«Ansprüche auf Lohn, Freizeit und Pension für Tiere? Das mag sich im ersten Moment lebensfremd anhören»
Der Umgang von uns Menschen mit Tieren heizt die Klimakrise an und erhöht das Risiko von Pandemien. Was tun? Die Juristin Charlotte Blattner hat einige überraschende Lösungsvorschläge.
Ein Interview von Flavia von Gunten (Text) und Mark Niedermann (Bild), 16.10.2020
Frau Blattner, wie geht das Recht mit Tieren um?
Der Umgang des Rechts mit Tieren ist komplex. Je nach Tierart, Geschlecht, menschlicher Kultur und Tradition gibt es markante Unterschiede. Ein Golden-Retriever-Rüde zum Beispiel hat regelmässig Auslauf, pflegt Sozialkontakte, kann bei der Futterauswahl sein Veto einlegen und lebt ein langes, relativ gesundes Leben. Eine Muttersau hingegen fristet ihr Dasein quasi als noch lebendes Produkt. Sie wird auf Beton geboren und innert kürzester Zeit auf 100 Kilogramm hochgemästet. Sie muss ihr gesamtes Leben in ihren eigenen Exkrementen verbringen und kann in Kastenständen gehalten werden, wo sie keinerlei Bewegungsfreiheit hat. Nach sieben bis acht Monaten wird sie in den Schlachthof gezerrt. Und das, obwohl sie – wie die Wissenschaft zeigt – sensibler, lernfähiger, gar intelligenter ist als der Golden-Retriever-Rüde.
Beeinflussen solche Erkenntnisse das Recht nicht?
Das Recht muss sich an neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen orientieren, etwa über die Empfindungsfähigkeit und die Bedürfnisse von Tieren. Zudem ist der Bund verpflichtet, tierschutzrelevante wissenschaftliche Forschung zu betreiben und zu unterstützen. Diese findet aber nicht ungefiltert Eingang in das Tierschutzgesetz oder die Tierschutzverordnung. Wir wissen, dass sowohl der Rüde wie auch die Muttersau ein starkes Interesse daran haben, nicht eingesperrt oder getötet zu werden. Doch rechtlich zulässig ist dies allemal. Selbst der Rüde kann jederzeit eingeschläfert werden – und dies ohne triftigen Grund: etwa wenn ein Tierhalter niemanden findet, der ihn während der geplanten Ferien füttert und spazieren führt.
Wie ist das möglich?
Anders als wir haben Tiere keine Grundrechte. Ihnen wird weder ein Recht auf Leben noch ein Recht auf körperliche Integrität garantiert – obwohl sie das Interesse, am Leben zu sein und nicht verletzt zu werden, mit uns teilen. Grundrechte sind gerade bei solch fundamentalen Interessen notwendig, weil sie bestimmte Beeinträchtigungen in keinem Fall zulassen – etwa die zielgerichtete Tötung. Im Falle weniger schwerwiegender Verletzungen bedarf es stets einer besonderen Rechtfertigung, und es werden strenge Interessenabwägungen vorgenommen. Statt tierliche Interessen auf diese Art effektiv zu schützen, bestimmt das Tierschutzgesetz jedoch im Wesentlichen, wie Tiere eingesetzt und getötet werden können. Menschliche Nutzungsinteressen gehen tierlichen Schutzinteressen also kategorisch vor. Kritische Stimmen sagen deshalb dem Tierschutzgesetz nach, es sei viel eher ein Tiernutzungsgesetz.
Charlotte Blattner (33) ist Oberassistentin am Institut für öffentliches Recht an der Universität Bern. Sie promovierte an der Universität Basel an der Schnittstelle Völker- und Tierrecht und forschte danach an der Queen’s University, Kingston, Kanada, und an der Harvard Law School in Cambridge, USA.
Sie haben einen Initiativtext für den Kanton Basel-Stadt mitverfasst, der verlangt, dass auch Primaten das Recht auf Leben und auf geistige und körperliche Unversehrtheit zugestanden wird. Das Bundesgericht hat Mitte September entschieden, dass die Initiative gültig ist. Was würde sich damit konkret für die Affen in Basel ändern?
Würde die Initiative angenommen, würden weltweit erstmals durch einen Volksentscheid Rechte für Tiere eingeführt. Damit würde die kantonale Rechtsordnung nichtmenschliche Primaten, anders als es das eidgenössische Tierschutzgesetz gegenwärtig tut, als Träger von Rechten anerkennen. Es würde damit sichergestellt, dass die Interessen der menschlichen Primaten – also der Menschen – nicht systematisch höher gewichtet werden als die fundamentalsten Interessen nichtmenschlicher Primaten. Nach Ansicht des Bundesgerichts trifft diese Pflicht Private, also beispielsweise den Basler Zoo oder Basler Pharmafirmen, allerdings nicht. Hier stellen sich komplexe föderalistische Fragen. Sicher ist, dass der Kanton Basel-Stadt nach Annahme dieser Initiative beispielsweise keinen Zoo betreiben dürfte, in dem Primaten eingesperrt werden, oder dass er Primaten in Tierversuchen nicht für Forschungszwecke instrumentalisieren dürfte.
Die Initiative hat viel Aufsehen erregt – und wurde heftig kritisiert. Ein Journalist zog das Fazit: Wer Tiere auf die Stufe von Menschen stellt, der stellt den Wert des Menschseins an sich zur Disposition.
Diese Kritik gründet auf einer grundlegenden Fehlannahme. Sie begreift Grundrechte als knappe Güter. Das sind sie aber nicht. Mein Recht auf körperliche Integrität wird nicht weniger, wenn auch meine Mitmenschen ein solches Recht haben. Meine Meinungsfreiheit wird nicht geschmälert, wenn auch meine Mitmenschen Ansichten frei äussern können. In gleicher Weise schliessen sich Tier- und Menschenrechte nicht aus. Im Gegenteil: Wo es Tieren schlecht geht, geht es oft auch den Menschen schlecht.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Jüngstes Paradebeispiel sind die Tönnies-Schlachthäuser in Deutschland, in denen Tiere von Arbeitsmigranten unter skandalösen Arbeitsbedingungen umgebracht werden. Ein weiteres Beispiel: Sind Tiere Gewalt ausgesetzt, gibt es auch mehr häusliche Gewalt. Jüngste Untersuchungen der Harvard-Forscher Yon Soo Park und Benjamin Valentino zeigen umgekehrt, dass Tierrechte Menschenrechte bestärken – auf individueller und staatlicher Ebene. Je eher Tierrechte unterstützt werden, desto grösser die Unterstützung benachteiligter oder marginalisierter Bevölkerungsgruppen.
Sollten auch andere Tiere als Primaten Grundrechte erhalten?
Entscheidend für die Frage, ob Tiere Rechte haben sollten, ist meines Erachtens nicht ihre Ähnlichkeit zum Menschen, sei dies etwa in optischer Hinsicht oder mit Bezug auf ihre kognitiven Fähigkeiten. Wohl mag es uns leichter fallen, jemandem Rechte zuzugestehen, der uns selber ähnlich ist, wie das etwa gerade bei den nichtmenschlichen Primaten der Fall ist. Wir sollten aber lernen, die fundamentalsten Interessen der Tiere, also etwa ihr Interesse zu leben oder frei von Schmerzen zu sein, zu respektieren und zu schützen, und das ganz unabhängig davon, wie ähnlich sie uns sind. Ein Interesse, zu leben und keine Schmerzen zu spüren, hat auch das Mastschwein, das ins Schlachthaus geführt wird, oder der Fuchs, der im Wald dem Jäger vor die Flinte läuft. Sollte uns die Idee von Grundrechten helfen, solche fundamentalsten Interessen von Tieren besser zu schützen, dann sollten auch andere Tiere Grundrechte erhalten.
Die Tierwürde ist bereits heute in der Verfassung festgehalten.
Die Schweizer Stimmbevölkerung hat sich 1992 als erstes Land weltweit dazu entschieden, die Würde der Kreatur, die die Tierwürde umfasst, verfassungsrechtlich zu garantieren. Im selben Jahr wurde zumindest implizit die Batteriehaltung von Hühnern abgeschafft, und rund zehn Jahre später wurde anerkannt, dass Tiere nicht blosse Sachen, sondern eben empfindungsfähige Wesen sind. Das sind bemerkenswerte Entwicklungen. Trotzdem versteht das geltende Recht Tiere grundsätzlich immer noch als Sachen, an denen Menschen Eigentum haben und die ihnen zur Verfügung stehen.
Ein Widerspruch.
Das Recht verpflichtet uns dazu, den Eigenwert von Tieren zu respektieren, und stellt dessen Missachtung gar unter Strafe. Trotzdem haben wir ihre grundlegendsten Interessen, etwa ihr Interesse am Leben und an ihrer körperlichen Unversehrtheit, nicht zu achten. Wird hier das Tier wirklich als Subjekt behandelt oder vielleicht doch eher als Objekt? Schützt das Recht die Tiere tatsächlich, oder beschönigt es problematische Aspekte unseres Umgangs mit ihnen? Anstatt solche Fragen zu beantworten, verliert sich das Recht lieber im Mikromanagement. Es bestimmt Tötungsmethoden: Bolzen oder CO2-Vergasung? Und legt Mindestmasse für Bodenflächen fest: 0,2 oder 0,15 Quadratmeter? Das ist, wie die Geschäftsprüfungskommission des Parlaments bereits 1994 feststellte, lediglich «Tierschutz in Zentimetern». Verfassungsänderungen und Gesetze allein reichen also nicht – speziell wenn sie weitaus wichtigere Fragen aussen vor lassen wie etwa, ob wir Tiere wirklich schützen, wenn wir festlegen, wie sie zu töten sind.
Was lehrt die Corona-Pandemie in Bezug auf unseren Umgang mit Tieren?
Dass wir es uns nicht länger leisten können, Tiere und ihre Bedürfnisse zu ignorieren. Die Pandemie ist ein tragisches Ereignis, das in wenigen Monaten zu Tausenden Todesfällen, immensem Leid und irreparablen Schäden geführt hat. Bedauernswert ist das vor allem, weil das Virus und seine vielschichtige globale Auswirkung vorhersehbar und auch vermeidbar war.
Wieso?
Fledermäuse produzieren in Stresssituationen nachweislich Viren, die sich im Speichel, im Urin und in Fäkalien festsetzen. Kommen wir den Tieren zu nahe, wie etwa den chinesischen Hufeisennasen, die wohl auf einem Markt im chinesischen Wuhan verkauft wurden, ist der Ausbruch einer Zoonose die logische Folge. Das haben uns bereits Sars, Mers und die Vogelgrippe gelehrt. Selbst das Covid-19-Szenario liegt uns seit Jahren vor, wie ein Bericht zur Risikoanalyse des Deutschen Bundestages von 2013 zeigt.
Darin werden Wildtiere als Auslöser der Pandemie genannt. Könnte auch die landwirtschaftliche Tierhaltung Pandemien auslösen?
Formen konzentrierter Haltung in der Landwirtschaft, die übrigens auch in der Schweiz vorherrschen, bergen dieselben Risiken. Dort werden Tiere zu Tausenden auf engstem Raum gehalten, was zu permanentem Stress führt. Das schwächt ihr Immunsystem und erhöht das Risiko viraler Übertragungen. Je mehr Virengenerationen sich auf engstem Raum aufhalten – und in der industriellen Landwirtschaft sind es viele –, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit ihrer Mutation. Neuesten Untersuchungen zufolge sollen 70 Prozent der weltgrössten Fleisch-, Fisch- und Molkereiunternehmen nachweislich einem hohen Risiko ausgesetzt sein, zum Ausbruch künftiger zoonotischer Pandemien zu führen. Solch düstere Zukunftsprognosen können beängstigend wirken, sind aber auch eine Chance: Sie zeigen, dass wir hier und jetzt handeln können. Dazu müssen wir den laschen Standards im Tier-, im Arbeits- und im Lebensmittelrecht Einhalt gebieten.
In Ihrer Forschung beschäftigen Sie sich mit dem Konzept der Just Transition, zu Deutsch: mit dem «gerechten Übergang». Was steckt dahinter?
Der Wandel hin zu einer klimaresistenten und kohlenstoffarmen Wirtschaft und Gesellschaft ist unvermeidbar. Wie aber stellen wir sicher, dass dieser gerecht ist? Wie strukturieren wir gesamte Wirtschaftszweige um? Was geschieht mit betroffenen Arbeitnehmerinnen? Müssen diese umgeschult werden? Woanders Wohnsitz nehmen? Wie gehen Kohle-intensive Gebiete mit schwindenden Dienstleistungen und Infrastrukturen oder sinkenden Steuereinnahmen um? Mit solchen Fragen beschäftigt sich Just Transition.
Was sind Ihre Antworten?
Haupteinsicht ist, dass nicht einzelne Personen allein die Last dieses Wandels tragen sollen. Vielmehr liegt es in der Verantwortung des Gemeinwesens, während des Übergangs für Gerechtigkeit zu sorgen. Ein Beispiel für eine erfolgreiche Anwendung dieses Konzepts ist Kanada: Die kanadische Regierung war eine der ersten, die eine Taskforce damit beauftragten, einen gerechten Übergang für kanadische Kohlekraftwerkarbeiter zu skizzieren. Sie zeigte die sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Herausforderungen auf, erarbeitete Zeitpläne, legte Massnahmen fest in Sachen Entwicklung, Umschulung und Umweltsanierung und informierte darüber, wie diese finanziert werden können. Nur so kann ein Übergang nachhaltig bewältigt werden – auf eine für alle Betroffenen akzeptable Art und Weise.
Die landwirtschaftliche Produktion tierischer Produkte ist für massive Treibhausgasemissionen verantwortlich. Wäre auch hier Just Transition sinnvoll?
Absolut. Betrachtet man die Entwicklung der Emissionen, so ist die tierliche Landwirtschaft the new coal. Immer mehr Klimawissenschaftlerinnen zeigen auf, dass die Ziele des Pariser Klimaabkommens nicht erreicht werden können, wenn wir nicht auch aus den schlimmsten Formen der Landwirtschaft aussteigen. Interessant ist, dass hier ein Übergang weitaus machbarer, kostengünstiger und weniger zeitintensiv wäre als im Kohlebereich. Trotzdem ist die landwirtschaftliche Tierhaltung seit Jahrzehnten ein blinder Fleck in der Klimapolitik. Und damit werden immense Risiken für die Gesellschaft in Kauf genommen, worunter letztlich einzelne Landwirte leiden werden.
Inwiefern?
Fortschrittliche Landwirte müssen heute neue Geschäftsmodelle entwickeln – etwa hin zur Produktion pflanzlicher Nahrungsmittel –, ihr Personal umschulen und den Betrieb finanziell umstrukturieren. Warum sollte die Öffentlichkeit nicht auch Verantwortung übernehmen? Hier wäre angebracht, die Landwirtschaft zu diversifizieren, in emissionsarme Sektoren und Technologien zu investieren, eine aktive Arbeitsmarktpolitik zu betreiben und konkrete Ziele, Massnahmen und Zeitpläne zu definieren. Realistisch ist dies allemal – sogar realistischer als der Kohleausstieg. Fraglich ist aber, ob wir bereit sind, eine konsequente Politik zu betreiben und ernsthaft auf die definierten Klimaziele hinzuarbeiten.
Die bislang umfangreichste Analyse zum Thema Umwelt und Ernährung der Oxford University von 2018 zeigte, dass eine pflanzliche Ernährung der effektivste Weg ist, um die Umwelt nachhaltig zu entlasten.
Die Studie widerlegt endgültig die weit verbreitete Annahme, lokaler Konsum allein reiche aus, um unsere Ökobilanz zu verbessern. Tierprodukte aus kleinen Betrieben und lokaler Produktion haben schwerwiegendere Auswirkungen als nahezu alle pflanzlichen Lebensmittel. Während ältere Studien den Anteil der landwirtschaftlichen Tierhaltung an weltweiten Emissionen jährlich auf 14,5 Prozent schätzten, zeigen aktuelle Studien, dass dieser Prozentsatz viel eher bei 51 Prozent liegt. Das ist weitaus mehr, als der gesamte Verkehr zusammen produziert – inklusive Flugverkehr, Gebäuden, Kraftwerken und Fabriken. Halten also die globalen Trends der landwirtschaftlichen Tierproduktion an – lokal produziert oder nicht –, so wird die Temperatur im Mittel ungestört um mehr als 2 Grad ansteigen. Und dies wird selbst dann der Fall sein, wenn die Emissionen in nichtlandwirtschaftlichen Bereichen dramatisch reduziert würden.
Sollten sich alle Menschen pflanzlich ernähren?
Wenn wir die Klimaziele ernst nehmen, ja. Die Ernährung ist ein Bereich, in dem wir mit wenigen Mitteln viel verändern können. Dazu benötigen wir kein Startkapital und keine neuen Technologien. Gerade das macht diesen Sektor klimapolitisch so lukrativ, denn für die erfolgreiche Umsetzung der Ziele des Pariser Klimaabkommens ist entscheidend, wie stark wir reduzieren und wie schnell. Beachtlich ist, wie viel Treibhausgasemissionen wir hier einsparen und wie rasch wir handeln können. Das Thema Ernährung respektive Lebensmittelproduktion ist aber immer noch ein Tabusektor, der in der Politik zu wenig Beachtung findet.
Sollte die Politik die Produktion und den Konsum tierischer Produkte verbieten?
Ich glaube nicht, dass ein Verbot der richtige Weg ist. Vielmehr muss ein gesellschaftliches Umdenken angestossen werden. Aktuell wird böse mit dem Finger auf jene Menschen gezeigt, die viel mit dem Auto fahren oder fliegen. Zu Recht diskutieren wir über Preisanpassungen, Klimasteuern und wegfallende Subventionen. Der Fleischkonsum hingegen wird kaum hinterfragt. Hier liegt es an der Politik, Anreize für ein Umdenken zu schaffen.
Wie könnte das geschehen?
Zum Beispiel, indem wir anders subventionieren. Dass heute so viele Tierprodukte konsumiert werden, hat viel damit zu tun, dass sie derart günstig sind. Würde sie der Bund nicht so stark subventionieren, dann würden wir uns beim Einkaufen wohl zweimal überlegen, ob wir sie wirklich brauchen. Immer lauter wird auch die Forderung nach einer Fleischsteuer, welche die wahren Kosten von Fleisch widerspiegeln würde. Das hört sich vielleicht drastisch an, für viele von uns würde es aber einfacher, unseren Beitrag für eine bessere, klimafreundlichere Umwelt zu leisten. Dass der Staat die Thematik heute aber insgesamt ignoriert, ist grotesk, denn er vereitelt damit seine eigenen Klimaziele.
Sie fordern sogar Arbeitnehmerrechte für Tiere. Ein höchst ungewöhnlicher Vorschlag.
Ansprüche auf Lohn, Freizeit und Pension für Tiere? Das mag sich im ersten Moment lebensfremd anhören. Schliesslich schliessen Pferde keine Verträge ab, und nicht einmal Militär- oder Blindenhunde, welche die wohl anerkannteste Form der Tierarbeit leisten, nehmen an einem Lohnsystem teil. Schauen wir aber etwas genauer hin, dann schwindet diese initiale Gewissheit schnell.
Erklären Sie bitte.
Seit Jahrtausenden werden Tiere für Arbeitszwecke eingesetzt, sei es in der Landwirtschaft, in Fabriken und Minen, zum Bau von Strassen oder zum Unterhalt von Wäldern. In der Polizei finden sich Schutzhunde, Wachhunde, Personenspürhunde, Sanitätshunde, Sprengstoff- oder Drogenspürhunde. Beim Zoll überwachen Hunde die Einhaltung von Quarantänevorschriften, und im Militär werden sie als Feldjäger, Fallschirmjäger oder auch als Meldehunde, Sanitätshunde oder Lastenträger eingesetzt. Ratten erschnüffeln Landminen, und Wildtiere leisten viel für das Ökosystem. Immer öfter wird auch argumentiert, dass Kühe, Schweine, Hennen und andere Tiere, die in der Landwirtschaft eingesetzt werden, Arbeit erbringen – sogenannte metabolische Arbeit. Nun kann die Anerkennung, dass hier Arbeit geleistet wird, als Gegengewicht zur Intensivierung des Tierleids und der Anonymisierung von Tieren wirken, wie wir sie täglich beobachten.
Wie würde das funktionieren?
Indem wir Tiere als individuelle, fühlende Wesen anerkennen, die täglich einen massiven Beitrag zum Gemeinwohl leisten und als solche Wertschätzung verdienen – eben zum Beispiel in Form von Arbeitnehmerrechten. Einige Tiere sind bereits für ihre Arbeitsleistungen anerkannt und geniessen quasi Arbeitnehmerrechte. In Norwegen gelten Polizeihunde als öffentliche Bedienstete. In Nottingham erhalten sie eine Pension von 500 Pfund pro Jahr, um ihnen einen «anständigen Ruhestand» zu sichern. Natürlich ist nicht jede dieser Arbeitsformen ethisch rechtfertigbar. Der Fokus auf die Arbeit ist vielmehr ein Vehikel zur Besserstellung von Tieren und wird im Idealfall zur Eingrenzung oder Beseitigung gewisser Tierarbeit führen. Auch im Kampf um anständige Arbeit für Menschen wurden diverse Arbeitsformen abgeschafft, eingeschränkt oder befristet.
Wenn wir Arbeitnehmerrechte für Tiere ins Gesetz aufnehmen würden, woher wissen wir, was ihre Bedürfnisse sind?
Tiere sind keine passiven, hilflosen Wesen, die man retten muss. Sie haben klare Vorstellungen ihrer Vorlieben und Abneigungen. Etwa davon, wo sie ihr Zuhause aufbauen, mit wem sie Zeit verbringen möchten, wie sie den Tag verbringen und was sie essen wollen. Leben Tiere in menschlichen Welten, die ihren Bedürfnissen nicht entsprechen, leisten sie Widerstand. Ihren Willen drücken sie auf verschiedenste Arten aus: Sie wehren sich, blöken, muhen, bellen, schreien, springen weg, verstecken sich, trotzen oder sondern Düfte ab. Diese Willens- und Handlungsfähigkeit der Tiere anzuerkennen – in unseren persönlichen Beziehungen mit ihnen, aber auch auf politischer Ebene –, sollte unser Ziel sein.
Eine neue Initiative will die Massentierhaltung verbieten, die Tötung aber weiterhin erlauben. Ist das ein Schritt in die richtige Richtung?
Leider verpasst es die Massentierhaltungsinitiative, die Frage aufzuwerfen, ob die landwirtschaftliche Tierhaltung überhaupt mit der Tierwürde vereinbar ist und ob die Schlachtung eines lebenswilligen Tieres tatsächlich als «tierfreundlich» bezeichnet werden darf. Sie hat es aber weltweit erstmals geschafft, dass ein Stimmvolk über das Ob und Wie der industriellen Nutztierhaltung abstimmen kann. Dadurch stösst sie einen breiten Diskurs über Themen an, die nur selten den Weg in öffentliche Debatten finden. Etwa darüber, dass die Massentierhaltung die Klimaerwärmung signifikant vorantreibt. Dass sie die öffentliche Gesundheit gefährdet aufgrund breitflächiger, irreversibler Antibiotikaresistenz. Dass sie in grossem Masse Luft und Wasser verschmutzt und Ressourcen verknappt.
Sie sprechen den Klimawandel an. Wie geeignet sind demokratische Instrumente, um effektiv darauf zu reagieren?
Dass die Demokratie nicht notwendigerweise am schnellsten zu Klimaschutz führt, hat damit zu tun, dass das demokratische System an kurze Wahlzyklen gebunden ist. Manche argumentieren, autoritäre Staatsformen seien diesbezüglich im Vorteil. China zum Beispiel kann mit Leichtigkeit 60 Milliarden für die Entwicklung von Elektroautos ausgeben, ohne darüber eine echte demokratische Auseinandersetzung führen zu müssen. In der Schweiz wird von gewissen Kreisen reflexartig eine «Verbotskultur» heraufbeschworen, sobald eine staatliche Regulierung mit Konsumverzicht verbunden ist. Klimastreiks werden von der SVP als Aufforderung zur «Klima-Diktatur» dämonisiert. Ähnliche Bedenken wurden während des Corona-Lockdowns laut. Verbote, so hiess es, würden ohne Wenn und Aber ausgesprochen – und der Bundesrat sei fast allmächtig.
Mit dem Notrecht konnte die Regierung rasch auf die Bedrohung reagieren. Unter welchen Umständen könnte dieses Mittel eingesetzt werden, um den Klimawandel aufzuhalten?
Natürlich gibt es Parallelen zwischen der Corona-Krise und der Klimakrise. Die Ereignisse waren vorhersehbar, die Risiken sind vielschichtig, die Herausforderungen global, und es muss rasch gehandelt werden. Es geht um Resilienz, Krisenfestigkeit und Lernfähigkeit. Tatsächlich können wir viel aus der Pandemie fürs Klima lernen; etwa wenn es um Entscheide für langfristige Nutzen, klare Regeln und Solidarität geht. Das Notrecht als Dauerzustand anzustreben, gehört aber nicht dazu.
Weshalb nicht?
Die Eindämmung des Klimawandels ist kein Selbstzweck. Wir tun dies, um unser Überleben und jenes anderer zu sichern. Dass ein Nullsummenspiel zwischen funktionierender Demokratie und solider Klimapolitik besteht, ist weder belegt noch überzeugend. Denn wer will schon in einer klimaneutralen Zukunft leben, wo politische Rechte beschnitten werden und die deliberative Entscheidfindung verkümmert? Gerade bei grossen Fragen wie jenen des Klimawandels müssen demokratische Mitwirkungsrechte gestärkt werden. Der politische Diskurs muss gefördert werden, die Zivilbevölkerung miteinbezogen, und es braucht solide Klage- und Beschwerderechte. Denn: Mit demokratischem Konsens erreichen wir mehr als mit einer autoritären Politik. Die Demokratie bleibt als Staatsform alternativlos, das gilt gerade auch in Zeiten des Klimawandels.