«Entweder du machst den Witz, oder du bist der Witz»

Das Geld ist da, die Crew beisammen, der Druck wird dadurch nicht kleiner: Markus Somm will das Satireblatt «Nebelspalter» auf den rechten Weg bringen. Kann das gut gehen?

Ein Interview von Constantin Seibt (Text) und Dan Cermak (Bilder), 11.03.2021

Verstecken gilt nicht: Noch im März will Markus Somm mit dem neuen «Nebelspalter» live gehen.

Du gründest eine Firma in der Medien­branche. Soll man dir kondolieren oder gratulieren?
Das kann ich noch nicht sagen. Zurzeit … sicher noch gratulieren. Es ist grossartig, wenn etwas entsteht, plötzlich eine Redaktion da ist. Gleichzeitig ist es ein Schwanken zwischen Euphorie und Panik. Aber das kennt ihr auch.

Unser erster Business­plan lief über sieben Jahre. Statt über die üblichen fünf. Weil wir keine realistische Möglichkeit sahen, in fünf Jahren in die schwarzen Zahlen zu kommen.
(lacht) Ich hab vier Jahre.

Die Wahrscheinlichkeit zu scheitern ist enorm hoch. Warum tust du das?
Ich habe einen grossen Respekt vor dem Unter­nehmerischen. Bei der «Basler Zeitung» bin ich auf den Geschmack gekommen. Ich war gern Journalist, sehr gern Chefredaktor, aber dann bekam ich die Chance, mich zu beteiligen – und unter­nehmerisch tätig zu sein. Sicher nicht in dem Ausmass wie jetzt. Die BaZ war eine weit grössere Firma, mit sehr erfahrenen Leuten wie Christoph Blocher und Rolf Bollmann – es war kein Start-up.

Zur Person

Markus Somm ist einer der wenigen Journalisten in der Schweiz, deren Gesicht man kennt. Nicht in jedem Fall gern. Er ist auch einer der wenigen Journalisten, die nennens­werte Proteste auslösten.

Somm wurde 1965 in Wettingen im Kanton Aargau als Sohn des ABB-Chefs Edwin Somm geboren. Er studierte in München, Bielefeld, Zürich Geschichte und galt zu dieser Zeit als Trotzkist. Er ging in den Journalismus und schrieb im Inland-Team des «Tages-Anzeigers».

Nach einem Aufenthalt in den USA wandte er sich dezidiert nach rechts. Er wechselte zur «Weltwoche». Und wurde stellvertretender Chefredaktor.

2010 wurde er nach einem Verkauf der «Basler Zeitung» an den Financier Tito Tettamanti als deren Chefredaktor gerufen. Nicht zur Freude von Stadt und Redaktion – Somm hatte bereits ein Notfall­team für den Fall eines Streiks in der Hinterhand organisiert. Dazu kam es nicht. Aber zu einer Menge Protest­kündigungen. Und Ärger über Somms Leitartikel und seine Strategie, sämtliche Basler Skandale konsequent zu bewirtschaften – die tatsächlichen, die unbedeutenden sowie die inexistenten.

2014 gab es einen Eklat, als klar wurde, dass alle offiziellen Besitzer der BaZ nur Strohleute waren für den wahren Käufer: Christoph Blocher, den Industriellen und SVP-Chef. Kurz darauf wurden Somm und der Verlagschef Rolf Bollmann von Blocher als gleich­berechtigte Mitbesitzer beteiligt.

Somm blieb Chefredaktor der «Basler Zeitung» – bis diese 2018 vom Tamedia-Verlag gekauft wurde. 2019 holte Somm seinen Doktortitel nach – mit einer Dissertation über Brown, Boveri & Cie, die Firma, in der sein Vater Karriere gemacht hatte. Im Dezember 2020 wurde bekannt, dass Somm den «Nebelspalter» gekauft hatte – die älteste Satire­zeitung der Welt.

Somms Spezialität sind politische Kommentare und Kolumnen. (Zu Anfang entschieden links, später entschieden rechts.) Er gilt als unverschämt schneller Schreiber – laut Legende begab er sich im «Tages-Anzeiger» jeden Tag gegen sieben Uhr ohne eine Zeile Text in ein Café und schrieb dort seelenruhig bis zu drei Artikel. Trotzdem liest sich fast alles von ihm elegant.

Somm ist verheiratet und hat fünf Kinder.

Was fasziniert dich am neuen Job?
Gerade als Journalist ist es befreiend, unter­nehmerisch zu denken. Deine Unabhängigkeit hängt ja nicht zuletzt davon ab, ob du in der Lage bist, rentabel zu sein. Als wir die BaZ übernahmen, hatte sie 30 Millionen Defizit, war ein Sanierungs­fall, dazu hat es wegen der neuen politischen Richtung grausam gerumpelt, wir kamen in eine fast tödliche Spirale zwischen Protest-Abbestellungen und Struktur­krise. Und trotzdem ist es uns gelungen, die Zeitung rentabel wieder aufzustellen. Die Linken glauben uns bis heute nicht, dass wir Geld verdient haben.

Wie? Immerhin hat sich die Auflage fast halbiert.
Die Antwort ist: gutes Management. Wir haben überall viel gemacht, bei den Ausgaben, den Einnahmen, der Preiserhöhung, im Werbemarkt – vor allem mit einem rigiden Kosten­management. Unser Verlagschef Rolf Bollmann kam ja von Tamedia, teilweise hat er sogar disziplinierter Kosten überwacht als in Zürich. Doch es ist klar: Du kannst nicht ewig Kosten senken.

Wann genau schneidet man nicht mehr Fett weg, sondern die Blutbahnen?
Das geht noch lang – besonders bei Printmedien, die noch in den lukrativen Zeiten aufgestellt wurden. Aber das ging ja bei euch auch so. Anfangs wart ihr zu grosszügig. Grundsätzlich gilt: Im Journalismus kannst du mit wenigen Leuten erstaunlich viel erreichen. Nimm etwa die NZZ. Als sie im Ersten Weltkrieg ihren inter­nationalen Aufstieg fertigbrachte, weil sie als einzige deutsch­sprachige Zeitung neutral war? Und plötzlich in Deutschland und Österreich wichtig wurde? Wie viele Fest­angestellte arbeiteten damals auf der Redaktion?

Dreissig?
Drei.

Drei? Teufel!
Heute geht es wieder zurück zu kleineren Redaktionen.

Wo hast du dich verändert als Unternehmer?
Ich hab ein anderes Verständnis für private Wirtschaft. Wenn du weisst, es ist mein Geld – das prägt. Du denkst: Muss das wirklich sein? Du machst viel Unsinn nicht mehr. Als Angestellter hat mich das nie interessiert. Da hab ich ohne weitere Gedanken Spesen gemacht.

Das heisst: Du bist geiziger geworden.
Nein, kreativer. Das hat Christoph Blocher immer gesagt: Sparen macht erst richtig kreativ. Du musst dir überlegen: Ist der Journalist, den du einstellen willst, wirklich so gut? Du wirst überall vorsichtiger, aber auch selbst­bewusster – du hast mehr Wucht, wenn du Politiker kritisierst, weil du selber im Risiko bist. Das heisst noch überhaupt nicht, dass du auch Erfolg hast. Das Entscheidende ist das Gespür, dass du jederzeit scheitern kannst. Das habe ich jetzt. Und das kennt ihr auch.

Ist das nicht auch eine Gefahr? Das Unter­nehmerische wird interessanter als der Journalismus. Und du hast keine Lust mehr, bis zum Ende deiner Tage Deutsch­aufsätze zu schreiben.
Das kann sein, ist aber bis jetzt nicht passiert. Es war ja ein bewusster Entscheid, im Journalismus zu bleiben. Nach dem Verkauf der «Basler Zeitung» habe ich mir lange überlegt: Wars das? Denn die Jahre dort als Chefredaktor waren etwas vom Besten. Ich überlegte: Soll ich in die Beratung? Wie die anderen Ex-Chefredaktoren? Am Ende schien mir Publizistik interessanter.

Aber warum mit einem Hoch­risiko­projekt?
Ich war meine ganze Karriere lang ein eingefleischter Print­journalist. Das Internet hat mich nie interessiert. Aber dann flog ich in die USA und schrieb in Harvard eine Forschungs­arbeit über digitale Medien. Und es ist schon eindrücklich, wie die Branche sich Richtung Digitales verschoben hat. Also war meine Frage: Willst du als Print­journalist sterben? Und für Siebzig­jährige schreiben – und später für Neunzig­jährige? Oder willst du vielleicht wieder jemanden mit dreissig erreichen?

Was hat dich bei deinem Start-up bis jetzt überrascht?
Überrascht – wenig. Aber was schon interessant war: Kaum hast du einen Berg genommen, ist schon der nächste da – es hat etwas Ruheloses, eine Firma zu gründen. Zuerst das Konzept, dann fängst du an, Leute für den Verwaltungs­rat anzuwerben, Verbündete zu finden, dann kommt das ganze Fundraising, was ein Riesending ist, und darauf merkst du, dass eine Firmen­gründung rechtlich … läck, ist das kompliziert! Kaum ist das im Kasten, weisst du: Jetzt muss ich langsam eine Redaktion haben … Und das bleibt weiter so: Wir wollen diesen März noch live gehen. Es gibt keine Ruhe. Es gibt nie mehr Ruhe.

Ja. Man glaubt, man baut eine Firma – und baut eine Tretmühle.
Das war auch etwas, was mir Blocher immer gesagt hat. Aber klar, vorher, da denkst du: All das Manager-Gerede von vier Stunden Schlaf, so ein Rhabarber … Okay, ich schlafe mehr, aber es ist wirklich so: Es hört nicht mehr auf.

Wer ist dein wichtigster Diskussionspartner?
Momentan Christian Fehrlin. Ich habe keine Ahnung vom Digitalen. Christian Fehrlin schon. Er ist eine tolle Ergänzung: Inhaber, hat seine Software­firma selber aufgebaut, heute fünfundfünfzig Angestellte, er hat sieben oder acht Start-ups selber hochgezogen – kurz: Er ist nicht nur technologisch fit, er ist auch ein geborener Unter­nehmer. Auch das ist etwas, was ich nicht bin. Dazu baut er unsere Infra­struktur sehr preisgünstig – das Unternehmen ist so etwas wie ein Joint Venture geworden. Er ist auch der Geschäftsführer.

Was ist sein Job im Digitalen alles? Von der Social-Media-Strategie bis zur Entwicklung des Betriebssystems?
All das. Die ganzen Technologien hat er gebaut – sehr gut, meiner Meinung nach. Okay, ich kann das nicht abschliessend beurteilen – ich komme nicht draus. Ich weiss nur, wer seine Kunden sind – eine Menge bekannte Firmen und Banken –, ausserdem hat er auch Medien­plattformen gebaut.

Hattet ihr Vorbilder für euer Modell? Wir etwa haben uns damals den «De Correspondent» genau angesehen – was wir kopieren wollten und was nicht.
Was habt ihr nicht genommen?

Im Kern ist der «Correspondent» eine Sammlung von Blogs. Die Autoren schreiben Woche für Woche immer zum gleichen Thema: etwa Glück oder Nahost­politik. Ein ziemlich effizientes, leicht organisierbares Modell. Aber es langweilte uns. Wir wollten eine richtige Redaktion.
Und was habt ihr kopiert?

Zunächst die Idee des Crowdfundings. Und später vor allem das System, eine harte Paywall zu bauen – aber mit unendlich teilbaren Artikeln.
Gute Idee. Haben wir uns auch überlegt. Aber wir haben uns am Ende für ein reines Bezahl­modell entschieden.

Das «De Correspondent»-System löst dir einige Probleme. Erstens die Wirkung: Du kannst als Medium mit deinen Beiträgen an der politischen Debatte teilnehmen. Zweitens die Werbung: Das eigentliche Produkt – der Journalismus – ist auch dein zentraler Werbeträger.
Fehrlins Philosophie war von Anfang an: Wir wollen Journalismus verkaufen. Und er hat mich davon überzeugt. Fehrlin ist da puristisch – nichts gratis geben. Und wir sind dabei sehr ehrgeizig: Wir wollen auch einzelne Artikel verkaufen. Mit einem möglichst einfachen Zahlungsmodell.

Wow, da wärt ihr die Ersten, denen das gelingt: effizient einzelne Artikel verkaufen.
Wir werden sehen. Wie immer ist nichts in Stein gemeisselt. Was nicht funktioniert, kann man ändern.

Also – welche Vorbilder hattet ihr für euer Projekt?
Ehrlich gesagt eher publizistische. Das Geschäfts­modell hat sich mit Fehrlin sehr verändert. Anfangs wollten wir Reichweite bolzen, alles gratis, für die Werbung. Doch das wäre ein Massen­grab geworden. Die Konkurrenz wäre mörderisch gewesen: «Watson», «20 Minuten», «Blick». Ich bin froh, davon weg zu sein. Es hätte mir auch nicht entsprochen. Ich bin nicht mehrheits­fähig. Ich bin sehr gut in einer gewissen Nische. Ich könnte gar nicht für 90 Prozent aller Leute schreiben.

Wie wichtig wird bei euch Werbung?
Wir schätzen das Verhältnis von Abonnenten zu Werbung auf etwa siebzig zu dreissig. Die Werbung soll den Kunden aber nicht plagen. Der muss das Gefühl haben: Ich bin wohl. Deshalb: keine Bannerwerbung.

Bekommt ihr mit Bezahl­schranke überhaupt Werbung? In getäferten Salons finden sich nur selten Leuchtreklamen.
Wir bilden uns ein, dass wir ein Publikum anziehen können, das für gewisse Werbung hoch­interessant ist. Liberale Leute, viele mit Geld, fast alle in der Privatwirtschaft.

Unser grösster Denkfehler im Business­plan war: Wir waren viel zu optimistisch in Sachen Erneuerung. Das hätte uns fast den Kopf gekostet.
Mit Kreditkarte passiert das so nicht. Ausserdem verkaufen wir keine Jahres-, sondern Monats­abonnements.

Was ich hart finde: Ihr macht Online und Print.
Ja. Das ist hart.

Warum beides?
Es war, wie schon öfter gesagt, nicht meine Idee, den «Nebelspalter» zu kaufen. Sondern die von Rolf Bollmann, doch ich fand sie sofort bestechend.

Warum den «Nebelspalter»? Das ist mir bis heute schleierhaft.
Rolf war immer überzeugt: Du musst kombinieren. Du musst online gehen, klar, aber es hilft, wenn du auch einen Printtitel hast. Ob das stimmt, werden wir sehen. Aber ich sehe auch das Problem: Es gibt auch wieder Kosten. Sicher hat mir auch einen Streich gespielt, dass ich ein Historiker bin. Für Historiker ist der «Nebelspalter» eine Art General­bass der Schweizer Geschichte. Kein Ereignis ohne Karikatur im «Nebelspalter».

Was ich nicht verstanden habe: Okay, ihr habt 18’000 Abonnenten gekauft, ein Magazin und eine bekannte Marke. Doch vor allem kauft ihr damit auch brutal viel Komplexität. Ihr macht nicht nur Print und Online. Ihr macht nun auch zwei völlig verschiedene Produkte: ein Politik­portal und obendrauf das älteste Satire­magazin der Welt.
Ich weiss.

Und zwei Sachen machen Menschen zuverlässig sauer: Wenn du eine andere politische Meinung vertrittst. Oder einen schlechten Witz erzählst.
(lacht) Das Zweite ist fast noch schlimmer.

Bei einem vermurksten Essay denken viele Leute noch: Ich bin blöd. Das ist mir zu hoch. Aber wenn du bei einem Witz nicht lachst, ist das ein definitives Urteil.
Witze erzählen ist das weit grössere Risiko: Entweder du machst den Witz, oder du bist der Witz. Völlig einverstanden. Ich habe mich immer geweigert, eine Pappnase zu tragen. Nun will ich damit Geld verdienen.

Noch ein Problem. Wenn ich das richtig verstanden habe, seid ihr der Kontroverse nicht abgeneigt. Genauer: Ihr seid enttäuscht, wenn es nicht stinkt und knallt. Und der «Nebelspalter» ist das Gegenteil. Kein Wunder, liegt er in Hunderten von Arzt­praxen: Er ist ein Sedativum.
Ja. Aber das ist nicht die DNA des «Nebel­spalters». Ich finde zwar, die Redaktion hat in den letzten Jahren einen guten Job gemacht. Aber der «Nebel­spalter» ist seit den Siebziger­jahren langsam abgesunken – keine Ahnung, warum. Sicher, der «Nebelspalter» war früher auch keine Krawall­zeitung, aber deutlich kontroverser, die Leute wussten: Er hat Haltung.

Wie viele Abonnenten von den 18’000 könnt ihr halten?
Keine Ahnung. Bei so was macht man Szenarien: Best Case, Worst Case et cetera. Aber um klar zu sein: All die Risiken, die du aufgezählt hast, sehe ich auch. Und sie stimmen. Der «Nebelspalter»-Kauf war für mich immer ein Fotofinish. Dagegen sprach: 1. Ein Satire­magazin zu einer politischen Online­plattform umbauen – komisch. 2. Bleiben die Abonnenten? 3. Das Mehr an Komplexität. Für den Kauf sprach nur ein Argument, dafür das entscheidende: Es ist eine verdammt gute Marke. Und ich glaube, man hat im Netz einen Vorteil, wenn man mit einer alten Marke kommt. Republik war auch eine.

Meine Lieblings­arbeits­hypothese vor dem Start war: «Wir verteidigen aufs Energischste die Tradition, die wir soeben erfunden haben.» Wir handeln und sprechen so, als wären wir seit dreihundert Jahren auf dem Markt.
Genau. Republik klingt so, als gebe es euch schon seit Jahrtausenden. Römische Patina. Ich bin überzeugt, es macht den Unterschied zu «Watson» oder «Facts» – das sind alles Plastik­namen. Was ihr genommen habt, war ein Zeitungs­name, der schon im 19. Jahrhundert nicht neu war. Ein alter, schwerer Begriff. Dasselbe machten die Kinos in den Zwanziger­jahren, als sie noch nicht salonfähig waren – sie gaben sich klassische antike Namen: Apollo, Capitol etc. Das ist ein alter Trick. Die Banken bauen bis heute römische Säulen, damit man das Gefühl hat: Die gibt es schon ewig.

Irgendwoher muss man seine Glaub­würdigkeit nehmen.
Genau das hat mich gereizt am «Nebelspalter»: die Tradition. Wie gesagt: Ich bin da vielleicht zu sehr Historiker. Und ich weiss, alle erfahrenen Leute warnen: Du sollst dich nicht verlieben in eine Idee. Und das ist mir passiert. Aber gleichzeitig sehe ich auch eine enorme Chance – gerade weil der «Nebelspalter» diese Humor­tradition hat: Du kannst Leute finden, die gute Witze erzählen.

Das Problem ist: Du musst zwei Sachen sehr gut machen. Aber dich schon beim Start entscheiden: Was darf anfangs noch so lala sein, was muss vom ersten Tag an stimmen?
Das zu sagen, ist natürlich gefährlich … Aber es ist klar: Das Erste, was wir machen, ist die Online­plattform. Der Print läuft erst mal weiter wie zuvor. Das reduziert Komplexität und gibt uns Luft. Richtig gut müssen die neuen Sachen sein: zumindest einige der Texte oder der Podcasts. Sodass die Leute sagen: Das ist gar nicht so schlecht. Wir müssen nicht mit einem Big Bang anfangen, irgendeinem Coup.

Wie gross wird die Redaktion?
Ehrlich gesagt – das ist noch nicht ganz klar. Zwischen acht und zehn Leuten.

Wie schwierig war die Rekrutierung?
Einige leicht, andere zäh, mehrere nicht. Was durchaus ein Faktor war, wie wahrscheinlich bei euch: Ein Start-up klingt zuerst immer toll, die Leute sind begeistert – und dann fangen sie an nachzudenken … und wenn sie ein gewisses Alter haben, etwa vierzig, dann denken sie: Okay, der Somm hält vielleicht fünf Jahre durch, dann bin ich fünfundvierzig, wenn das Ding bankrott­geht. Dieses Argument verstehe ich sehr gut. Aber trotzdem ist mir aufgefallen, dass viele Journalisten risikoavers sind.

Was mich überrascht hat: Wir wollten uns eigentlich politisch breiter aufstellen … Doch wenn man etwa mit klugen «NZZ»-Leuten sprach, die unter dem Chefredaktor litten, konnte man das Entsetzen in ihren Augen sehen, dass sie plötzlich eine Alternative hatten. Nicht zuletzt fürchteten sie, aus dem eigenen Milieu verstossen zu werden. Damals merkte ich, wie stammes­gesellschaftlich Journalisten organisiert sind, die ich davor für eine lockere Bande gehalten hatte.
Ja, wir sind heute ziemlich tribalistisch unterwegs.

Eine Gefahr für ein politisches Medium ist genau die: zu viele Stammes­rituale. Ihre grösste Wirkung hatte die «Weltwoche» am Anfang, als sie geschillert hat. Aber dann kam das Problem: Du musst die Dosis steigern. Und irgendwann sind deine Botschaften kristallklar. Aber niemand interessiert sich mehr dafür, weil jeder schon weiss, was du sagen wirst.
Ich teile diese Einschätzung des Risikos. Doch das Interessante ist: Kommerziell ist es lukrativer, die Bubble zu bewirtschaften. Das tut ihr auch. Du hast das Dilemma: Du musst deine Kernleserschaft zufriedenstellen – und sicher nicht dadurch, dass du jeden Tag das Gegenteil von dem schreibst, was sie denken. Ihr könnt nicht jeden Tag schreiben: Atomkraft ist super. Klar könnt ihr das einmal machen, dann sagen alle: Sehr originell. Super! Da schreibt ein unabhängiger Kopf. Aber wenn die Republik das jede Woche macht, verliert sie schlicht ihre Verleger. Bei mir ist es dasselbe. Du kannst dir einen gewissen Pluralismus leisten, das finden die Leute auch lustig, aber wenn du übertreibst, bekommst du Applaus von den Leuten, die dich trotzdem nie abonnieren werden. Und verlierst die Leute, die dich gernhaben.

Da hast du recht, das ist die Rückkehr der Partei­presse. Oder genauer: der Stammespresse.
Ja, wir sind tribalistisch – aber das waren wir schon immer, da muss man ehrlich sein. Es ist ein Mythos, dass früher die Leute «NZZ» und «Tagi» lasen. Noch früher gab es freisinnige, katholische und SP-Blätter. Interessant finde ich, dass die freisinnige Presse als einzige überlebt hat. Sie hatte einen Standpunkt, klar, aber sie war objektiv genug, dass sie von allen gelesen werden konnte. Das ist die Kunst: Du hast ein Anliegen, aber es verhebt.

«Ich habe mich immer geweigert, eine Pappnase zu tragen», sagt Markus Somm …
… und fügt an: «Nun will ich damit Geld verdienen.»

Wagt es eigentlich jemand, der nicht rechts­bürgerlich ist, bei dir zu arbeiten? Nur wenige sind politisch so klar in einem Lager wie du. Eine Anstellung bei dir wird als Bekenntnis gewertet.
Das müsste es nicht … Aber es wird so gelesen. Ich hab das ja schon ein paarmal erlebt, bei der «Weltwoche», bei der «Basler Zeitung». Dabei: In Basel habe ich nie jemand aus politischen Gründen entlassen – ich habe viele entlassen, aber nie wegen ihrer politischen Überzeugung. Verschiedene Meinungen sind anstrengend – aber gut. Okay, ich weiss, ich bin der Chef, und das ist unangenehm, wegen der Schere im Kopf … Aber das ist eine der grossen Enttäuschungen in diesem Beruf, dass wir sehr tribalistisch geworden sind.

Wie divers stellst du dann die Redaktion zusammen?
Eine gute Mischung, es sind erfahrene Leute, weit über fünfzig – nicht um die vierzig – und dazu ganz junge, blutige Anfänger. Bei denen interessiert mich nicht, was ihre Erfahrung ist, was ihre Ausbildung ist – dass fast nur noch Akademiker angestellt werden, halte ich für ein Riesen­problem in unserem Beruf.

Bei uns war das vielleicht ein Fehler: Wir stellten beim Start der Republik nur sehr gute Leute an, die alle viel zu verlieren hatten. Kein Wunder, hatte niemand richtig Spass.
Als Chef ist das fast das Schönste – Leute zum Wachsen zu bringen. Das passiert meist am Anfang einer Karriere oder am Schluss. Aber ich habe auch moralische Gründe. Niemand weiss, wo dieses Unternehmen in einem Jahr steht. Und ich habe viel weniger Skrupel, einem 25-Jährigen oder einem Profi mit anderen Stand­beinen zu sagen: Wir müssen uns trennen. Aber dasselbe einem 45-Jährigen mit zwei Kindern zu sagen, ist furchtbar brutal.

Eines der Haupt­probleme beim Start eines neuen Mediums ist die Grösse – bist du zu klein, bleibst du, egal was du machst, unter der Schwelle der Wahrnehmung. Bist du zu gross, versenkt dich der Kosten­block. Was ist die minimale Grösse?
Momentan glaube ich natürlich, die Idealgrösse ist die, die ich gerade habe: acht bis zehn Leute. Wegen des Kosten­blocks habe ich jetzt schon ein schlechtes Gewissen.

Wie gross ist die Produktion?
Vier bis fünf Artikel pro Tag. Wir schaffen das. So jedenfalls lautet meine Wette.

Ich meinte anderes. Eines der härtesten Probleme der ersten Monate war: Als schreibende Journalisten hatten wir den Aufwand für die Produktion sträflich unterschätzt. Was dazu führte, dass die ganze Redaktion heiss lief. Weil selbst an harmlosen Tagen der Abschluss bis Mitter­nacht dauerte.
Gut möglich, dass ich das auch unterschätze. Aber es ist verdammt schwierig vorherzusehen.

Was ist eigentlich das Kernprodukt?
Erstens: das Seriöse. Und dann kommt zweitens: die Satire. Das ist der grosse Schritt, vor dem ich durchaus Angst habe.

Und was verstehst du unter «das Seriöse»?
Politik. Schweizer Politik. Und dort vor allem drei Themen:

  1. Das Verhältnis zu Europa.

  2. Der Staat und seine Irrwege (Corona, Bildung, Migration). Dazu alles, was Liberale interessiert: Steuern rauf, Steuern runter, die Sozialwerke – die Klassiker. Und schliesslich die Verwaltung. Denn die Verwaltung ist der moderne Klerus. Als Historiker bin ich überzeugt: Wir leben erneut im Jahr 1510: Martin Luther reist nach Rom und sieht die Dekadenz des katholischen Apparats. Und dieser sagte dasselbe wie die Beamten heute: Du sollst besser und anders leben. Und davon leben sie selbst sehr gut. Die Verwaltung würde ich gern mehr auseinandernehmen.

  3. Klima- und Energiepolitik. Denn der Klima­wandel ist durchaus ein Problem. Wir brauchen eine bürgerliche Antwort auf die grüne Herausforderung.

Über diese Themen hast du bereits dein halbes Leben geschrieben. Langweilt das nicht irgendwann?
Gute Frage. Ich bin hier ambivalent. Ich hab mich das auch gefragt: Willst du nochmals fünfzehn Jahre über die EU schreiben? Und ich weiss: Meine Positionen werden sich nicht mehr gross ändern. Okay, im Detail. Aber nicht mehr grundsätzlich. Ich frage mich: Huere Siech, willst du das noch? Und dann sag ich mir: Doch es interessiert mich noch. Ich reg mich immer noch auf. Das Schöne an der Welt ist ja: Sie verändert sich, ohne dass man etwas tut. Seit Jahren hat man uns vor einer Pandemie gewarnt. Wer hätte gedacht, dass sie wirklich kommt?

Das war tatsächlich überraschend.
Dann interessiert mich noch was anderes: Die Ära Blocher hat von Anfang bis heute mein journalistisches Leben begleitet. Anfangs, beim «Tages-Anzeiger», war ich total gegen Blocher, später war ich ihm sehr nahe. Dazu hat die Ära Blocher mich auch als Historiker fasziniert – deshalb habe ich auch ein dickes Buch darüber geschrieben.

Und jetzt?
Blocher hat sich weitgehend zurück­gezogen, seine Zeit neigt sich dem Ende zu. Also: Bleibt es für uns Journalisten lustig? Bleibt es interessant? Wie bei Trump gibt es bereits Entzugs­erscheinungen in den Medien – niemand sonst bewegt nur halb so heftig die Leidenschaften. Bei uns wird es noch viel krasser: Denn Blocher war wirklich eine historische Figur. Und das «Nebelspalter»-Projekt hat genau damit zu tun: Ich glaube, das bürgerliche Lager wird sich in den nächsten zehn Jahren völlig neu formieren. Und da will ich dabei sein.

Wie geht es eigentlich dem bürgerlichen Lager?
Im Moment geht es allen schlecht, auch den Linken. Weil so ein Riesen­magnet weg ist – seit dem EWR haben sich alle politischen Kräfte wie Metallspäne nach Christoph Blocher ausgerichtet – negativ oder positiv. Und jetzt müssen alle sich neu ausrichten. Bei der SVP ist es einfach: Sie hat ein Riesen-Nachfolgeproblem.

Liegt die SVP deshalb gegen die Operation Libero bei Abstimmungen 1:6 hinten?
Die Liberos sind ja auch in der Krise. Der Gegner ist weg. Ebenso fällt die Wirtschaft auseinander. Es ist schon ironisch: Blochers Druck hat auch die Economiesuisse geeint.

Ist das wirklich alles Blochers Schuld? Es gibt ja auch unabhängig von ihm Entwicklungen: Die Klima­jugend etwa fordert Verzicht, das Zeitalter der Wirtschaft als Religion verblasst – niemand in der Politik hofft noch auf die Rezepte der Privat­wirtschaft. Und alte weisse Männer haben als Ratgeber nicht gerade die besten Karten.
Das auch.

Kein Wunder, ist Erfahrung plötzlich viel weniger wert. Interessieren sich deshalb so viele reiche Unter­nehmer für Politik? Weil niemand mehr ihre Geschichten hören will?
Da bin ich mir nicht sicher. Mir ist etwas wahnsinnig aufgefallen beim Fundraising – ich habe so viele gute Leute kennengelernt, reiche, erfolgreiche Leute, Unternehmer, Manager … mit wirklich faszinierenden Lebens­läufen. Heute würde ich als 25-Jähriger nicht mehr in den Journalismus – ich würde sofort im Journalismus ein Unter­nehmen gründen. Die Unternehmens­führung ist so etwas Kreatives, so was Schönes – es ist ein Skandal, dass die jungen Leute das nicht kennen. Dabei wäre das unser Hollywood­stoff. Denn die Schweiz ist nicht das Land der grossen Intellektuellen oder Schrift­steller, wir haben keine Komponisten, wir sind auch nicht das Land der Politiker, Staats­männer, Generäle – wir sind das Land der Unternehmer.

Was mir aufgefallen ist: Liberale sind miserabel in Propaganda. Die Schweiz ist vielleicht das Land der Unter­nehmer, aber nicht das Land der Unternehmenserzählungen.
Warum das?

Ich weiss auch nicht. Meine einzige These ist: Sie haben keine Chance dazu. Fallen sie auf die Schnauze – haben sie als Versager zu schweigen. Haben sie Erfolg – wäre es ein schwerer Fauxpas, sich damit zu brüsten. Resultat: Wer eine Firma aufmacht, verschwindet wie bei einem schwarzen Loch für ewig hinter dem Ereignishorizont.
Ich glaube: Das liegt nicht an denen, die im schwarzen Loch hocken. Es liegt an den Astronomen. An uns. Nicht zuletzt wegen Ideologie. Lies das Buch «Mind vs. Money» von Alan Kahan, einem amerikanischen Historiker, der in Paris lehrt: Die Intellektuellen der letzten zweihundert Jahre waren alle gegen den Kapitalismus. Nimm etwa Thomas Manns «Buddenbrooks» – wie antikapitalistisch dieses Buch ist! Unternehmer sind ausnahmslos moralisch zweifelhaft, unfähig oder schlicht böse. Kurz: Es liegt an uns.

Zum Beispiel an dir? Du gründest ein liberales Medium – und setzt als Themen: EU-Kritik, Beamten­kritik, Politik­kritik. Wäre es nicht förderlicher, die Unternehmens-Hollywood-Geschichten zu erzählen?
Das hab ich schon vor. Deshalb hab ich vorher vom Fundraising erzählt. Unternehmen, die Start-up-Szene: Es gibt da viele clevere Leute. Und die sind auch unser Publikum.

Das Fundraising war beeindruckend: Über siebzig Leute haben je 100’000 Franken investiert. Wie lang hast du daran gearbeitet?
Das hat sich durch Corona verzögert – nicht zuletzt, weil natürlich viele ältere Leute dabei waren. Aber angefangen hab ich im Sommer.

Was war das Argument, das am besten verkauft hat?
Die Situation in den Medien. Die Leute in der Privat­wirtschaft haben den Eindruck: Unsere Perspektive kommt praktisch nicht mehr vor. Sie haben das Gefühl: Wir sind nicht mehr gefragt, ausser als Bölimann. Auf Platz zwei kam: die Stellung der Schweiz in der Welt. Das ist etwas, was Unternehmer schwer beschäftigt. Als Standard im Journalismus herrscht ein depressiver europhiler Sound. Zwar glaubt niemand mehr an die EU, aber niemand kümmert sich um die Neuausrichtung. Wie können wir unsere Stellung halten? In der Schweizer Wirtschaft herrscht deshalb Dekadenz­stimmung: Wir sind das Römische Reich. Wir gehen alle unter.

Was war die härteste Frage?
Schon die nach dem Businesscase. Publizistisch fand ich nur offene Türen. Aber der Einwand war oft: «Wie soll das funktionieren? Ich will keine Charity. Und nicht Mäzen sein.» Dieser Einwand ist legitim.

Genau deshalb haben wir damals ein Crowdfunding gemacht – quasi als Markttest. Wie hast du deine Investoren überzeugt?
Erstens habe ich immer betont: Wir sehen auf die Kosten. Das stimmt weiterhin, obwohl ich aktuell gerade das Gefühl habe: mmh. Wir haben eine grosse Chance im Markt, denn in unserer Nische gibt es nicht viel Konkurrenz: nur «NZZ» und «Weltwoche». Das dritte wichtige Argument war, dass ich mich engagiere, nicht nur mit meinem Namen, sondern auch mit meinem Geld.

Was mich überrascht hat, war, dass es viel einfacher war, vor dem Start einen Traum zu verkaufen, als danach eine Realität. Und dass verblüffend wenige Investoren ernsthaft den Business­plan sehen wollen.
Das war bei uns häufig auch so. Klar, beim Businesscase hatten die Investoren öfter Skepsis – aber die meisten überzeugte am Ende das Argument: Ich mach das. Bei der Finanzierung läuft viel über die Person. Viele Leute mit Geld investieren in Start-ups – und auch dort funktioniert es so, dass die meisten sagen: Das ist ein guter Typ – also los. Natürlich kann man sich da täuschen.

So, wie man sich gelegentlich in sich selbst täuscht.
Das Fundraising ist ein toller Erfolg – aber auch eine Riesen­verantwortung, eine Riesenlast. Das Ding muss jetzt gut werden.

Einerseits ist es cool zu sehen, was dein Name als Marke wert ist – andererseits riskierst du den doppelten Bankrott.
Ja, das Risiko für die Reputation ist noch viel verreckter.

Was, wenn du scheiterst? Mein Plan war, das Land zu verlassen.
Das wollten meine Frau und ich sowieso. Wir sind ja Heimweh-Amerikaner.

Welches Publikum brauchst du zum Überleben?
Grundsätzlich ist es so – obwohl mir das niemand glaubt: Meine Haupt­konkurrenz ist nicht die «Weltwoche». Roger Köppel bedient seine Kunden schon tipptopp. Das sind alles zufriedene Leser. Die muss ich also gar nicht erst zu holen versuchen. Wen ich holen muss, das sind die unzufriedenen Bürgerlichen – Rechts­freisinnige, die Bürgerlichen in der CVP, konservativere Mitglieder der Grünliberalen – für die will ich etwas machen.

Und wer sind die Investoren?
Ich würde das so sagen: Die meisten sind klassischer Schweizer Freisinn. Wie etwa mein Vater auch. Ich komme ja aus so einem Haus. Meine Familie ist seit hundertfünfzig Jahren so.

Und was will dieser Freisinn?
Eine Schweiz, die auf Freihandel setzt und trotzdem eigenständig bleibt, wo die Wirtschaft wichtig ist, liberal, in dem Sinne, dass die Institutionen in einem gewissen Wettbewerb stehen und ihn zulassen, ein gewisses Mass an Immigration – ich habe ja meine Dissertation geschrieben unter anderem über die Rolle der Ausländer in der BBC. Kurz: Es sind Leute wie ich, die zwischen Stuhl und Bank sitzen. Nicht SVP, eher FDP, aber nicht die FDP, wie sie existiert.

Was ist deinem Aktionariat wichtiger – die politische oder die wirtschaftliche Dividende?
Das Ideelle ist sicher entscheidend. Wir haben versprochen: Wir wollen am Markt bestehen. Aber allen ist klar: Wenn du Geld verdienen willst, investierst du nicht in der Medienbranche.

Wird die Liste der Aktionäre je publiziert?
Die meisten wären wohl einverstanden – aber einige nicht. Ich verstehe das: Sie wollen nicht in der Presse kritisiert werden. Kurz: Wir arbeiten daran. Ich fände das gut, es sind alles Namen, die man zeigen kann – darunter kein einziger aktiver Politiker. Und, auch wichtig: niemand von der Familie Blocher. Nicht weil ich ein Problem mit ihnen hätte, im Gegenteil. Sondern weil ich die letzten fünfzehn Jahre sehr nah bei Christoph Blocher war – mit allen Vor- und Nachteilen. Es ist mir wichtig, dass wir partei­politisch vollkommen unabhängig sind. Dezidiert bürgerlich, aber keiner bürgerlichen Partei besonders nahe.

Der Präsident des Verwaltungsrats, Konrad Hummler, hat angekündigt, im «Nebelspalter» mit allen alten Gegnern abzurechnen. Ist das eine gute Idee?
Ich finds gut, (lacht) wenn es gewisse Leute nervös macht. Das ist okay.

Könnt ihr überhaupt noch über Wirtschaft schreiben? Wahrscheinlich sitzt überall einer eurer Aktionäre.
Der Plan ist: Wir schreiben durchaus über unsere Aktionäre – weil ich finde: Das sind interessante Geschichten. Was wir nicht machen können: Unternehmens­berichterstattung. Erstens, weil das zu teuer ist. Zweitens – ja, ich will niemanden unnötig verärgern. Kurz: Wir können uns das nicht leisten. Ihr macht auch keine, oder?

Gelegentlich schon. Aber nicht systematisch.
Es interessiert auch wenige Leser. Es ist ein offenes Geheimnis, dass selbst in der «NZZ» eine Unter­suchung zum Schluss kam: Der Wirtschafts­teil wird am wenigsten gelesen.

Wie zum Teufel lernt man mehr als siebzig Leute kennen, die je 100’000 Franken locker haben?
Ich bin schon lange auf der liberalen Seite. Und kenne sehr viele Leute schon lange. Sobald du als Journalist bürgerlich wirst – so wie ich damals –, bekommst du Zugang zu ganz anderen Kreisen. Es ist eine andere Welt. Das ist auch ein Problem des Mainstreams – ich kenne beide Bubbles, auch die linke. Die meisten kennen nur die Hälfte der Schweiz.

Ein grosser Unterschied zu Roger Köppel ist: Du bist Establishment, er nicht. Führt das auch zu anderem Journalismus?
Klar werden wir uns von der «Weltwoche» unterscheiden – so wie auch von der NZZ. Aber eine der Tragödien in der Schweiz ist der Untergang des Filzes. Ich meine damit nicht den Filz, den ich schon als Linker nicht ausstehen konnte: wo das Leistungs­prinzip nichts zählt. Sondern ich meine den alten Filz, der darin bestand, dass sich die politische, die wirtschaftliche und selbst die kulturelle Elite verstanden und etwas zu sagen hatten. Vor allem waren sie sich in einem einig: Wir haben ein Land, und das wollen wir gestalten. Ich will wieder ein Medium für diesen Filz machen.

Der Filz wurde ja durch die Globalisierung zerrissen – zu viel Tempo, Geld, Komplexität. Sind deine Investoren deshalb gegen die EU – weil Filz nur in nationalen Grenzen entsteht?
Das ist eine interessante Frage. Aber ich fürchte, wir sind schon zu gross geworden. Ein Grund für den Erfolg der Schweiz war ihre Kleinheit: Ob du vier Millionen Einwohner hast oder achtzig, ist ein Riesen­unterschied. Du kennst dich untereinander – schon das sorgt für einen gewissen Pragmatismus. Einer der Gründe für Wohlstand ist Kleinheit. Auch bei Unter­nehmen. Warum will ich dieses Start-up? Du bist so viel schneller, effizienter, einfach besser als ein grosser Verlag.

Wie früher die VW-Werbung: «Small is beautiful».
Es ist kein Zufall: Die meisten sehr reichen Länder sind alle sehr kleine Länder. Aber ich fürchte, mit acht Millionen ist die Schweiz über die kritische Masse hinaus. Wir haben die gleiche Bürokratisierung, die gleiche Spaltung unter den Eliten – wahrscheinlich lässt sich der Filz nie wieder herstellen. Ich glaube, unser Establishment hat in den Neunziger­jahren einen grossen Fehler gemacht mit dem Entscheid: Wir setzen voll auf Europa. Die EU regelt alle Probleme für uns, wir brauchen die Schweiz nicht mehr.

Man setzte nicht nur auf die EU, sondern auch auf die USA: Erst Martin Ebner, dann die UBS haben etwa das moderne Banking importiert: mit Derivaten und Shareholder-Value. Und die SVP sah nicht umsonst den US-Republikanern ähnlich.
Ebner war ambivalent – er hat nie Geschäfte mit den USA gemacht.

Aber entscheidend ist doch: Er hat – wie fast jeder Pionier in der Schweiz – seine Ideen aus den USA importiert.
Damals importierte man immerhin nur Ideen. In den Neunziger­jahren wurden die grossen Schweizer Unternehmen alle noch von Schweizern geführt. Heute ist das nicht mehr so. Das spielt auch eine Rolle.

Zur Satire. Wie soll eure Marke in Zukunft aussehen? Im Grunde müsstet ihr euch gegenseitig beeinflussen. Die Polemik selbst­ironischer, die Satire politischer.
Mmh!

Hast du schon eine Idee, wie das aussehen könnte?
Ich habe den Investoren immer gesagt: Was ist das Problem von uns Bürgerlichen? Das Problem: Wir haben recht, aber es glaubt uns niemand. Und warum? Weil wir unsympathisch sind! Wir sind nicht witzig, wir sind nicht ironisch, wir sind altmodisch, Hinterwäldler. Der Punkt ist: Der Liberale kommt mit Excel-Tabelle und spricht über x Prozente Wirtschafts­wachstum, und das klingt nach Hausaufgabe. Die Linke kommt und sagt: Die Welt brennt! Wir müssen sie retten!

Na ja …
Warum haben wir kein Narrativ? Der Grund war eine der wichtigsten Entwicklungen im Kalten Krieg: dass die Bürgerlichen gefunden haben, der ganze Kulturscheiss … pff. So wie etwa manch ein Banker und manch ein Manager: Wir verdienen jetzt Geld. Was soll ich da noch Bücher lesen, was soll ich ins Theater gehen, ich will Geld, im Engadin Ski fahren und auf die Malediven zum Tauchen. Es ist fast lustig: Der Kapitalismus hat sich wie selber geschlagen, weil er so materialistisch wurde. Die Kapitalisten wurden solche Langweiler, dass wir jetzt die Quittung haben: Wir erreichen die Leute nicht mehr. Wir haben keine Ideen, keine Geschichten zu erzählen, nichts. Wir haben alles aufgegeben: die Universitäten, die Kirche, den ganzen Kulturbetrieb.

Und die Komik.
Ich habe immer gesagt, der «Nebelspalter» ist ein Gegengift – er ist zutiefst ein Kultur­produkt: mit Zeichnungen, mit Satire … Und er zwingt uns von Anfang an, all das, was ich als Defizit sehe, in Angriff zu nehmen – auch bei mir … Die wichtigste Lektion bei der BaZ war für mich, bei allem, was ich schreibe, Geschichten zu erzählen, auch bei politischen Themen. Denn der Mensch will eine gute Geschichte hören, und es ist ihm erst mal egal, was die Moral davon ist.

Wenn sich eine Statistik und eine Anekdote wider­sprechen, gewinnt meistens die Anekdote.
Genau. So gesehen ist der «Nebelspalter» ein Potenzial, von dem ich nicht weiss, ob wir es je nutzen können. Das meine ich auch auf mich bezogen … Ich glaube, die Leser sind müde. Sie wollen nicht mehr die ganzen Skandale, sie wollen auch nicht mehr den Welt­untergang jeden Tag … Es gurkt sie an. Selbst wenn es gute Begründungen dafür gibt. Das heisst: Wir müssen mehr Leichtigkeit lernen. Und durch den «Nebelspalter» wäre das möglich.

Das braucht aber verdammt gute Köpfe, die einen Kurs halten und gegen ihn denken können.
Das stimmt. Aber ich glaube, die Zeit ist reif.

Gibt es professionellen bürgerlichen Humor?
Ich glaube schon. Weil Humor Waffe gegen Macht ist – und da ich der Meinung bin, die Linken sind in sehr vielen Institutionen dominant, nicht in allen, aber in vielen, gibt es Bedarf. Du kannst immer noch Witze machen gegen die Rechten, die sind in der Privat­wirtschaft immer noch stark, in der Politik schon deutlich schwächer, im Kultur­betrieb und in den Universitäten nicht einmal mehr vorhanden.

Fällt dir irgendein Blatt mit rechtem Humor ein – als Vorbild?
Der «Nebelspalter»! Er war immer liberal. Die Besitzer waren Freisinnige, einer der berühmtesten, Ernst Löpfe-Benz, sogar Ständerat – und trotzdem war das Blatt lustig. Mein Problem ist, dass ich hier überhaupt nicht der Spezialist bin. Ich vertraue auf die Leute, die das können.

Rechte Komik – sie wird immer wieder gefordert. Zwecks Ausgewogenheit. Aber nie erreicht. Man findet keine Autoren. In der Tat wäre sie etwas fundamental Neues. Eine echte Weltpremiere.
Das ist das Grossartige an dieser Marke. Wir gehen unglaubliche Risiken ein. Aber es eröffnet auch völlig neue Möglichkeiten. Ich hab doch nie im Leben gedacht: Ich muss mich mit Comedy beschäftigen. Das ist lässig. Ich lerne ganz andere Menschen kennen.

Wenn du als Unternehmer freie Auswahl hättest, würdest du dich als Chef einstellen?
Als Chefredaktor sicher – das kann ich. Aber ich bin froh um meinen Geschäfts­führer. Ich bin sicher nicht der geborene Unter­nehmer. Ich bin ein unter­nehmerisch denkender Chefredaktor.

Schreibst du die Kolumne in der «SonntagsZeitung» weiter?
Schon.

Hast du dazu noch tatsächlich Zeit?
Ich habe ein paar Stärken. Eine davon ist, dass ich sehr schnell schreiben kann. Schreiben ist im Moment das kleinste Problem.

Und warum schreibst du derart schnell? Sodass beispiels­weise ich an der göttlichen Gerechtigkeit zweifle? Weil du den Inhalt immer schon weisst?
Das stimmt so nicht. Ich entwickle meistens meine Gedanken beim Schreiben.

Wo hast du dich das letzte Mal überrascht?
Mich selber überraschen? Tu ich nicht. Nicht beim Standpunkt. Eher da, welche Geschichte ich erzähle. Ich brauche Deadlines.

Als du angefangen hast in Basel, waren alle über deine Präsenz begeistert. Später war die Redaktion enttäuscht, dass du kaum mehr in der Redaktion warst. Oder am Wahlabend nicht in Basel.
Der Vorwurf stimmt, leider. Und da muss ich selbst­kritisch sagen, das hab ich am Schluss nicht mehr gut gemacht. Wir haben uns unglaublich viel mit Dingen beschäftigt wie Akquisitionen, unzähligen Plänen, die fast alle zu nichts führten. Ausser zu unglaublich vielen Sitzungen. Ich habe Basel vernachlässigt. Was auch damit zu tun hatte, dass wir nicht nach Basel gezogen sind. Was ich heute für einen Fehler halte. Auch wenn es Gründe gab: Es war völlig unsicher, ob das Abenteuer länger geht als ein Jahr.

Okay, wenn ich du wäre, hätte ich zusammen­gefasst vor sieben Baustellen Respekt.
Nur sieben?

1. Ihr habt fast nichts über Bord geworfen. Ihr habt Online, Print, Paywall, Werbung, Politik, Satire ihr müsst mörderisch viele, teils sich wider­sprechende Produkte liefern.
Die meisten Leute hier und auch viele Berater haben gesagt: Mach das nicht. Schnall dir den Print nicht an.

Wollten die Investoren etwas Gedrucktes?
Nein, aber etwas anderes war lustig – ich habe bei den Investoren den Kauf vom «Nebelspalter» immer erst als letzte Mitteilung gebracht. Da haben die meisten gestrahlt. Denn der «Nebelspalter» ist in dieser Generation noch wahnsinnig positiv besetzt – die alte, gute Schweiz. Besonders die ironische Schweiz. Der «Nebelspalter» hat die Schweiz sehr ernst genommen und sie ironisiert – das finde ich eine unglaubliche Leistung. Das finde ich genial. Das will ich auch.

2. Ihr habt vieles ausgelagert. Werbung, IT, selbst die Karikaturen werden aus einem Pool eingesandt. Es braucht fast einen Uno-General­sekretär, um daraus eine einzige Firma zu machen.
Am Ende werden wir alles fusionieren. Okay, Druck und Aboverwaltung werden womöglich in der Ostschweiz bleiben – das machen die gut. Geschäftsführung macht der Fehrlin – zurzeit ist das eine sehr enge Zusammen­arbeit. Aber ich würde sagen: Die Beschreibung ist richtig. Und für mich gibt es dafür und dawider. Schön, wenn man etwas prägen kann, alles im Griff hat. Andererseits: Wenn wir alles auslagern, spart das Kosten – unsere Technologie ist erstaunlich günstig. Und super. Trotzdem denke ich auch: Unser Führungs­modell ist recht hybrid. Wir werden sehen, ob das funktioniert.

3. Humor und Politik beissen sich. Okay, es gibt die Chance, dass sie sich befruchten – aber gut möglich, dass die Mischung sich gegenseitig versenkt.
Genau.

«Der Plan ist immer noch, dass wir keinen Plan haben»: Somm hat den Durchblick.

4. Sagen wir, die Politikredaktion hat zehn Leute. Mit Produktion, Verlag, Printredaktion sind es fünfzehn. Das sind bereits etwa fünfzehnmal 200’000 Fixkosten. Sagen wir, IT, Druck, Miete kosten 500’000. Das ergibt ein Budget von 3,5 Millionen im Jahr. Das «Nebelspalter»-Abonnement kostet knapp 100 Franken. Für eine schwarze Null braucht ihr 35’000 zahlende Leser. Enorm viel.
100 Franken ist der Preis für Print. Online wird teurer.

Wie viel?
Das ist noch unklar. Vorerst müssen wir es angleichen. Und nein, wir brauchen nicht so viele Leute. Und haben nicht so wahnsinnige Kosten. Und ja, 35’000 Leser sehe ich als unrealistisch an.

5. Deine Journalisten haben schon einiges zu tun: eine Menge Artikel denken, recherchieren, schreiben. Plus Leichtigkeit lernen. Aber sie werden jeden Tag auch noch wertvolle Zeit verlieren mit der Produktion.
Ja. Die Luxus­zeiten im Journalismus sind vorbei. Die Branche ist hart und zieht auch nicht mehr so viele gute Leute an. Was die Produktion betrifft, glaube ich – ich kann mich irren –, unsere Technologie ist sehr einfach: Wir werden sehr schnell produzieren können.

Wir wurden nach dem Start kalt erwischt: Faktencheck, Korrektorat, Bild – alles war weit aufwendiger als gedacht.
Ich bin acht Jahre durch die BaZ-Schule gegangen mit Rolf Bollmann. Ich weiss extrem gut, wie man Kosten senkt: Das geht nur mit Pragmatismus – genau das, was ihr macht, geht nicht. Man kann nicht überall exzellent sein. Das ist zu teuer, das ist Verschwendung. Du musst Prioritäten setzen. Und für mich ist das eindeutig der Inhalt. Die Leute dort sind wichtig. Der Rest ist nice to have. Die Bildredaktion ist ein gutes Beispiel: Am Ende war sie bei der BaZ winzig. Das war extrem schade – aber die meisten Leute merkten das nicht.

6. Es wird kein einfacher Job, zwei völlig verschiedene Redaktionen zu fusionieren – wie den alten und den neuen «Nebelspalter». Hast du dafür schon einen Plan?
Der Plan ist immer noch, dass wir keinen Plan haben. Am Anfang dachte ich, den Print kann man noch ein Jahr so laufen lassen. Jetzt sehe ich: Nein, das ist ein Fehler. Wir müssen viel schneller sein. Aber zuerst muss die neue Maschine einmal anlaufen. Dann sehen wir weiter. Der ganze Comedy-Bereich wird auch am Anfang nicht die Priorität haben, die er haben muss. Zuerst die News-Plattform. Ich denke eher so: eins nach dem anderen.

7. Bei allem Verständnis für die Prioritäten – die Entwicklung von bürgerlichem Humor fände ich das Reizvollste. Rechte Komik wäre eine echte Weltneuheit.
Ob links oder rechts, ist mir bei Komik erst mal egal. Zuerst muss es einmal lustig sein.

Auch wenn ich mich vor deinem Mut verbeuge und dir alles Glück der Welt wünsche: Gehe ich recht in der Annahme, dass ich die politische Linie deines neuen Mediums schrecklich finden werde?
Das will ich doch sehr hoffen!


PS: Da sieben Baustellen viel sind, hat sich die Republik entschlossen, dem noch ungeborenen «Nebelspalter» wenigstens eine Sorge abzunehmen. Wir haben weder Kosten noch Mühen gescheut, eine Bauanleitung für etwas eigentlich Unmögliches herzustellen: politisch rechte, trotzdem komische Komik. Hier gehts zum «Staatsspalter».