Ein Veneer ist eine rein ästhetische Geschichte: Ich entferne mit einem Diamanten ein wenig Oberfläche, mache einen Abdruck, und der Zahn­techniker fertigt eine dünne Zahn­schale aus Porzellan, die aufgeklebt wird. So kann man allen Zähnen die gleiche Farbe geben, dem Gebiss eine gleichmässige Form. Aber das ist ein ästhetischer Furz. Wenn jemand Veneers will, sage ich ihm: «Mache ich nicht.» Für ein Veneer muss man den Zahn zuerst kaputt machen.

Warum kaputt machen?
Wir machen nichts, ohne etwas zu zerstören: Wir schleifen den Zahn, wir ätzen ihn an. Wir machen immer etwas kaputt, wenn wir arbeiten. Wir Zahnärzte sind Zerstörer. Bevor wir etwas aufbauen können, müssen wir zuerst abreissen und Platz schaffen.

Was sind für Sie schöne Zähne?
Ein natürliches Gebiss. Eines, das ein paar Abstände hat, an manchen Stellen etwas eng ist. Ich finds völlig okay, wenn jemand mit einem Fehlbiss sich die Zähne machen lässt, weil er sonst mit 30 die Frontzähne verlieren würde oder sich wegen des Aussehens schämt. Aber pervers finde ich, dass heute alle aussehen wollen, als ob sie mit einem geklonten Pepsodent-Lächeln auf die Welt gekommen wären. Alles gerade und weiss.

Machen Sie gar keine ästhetische Zahnmedizin?
Es ist eine Frage des Abwägens: Wie viel muss ich abtragen, damit ich etwas Neues aufsetzen kann? Wir haben ja mal einen hippokratischen Eid geleistet. Ich erinnere mich zwar kaum mehr dran, aber es muss wohl so gewesen sein. «Primum nihil nocere» – als Allererstes sollen wir dem Patienten nicht schaden. Aber daran halten sich natürlich nicht alle. Denn an einer Krone verdient man mehr als an einer Füllung: 160 Franken für ein kleines Ecklein oder 1600 Franken für eine Krone – das macht einen Unterschied. So sind viele Zahnärzte reich geworden. Für eine Krone trägt man meist sehr viel gesunde Zahnsubstanz ab. Ich mache mich nicht beliebt, wenn ich das sage, aber für mich ist das Körperverletzung.

Dann stimmt das Vorurteil: Zahnärzte sind in erster Linie Verkäufer?
Nein, natürlich nicht.

Warum nicht?
Weil ich kein Verkäufer bin und viele andere auch nicht. Ich habe Mühe mit diesen Klischees. Als ich mit dem Studium begann, war das Klischee: Der Zahnarzt ist ein geldgieriger Sadist.

Genau. Bleiben wir bei den Klischees: Zahnärzte sind gescheiterte Mediziner, die keine richtigen Ärzte werden konnten.
Das ist ein Vorurteil über Zahnärzte?

Ja. Haben Sie das noch nie gehört?
Nein.

Hm.
Das meinen vermutlich die Ärzte. Aber meine Meinung über die Ärzte ist auch nicht die beste.

Wirklich?
Ein Beispiel: Wenn ich einem Patienten einen Zahn ziehen soll, er aber vom Arzt blutverdünnende Medikamente bekommt, muss ich das wissen. Könnte ja sein, dass der Patient bei Absetzung des Medikaments eine Thrombose macht und stirbt. Oder aber wir setzen es nicht ab, und er verblutet auf meinem Stuhl. Es gibt ganz viele Medikamente, die katastrophal sind für die Zähne.

Welche denn?
Psychopharmaka zum Beispiel. Alles, was den Mund austrocknet. Oder Osteoporose-Medikamente. Die können eine Kiefer­nekrose auslösen.

Eine Kiefernekrose?
Der Kiefer löst sich auf.

Was?
Ja, dann kann jeder chirurgische Eingriff am Kiefer in einem Desaster enden: Der Knochen stirbt ab, verfault quasi. Und nochmals zu den Ärzten: Die spritzen solche Medikamente manchmal, ohne die Patientin vorher zahn­ärztlich abklären zu lassen. Eine Katastrophe!

Müssen Zahnärzte schöne Zähne haben?
Sie geben sich in der Regel alle Mühe, dass ihre Zähne gut aussehen. Aber ich kann Ihnen sagen: Bei einem Zahnarzt­kongress wird das Dessert­buffet am schnellsten gestürmt.

«Es ist ein sehr abwechslungs­reicher Beruf. Das Manuelle ist megaspannend und eine tägliche Heraus­forderung. Sie können etwas tun, nicht nur Rezepte schreiben.»

Okay, Herr Asper, jetzt ein paar Ratgeber­fragen für unsere Leserinnen und Leser vor den Bildschirmen. Zähneputzen: dreimal zwei Minuten?
Besser zwei morgens und fünf abends.

Zahnseide oder nicht?
Zu schwierig. Die Leute machens nicht. Oder verletzen sich dabei. Besser Zahnstocher.

Benützen Sie jeden Tag Zahnseide?
Nein. Ich bin nicht so ein guter Zahnputzer.

Sie haben eine Interdentalbürste.
Tatsächlich. Aber auch die brauch ich nicht jeden Tag.

Nützen Aufhellungs­zahnpasten?
Ich würde sie nicht brauchen. Meistens sind sie zu aggressiv. Und nein, nützen tun sie meistens auch nicht.

Wie werden Zähne wieder weiss?
Gehen Sie zur Dental­hygienikerin, und lassen Sie sich bezüglich Home-Bleaching beraten.

Elektrische Zahnbürste oder manuell?
Ohne Evidenz: Ich finde die elektrischen völlig unnötig. Ausser Sie haben motorische Störungen. Oder müssen jemand anderem die Zähne putzen.

Apropos Evidenz: Die soll auch bei der Zahnseide fehlen.
Hm. Jetzt verrate ich natürlich einen Bildungs­mangel. Aus der Erfahrung kann ich sagen, dass sie nichts nützt, weil die Leute sie nicht brauchen. Wer sie regelmässig richtig benutzt, wird aber kaum noch Zahnprobleme haben. Aber ich kann mir fast nicht vorstellen, dass es keine Evidenz gibt.

Gemäss einer Meldung von Associated Press soll das aber so sein.
Wir haben ja die evidenz­basierte Wissenschaft, aber am Ende kocht trotzdem jeder Arzt nach seinem eigenen Rezept. Und es funktioniert zum grössten Teil auch. Zahnseide ist sicher besser als nichts. Das merken Sie spätestens, wenn das Basilikum­blatt mitkommt.

Sind die Zähne der Kinder heute eigentlich besser als früher?
Viel besser. Kinder, die in der Schweiz zur Schule gehen und zu Hause unterstützt werden, kriegen keine Karies mehr. Das ist der Verdienst der Schul­zahnklinik, der Zahn­vorsorge bei den Kindern.

Trotz des vielen Zuckers im Essen?
Ja. Karies entsteht durch Süsses und Bakterien im Mund, die daraus Säure produzieren. Es ist eigentlich die häufigste Infektions­krankheit der Welt. Aber sie ist vermeidbar. Wenn die Eltern aufpassen, den Löffel oder den Nuggi nicht ablecken, kann man die Übertragung vermeiden. Mir ist es trotz meines Desaster-Mundes auf jeden Fall gelungen.

Selbst im Keller stehen teure Gerätschaften rum, etwa diese Saugmaschine.
Neben seiner Tierschädelsammlung zeigt uns Herr Asper, wie viel Abfall in seiner Praxis täglich anfällt.

Was halten Sie davon, wenn man nach Ungarn fährt, um sich die Zähne zu machen?
Katastrophe. Und zwar nicht für mich. Sondern für die Patienten. Die kommen nachher zu mir und sagen, sie hätten überall Schmerzen. Sie können hier in ein Reisebüro gehen und sagen, Sie möchten sich in Ungarn die Zähne machen lassen. Und dann sagt jemand am Schalter: «Machen Sie den Mund auf», Sie kriegen einen Kosten­voranschlag, und ab nach Ungarn. Nach einer Woche sind Sie zurück. Aber das Problem ist: Der Mund ist ein biologisches System. Häufig wird in viel zu kurzer Zeit viel zu viel gemacht. Zähne sterben ab, es gibt Entzündungen. Klar sind Nachbehandlungen in der Schweiz möglich. Aber das ist ein Blödsinn.

Aber wenn jemand kein Geld hat, hier 18’000 Franken zahlen müsste und dort nur 5000 Franken?
Die Frage ist immer: Ist die Behandlung wirklich nötig? Wenns dann genau gleich gut gemacht wird wie hier: super.

Wie oft kommt das vor?
Selten. Ich habe hier manchmal Kosovaren, die aus den Ferien heimkommen. Machen sich dort eine Krone für 50 Euro, die hier 1600 kostet. Aber da könnten sie grad so gut eine Patronen­hülse nehmen und über den Zahn hauen. Der Dental­tourismus ist wirklich ein Problem. Auch aus Deutschland habe ich immer wieder Fälle von massiver Übertherapierung.

Wie sah der schlimmste Mund aus, in den Sie je geschaut haben?
Wie Kompost. Als Erstes fragte ich den Patienten: «Haben Sie eine Zahn­bürste?» Er sagte: «Ja, ich hatte mal eine, aber die wurde mir geklaut.» Der Mund war eine einzige Kloake. Oder die rumänische Prostituierte vom Sihlquai mit einer Mundfäule. Den Klassiker habe ich allerdings nicht selber gesehen: Da hat einer eine Total­prothese monatelang nicht rausgenommen. Der ging zum Zahnarzt, weil er oben Schmerzen hatte. Als sie die Prothese rausgenommen haben, kam der halbe Gaumen mit, und Würmer krochen in seinem Mund. Das ist eine sehr beliebte Geschichte.

Erfunden?
Ich habe die Geschichte am zahnärztlichen Institut gehört.

Haben Sie noch mehr Ekel­geschichten? Das lesen die Leute wahnsinnig gern.
Sehen Sie, da kommt mir meine Kindheit in Hongkong zugute. Die ersten acht Jahre meines Lebens hab ich dort verbracht. Meine Eltern sind nach der Handels­schule beide dorthin, um Englisch zu lernen. Wenn Sie als Kind ein paarmal am Fischmarkt von Aberdeen vorbeigehen mussten, dann lernen Sie, den Geruchs­sinn abzustellen. Sonst überleben Sie nicht.

Wer hat den schlimmsten Mundgeruch?
Zigarrenraucher. Aber solange man weiss, was stinkt, ist es nicht so schlimm. Schwieriger finde ich es, wenn ich den Geruch nicht kenne.

Warum?
Weil ich dann Angst bekomme, ich könnte etwas auflesen. Aber eigentlich finde ich es gut, wenns stinkt. Dann weiss ich: Hier muss was raus.

Echt jetzt?
Es gibt viele Zahnärzte, die finden es richtig geil, eine Eiterbeule aufzustechen, und dann (zieht kräftig Luft durch die Nase) kommt alles hoch. Denn man weiss, nach der Behandlung gehts dem Patienten wieder gut. Meine Dental­hygienikerin und ich, wir streiten uns manchmal darum. Sie können sich nicht vorstellen, wie grusig es in diesen Mäulern aussehen kann.

Und das finden Sie gut?
Nein. Geil find ich das! Es ist nicht so, dass ich Menschen mit Eiter­beulen sexy finde. Aber da merkt man: In diesem Tunnel geht es vorwärts.

Verstehen Sie, wie der Eindruck entsteht, dass Zahnärzte eine, sagen wir, leicht sadistische Veranlagung haben?
Moment! Ich quäle den Patienten nicht, ich helfe ihm. Nachher gehts ihm besser.

Sie mögen also die Herausforderung, nicht den Eiter?
Genau. Das Leiden eines Patienten bereitet mir keinen Spass. Aber was Sie verstehen müssen: Die Diagnostik ist relativ schwierig. Die Patienten kommen und sagen, unten schmerze ein Zahn. Dann taste und drücke ich und halte minus 80 Grad kaltes Trocken­eis an den Zahn, das tut natürlich weh. Aber dann sage ich: «Nein, das Problem ist der Zahn oben.» Darum sind Eiterbeulen super: Da weiss ich gleich, was das Problem ist.

Ist man als Zahnarzt einsam?
Man ist sehr einsam.

Warum?
Der Zahnarzt ist der Chef in der Praxis. Und der Chef steht immer exponiert in der Brandung oder ist – umgangs­sprachlich – das Arschloch. Auch bei der Arbeit ist man einsam. Ich rede normaler­weise einen ganzen Tag lang nicht so viel wie jetzt. Was dafür wunder­schön ist an meinem Beruf: Ich hab nur mit Frauen zu tun.

Warum ist das schön?
Frauen sind viel angenehmer. Mit Männern gibts sofort Konkurrenz­kampf, wer ist der Grösste, wer ist der Beste. Breitbeinige Ellbögler. Nein, Männer finde ich im Umgang miteinander schwierig. Übrigens, damit hier kein falscher Eindruck entsteht: Die alten, weissen Einzelkämpfer­männer, so Fossile, wie ich eines bin, die sind bei den Zahnärzten beziehungs­weise Zahn­ärztinnen am Aussterben. Es gibt inzwischen mehr weibliche als männliche Studien­abgänger in der Zahnmedizin.

«Was wunder­schön ist an meinem Beruf: Ich hab nur mit Frauen zu tun»: Herr Asper und sein Team.

Welche Drogen sind am schlimmsten für Zähne?
Heroin, Kokain, wenn häufig konsumiert, und generell alles, was die Schleim­häute austrocknet. Ich sehe es den Patienten an, wenn sie in der Jugend eine schwierige Zeit hatten. Wenn eine Bankerin oder ein Zahnarzt oder ein Journalist regelmässig kokst und seine Zähne putzt, ist es überhaupt kein Problem. Beim Kiffen gibt es keine Evidenz. Ein grosses Problem sind Energydrinks. Das erodiert alles. Ein Säurebad für die Zähne – mit oder ohne Zucker.

Cola Zero ist also auch schlecht?
Die Säure ist ein Problem. Und mit dem Zucker ist es noch schlimmer. Entscheidend ist der pH-Wert in Ihrer Mundhöhle. Wenn ein gewisser Wert unterschritten wird, gehts an die Zahnsubstanz.

Sie raten uns also von Cola Zero ab?
Das wäre etwas heuchlerisch. Ich trinke nämlich selber gerne Cola. Und zwar das mit Zucker. Für die Zähne ist die Häufigkeit entscheidend: Wenn Sie Schwarzwälder­torte mögen, essen Sie eine ganze Torte aufs Mal. Kein Problem. Aber wenn Sie am PC alle fünf Minuten ein Sugus essen, und das über Stunden, dann geht was ab in Ihrem Mund. Apropos Cola, ich hab Ihnen ja gar nichts zu trinken angeboten. Wollen Sie etwas trinken?

Nein, danke.
Wenigstens ein Wasser!

Kommt drauf an. Aus Ihrem Zahnarztstuhl?
Ich habe den Test bestanden. Wirklich. Ich kanns Ihnen zeigen.