«Vielen reicht es nicht, ein paar Hakenkreuze per Whatsapp rumzuschicken»
Sie schlagen zu, verschicken Hitlergrüsse in Chatgruppen und horten Munition für den Umsturz: Hat Deutschland ein Polizeiproblem? Ja, findet Oliver von Dobrowolski. Er ist Kriminalhauptkommissar in Berlin, Antifaschist – und schreckt nicht vor Kritik an seinem Berufsstand zurück.
Ein Interview von Carlos Hanimann (Text) und Diana Pfammatter (Bild), 19.10.2020
Er hat ein paar miese Tage hinter sich. Ein paar ganze miese Wochen eigentlich. Denn Oliver von Dobrowolski ist Polizist. Und die Polizei stolpert in Deutschland gerade von einem Skandal in den nächsten.
Am 4. Oktober wurde publik, dass es in der deutschen Bundespolizei 24 Verdachtsfälle von Rechtsextremismus und 20 Verdachtsfälle von Rassismus gibt. Am Tag davor flog ein Polizist in Thüringen auf, der rechtsextreme Chatnachrichten verschickt hatte. Noch mal zwei Tage davor berichtete der WDR über 25 Polizisten der Berliner Polizei, die über Jahre rechtsextreme Inhalte in Chats verbreitet hatten. Am gleichen Tag wurde die Wohnung eines Bielefelder Polizeihauptkommissars durchsucht – wegen rechtsextremistischer Chats.
Das sind die Vorfälle aus nur einer Woche – der Woche, bevor Oliver von Dobrowolski, Kriminalhauptkommissar in Berlin und Vorsitzender der Polizeivereinigung Polizei Grün, die Republik in einem Café in Berlin-Lichterfelde zum Gespräch trifft. Nach dem Tod von George Floyd in den USA hatten in Deutschland während Wochen Handyvideos für Empörung gesorgt, die exzessive Polizeigewalt in Düsseldorf und in Hamburg dokumentierten. Zudem waren mehrere Chatgruppen aufgeflogen, in denen Polizisten neonazistische Inhalte geteilt hatten.
Oliver von Dobrowolski ärgert sich über jeden einzelnen dieser Fälle. Es sei schon «heftig gerade», sagt er. Und doch ist er froh, dass die Fälle publik werden: «Denn nun reden wir über Fehlverhalten, Gewalt und – ganz besonders hässlich – Rechtsextremismus in der Polizei.»
Der 44-Jährige arbeitet seit über zwanzig Jahren als Polizist, derzeit als Teamführer einer Brennpunkt-Einheit in der Berliner Innenstadt. Ins Büro fährt er nur zum Umziehen, die meiste Zeit ist er auf der Strasse, an Orten mit hoher Kriminalitätsrate. Er kennt die rauen Seiten der Polizeiarbeit, weiss, was es heisst, angepöbelt zu werden. Und warnt trotzdem immer wieder vor falschem Korpsgeist.
Dobrowolski ist mit Leidenschaft Polizist. Und dennoch – oder vielleicht gerade deshalb – einer ihrer härtesten Kritiker.
Herr von Dobrowolski, wie ist es zurzeit, Polizist zu sein?
Nicht sehr angenehm. Ich bin schon froh, wenn nur einmal am Tag eine Horrornachricht kommt.
Was ist los bei der deutschen Polizei?
Zur Polizeigewalt muss ich sagen: Es gab immer schon Fälle, aber heute kommen sie schneller an die Öffentlichkeit. Es melden sich mehr Leute, die früher fürchteten, sich zu exponieren. Damit meine ich vor allem Menschen, die von Polizeigewalt betroffen sind. Neu ist aber, dass sich auch Polizistinnen und Polizisten an die Öffentlichkeit wenden, weil sie finden, so geht es nicht weiter. So auch in Berlin letzte Woche, wo Polizisten Chats mit rechtsextremen Inhalten an ein Fernsehmagazin weitergaben. Das ist schon heftig.
Warum?
Weil der Gang an die Presse gleich ein weiteres Problem aufzeigt: dass es innerhalb der Polizei eine katastrophale Fehlerkultur gibt.
Was bedeutet es, wenn Polizisten zur Presse gehen statt zur internen Meldestelle?
Dass man nicht darauf vertraut, das Problem liesse sich intern lösen. Beim Berliner Fall wussten ja auch Vorgesetzte Bescheid über rechtsextreme Äusserungen in den Chats. Sie sind aber nicht eingeschritten.
Hat die deutsche Polizei ein Rassismusproblem?
Sehen Sie, rassistische Gedanken gibt es in vielen Köpfen. Sie werden dann zum Problem, wenn die Gedanken konkrete Folgen haben. Das gilt für die Polizei ganz besonders. Wenn der Eisverkäufer da hinten rassistische Gedanken hat, ausländische Menschen beschimpft oder am Wochenende im Wald Kampfsport-Übungen macht, um den Umsturz zu proben, dann ist das verdammt krass und übel. Aber wenn Polizistinnen und Polizisten das tun, dann ist das der Worst Case überhaupt. Denn die laufen ja von Berufs wegen bewaffnet rum und können in jedermanns Grundrechte eingreifen. Derzeit gibt es eine Debatte darüber, ob Rassismus bei der Polizei ein strukturelles Problem ist. Demgegenüber steht die Meinung, es handle sich um Einzelfälle. Aber es ist ein Witz, dass man ständig von Einzelfällen redet.
Warum ein Witz?
Wir haben in den letzten ein, zwei Jahren so unfassbar viele Fälle gesehen, dass man sie einfach nicht mehr als Einzelfälle abtun kann. Jetzt sagen einige: Bei einer Viertelmillion Polizistinnen und Polizisten sind mathematisch gesehen ein paar hundert Fälle nicht so schlimm. Aber in meinen Augen sind es trotzdem zu viele. Denn die rennen mit Waffen rum und spinnen ihre Ideen weiter. Vielen reicht es nicht, ein paar Hakenkreuze per Whatsapp rumzuschicken. In der jüngsten Vergangenheit sind Gruppen aufgeflogen, die hatten konkrete Pläne, politisch Andersdenkende zu beseitigen.
Sie spielen auf die Gruppe Nordkreuz an: Prepper, die sich auf den Zusammenbruch des Staats am Tag X vorbereiteten und Todeslisten erstellten.
Nordkreuz, das Hannibal-Netzwerk, Uniter – und wie die alle heissen. Da wurden teilweise Tausende Schuss Munition gehortet, Leichensäcke, Löschkalk …
Waren da auch Polizisten dabei?
Polizisten, Soldaten, Spezialeinsatzkräfte, Kriminalpolizei.
Seit rund zwei Jahren erhalten vorwiegend Frauen Morddrohungen mit Absender «NSU 2.0», in Anlehnung an die neonazistische Terrorgruppe. Zuerst die NSU-Opferanwältin Seda Başay-Yıldız, später die Kabarettistin Idil Baydar, die Politikerinnen Janine Wissler, Anne Helm, Martina Renner, Helin Evrim Sommer und andere. Die Drohschreiben beinhalteten Informationen, die nur den Polizeibehörden zugänglich waren. Wie kann so etwas geschehen?
Zunächst einmal: Es ist absolut rechtswidrig, als Polizist überhaupt personenbezogene Daten abzufragen. Das ist eine Straftat.
Dennoch wurden die Daten heruntergeladen. Wie ist das – rein technisch – möglich, ohne sofort erwischt zu werden?
Ich kann mich theoretisch an einen der 15’000 Computer meiner Behörde setzen und mich einloggen. Man meldet sich mit einer Kennung an, ist eingeloggt und kann auf die Datensysteme zugreifen. Das ist alles rückführbar.
Im Fall NSU 2.0 führten die Ermittlungen schliesslich zu Polizeistellen in Frankfurt und Wiesbaden.
Ja. Aber eine Rechtfertigungsstrategie eines verdächtigen Beamten in Hessen war: Ich wars nicht. Vielleicht musste er pinkeln gehen, vielleicht war er kurz im Nebenraum und ass eine Pizza. Das ist dann zwar eine Dienstpflichtverletzung, aber es ist keine schlechte Strategie zu behaupten: War ich nicht. Andererseits kommt auch dann nur ein begrenzter Personenkreis als Täter infrage.
Wenn alles so einfach rückführbar ist, warum dauerte es fast zwei Jahre, bis man zwei verdächtige Polizisten festnahm?
Das wüsste ich auch gern. Ich habe immer wieder kritisiert, dass da viel zu wenig Transparenz herrscht. Ich weiss es schlicht nicht.
Die Polizisten, die diese Abfragen machen, müssen sich wahnsinnig sicher gefühlt haben, dass sie nicht auffliegen.
Vielleicht vertrauten sie darauf, dass ihr Umfeld sie schützt, ihre «Polizeifamilie».
Die «Polizeifamilie»?
Ein Unwort.
Warum?
Bei meiner Arbeit treffe ich Kolleginnen und Kollegen, nicht Bruder und Schwester. Der Begriff Familie hat ja eine Bedeutung: Gegen meinen Bruder, gegen meine Schwester muss ich nicht aussagen – ich habe Zeugnisverweigerungsrecht. Das bringt die Leute niederschwellig dazu, zu sagen: Nein, ich verpfeife meinen Kollegen nicht, auch wenn er zum Beispiel jemanden verprügelt hat. Das ist ein Problem.
Als Familie bezeichnen sich auch kriminelle Organisationen wie die Mafia.
Ja. In Deutschland führen wir ja eine breite Diskussion um die sogenannte Clan-Kriminalität, um Leute, die in den Achtzigerjahren nach Deutschland einwanderten und in verschiedenen Bundesländern tätig sind, unter anderem in Berlin. Da wird auch gerne von Familie geredet. Wenn sich die Polizei jetzt «Familie» nennt, was ist dann das Nächste? Dass es eine Omertà gibt?
Es gibt in der Polizei den sogenannten Korpsgeist.
Der Korpsgeist kommt dann ins Spiel, wenn es darum geht, Fehlverhalten, Gewaltvorfälle zu negieren. Einfach zu sagen: Gab es nicht.
Warum diese Unfähigkeit zur Selbstkritik?
Ich glaube, die meisten Menschen lehnen Selbstkritik zunächst mal ab. Davon sind Polizisten nicht frei. Aber wir lernen das auch nicht in der Ausbildung. Kommt dazu, dass sich solche Fälle meist in der Öffentlichkeit abspielen, wo die Leute sich umdrehen und fragen: Was ist da los? Dann fürchten Polizistinnen und Polizisten, das Gesicht zu verlieren. Niemand ist bereit zu sagen: Bitte entschuldigen Sie, das war nicht recht von mir. Möchten Sie das vielleicht anzeigen? Stattdessen werden die Dinge aufgrund der Aktenlage entschieden. Und da werden sie eben «geradegeschrieben», Tatsachen verdreht. Da stehen Sie dann auf der einen Seite da und sagen was. Und auf der anderen Seite haben Sie fünf Polizisten, die alle das Gegenteil sagen. Bis vor Gericht.
Sind Polizisten gute Zeugen?
Die Gerichte meinen, Polizisten sagten immer die Wahrheit. Das sei quasi berufsimmanent. Aber so ist es nicht. Polizisten sind nicht bessere Zeugen als andere. Vielleicht haben sie besser gelernt, sich Dinge einzuprägen. Aber punkto Wahrheitsgehalt sind sie nicht besser. Da sind wir eben wieder beim Korpsgeist, dem Denken, dass wir eine «Polizeifamilie» seien. Ein Begriff übrigens, den die deutsche Polizeigewerkschaft beim Patentamt angemeldet hat.
Der zuständige Bundesinnenminister Horst Seehofer sagt, man habe die beste Polizei der Welt.
Er ist ja auch nicht glücklich, wenn wieder ein Fall von rechtsextremen Polizisten bekannt wird. Aber er stellt sich stets vor die Polizei und sagt: Das sind Einzelfälle. Und leider pflichten ihm dann die meisten Minister aus den Bundesländern zu.
Seehofer hat es verschiedentlich abgelehnt, eine Untersuchung zu Rassismus in der Polizei zu lancieren.
Es ist verrückt, dass er das ablehnt. Ich würde mir eine Untersuchung zum inneren Zustand der Polizei wünschen. Wer gute Arbeit macht, muss sich ja nicht fürchten vor Kontrolle. Selbst ein vierjähriges Kind merkt doch, dass er fürchtet, es könnten Dinge zutage kommen, die ihm nicht passen, die ihn unter Zugzwang setzen, etwas zu verändern.
Herr von Dobrowolski, wir reden seit fast einer Stunde über Umsturztendenzen, Morddrohungen und Omertà – nicht in einer kriminellen Organisation, sondern bei der deutschen Polizei. Wer kontrolliert die Polizei eigentlich?
Die Polizei.
Und wie klappt das so weit?
Nicht gut. Eine Organisation, die legitim Gewalt ausübt für die staatliche Exekutive, muss unabhängig kontrolliert werden. Alles andere ist verrückt. Allein schon wegen der Macht, die sie hat. Darum fordern auch verschiedene internationale Gremien, dass wir in Deutschland unabhängige Beschwerdestellen einführen. Aber die gibt es halt nicht, oder nur vereinzelt, mit wenig Mitteln und Befugnissen.
Wie häufig kommt es zu Verurteilungen von Polizisten?
Dazu gibt es laufende wissenschaftliche Forschung. Der Kriminologe Tobias Singelnstein von der Universität Bochum führt dazu eine grosse Studie durch. Er kam in einem Zwischenergebnis zum Schluss, dass es nur in rund zwei Prozent der Fälle, wo Vorwürfe gegen Polizistinnen und Polizisten erhoben wurden, überhaupt zur Anklage kommt. Das ist natürlich verschwindend wenig. Und dann kommt ja noch etwas dazu: Polizisten wissen besser als andere, wie ermittelt wird. Wir sind Profis. Das heisst auch: Die Dunkelziffer ist bei der Polizei höher als bei anderen Tätergruppen.
Sagen Sie als Polizist gerade, Polizisten seien besser darin, ihre Straftaten zu vertuschen?
Ja, natürlich. Die wissen ja, worauf sie achten müssen. Das ist ein echtes Problem.
Seit dem Tod von George Floyd in den USA gibt es in Europa breite Debatten über Polizeigewalt. Auch in Deutschland sorgten kürzlich zwei Fälle für Empörung: In Düsseldorf kniete ein Polizist auf den Kopf eines 15-Jährigen, in Hamburg eskalierte die Festnahme einer 15-Jährigen. Wie gross ist das Gewaltproblem bei der Polizei wirklich?
Polizei und Gewalt gehören natürlich in gewisser Weise zusammen. Es gibt legitime Gewalt, nicht nur im rechtlichen Sinne, sondern auch im tatsächlichen. Wenn man mit Menschen zu tun hat, die nicht durch Worte zu überzeugen sind, wenn von ihnen eine Gefahr ausgeht, dann muss man die als Polizist unterbinden. Das geht nicht, indem man wegrennt. Da braucht es auch körperliche Gewalt. Aber es gibt eben einen grossen Graubereich: Wann hört das Legitime auf? Wann wird übertrieben?
Wo liegt die Grenze?
Es gibt den Grundsatz der Verhältnismässigkeit: Eine Massnahme muss geeignet, erforderlich, vor allem aber angemessen sein. Bei den bekannten Vorfällen in Düsseldorf oder in Hamburg kann man zurecht darüber streiten, ob der Einsatz angemessen war. Gerade wenn man den Hintergrund bedenkt. Da rannte ja niemand mit Sprengstoffgürtel rum. Häufig resultiert aus einer Lappalie eine Personenüberprüfung – und der Mensch gegenüber will nicht so, wie der Polizist will. Dann wird die Sache zu einer Ego-Frage. Polizistinnen und Polizisten sind häufig der Auffassung: Wenn ich von dem den Ausweis will, dann ziehe ich das auch knallhart durch – unabhängig davon, wie nichtig der Anlass war.
Eine Verteidigung der Polizei für Gewaltexzesse lautet: Wir werden so oft angefeindet, angepöbelt, da reisst uns irgendwann der Geduldsfaden.
Kann man so sehen.
Aber?
Das ist nicht mein Anspruch an die Institution Polizei. Wir sind bewaffnet, wir tragen Uniform, üben legitime Gewalt aus auf der Strasse. An uns muss man höhere Ansprüche haben. Wir müssen uns zusammenreissen, wir müssen cool bleiben. Sie dürfen mir hier sagen, wie blöd Sie die Polizei an sich finden – das muss ich schlucken. Ich kann Sie nicht zurückbeleidigen und sagen: Wie sehen Sie denn aus? So eine Jacke trägt man hier nicht mehr. Das geht nicht. Ich muss mich zusammenreissen. Das ist schwierig. Aber das ist Polizeiarbeit.
Sind Sie in der Polizei eigentlich allein mit diesen selbstkritischen Positionen?
Nein.
Aber eine Ausnahme.
Weil ich den Mund aufmache. Ich ertrage die Zustände nicht, wie sie mitunter sind. Und ich vermisse es, dass nicht mehr Leute innerhalb der Polizei laut werden. Die Kolleginnen und Kollegen sind ja auch alle stinksauer, wenn wieder rechtsextreme Chats auskommen, Nazis auffliegen oder Leute in der Polizei, die den Umsturz planen. Denn das macht ihre gute Arbeit zunichte. Das zerstört das Vertrauen, das sie über Jahre aufgebaut haben.
Warum sagen die Kolleginnen und Kollegen nichts?
Das frage ich sie auch. Sie sagen, sie fürchten, dass das gegen das Neutralitätsgebot verstossen würde.
Sie selbst fürchten das ganz offensichtlich nicht. Auf Twitter beschreiben Sie sich als «Polizist und Antifaschist», zeigen sich, wie Sie Holocaust-Stolpersteine putzen, Sie tragen T-Shirts mit «Grundgesetz»-Aufdruck oder «Defend Solidarity» …
Wie Sie sehen, laufe ich ja nicht immer so rum. Ich inszeniere das natürlich, weil ich etwas erreichen will: Ich will zeigen, dass es in der Polizei nicht nur Leute gibt, die T-Shirts von Landser oder Störkraft tragen und in der Freizeit auf Nazi-Konzerte gehen.
Werden Sie dafür angefeindet?
Von Leuten, die mich nicht persönlich kennen, fresse ich sehr viel Spott, Hass, Häme. Dinge, die als Mobbing gewertet werden können. Auch Todeswünsche und Morddrohungen. Alles schon da gewesen. Ist nicht schön, aber ich komme damit klar. Bislang.
Erhalten Sie auch Zuspruch?
Ja, klar. Die Leute, die mich kennen, sprechen mich häufig an. Ich habe seit meinem Studienabschluss auf 16 verschiedenen Dienststellen gearbeitet. Es kennen mich also viele Leute bei der Polizei. Auch die sind teilweise skeptisch und fragen mich in Pausengesprächen: Polizist und Antifaschist – das ist doch ein Widerspruch, wie kannst du so was sagen?
Was antworten Sie?
Mit Gegenfragen. Warum sollte ich so was nicht sagen? Bist du nicht Antifaschist? Und was bedeutet das, wenn du kein Antifaschist bist? So entstehen Diskussionen. Polizist und Antifaschist – das ist ja eigentlich deckungsgleich, gerade wenn man auf unsere Geschichte schaut.
Deckungsgleich? Das müssen Sie erklären.
Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte Deutschland ein Problem, als es eine Ordnungsmacht brauchte, die von der Bevölkerung akzeptiert werden sollte: woher nehmen? Die Leute waren ja im Krieg gestorben oder in Kriegsgefangenschaft. Also konnte man nicht wählerisch sein und nahm allerhand Alt-Nazis in die Polizei. Bis zu hohen SS-Leuten war alles mit dabei. Auch wenn man den Weg Richtung Demokratie eingeschlagen hatte, hatte man immer noch Leute bei der Polizei, die fünf oder zehn Jahre zuvor die Leute ins Gas geschickt hatten und für die schlimmsten Verbrechen an der Zivilbevölkerung verantwortlich waren. Es hat Jahrzehnte gedauert, bis die Alt-Nazis wegstarben, bis die Polizei bürgernah wurde, demilitarisiert war. Gerade in einem Land mit einer solchen Geschichte und einer langwierigen Entwicklung zu einer rechtsstaatlichen Polizei ist es wichtig, dass wir unser Grundgesetz hochhalten und die Werte darin leben. Und da lässt sich in jeder Zeile herauslesen: Antifaschismus ist wichtig – gerade vor dem Hintergrund des Erlebten. Das muss festgeschrieben sein in der DNA aller Leute, die für den Staat arbeiten.
Können Sie die erste Zeile des Grundgesetzes zitieren?
Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Was löst es bei Ihnen als Polizist aus, der diesen Satz hochhält, wenn Sie fast täglich lesen, dass Polizisten Verbindungen zu gewaltbereiten Neonazis haben?
Ich bin ja nicht nur ein Polizist, der mit dem Ufo hier ankommt und nach dem Dienst wieder abgeholt wird. Ich bin auch Mensch. Ich bin auch Bürger. Ich lese solche Sachen, und das triggert mich. Das motiviert mich, meinen Mund aufzumachen. Ich will nicht leise sein, meine Arbeit machen und hoffen, dass sich das von sich aus wieder legt.
«Niemand muss Bulle sein», singt die Band «Feine Sahne Fischfilet» in ihrem Song «Wut». Warum sind Sie es trotzdem?
Aus Idealismus. Idealismus spielte eine grosse Rolle dabei, Polizist zu werden. Auch später, bei den vielen Zwischenetappen, die ich nahm. Da war immer sehr viel Idealismus dabei: Ich dachte, so kann ich der Gesellschaft helfen. Ich weiss nicht, ob das klug oder intelligent ist, so zu denken. Aber das ist mein Antrieb.