Tiefseebergbau: Ein Schiff der Firma Deep Green sucht im Ostpazifik nach lukrativen Materialien. DeepGreen

Goldrausch in der blauen Welt

Auf dem Meeresgrund liegen wertvolle Rohstoffe für Batterien, Windanlagen und Solaranlagen. Ohne sie ist die Energiewende nicht zu schaffen. Rohstoffkonzerne wollen sie rasch abbauen – auch mit Geld aus der Schweiz. Wie hoch darf der ökologische Preis für eine saubere Energiezukunft sein?

Von Sabrina Weiss, 13.11.2020

Synthetische Stimme
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Ein gesäumtes Korallen­riff und eine türkis­farbene Lagune, umgeben vom tiefen Blau des Ozeans: Die Insel Aitutaki – ein klassisches Atoll – ist ein wahres Schnorchel­paradies. Mit etwas Glück sichtet man hier sogar Buckel­wale, die jedes Jahr von der Antarktis in dieses Gebiet ziehen, um sich fortzupflanzen.

Wie auf den anderen 14 Cook-Inseln im Südpazifik dürfen hier nur Einheimische fischen. In den ersten 50 Seemeilen sind keine grossen Fischer­boote erlaubt. Das schreibt eine Meeres­schutzzone von 2017 vor, die den Namen Marae Moana trägt, was auf Māori so viel heisst wie «heiliger Ozean».

In diesen Gewässern gibt es jedoch noch wertvollere Schätze als Speise­fische. Im Juni, kaum drei Jahre nachdem der pazifische Inselstaat internationales Lob für seinen Meeres­schutz erhalten hatte, kündigte er an, nach Mangan­knollen zu suchen. Die kartoffel­grossen Klumpen sind der Stoff für einen modernen Goldrausch 6000 Meter unter der Wasseroberfläche.

Und eine Bedrohung für Meereslebewesen.

1. Die Metalle: Begehrte Stoffe für die Energiewende

In den Mangan­knollen sind Kobalt, Nickel, Kupfer und Spuren von Selten­erdmetallen enthalten. Um Batterien für Smart­phones, Tablets und Elektroautos zu produzieren, benötigen Hersteller immer mehr dieser Metallerze. Auch Windanlagen und Solar­anlagen kommen ohne Kupfer nicht aus. Die Metalle werden heute in Minen an Land abgebaut – oft unter Bedingungen, die menschen­rechtlich und ökologisch fragwürdig sind.

Auf der Suche nach einer Alternative haben es staatliche Rohstoff­agenturen und private Bergbau­firmen vor allem auf die Mangan­knollen auf dem Meeres­boden abgesehen. Über 15 Millionen Jahre lagerten diese auf 4000 bis 6000 Metern unter der Meeres­oberfläche, an einem der kältesten und dunkelsten Orte der Welt. Ihre Existenz ist seit Jahrzehnten bekannt. Schon in den 1970er-Jahren begeisterten sich die Wissenschaft und die Industrie für die Knollen, nur waren Erkundungs­fahrten lange Zeit zu teuer.

Heute ist das anders. Die Technik hat grosse Sprünge gemacht, und je höher die Metall­preise steigen, desto attraktiver wird der kommerzielle Tiefseebergbau.

Eine der ambitioniertesten Förder­firmen ist Deep Green. Der Tiefsee­bergbau sei die Zukunft und nachhaltiger als die Gewinnung an Land, erklärt CEO Gerard Barron in einem Werbevideo. «Ich möchte keine weitere Entwaldung sehen, ich möchte keine Kinder­arbeit sehen, und ich möchte, dass wir Zugang zur nachhaltigsten Versorgung mit diesen wichtigen Metallen haben.»

Für die grüne Energie­wende braucht die Welt Metalle. Die Produktion von Kobalt, Lithium und Grafit müsste bis 2050 um mehr als 450 Prozent wachsen, rechnet die Weltbank vor. Deep Green sieht sich der Aufgabe gewachsen und behauptet, genug Mangan­knollen liefern zu können, um 250 Millionen Autos zu elektrifizieren.

Mehrere globale Konzerne glauben dem kanadischen Start-up und wittern ebenfalls ein lukratives Geschäft. Die Schätzungen über den Gesamt­wert der Mangan­knollen gehen in die Billionen. Zu den Investoren zählen auch Unter­nehmen mit Schweizer Hauptsitz. Zum Beispiel Glencore. Der Zuger Rohstoff­konzern ist der weltweit grösste Kobalt­lieferant und hat sich bereits Abnahme­rechte gesichert. Oder der Offshore-Dienstleister Allseas aus Châtel-Saint-Denis im Kanton Freiburg. Allseas hat im März ein 228 Meter langes Tiefseebohrschiff gekauft, das für die Rohstoff­sammlung umgerüstet werden soll.

Eine grosse Heraus­forderung bleibt aber bestehen: die Knollen sicher an die Oberfläche zu bringen, ohne den Boden zu beschädigen. Denn die Tiefsee ist voll von Lebewesen aller Arten, die noch unentdeckt sind.

«Gummieichhörnchen»: Seegurke in Gelb. NOAA Office of Ocean Exploration and Research, DeepCCZ expedition
Noch namenlos: Ein Mitglied der Oktopus-Familie. NOAA Office of Ocean Exploration and Research, Hohonu Moana 2016
Reglos auf die Beute warten: Tiefsee-Eidechsenfisch. NOAA Office of Ocean Exploration and Research, 2017 Laulima O Ka Moana. Exploring Deep Monument Waters Around Johnston Atoll
Den Schwanz als Segel nutzen: Seegurke in Blau. NOAA Office of Ocean Exploration and Research, Craig Smith and Diva Amon, Abyssline Project

Ich will es genauer wissen: Vier Bewohner im Umfeld der Manganknollen

Oktopus «Casper»
Mit fast transparenter Haut und schwarzen Knopfaugen sieht dieser winzige Oktopus aus wie der Comic-Geist Casper. 2016 hat der Tauchroboter Okeanos Explorer den Tintenfisch in über 4000 Meter Tiefe entdeckt. Weibchen legen ihre Eier auf die toten Stiele von Schwämmen, die an Manganknollen befestigt sind.

Schlangensterne (Ophiuroidea)
Sie sind die nächsten Verwandten der Seesterne. Doch mit ihren langen, gelenkigen Armen kriechen sie viel schneller über den Meeres­boden. Schlangen­sterne leben sehr versteckt: Oft ragen nur ihre Arme unter einem Stein oder einer Ritze hervor, während sie versuchen, herum­schwebende Nahrung zu ergattern. Sie haben nur eine Öffnung an ihrer Unterseite, die gleichzeitig als Mund und Anus dient.

Seegurke (Psychropotes longicauda)
Nur wenige sind so seltsam wie diese knallgelbe Seegurke, die den Spitznamen «Gummi­eichhörnchen» trägt. Ihr Schwanz ragt in die Höhe wie bei einem Eichhörnchen. Wissenschaftler spekulieren, dass die Seegurke ihren Schwanz als Segel benutzt, um in den tiefen Meeres­strömungen zu treiben.

Tiefsee-Eidechsenfisch (Bathysaurus mollis)
Dieser Fisch mit hervor­stehenden Zähnen und dunklen Augen liegt generell still am Boden und wartet darauf, ahnungslose Beute zu überfallen. Der Tiefsee-Eidechsen­fisch wird ungefähr 60 cm lang und kommt auch im Indischen Ozean und im Atlantik vor.

Verwandte der Seesterne: Schlangensterne. NOAA Office of Ocean Exploration and Research, Windows to the Deep 2018
Schlangensterne leben versteckt … NOAA Office of Ocean Exploration and Research, Windows to the Deep 2018
… und sind schnelle Kriecher auf dem Meeresboden. NOAA Office of Ocean Exploration and Research, Windows to the Deep 2018

Der Meeresgrund bleibt schlechter erforscht als die Oberfläche des Mondes.

Deep-Green-Chef Barron sieht das anders: «Der Begriff ‹viele Unbekannte› wird beiläufig herum­geworfen, ohne Einzelheiten zu nennen, und hinterlässt oft den Eindruck, dass wir nichts über unsere Betriebs­umgebung wissen», schreibt er auf Anfrage der Republik. Hunderte Arten seien entdeckt und beschrieben worden und mindestens 1500 Tonnen Knollen­proben seien seit 1970 gesammelt worden. «Wir beginnen nicht bei null.»

2. Das Gebiet: Insel­staaten hoffen auf neue Einnahmen

Die Ankündigung der Cook-Inseln, nach Mangan­knollen zu suchen, kam nicht überraschend. Die Regierung hatte dies schon lange geplant. Die sogenannte ausschliessliche Wirtschafts­zone erstreckt sich über zwei Millionen Quadrat­kilometer, wobei mehr als die Hälfte des Wassers bis zu 5500 Meter tief ist. In dieser Zone haben die Cook-Inseln das alleinige Recht auf Rohstoff­abbau und Fischfang.

Und in diesen tiefen Gewässern wimmelt es nur so von den Klumpen. Auch in der Clarion-Clipperton-Zone, die nördlich der Cook-Inseln liegt und sich von Hawaii aus Tausende Kilometer Richtung Mexiko erstreckt, sollen die Vorkommen riesig sein. Hier wird die höchste bekannte Konzentration an Manganknollen vermutet. Daraus liessen sich laut Schätzungen 50 Millionen Tonnen Kobalt, 230 Millionen Tonnen Nickel und 230 Millionen Tonnen Kupfer produzieren – mehr als die bekannten Reserven an Land.

Die Cook-Inseln sehen in der neuen Industrie eine Chance, unabhängiger von der Fischerei und vom Tourismus zu werden. Dass das sinnvoll sein kann, zeigt sich gerade jetzt: Obwohl die Cook-Inseln selbst bislang keinen einzigen Fall von Covid-19 registrierten, ist der Tourismus eingebrochen. Das kann zwar positiv für die Umwelt sein, hat aber verheerende Folgen für die Bevölkerung, da der Tourismus fast zwei Drittel der Wirtschafts­leistung ausmacht. Laut einer Schätzung der Bankengruppe ANZ wird die Wirtschaft der Cook-Inseln dieses Jahr um 60 Prozent schrumpfen. Und seit die Inseln 2019 den Status eines entwickelten Landes erhalten haben, sind auch die Förder­gelder von Neuseeland und Australien ausgetrocknet.

Atlantik

Pazifik

Cook-Inseln

Indischer

Ozean

Manganknollen

Massivsulfide

Kobaltkrusten

Ausschliessliche Wirtschaftszone (200-Meilen-Zone)

Clarion-Clipperton-Zone

Atlantik

Pazifik

Indischer

Ozean

Cook-Inseln

Manganknollen

Massivsulfide

Kobaltkrusten

Ausschliessliche Wirtschaftszone

(200-Meilen-Zone)

Clarion-Clipperton-Zone

Viele Möglichkeiten zur Diversifizierung gibt es nicht. Seit Jahrzehnten verkauft die Regierung bereits Fischerei­lizenzen an ausländische Schiffe. Die lokale Umwelt-NGO Te Ipukarea Society kritisiert, dass die Regierung den Tiefsee­bergbau nun als Allheil­mittel anpreise, um die Verluste aus dem Tourismus zu kompensieren. Der Entscheid sei überstürzt. Man wisse nicht einmal, was es da unten überhaupt gebe.

Die Regierung wiederum rechtfertigt den Tiefseebergbau, indem sie auf mögliche neue Einkommens­ströme, Arbeits­plätze und Ausbildungen sowie den Beitrag zur Entwicklung erneuerbarer Energien hinweist. Rechnet man mit den Mineral­preisen von 2015, würde eine Mine den Cook-Inseln jährlich etwa 45 Millionen US-Dollar einbringen. Das ist deutlich mehr als die bereits ausgebeutete Fischerei erwirtschaftet und entspricht etwa 30 Prozent der Tourismus­einnahmen vor der Pandemie.

Der Abbau von Tiefsee­ressourcen bietet da einen sehr lukrativen Ausweg.

3. Die Gefahr: Goldrausch auf Kosten der kaum erforschten Tiere

Die Folgen des Tiefsee­bergbaus sind hoch umstritten. Denn der Ozean wird bereits leergefischt, verschmutzt und durch die globale Klimaerwärmung bedroht. Das Ernten von Mangan­knollen könnte nach Einschätzung von Wissenschaftlerinnen erhebliche und irreversible Schäden in einem bisher nahezu unberührten Ökosystem verursachen.

Wie gross der Schaden sein könnte, weiss noch niemand. Doch bei der Suche nach Antworten steht die Wissenschaft in einem Wettlauf mit Rohstoff­firmen und Staaten.

Mehrere Bergbaufirmen haben die Clarion-Clipperton-Zone im Visier, und über zwei Dutzend Länder – darunter Deutschland, Belgien, China sowie 12 Entwicklungsländer – haben bei der Internationalen Meeres­boden­behörde der Uno (ISA) eine Lizenz erworben, um in diesen internationalen Gewässern nach Knollen zu suchen und Proben zu sammeln. Darunter auch Länder, die bisher nicht vom Bergbau an Land profitiert haben – und solche, die stark unter den Corona-Reise­beschränkungen leiden und sich wie die Cook-Inseln mit dem Tiefsee­bergbau neue, nachhaltige Einnahmen erhoffen. Die pazifischen Insel­staaten Nauru, Kiribati und Tonga kooperieren bereits mit Deep Green.

Aber können die Meere überhaupt als umwelt­verträgliche Rohstoff­quelle dienen? Oder wäre es ein Milliarden­geschäft auf Kosten der Natur?

Biologen untersuchen Proben vom Meeresboden. Deep Green

Umweltschützer wie Matthew Gianni sind besorgt. Er hat die Deep Sea Conservation Coalition mitgegründet, eine Gruppe von 80 NGOs. Beginne eine Firma wie Deep Green mit dem kommerziellen Abbau, würden andere Unternehmen und Länder schnell folgen, glaubt er. «Sobald die ISA die Tür öffnet, wird die Wirtschaftlichkeit der Branche vorangetrieben, und wenn sie sich als rentabel erweist, wird dies wahrscheinlich zu einem Goldrausch führen.» Die Überwachung von Umwelt­auswirkungen und Verstössen gegen die Vorschriften wäre schwierig.

Der Bergbau wird das empfindliche Ökosystem am Meeres­boden durcheinander­bringen. Darüber sind sich Wissenschaftler einig. Die Frage ist, wie stark. In den Tiefen der Meere läuft alles im Zeitlupen­tempo. Viele Lebewesen kommen mit nur wenig Nahrung aus. Wie sie sich fortpflanzen, ausbreiten und wie sie quer über den Pazifik miteinander vernetzt sind, wurde kaum erforscht.

Der Abbau wird zwangsläufig Sedimente aufwirbeln, die vom natürlichen Wasserfluss weggetragen werden. Beim Absinken könnten diese Sediment­fahnen Seegurken, Korallen und andere Tiere unter sich begraben, die Partikel aus dem Wasser heraus­filtern und sich davon ernähren. Unklar ist, wie weit sich die Fahnen über das Bergbau­gebiet hinaus verbreiten könnten. «Das sind Fragen, die wir nicht beantworten können», sagt der deutsche Meeresforscher Matthias Haeckel. «Wahrscheinlich auch nicht in den nächsten zehn Jahren.»

Haeckel arbeitet für das Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozean­forschung in Kiel und koordiniert das europäische «Mining Impact»-Projekt, das die ökologischen Auswirkungen des Tiefsee­bergbaus erforschen soll. Eigentlich sollte er gerade in der Clarion-Clipperton-Zone sein und den Probelauf einer Sammel­maschine dokumentieren, die eine belgische Bergbau­technik­firma entwickelt hat. Doch Corona-Reise­beschränkungen machten dies unmöglich.

Spurensuche nach Langzeitwirkungen von Eingriffen ins Meeresleben: Das Forschungsschiff Sonne im Südostpazifik. Emanuel Wenzlaff, Geomar

Trotzdem hat sein Team gerade alle Hände voll zu tun. Schon auf den letzten Ausfahrten fanden die Biologen Hunderte bislang unbekannte Arten von Lebewesen. «Die Biodiversität ist extrem hoch. Das liegt daran, dass so wenig Nahrung da ankommt», sagt Haeckel. Was wie ein Widerspruch klingt, hat in Wirklichkeit mit der Spezialisierung der Lebewesen zu tun. Am Meeres­grund ist es stockdunkel, eiskalt, und das Wasser übt einen enormen Druck aus. Viele Arten haben sich dem Leben in der Tiefsee angepasst, sie haben sich auf diese Umgebung spezialisiert. Tiefsee-Eidechsen­fische zum Beispiel sparen kostbare Energie, indem sie geduldig auf dem Meeres­boden liegen, bis die Beute in ihre Reichweite kommt. Mit ihren extragrossen Pupillen erkennen sie die kleinste Bewegung. Mithilfe von mehr als einer halben Million Fotos und Videos sowie der Analyse von gesammelten Proben versuchen die Forscher nun, den eigentlichen Umfang der Arten­vielfalt zu enthüllen.

An Bord des Forschungsschiffs Sonne untersuchten sie vor fünf Jahren auch Pflugspuren, die andere Wissenschaftler bis zu 40 Jahre zuvor auf dem Meeres­grund hinter­lassen hatten. Die Spuren waren noch genau zu erkennen. Nicht einmal Mikroben hatten sich wieder vollständig erholt – ein Prozess, der 50 bis 60 Jahre dauern könnte. Bis sich im Tiefsee­schlamm wieder Würmer, Schnecken und Seegurken ansiedeln, die wiederum von Fischen gefressen werden, dauert es noch länger.

Und diese Spuren stammen lediglich von kleinen Forschungsexperimenten.

Im Tiefseebergbau würden nun ferngesteuerte Sammler über mehrere hundert Quadratkilometer pro Jahr die obersten 10 bis 15 Zentimeter des Meeres­bodens abbauen. Da die Mangan­knollen selbst so langsam wachsen – lediglich 10 bis 20 Millimeter in einer Million Jahren –, wird sich das Ökosystem kaum von so einem Eingriff erholen können.

4. Das Experiment: Wie man zusammen­arbeiten könnte

Die Situation scheint festgefahren – im Dilemma zwischen Wirtschaft und Forschung. Oder gibt es etwa einen Mittelweg?

Es muss einen geben, glaubt Maria Tuoro. Die Direktorin der Meeres­schutzzone Marae Moana will den «heiligen Ozean» um die Cook-Inseln bewahren. Sie vertritt die Meinung, dass der Meeres­park mehrere Zwecke erfülle. Ausserhalb von natur­geschützten Bereichen seien kulturelle und wirtschaftliche Aktivitäten erlaubt – dazu gehöre auch der Tiefsee­bergbau, welcher der dringend benötigten Meeres­forschung dienen könnte. «Ich möchte, dass unser Volk darüber informiert wird, was sich in der Tiefsee befindet und was unsere Verantwortungen sind», sagt sie.

Doch die Tiefsee zu erforschen, braucht Zeit. Zeit, die sich die Cook-Inseln scheinbar nicht nehmen wollen. Als Tuoros Vorgängerin sich letztes Jahr in einer internen E-Mail für den temporären Stopp des Tiefsee­bergbaus im Pazifik ausgesprochen hatte, wurde sie entlassen.

Dennoch glaubt Tuoro an die Zukunft von Marae Moana. Dafür müsse nur festgelegt werden, welche Aktivitäten innerhalb des Meeres­parks wo zulässig sind. Ein Beratungs­gremium, zu dem nebst NGOs auch Regierungs­beamtinnen und traditionelle Führer (Ariki) gehören, arbeitet momentan daran. «Dann können wir uns zu Menschen des Ozeans und nicht nur der Inseln erklären», sagt Tuoro.

Obwohl Tiefsee­bergbau und Meeres­schutz auf den ersten Blick nicht vereinbar scheinen, sind manche Expertinnen überzeugt, dass sie sogar voneinander abhängen. Zum einen würden die Unter­nehmen Feld­untersuchungen durchführen müssen, um zu zeigen, dass ihre Roboter am Meeres­boden arbeiten können, ohne einen verheerenden Schaden zu verursachen. Zum anderen profitierten die Meeres­forschung und daraus resultierende Schutz­massnahmen von den industriellen Investitionen in Technologien und Erkundungen. Ob diese die Risiken wert sind, lässt sich allerdings nicht so einfach beantworten.

Die meisten Firmen halten zudem die Details zu ihren Tiefsee­robotern noch geheim, weshalb es schwierig ist, die ökologischen Auswirkungen einzuschätzen. «Da braucht man eben auch Demoprojekte, wo mal grössere Flächen geschädigt werden durch die Industrie, auch wenn das so ein bisschen paradox klingt», sagt Meeresforscher Haeckel.

Einige Unternehmen planen, ein Boden­fahrzeug mit einer Art Nabelschnur zur Oberfläche zu verwenden. Eine zweite Maschine an Bord des Schiffes wird das Material dann hinauf­pumpen und unerwünschte Sedimente zurück ins Meer leiten – möglicherweise ein bis zwei Kilometer in die Tiefe anstatt am Meeresboden, wo der Abbau stattfinden soll.

Dabei besteht die grosse Gefahr, dass etwas übersehen wird. Davor warnen 19 Forscher in einem Ende Juli veröffentlichten Beitrag. Sie argumentieren, dass die mittleren Tiefenzonen des Ozeans bisher nicht berücksichtigt wurden. Diese beginnen 200 Meter unter der Oberfläche und erstrecken sich bis zum Meeresboden. 100-mal grössere Fisch­bestände als der weltweite jährliche Fischfang würden sich in diesen Zonen befinden. Der Abbau könnte zu Lärm, Vibrationen und Lichtverschmutzung in einem Bereich führen, der normaler­weise still und stockdunkel ist. Für Wale, Fische und andere Meerestiere, die Echoortung nutzen oder ihr eigenes Licht produzieren, um Beute oder einen Partner zu finden, wäre das problematisch. Ausserdem könnten Rückstände toxischer Metalle in die Nahrungs­kette des Meeres gelangen.

Es stellen sich zwei grundlegende Fragen:

  1. Was, wenn etwas schiefgeht? Glencore vergiftete jahrelang die Luft um ihre Kupfermine in Sambia mit Schwefelgas und muss nun die Familie einer verstorbenen Politikerin entschädigen. Auf 6000 Metern in der Tiefe kriegt man ein Minen­unglück jedoch kaum mit. Es lässt sich etwa schwer beweisen, dass gewisse Fisch­bestände aufgrund von entladenen Sedimenten und Restmetallen zurück­gegangen sind. Auch wenn ein Bergbau­unternehmen einen Schaden melden würde, müsste erst geklärt werden, wer dafür haften würde und wie man die Höhe des Schadens überhaupt beziffert.

  2. Wie schützt man ein Gebiet, das man kaum versteht? Die Meeres­boden­behörde entwickelt Umwelt­vorschriften und ist darauf angewiesen, dass Unter­nehmen über ihre Erkundungs­fahrten berichten und akademische Forscherinnen wie das Team um Haeckel grundlegende Daten bereitstellen.

Aus diesem Grund haben das EU-Parlament, die Minister­präsidenten von Fidschi, Vanuatu, Papua-Neuguinea sowie die Deep Sea Conservation Coalition ein Moratorium für den Tiefsee­bergbau gefordert – zumindest bis man alle möglichen Risiken verstanden hat. Die Uno hat den Zeitraum von 2021 bis 2030 schon als Dekade der Ozean­forschung erklärt. Ihre Meeres­boden­behörde, die ISA, will jedoch nicht warten.

5. Der Ablauf: Jeder bekommt ein Stück vom Kuchen

Am 24. Juni lud ein Ausschuss des belgischen Parlaments zu einer virtuellen Anhörung ein, um die Frage des Moratoriums zu diskutieren. Unter den eingeladenen Expertinnen war auch ISA-Generalsekretär Michael Lodge. Sein Standpunkt: Ein Moratorium würde gegen die Wissenschaft, die Entwicklung und das internationale Recht wirken. «Es würde die Investitionen in die wissenschaftliche Meeres­forschung erheblich beeinträchtigen, da unter solchen Umständen weder ein staatliches noch ein privates Unter­nehmen Geld für Erkundungen ausgeben würde.»

Auch Meeresforscher Haeckel äusserte sich während der Anhörung. Ein kompletter Stopp des Tiefsee­bergbaus würde auch die Forschung stoppen: «Dann lernen wir nichts, und das Moratorium wäre vergebens», sagte er.

Noch hat kein Unternehmen mit dem kommerziellen Tiefsee­bergbau begonnen. Unter anderem fehlt noch das nötige Regelwerk. Eine Aufgabe der Meeresbodenbehörde ISA ist es, darüber zu wachen, dass die Bodenschätze nur zum «gemeinsamen Erbe der Menschheit» abgebaut werden. Jedenfalls die Schätze, die in internationalen Gewässern liegen.

Das sagt die «Convention on the Law of the Sea», die 1994 von 167 Staaten und der EU ratifiziert wurde und die Geburts­stunde der ISA mit Sitz in Jamaika markierte. Das Über­einkommen setzt auch voraus, dass vor allem die Interessen von Entwicklungs­ländern und Ländern, die keinen Zugang zum Meer haben, berücksichtigt werden.

Eine weitgehend unerforschte Welt: Der Meeresboden. NOAA Office of Ocean Exploration and Research, 2019 Southeastern US Deep-sea Exploration/Science Photo Library/Keystone

Die Meeresboden­behörde hat für jeden eingegangenen Antrag bereits eine Lizenz zur Erkundung für 15 Jahre erteilt: 30 Gruppen – darunter Regierungen, öffentlich-private Partnerschaften, internationale Konsortien und private Unternehmen – dürfen eine Fläche dreimal so gross wie Spanien erkunden. Auch die Cook-Inseln haben einen Bereich in der Clarion-Clipperton-Zone beansprucht.

Die Zeit drängt, denn nächstes Jahr laufen die ersten Erkundungs­lizenzen ab. Deshalb wollte die ISA im Juli einen mining code veröffentlichen, der die Regeln beschreibt und den Startschuss für den kommerziellen Tiefsee­bergbau markiert. Dann können Bergbau­firmen 30 Jahre lang Mangan­knollen wie Kartoffeln vom Acker einsammeln. Doch der Zeitplan ist ins Wanken geraten.

Die ISA-Mitglieds­staaten sind sich noch immer uneinig, wie künftige Gewinne aufgeteilt werden sollen. Unklar ist auch, wie Länder, die vom terrestrischen Bergbau finanziell abhängig sind, entschädigt würden, sollte sich die Industrie ins Meer verlagern.

Selbst Deep-Green-Chef Barron ist nicht mehr so optimistisch, dass der mining code noch dieses Jahr verabschiedet wird. «Trotz erheblicher Fortschritte [in den Verhandlungen] ist es nicht klar, wie realistisch dieses Ziel war», schreibt er. «Und Covid-19 hat sicherlich nicht geholfen.» Aufgrund der Pandemie wird die jährliche ISA-General­versammlung nun voraussichtlich Anfang Dezember stattfinden.

Die Meeres­boden­behörde muss einen Weg finden, damit Industrie­unternehmen und Staaten profitieren können. Ganz im Sinne des «gemeinsamen Erbes der Menschheit», aber ohne einen verheerenden Schaden am Meeres­boden anzurichten. Das heisst, wenn die Minen einmal im Betrieb sind, werden lizenzierte Bergbau­firmen der ISA eine Gebühr zahlen, die dann an alle Mitglieds­staaten verteilt wird. Aber Umwelt­schützer Matthew Gianni, der bei der ISA selbst Beobachter­status hat, sieht hier einen Interessen­konflikt: «Die ISA wird aus den Einnahmen des Bergbaus, den sie regulieren soll, finanziert. Es wird also Anreiz geben, Lizenzen zu verteilen.»

Vor zwei Jahren hat die ISA Forscherinnen vom Massachusetts Institute of Technology in den USA damit beauftragt, mögliche Zahlungs­regelungen vorzurechnen. In jedem Fall müssten die Lizenz­gebühren zuerst die Verwaltungs­kosten der ISA decken, bevor sie als Gewinne an die 168 Mitglieds­staaten verteilt würden. Das heisst, die einzelnen Staaten würden weniger als 160’000 Dollar pro Jahr erhalten. Sponsor­staaten, die Bergbau­unternehmen direkt besteuern, würden zwar einiges mehr davon abkriegen. Im Fall von Deep Green sind das Nauru, Kiribati und Tonga.

Doch Gianni glaubt nicht, dass sich die ökologischen Risiken lohnen. «Wenn die ISA ihren derzeitigen Weg fortsetzt, wird sie schliesslich ein globales Gemeingut spottbillig verkaufen», sagt er. «Nur wenige Länder und Unternehmen werden tatsächlich davon profitieren, und dem Rest von uns, der Menschheit, bleiben nur der Verlust der biologischen Vielfalt und degradierte Ökosysteme zurück.»

Es wäre ein hoher Preis für eine nachhaltige und saubere Energiezukunft.

Zur Autorin

Sabrina Weiss ist Journalistin und Autorin in Zürich und schreibt vor allem über die Wissenschaft, Umwelt- und Gesundheits­themen. Sie hat jahrelang in London gelebt und für britische Magazine wie «Wired UK», «New Statesman» und «Positive News» geschrieben. Seit September 2020 arbeitet sie für die «Neue Zürcher Zeitung». Weiss hat drei Sachbücher für Kinder geschrieben, die sich mit dem Ozean, den Inseln und der Tierwelt befassen. Als erfahrene Taucherin war sie schon immer vom Leben im Meer fasziniert und hat das Rennen um die Rohstoff­schätze der Tiefsee mit grosser Aufmerksamkeit verfolgt.