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Die Nationalbank im Krisenmodus

Weitere Frauen prangern die Unternehmens­kultur der SNB an. Und die Führung der Bank handelt sich mit ihrer Reaktion auf die publik gewordenen Vorwürfe zusätzliche Kritik ein.

Von Patrizia Laeri und Fabio Canetg, 01.10.2020

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Der Bericht der Republik über mutmassliche Geschlechter­diskriminierung bei der Schweizerischen Nationalbank (SNB) löste ein grosses Echo aus.

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Die Schweizerische Nationalbank ist die mächtigste Finanz­institution des Landes, fest in Männerhand – und sie hat ein schwerwiegendes Problem: Über ein Dutzend Frauen berichten von Lohndiskriminierung, Mobbing und Sexismus.

Die Bank nimmt die Vorwürfe ernst. Noch am Tag der Publikation wehrt sich SNB-Präsident Thomas Jordan in einem ausführlichen SRF-Interview gegen die Sexismus-, Mobbing- und Diskriminierungs­vorwürfe. Jordan verweist unter anderem auf die Mitarbeiter­befragung, die jeweils gute Resultate zutage fördere. Es gebe höchstens «Einzelfälle», so der Notenbank-Präsident.

Tags darauf richtet sich die Nationalbank­spitze an ihre Mitarbeitenden. Das Schreiben liegt der Republik vor. Darin fordert das Führungs­gremium die Angestellten auf, sich bei «Kenntnis von entsprechenden Fällen» oder bei eigener Betroffenheit bei den entsprechenden Stellen zu melden. Man werde «den publizierten Fällen und Vorwürfen nun so gut wie möglich nachgehen».

Am Dienstag dieser Woche hat die SNB zudem eine interne Veranstaltung zum Thema durchgeführt. Eine Mitarbeiterin, die selbst ebenfalls durch die Vorwürfe belastet wird, befragt Thomas Jordan zu den Anschuldigungen. Sein Fazit: Es gibt kein systematisches Problem. Auch dieses Video­interview liegt der Republik vor.

Die Haltung der SNB-Spitze stellt nicht alle zufrieden. Irritiert über die Aussagen Jordans, kontaktieren fünf weitere Personen die Republik. Vier davon arbeiten derzeit bei der Nationalbank.

Eine von ihnen bezeichnet die Mitarbeiter­befragung als «höchst fragwürdig», weil die Anonymität nicht gewähr­leistet sei. Habe ein Team nämlich mehr als vier Mitglieder, erhalte der Chef oder die Chefin eine «aggregierte» Auswertung. Gerade in kleinen Abteilungen seien kritische Bemerkungen sehr einfach zuzuordnen. Ihr Vorgesetzter habe sie gar aufgefordert, sich zu ihren Antworten zu «bekennen». Das belegen Dokumente, die der Republik vorliegen. Sie wisse aus eigener Erfahrung, dass die internen und externen Compliance­stellen der SNB nicht funktionierten.

Mehrere Frauen sind auch auf die externe Beratungs­stelle Movis zugegangen. Diese sei zwar einfühlsam, rate aber meist dazu, die Situation einfach zu akzeptieren. Movis wird von der SNB bezahlt.

Eine weitere Frau, die sich neu beim Autoren­duo gemeldet hat, bestätigt dies. Sie gibt Einblick in ihren eigenen, akribisch dokumentierten Mobbing­fall. Die entsprechenden Stellen – dazu gehört die externe Melde­stelle – waren involviert. Verbessert habe sich ihre Situation dadurch aber nicht, weil der männliche Chef den mobbenden Kollegen gedeckt habe.

Insgesamt liegen inzwischen Erfahrungs­berichte von 18 Frauen im Alter zwischen 25 und 60 Jahren vor. Die Berichte stammen aus allen drei Departementen der SNB und aus verschiedensten Berufsfeldern.

Über die Details der neuen Fälle berichtet die Republik zu gegebener Zeit.

Erstmals steht mit Katrin Assenmacher nun auch eine Person namentlich zu ihren Aussagen. Assenmacher hat jahrelang in leitender Position für die SNB gearbeitet. Heute macht die Makro­ökonomin bei der Europäischen Zentral­bank (EZB) eine steile Karriere. Sie sagt: «Ich habe die SNB verlassen, weil ich den Eindruck hatte, dass meine Entwicklungs­möglichkeiten dort sehr eingeschränkt waren.»

Aufklärung verlangt auch die Politik. SP-Nationalrätin Céline Widmer hat mit Unter­stützung von Politikerinnen aus FDP, CVP, EVP, GLP und Grünen noch am Tag der Publikation der Vorwürfe im Parlament einen Vorstoss eingereicht. Sie verlangt Auskunft über den Umgang mit potenziellen Diskriminierungs­fällen und über die SNB-Diversity-Strategie.

Zudem fordert die Kampagnen­plattform Campax nun den Bankrat dazu auf, die publik gemachten Vorwürfe unabhängig prüfen zu lassen. Der Bankrat müsste die Geschäfts­führung des SNB-Direktoriums um Thomas Jordan kontrollieren, macht aber den Eindruck, sich kommunikativ von der SNB kontrollieren zu lassen. Das Aufsichts­gremium lässt lediglich ausrichten, es habe zur Stellung­nahme der SNB-Spitze nichts hinzuzufügen.

Affaire à suivre.

PS: Mehr über die Hintergründe der SNB-Recherche berichtete Co-Autor Fabio Canetg dem Magazin «Persoenlich.com».