Diese Übersichtlichkeit: Peter Fischli im Kunsthaus Bregenz. Miro Kuzmanovic

Subtile Subversion

In seiner ersten Einzelausstellung knüpft Peter Fischli in Bregenz an seine Anfänge mit David Weiss an. Und entzaubert durch sanfte Eingriffe den Kunsttempel – und die Kunst. Ein seltenes Gespräch mit dem Künstler.

Von Stefan Zweifel, 24.10.2020

Das waren nur angemalte Schachteln.

Welche Inspiration!

Bombenidee!

Ratte und Bär im Film «Der geringste Widerstand» (1981) von Fischli/Weiss.

Gerade hatten Peter Fischli und David Weiss 1980 in der Ausstellung «Saus und Braus» in Zürich ihre erste gemeinsame Arbeit gezeigt: die legendäre «Wurstserie». Cervelats in Umhängen aus Fleischkäse scheinen dort als «Eitles Pack» – es war die Zeit der Zürcher Opernhaus­krawalle – in die nächste Premiere zu stolzieren; James Bonds «Moonraker» startet als Milch­flasche im Eisfach des Kühl­schranks durch; die Erhabenheit der Schweizer Alpen entpuppt sich als Falten­wurf in der Bettdecke.

Kaum hatten Fischli/Weiss also zum ersten Mal den lakonischen Witz ihrer Arbeiten erprobt und mit Materialien experimentiert, die im Kanon der Kunst normaler­weise keinen Platz haben, da kam schon der nächste Streich. Als Ratte und Bär verkleidet trippelten sie 1981 in eine Kunst­ausstellung: Im ersten Film des Duos, «Der geringste Widerstand», beschliessen die beiden Tiere, eine Karriere als Künstler zu starten und gleichzeitig den Mord an einem Bildhauer in einer Galerie in Los Angeles aufzuklären. So tappen sie durch eine Ausstellung und bewundern seltsame eckige Skulpturen. Und es entspinnt sich folgender Dialog zwischen Ratte und Bär:

Hast du das gemacht?

Bist du wahnsinnig?

Nicht schlecht. Sehr geschmackvoll.

Mir gefällt dieser Stil. Ebenso harmonisch wie ausgewogen.

Sehr wertvoll und gut ausgestellt. Ausgezeichnet.

So von schlichter Heftigkeit. Komm!

Zart. Streng dekorativ. Denkst du, wir könnten das auch?

Zum Denken bin ich ja noch gar nicht gekommen.

«Der geringste Widerstand» (1981) von Fischli/Weiss.

Wer aber war der «ermordete» Künstler, der die Werke in der Ausstellung aus dem «geringsten Widerstand» geschaffen hatte? Wir erfahren es erst heute, 40 Jahre später, in der ersten Solo­ausstellung von Peter Fischli, die jetzt in Bregenz zu sehen ist: Fischli selbst!?! Mit abgründiger Ironie kopiert er, gleichsam back to the future, einzelne Ausstellungs­stücke aus dem Film und reiht sie in einen Reigen neuer Arbeiten ein. Mit ihnen entwickelt er in Bregenz auf sanft tastende Weise seine eigene Sprache als Künstler weiter und hinterfragt mit unscheinbaren Eingriffen das Museum als Institution selbst.

Braque, Chagall – und ein Tatar

Da sitzt er vor mir, Peter Fischli, im Restaurant Kronenhalle, das nicht nur als Institution der Zürcher Esskultur, sondern auch als Tempel der Kunst gilt. Gerade werden Touristen vom Chef de Service an unserem Tisch vorbei­geführt: «Das da ist ein Braque, und hier ein Chagall …» Ah! und Oh! mischen sich in den Klang des Tafelsilbers. Der Fetisch des Originals wird in der «Kronenhalle» genauso zelebriert wie die virtuose Zubereitung eines Tatars am Tisch. Die Aura des Originals hallt aus dem Echoraum der Religion durch den Kunst- und Esstempel. Diese Tradition «dekonstruierten» Fischli/Weiss ein gemeinsames Künstler­leben lang. Und jetzt?

Fischli bestellt einen Gurkensalat, und ich erinnere mich an ein aufschluss­reiches Foto: Bei der Verleihung des «Prix Caran d’Ache des Beaux-Arts» 1989 an Fischli/Weiss sieht man die beiden jungen Künstler hinter Hans Erni und Max Bill in die Kamera grinsen – den beiden Schutz­patronen der voran­gehenden Generation. Es ist eine Wach­ablösung mit autobiografischer Pointe: Peter Fischli verlebte seine Kindheit als Sohn des Künstlers Hans Fischli in ebenjenem Bauhaus-Umfeld, das von Max Bills Schule der Zürcher Konkreten beherrscht wurde. Er erzählt, wie er damals in Meilen in einer kubischen Villa im Stil einer «Schuh­schachtel» gelebt habe und von den Mitschülern gern damit gehänselt wurde.

Gute Stimmung in der «Kronenhalle»: Die Altmeister Hans Erni (ganz links) und Max Bill (ganz rechts) bei der Verleihung des «Prix Caran d’Ache des Beaux-Arts» – und dahinter freuen sich die jungen Peter Fischli (links) und David Weiss auf die Wachablösung. Niklaus Stauss/AKG

Den aufklärerischen Ernst und die «Geschmacks­polizei» des Bauhauses unterlief er dann schon nach einem ersten Ausflug mit David Weiss. Dieser Ausflug führte die beiden 1979 nicht etwa zu einer architektonischen Ikone der Moderne – sondern zu Möbel Pfister. Und das in zahllosen Variationen wie etwa der Fotografie «Anos Teppich­laden», in dem statt Perser­teppiche Mortadella und Wurst­rädchen zwischen Essig­gurken ausliegen. Oder mit der kubischen Skulptur, die sich im Film «Der geringste Widerstand» als Mord­waffe entpuppt. Nun also kehrt er zu seinen Anfängen zurück.

Den gebratenen Fisch zerteilend, erinnert sich Fischli, wie es zu seiner Idee kam, die anonyme Ausstellung aus dem Film von 1981 zum Ausgangs­punkt einer neuen Arbeit zu machen: 2016 zeigte er im Guggenheim-Museum in New York eine spektakuläre Retrospektive über das gesamte Werk, das er mit David Weiss bis zu dessen Tod 2012 ausgeheckt hatte.

Darunter waren Klassiker wie der Film «Der Lauf der Dinge», der zu den wichtigsten Schlüssel­werken des 20. Jahrhunderts zählt und etwa vom Kunst­theoretiker Arthur C. Danto zum philosophischen «Meister­werk» und «Genie­streich» erklärt wurde. Oder die gigantische Ansammlung von Ton­skulpturen aus «Plötzlich diese Übersicht». Wo mit dem vom modernen Kunst­betrieb verschmähten Material, das wir alle aus dem Kinder­garten kennen, die Welt der banalen Gegensätze wie «hoch» und «niedrig», «hinten» und «vorn», «Mann» und «Frau» auf die schiefe Bahn des «Ohnesinns» geraten. Und wo Stars der Spektakel­gesellschaft zu unförmigen kleinen Tonfiguren mutieren, wie etwa «Mick Jagger und Brian Jones befriedigt auf dem Heimweg, nachdem sie ‹I can’t get no satisfaction› komponiert haben».

Die Idee der Attrappe

Die beiden Künstler hatten diese riesige Werkschau im Guggenheim noch vor David Weiss’ Tod an einem Modell vorbereitet. «Es war der Moment, wo mich immer alle fragten: Und jetzt?», erzählt Peter Fischli.

«Da kam es mir gelegen, dass John Kelsey mich einlud, bei ihm in Los Angeles, in der House of Gaga Gallery, eine Ausstellung mit einem neuen eigenen Werk zu machen. Natürlich hatte ich mir die Frage ‹Und was machst du jetzt?› auch schon selbst gestellt. Und da dachte ich, ich könnte mir und den andern eine Pseudo­antwort geben. Eine Arbeit mit keinem klaren Absender. Mir kam in den Sinn, wie David und ich für den Film Skulpturen gemacht haben, die sich Ratte und Bär anschauen. Das war die erste Idee. Okay: Ich könnte ja jetzt diese Ausstellung machen. Dazu kam dann natürlich die Idee der Attrappe. Eine Ausstellung, die wie eine Ausstellung aussehen muss, aber für ein Filmset – die also nur eine Attrappe einer Ausstellung ist. Das passt sehr zu Los Angeles und knüpft auch an die Idee der Attrappen an, die Fischli/Weiss immer wieder gemacht haben. Das ist nur eine biografische Anekdote, aber so kam ich auf die Idee mit Verpackungs­material. Mich begannen die Verpackungen zu interessieren, da sie in der Welt der Dinge einen ganz speziellen Status haben. Sie sind nicht die Sache selber, sie sind nur der Träger, der Transport zwischen Produzent und Konsument. Sie sind in einem Limbo.»

Die Installation in der House of Gaga Gallery kreiste dann tatsächlich um das Thema der Verpackung: «Cans, Bags & Boxes». Die Arbeit besteht aus rund 300 Skulpturen und ist nun auch im ersten Stock in Bregenz zu sehen: Auf einem weissen Sockel steht als Erinnerung an den «geringsten Widerstand» eine bunte kubische Skulptur, die der Tatwaffe im Mordfall gleicht.

Ganz hinten, wie als ferne Erinnerung an Ratte und Bär, eine schwarze und eine weisse Büchse. Sie betrachten den Tanz der Figuren und Formen auf den weissen Sockeln. Dabei entpuppen sich die Träger der Skulpturen, das heisst die dominierenden weissen Sockel, selbst als eigenständige Gebilde. Die übliche Hierarchie der musealen Präsentation wird zur Kippfigur – vielleicht sind ja die Sockel aus Karton das eigentliche Werk.

Alles eine Frage der Verpackung: «Cans, Bags & Boxes», 2017–2019. Markus Tretter/Kunsthaus Bregenz
«Reliefs (Monkeys)», 2019. Peter Fischli/Kunsthaus Bregenz
«Collagen (Wir Ungestalten)», 2016–2020. Peter Fischli/Kunsthaus Bregenz

Man ahnt rasch, dass ein unausgesprochenes Regelwerk die Figuren­anordnung lenkt. In der «Kronenhalle» legt Fischli die weisse Serviette ab, zitiert das «Sesam öffne dich» und sagt einsilbig: «Oulipo». Ein Verweis auf eine legendäre Literaten- und Mathematiker­gruppe, die in Frankreich in den 1970er-Jahren Bücher nach mathematischen Regeln mit der Struktur von Schach­rätseln konstruierte. Zum Beispiel Georges Perecs Meisterwerk «Das Leben. Gebrauchsanweisung»: Der Autor wies vor Abfassung des Romans jedem Kapitel 42 Stichworte zu, die darin vorkommen mussten – Namen von Künstlern, Listen literarischer Werke, Möbel und Jahreszahlen. Aus der Schachbrett-Kombinatorik der Stichworte ergaben sich dann die Regeln, nach denen die Handlung des Romans konstruiert wurde.

Ein ähnliches Regelwerk steuert Fischlis Installation, wobei er die Regeln natürlich nicht verrät, aber man merkt: Büchsen, Säcke und Schachteln sind drei Grundformen unserer Konsum­welt, mit denen die Gebrauchs­güter verpackt werden. In gewisser Weise lösen sie damit die drei alten Ideale der Kunst seit der Antike – das Wahre, das Gute und das Schöne – durch einen neuen Dreiklang ab. Wie Atome wirbeln die drei Verpackungs­formen durch den Raum des Museums und verdichten sich zu verschiedenen Molekülen einer neuen Schöpfung.

Mal haben die Büchsen keinen Boden, mal schwappt in ihnen die Farbe bis zum Rand hoch oder verhärtet sich am Boden. Mal liegen die Büchsen in einer Schachtel und spielen mit der Dialektik von innen und aussen. Mal tragen sie Mickey-Ohren wie die Werke des Popkünstlers Claes Oldenburg. Mal wirken sie eher impressionistisch angehaucht oder eben streng konstruiert wie die Werke der Zürcher Konkreten.

Vom Heroischen ins Banale

Auch den Fetisch­charakter der Kunst­werke ironisiert Fischli auf diskrete Weise: Falls die Büchsen dereinst durchleuchtet werden sollten wie Meister­werke von Rembrandt oder van Gogh, werden die Restauratoren unter der täuschend echt glänzenden Oberfläche statt auf Keramik auf Karton stossen: Fischli formte die Gebilde nämlich aus Papier, das aus NZZ-Exemplaren von 1914 und Illustrierten­seiten der «Neuen Presse» von 1968 stammt. Damit lassen sich die Werke datieren wie mit den Farbpigmenten oder den Leinwänden ein van Gogh.

Dabei werden die historisch aufgeladenen Eckdaten, die für den Ausbruch des Ersten Weltkriegs und die 68er-Revolte stehen, durch das Material einer dritten Gruppe ironisiert, die sich als «Migros-Magazin» von 2016 und 2017 entpuppen. Dieses Abgleiten aus dem Heroischen ins Banale war immer schon typisch für Fischli/Weiss. Freilich ist Fischli, im Gegensatz zu Ratte und Bär im Film, «zum Denken gekommen», und so versteckt sich im Packungs­material eine alles andere als oberflächliche Frage: Ist nicht das Museum selbst «nur» eine Verpackung, in der im Rhythmus der Wechsel­ausstellungen als Inhalt neue Kultur­güter verkauft werden?

Nein, das sind keine Wolken: «Papierarbeiten», 2020. Markus Tretter/Kunsthaus Bregenz
Aber sind diese «Papierarbeiten» im obersten Stock im Kunsthaus Bregenz … Peter Fischli/Kunsthaus Bregenz
… gar ein Symbol für das Ende der Malerei?Peter Fischli/Kunsthaus Bregenz

Auf diese Spur führt schon die Einladungs­karte: Darauf ist nicht das Kunsthaus Bregenz zu sehen, sondern das Guggenheim-Museum in Bilbao. Es lässt sich kaum ein grösserer Gegensatz zwischen der strengen Nüchternheit von Peter Zumthors Bau in Bregenz und dem postmodernen Wahr­zeichen von Frank Gehry in Bilbao ausmalen. Die Bauten aber verbindet der Wunsch der beiden doch eher provinziellen Städte, durch ein spektakuläres Wahrzeichen als Kunst­mekka wahrgenommen zu werden.

Zumthor nahm das wörtlich und baute eine Art Kaaba: Mit Blick auf den See erhebt sich das Museum in Bregenz als Kunst­kubus, die Wände sind aus rauem Beton, während die Decken hell und hehr erstrahlen. Die Empfangs­halle des Museums hat Zumthor mit wuchtigen Einbauten aus Ahornholz veredelt. Fischli jedoch verschalt die Einbauten mit profanen weissen Holzfaser­platten und verbannt den Empfang selbst ins Soussol. Damit wird ganz nebenbei die Erhabenheit von Zumthors Architektur entheiligt.

Doch noch immer liebt Fischli die Gegensätze: Im Gegenzug installiert er hochwertige Bronze­boxen an den Wänden, in denen didaktische Erklärungen zu den ausgestellten Werken aufliegen – allerdings nur im ersten Stock. Danach werden die Boxen ihrer Aufgabe enthoben und schweben als Skulpturen an den Wänden. Statt diskursivem Inhalt gibt es wieder nur Verpackung. Die Diskurs­maschine kommt ins Stocken – und im obersten Stock schliesslich sieht man statt Bildern nur noch leeres weisses Papier an den Wänden, am Rand abgebrannt und verkohlt.

Der Terror der Avantgarde, die immer wieder dazu aufrief, die Wände der Museen zu durchbrechen, ja die Museen nieder­zubrennen, um die Kunst ins Leben und auf die Strasse zu überführen, wird ganz zurück­genommen: Man steht vor den gewaltigen weissen Flächen und ärgert sich, dass man darin zunächst Wolken sieht. Der Betrachter ist ganz dem Banalen des eigenen Ichs ausgeliefert.

Dabei hatte man sich in der Eingangs­halle gerade noch über die anderen Menschen erhaben gefühlt, die man in einer Video­projektion mit Go-Pro-Kameras durch Canyons und Wasser­rutschen gleiten, über Dünen dahin- oder Drohnen hinterher­jagen sieht, süchtig nach Vergnügen und Freizeit. Zu sehen ist jeweils auch, wie die Filmenden selbst gefilmt werden. Fischli hat diese Bilder von gefilmten Filmenden seinerseits aufgenommen, mit dem Handy im Mediamarkt. Wie in einer russischen Babuschka zeigt der Film im Film des Films, wie sich die Freizeit zur Arbeit verkehrt, mit der man den Mehrwert des eigenen Vergnügens dokumentiert.

Gezeigt hat Fischli diese Arbeit 2018 an einer Mammut­veranstaltung von Hans Ulrich Obrist in London, die dem Motto «Ne travaillez jamais» der Situationisten gewidmet war. Diese letzte wahre Avantgarde-Gruppe hat in den 1960er-Jahren die totale Verweigerung gepredigt: keine Kunst mehr, nirgends. Denn auch sie, die Kunst, ist in der Spektakel­gesellschaft nur noch Schein – und die Betrachtung der Kunst ist Arbeit in der Freizeit­industrie.

Die Jagd nach dem Glück

«Auf der Insel Hydra am Strand schaute ich zu, wie die Leute ihre Ferien damit verbringen, Bilder ihrer Ferien herzustellen», sagt Peter Fischli. «Am Flughafen in Athen sah ich dann eine Werbung für diese Go-Pro-Kameras, und mir fiel auf: Die Leute am Strand spielten eigentlich diese Filme nach. Guy Debords Kritik an der Société du spectacle muss ich gar nicht mehr betonen. Mich faszinierte das Glücks­versprechen, das medial vermittelt wird. Wie bei Gustave Flauberts Roman­figur Madame Bovary, die aufgrund von billigen Liebes­romanen das mimetische Verlangen entwickelt, auch so eine Liebe zu erleben, und daran zugrunde geht. Dabei möchte ich mich aber nicht von diesen Menschen distanzieren, sondern wie Flaubert sagen können: Madame Bovary, c’est moi. Denn ich sehe ja auch mich selbst in diesen digitalen Bildern gespiegelt, auf der Jagd nach diesen Archetypen von Glücks­momenten. Ich fahre ja auch Ski, und wenn ich in Mexiko bin, schaue ich mir auch die Sonnen­pyramiden an – nun, natürlich nicht mit Selfies und Go-Pro-Kamera.»

Ein leeres Glücksversprechen? So leer wie die angebrannten Papier­flächen im obersten Stock? Vielleicht, stochere ich beim Dessert nach, ist mit den leeren Flächen das Ende der Malerei gemeint, das immer wieder ausgerufen wurde, seit die Fotografie und die Collage den Raum der Repräsentation revolutioniert haben und die klassische Malerei alt aussehen liessen.

Dieser Frage wird sich Fischli bald in einer grossen Ausstellung in Venedig stellen. Allerdings wird er dort nicht eigene Werke zeigen, sondern einen listigen Gang durch das Labyrinth der Kunst­geschichte anlegen: der Künstler als Kurator. In dieser Rolle brillierte Fischli zuletzt bei Ausstellungen wie 2014 im Kunsthaus Zürich über Hodler und Jean-Frédéric Schnyder, in der das «Hohe» und das «Niedere» aufeinander­prallten. Oder im Beyeler-Museum mit der Schau «Alexander Calder & Fischli/Weiss» 2016. In Bregenz ist er nun in einer Doppel­rolle als Künstler und Kurator zu sehen.

Peter Fischli, «Affe», 1962. Vergrösserter Reprint eines Aquarells. Und Grundlage für die «Reliefs», die in Bregenz einen Stock höher stehen. Peter Fischli/Kunsthaus Bregenz

Und so hängte er an die Wand vor den «Cans, Bags & Boxes» die Kopie eines Bildes, das er als 10-Jähriger gemalt hat: einen Affen.

Beim Espresso sagt Fischli dazu:

«Es gibt natürlich viel bessere Affen­bilder in der Kunst. Aber die Leute liebten diese Arbeit. Weshalb? Vielleicht, weil es als Bild eines Kindes so authentisch zu sein scheint. Mich interessierte dabei freilich die Fiktionalität des Authentischen. Die Künstler der Moderne suchten das Authentische ausserhalb, etwa in dem, was man ‹Primitivismus› nannte, also in der Kunst ausser­europäischer Völker oder in der Kunst der sogenannten ‹Art brut› von Insassen der Irren­anstalten sowie von Kindern. Das sind die drei Eckpfeiler, wo sich die Moderne auf etwas unhinter­fragbar Authentisches bezieht – das geht, wie schon im Surrealismus, auf Freuds Psycho­analyse und die Verklärung des Unbewussten zurück. Dabei ist das Affen-Aquarell gar nicht so authentisch, denn ich habe es ja abgemalt. Aus einem Kinderbuch. Die Reinheit des Kindes war bereits medial verdorben. Ich ging nicht in den Zoo, um den Affen zu malen. Diese verklärte Unschuld und Reinheit des Kindes kann man nicht mehr wieder­herstellen, aber wenn man so tut, ist es besonders korrupt. Eine weitere Stufe der Perversion.»

Beim Bezahlen der Rechnung schwindelt mir. Bekanntlich gilt der Affe seit einem berühmten Gemälde von Jean Siméon Chardin als Inbild des nachahmenden, nachäffenden Künstlers. Doch dieser Affe ist Fischli selbst, der damals nur ein Bild abgemalt hat und das entstandene Gemälde nun in einer vergrösserten Reproduktion zeigt. Das ausgestellte Werk ist eine Kopie, die vom Kopieren handelt …

Es gibt kein Original. Keine Aura. Nichts Authentisches. Nur den Gurken­salat in der «Kronenhalle».

Zum Autor

Stefan Zweifel ist studierter Philosoph, Übersetzer, Literatur­kritiker und Ausstellungs­kurator. Von 2007 bis 2014 zählte er zum Team des «Literaturclubs» beim Schweizer Fernsehen, die letzten zwei Jahre als Moderator. Er lebt in Zürich.