Schon wieder so einer!
Die SVP im Kanton Zürich will unbedingt, dass die Polizei die Herkunft von Verdächtigen nennt – wegen der Transparenz. Ach ja? Da wird man doch noch nachfragen dürfen.
Von Carlos Hanimann (Text) und Nadine Redlich (Illustration), 08.02.2021
Von Zensur war die Rede. Von Schikane. Von Bevormundung. Die Politiker der SVP waren so aufgebracht, man hätte meinen können, jemand habe Christoph Blocher persönlich den Mund beim Reden zugehalten.
Geschehen war etwas weit weniger Dramatisches: Ende 2017 hatte der damalige Polizeivorsteher von Zürich bekannt gegeben, dass die Stadtpolizei in ihren Medienmitteilungen die Nationalität von Tätern und Tatverdächtigen nicht mehr automatisch nenne – sondern nur, wenn es wirklich jemanden interessiere und dieser bei der Polizei nachfrage.
In den sieben vorangegangenen Jahren hatte es sich bei der Zürcher Stadtpolizei eingebürgert, neben Alter und Geschlecht automatisch auch die Herkunft von Verdächtigen zu nennen. Dies, nachdem Polizeisprecher Marco Cortesi und seine Kollegen der Polizeisprechervereinigung SKMP im Jahr 2010 die kantonalen Polizeikommandanten aufgefordert hatten, eine solche Praxis zu empfehlen. Die Polizeisprecher begründeten ihren Wunsch mit dem grossen Interesse der Medienschaffenden und diese wiederum mit dem grossen Interesse der Öffentlichkeit. (Notiz am Rande: Der Presserat hatte im Jahr 2001 in einer Stellungnahme festgehalten, dass Medien, die «Täter oder Tatverdächtige ohne sachliche Begründung national, ethnisch oder religiös zuordnen» gegen das Diskriminierungsverbot verstiessen.)
Die Polizeikommandanten waren zunächst alles andere als begeistert über den Wunsch ihrer Sprecher. Am Ende verabschiedeten sie allerdings eine Empfehlung, die bis heute Gültigkeit hat: Demnach können die Polizeien neben Alter und Geschlecht auch die Nationalität in ihren Meldungen publizieren.
Als der linke städtische Polizeivorsteher Richard Wolff Ende 2017 den Automatismus der Herkunftsnennung abschaffte, kam die Befürchtung auf, dass nach jeder Medienmitteilung zahlreiche Journalistinnen bei der Polizei anrufen würden, um sich nach der Nationalität der Verdächtigen zu erkundigen.
Doch: Das öffentliche Interesse war nicht ganz so gross.
Anfangs riefen tatsächlich Leute an, um die Nationalität eines Verdächtigen zu erfragen. Im Jahr 2018 gab es insgesamt 401 Nachfragen, wie das Sicherheitsdepartement auf Anfrage der Republik mitteilt.
Ein Jahr später war es noch gut ein Viertel: 116 Anfragen.
Letztes Jahr schliesslich gelangten noch 68 Journalisten und andere hoch motivierte Bürgerinnen an die Polizei und fragten nach der Nationalität der Verdächtigen.
Eine Initiative gegen die Stadt
Die SVP aber hatte längst beschlossen, sich nicht länger von einem linken Polizeivorsteher auf der Nase herumtanzen zu lassen. Sie fürchtete, andere Städte könnten dem Beispiel Zürich folgen, und irgendwann würde in den Kurzmeldungen der Zeitungen und Online-Portale womöglich gar nicht mehr stehen, welchen Pass ein Verdächtiger auf sich trug, als ihn die Polizei festnahm.
Um das zu verhindern, lancierte die SVP Anfang 2018 eine Initiative. Und die steht nun am 7. März im Kanton Zürich zur Abstimmung.
Künftig sollen die Polizeien des Kantons Zürich verpflichtet werden, in ihren Meldungen «alle Nationalitäten» von «Tätern, Tatverdächtigen und Opfern» zu nennen. Seltene Ausnahmen wären bei «erheblichen Gründen des Persönlichkeitsschutzes» erlaubt. Auf Anfrage müsste die Polizei auch einen sogenannten Migrationshintergrund eines Verdächtigen angeben, wobei unklar ist, wie dieser auf die Schnelle ermittelt werden könnte.
Der Regierungsrat hat einen Gegenvorschlag ausgearbeitet, der juristisch (und politstrategisch) etwas klüger formuliert ist: Er klammert den sogenannten Migrationshintergrund aus, hält aber die Polizeien ebenfalls dazu an, die Nationalität von Verdächtigen zu nennen.
Die Bedeutung der Initiative reicht über die Kantonsgrenzen hinaus. So gab es in den letzten Jahren in mehreren Kantonen ähnliche Bestrebungen, zuletzt lehnten Bern und Zug Vorstösse der SVP ab, der Polizei gesetzlich vorzuschreiben, in ihren Meldungen stets die Nationalität (und einen Migrationshintergrund) der Tatverdächtigen anzugeben. Im Kanton St. Gallen jedoch ist die Nennung der Staatsangehörigkeit im Polizeigesetz vorgegeben.
Laut einem Sprecher des Konkordats der Polizeikommandanten würden die Kantonspolizeien aber «grösstenteils» die Nationalität in ihren Meldungen nennen. Diese Praxis habe sich gestützt auf die Strafprozessordnung und die Empfehlung der Polizeikommandanten im Jahr 2010 ergeben. Die Nationalitätennennung gelte nur für Widerhandlungen gegen das Strafgesetzbuch. Bei Verkehrsdelikten hingegen sei beispielsweise das Alter wichtiger als die Nationalität. Ausnahmen bildeten die Raserdelikte, die schwerwiegender seien.
Worauf die Herkunftsnennung gründet und wie sie wirkt
In der politischen Diskussion um die Herkunftsnennung argumentieren SVP und einige Medienvertreter meist damit, dass diese Information der Öffentlichkeit beziehungsweise der Leserschaft nicht vorenthalten werden dürfe. Allerdings ist fraglich, ob die Nationalität einer Verdächtigen überhaupt ein öffentliches Interesse darstellt. Denn Polizeimeldungen handeln selten von verurteilten Tätern (deren Herkunft fein säuberlich in amtlichen Statistiken aufgeführt wird), sondern meistens von Personen, die von der Polizei angehalten und beschuldigt werden. Also zum Beispiel: die Umstehenden, die eine Streife im Anschluss an eine Schlägerei anhält und auf den Posten mitnimmt. Von einem rechtskräftigen Urteil sind diese Personen noch Monate oder Jahre entfernt. Was die Polizei in diesem Moment feststellt, vermutet und in ihren Meldungen veröffentlicht, ist häufig keine gesicherte Information.
Der ehemalige Polizeikommandant und Jurist Markus Mohler sagt deshalb, die Forderung, die Nationalität in einer ersten Polizeimeldung zu nennen, gründe auf «Sensationsgier» und führe zu «keinerlei brauchbarem Informationswert». «Öffentliches Interesse», sagt Mohler, «heisst nicht Befriedigung der Neugier.» Der Einzelfall sage statistisch überhaupt nichts Relevantes aus. Zudem sei es «kriminalistisch unsinnig», die Polizei zu verpflichten, die Nationalitäten in frühen öffentlichen Mitteilungen preiszugeben, weil – beispielsweise bei Bandendelikten – jeder Hinweis auf die Erkenntnisse der Strafverfolger vermieden werden sollte. Noch stärker gelte das für Opfer.
Mohler hat 2018 für die Berner Sicherheitsdirektion ein Kurzgutachten zur Nationalitätennennung verfasst und ist darin zum Schluss gekommen, dass der Kanton gar nicht befugt sei, eine solche ins Gesetz zu schreiben. Geht es nach Mohler, hätte man auch die Initiative der Zürcher SVP nicht zur Abstimmung zulassen sollen. «Die Initiative ist klar bundesrechtswidrig», sagt der Rechtsexperte. Die SVP wolle im kantonalen Polizeirecht ändern, was in der übergeordneten Strafprozessordnung abschliessend geregelt sei. Das gelte auch für den Gegenvorschlag. Weil die SVP aber wohl wisse, dass ihre Forderung auf Bundesebene chancenlos wäre, weiche sie auf die kantonale Ebene aus. «Aber das ist der falsche Tanzboden», sagt Mohler. «Die Gesetzgebung im Strafprozessrecht ist Bundessache.»
Die Sozialwissenschaftlerin Gülcan Akkaya sagt, dass die Initiative der SVP zudem gegen das Diskriminierungsverbot in der Bundesverfassung verstosse. Akkaya war zwölf Jahre lang Vizepräsidentin der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus und forscht heute zu Rassismus, Diskriminierung und Grundrechten an der Hochschule Luzern. «Die Initiative würde per Gesetz zwei Kategorien Schweizer schaffen: Schweizer und Schweizer mit Migrationshintergrund.»
Akkaya befürchtet, dass durch eine Annahme der Initiative oder auch des Gegenvorschlags Vorurteile und latenter Rassismus verstärkt würden. «Die Nennung der Nationalität trägt nichts zur Ursachenerklärung bei. Sie erfüllt für die SVP einen anderen Zweck: Gewisse Bevölkerungsgruppen sollen an den Pranger gestellt werden.»
Aus Untersuchungen über die Wahrnehmung von Muslimen wisse man etwa, dass diese vor allem dann in den Medien auftauchten, wenn es um terroristische Anschläge geht. So entstünden Stereotype, die weiter gefördert würden, sagt Akkaya. Aus einer deutschen Studie sei zudem bekannt, dass die Medien verzerrend berichten würden. «Die Nationalität erklärt keine Straftat», sagt Sozialwissenschaftlerin Akkaya. «Vielmehr sind es Faktoren wie Geschlecht, Bildung oder die ökonomische Situation.»
Anruf beim SVP-Präsidenten
Die Initiantinnen von der SVP wissen das natürlich alles. Sie beharren trotzdem auf der Herkunftsnennung. Also sollte man die SVP vielleicht beim Wort nehmen und auf die Transparenz pochen, die sie so hoch hängt: Warum soll die Polizei nur Nationalität und Migrationshintergrund nennen? Sollte nicht beispielsweise auch die Religionszugehörigkeit genannt werden?
Anruf also bei Benjamin Fischer, dem Präsidenten der SVP des Kantons Zürich.
Herr Fischer, warum soll die Polizei Nationalität und Migrationshintergrund in ihren Polizeimeldungen nennen?
Ehrliche Information schafft Vertrauen. Das ist der Kern. Es führt zu Misstrauen, wenn die Behörden gewisse Informationen nicht mehr herausgeben. Es ist ein Prinzip unseres demokratischen Rechtsstaats, dass die Bürger fast alle Informationen erhalten. Die Behörden sollen ehrlich und transparent informieren und keine Informationen zurückhalten. In einem demokratischen Rechtsstaat ist es sehr wichtig, dass die Bürger über Fakten verfügen. Was sie dann mit den Fakten anfangen, ist ihnen selber überlassen. Das zeichnet den Rechtsstaat ja aus, dass nicht gefragt wird, welche Informationen man den Bürgerinnen und Bürgern zumuten kann, sondern dass die Bürger das Recht auf Informationen haben. Darum ist es völlig irre, dass die Gegner der Initiative davon reden, wir würden Rassismus und Diskriminierung fördern. Wir verlangen nur die Herausgabe von Fakten.
Was erklärt die Nationalität bei einer Straftat?
Es gibt sicher keine Kausalität. Aber das ist bei vielen anderen Sachen auch so.
Was bringt es mir als Bürger, die Nationalität eines Verdächtigen zu kennen?
So viel wie jedes andere Merkmal auch. Es geht darum, dass man sich ein Bild machen kann. Die Frage nach dem Warum, diese Diskussion, die Sie führen wollen, bringt uns in eine absurde Richtung. Da könnte man ja auch fragen: Was bringt es, das Geschlecht zu nennen? Die Linken sagen ja immer, dass die Täter Männer sind … Und man sieht das wirklich auch, bei der Migration aus den Maghrebstaaten beispielsweise, dass es dort vor allem junge Männer sind. Aber das geht jetzt zu weit ins Detail.
Nein, nein, jetzt wird es interessant.
Die Linken sagen: Die Täter sind alles Männer. Und ja, das stimmt. Dann soll man das doch sagen, dass die Messerstecher Männer sind, dass die Räuber grossteils Männer sind. Warum das so ist, darüber könnten wir lange philosophieren, und dafür gibt es ja auch Experten, die etwas über den sozialen Status oder von mir aus über die Hormone sagen. Aber das ist nicht der Punkt. Uns von der SVP geht es nur darum, dass die Informationen genannt werden.
Wäre es nicht auch interessant, zu wissen, welcher Religion jemand angehört.
Das ist auch interessant. Kann man auch nennen.
Also ob jemand Muslim ist oder nicht?
Es gibt vieles, was man nennen könnte.
Wenn man die Religion nennen würde, dann stünde in dieser Medienmitteilung zum Beispiel neu: «Die Kantonspolizei Zürich hat einen Mann verhaftet, der Kokain im Rucksack mitgeführt hatte. Der 23-jährige Jude reiste von Brasilien nach und so weiter und so fort …» – Wäre das in Ihrem Sinn?
(denkt nach) Es geht darum, die Informationen zu nennen, die vorhanden sind. Bei der Religionszugehörigkeit spielt ja dann wieder die Frage rein: Ist das nur auf dem Papier so, oder ist es eine persönliche Gesinnung? Grundsätzlich soll einfach ehrlich und transparent informiert werden.
Wäre es interessant zu wissen, ob jemand Jude ist oder nicht?
Man könnte auch die Haarfarbe nennen.
Aber ich rede nicht von der Haarfarbe. Ich rede von der Religionszugehörigkeit. Das will der Bürger doch wissen.
Sie wollen mir jetzt eine Suggestivfrage stellen.
Sie haben vorhin lange ausgeführt, dass Transparenz ein Grundpfeiler des Rechtsstaats sei und so weiter …
Genau, man soll ehrlich und transparent kommunizieren. Wenn jemand sagen würde, die Religion dürfe nicht genannt werden, hätte ich ein Problem damit. Aber Sie wissen so gut wie ich, dass die Nationalität ein anderes Merkmal ist als die persönliche Religion.
Wo liegt der Unterschied? Erklärt die Nationalität mehr als die Religion?
Wollen Sie eine philosophische Diskussion anfangen? Ich verstehe Ihre journalistische Technik schon. Sie können mich auch fragen, ob man die Nagellackfarbe angeben soll oder nicht. Man kann das bis ins Letzte philosophisch diskutieren.
Sie drücken sich vor der Frage: Soll der Bürger die Information haben, ob ein Täter, ein Verdächtiger oder ein Opfer zum Beispiel Muslim ist?
Oder Christ! Sie wollen mir suggestiv etwas unterstellen, damit Sie schreiben können, der Fischer habe gesagt …
Was sagt denn der Fischer?
Wenn es einen Zusammenhang gibt, dann kann man schreiben, dass einer Christ ist. Das Geschlecht wird ja auch genannt. Oder ob jemand arbeitslos war. Oder ob er ein Unternehmer war. Die Nationalität ist selbstverständlich ein wichtiges Merkmal.
Ist die Religionszugehörigkeit ein wichtiges Merkmal?
Das kommt drauf an. Bei den meisten Menschen vermutlich nicht. Wenn sich jemand primär mit der Religion identifiziert und das Delikt im Zusammenhang mit der Religion steht, dann kann das sein.
Und die sexuelle Orientierung?
Hören Sie, so hat das Gespräch keinen Sinn. Wir könnten ja noch ganz viele andere Merkmale durchdiskutieren. Aber es geht bei unserer Initiative nun mal um die Nationalität. Wir haben sie nur ergriffen, weil die Stadtpolizei Zürich die Nationalität nur noch auf Anfrage nennt.
Da hat der SVP-Präsident wohl recht: Es gäbe sehr viele andere Merkmale, die man auch in eine Polizeimeldung schreiben könnte, die man aber eben gerade nicht nennt – ausser sie sind für das Verständnis einer Tat unabdingbar. Denn, wie Fischer ja sagt, gibt es in den meisten Fällen keine Kausalität zwischen Nationalität und Kriminalität.
Oder wie es Markus Mohler, der ehemalige Polizeikommandant, sagt: «Es geht nicht um Transparenz und auch nicht um öffentliches Interesse, sondern um Stimmungsmache mit einer nichtssagenden, möglicherweise auch nicht zutreffenden Information. Der einzige Nutzen dabei ist, dass man am Stammtisch wettern kann: Siehst du, schon wieder einer!»
PS: Die Abstimmung am 7. März betrifft nicht zuletzt die Arbeit von Medienschaffenden im Kanton Zürich. Darum hat die politische Positionierung des «Tages-Anzeigers» als wichtigster Lokalzeitung einiges Gewicht. Bisher verteidigte der Tagi die Nationalitätennennung in Polizeimeldungen. In einer internen Abstimmung haben nun aber die Tagi-Journalistinnen und -Journalisten die Initiative der SVP einstimmig abgelehnt und den Gegenvorschlag der Regierung mit 13 zu 5 Stimmen. Man darf also gespannt sein, ob der Chefredaktor in seinem Abstimmungskommentar den Praktikerinnen des Reporteralltags folgen wird.