Der Kampf um die Jets
Ende September entscheidet das Schweizer Stimmvolk über sechs Milliarden Franken für neue Kampfjets. Brauchen wir die überhaupt? Wären Drohnen keine Alternative? Und was kostet das Ganze wirklich? Wir beantworten die wichtigsten Fragen.
Von Eva Novak, 14.09.2020
Sechs Milliarden Franken für höchstens 40 Flugzeuge und Zubehör: Das ist ganz schön viel Geld. Damit liessen sich sechs Jahre alle Kitas vollständig finanzieren. Oder der Staat könnte jeder erwachsenen Person in der Schweiz eine Tausendernote in die Hand drücken. Und das sind noch nicht einmal die vollen Kosten, denn auch nach dem Kauf kosten moderne Kampfjets viel: Sie müssen betankt, unterhalten und regelmässig auf den neusten Stand gebracht werden.
Ist diese Investition in die Sicherheit der Schweiz nötig? Ginge es nicht auch bescheidener?
Eine eindeutige Antwort auf diese Frage ist umso schwieriger zu finden, weil es im Rüstungsbereich so gut wie keine unabhängigen Expertinnen gibt. Die Vertreter der Bundes-Rüstungsbehörde Armasuisse, des bundeseigenen Rüstungsbetriebs Ruag, des Verteidigungsdepartements sowie der Armee – sie sind alle Partei. Die Rüstungsexperten aus den Waffenschmieden ebenso, und die Exponentinnen des Pro- und des Kontra-Lagers sowieso.
In Gesprächen mit all diesen Experten und Interessenvertreterinnen haben wir uns an die Antworten auf die sieben wichtigsten Fragen herangetastet.
Eva Novak ist seit 30 Jahren Korrespondentin im Bundeshaus. Sie gilt als eine der profiliertesten Schweizer Medienschaffenden im Bereich Sicherheitspolitik.
1. Für welche Bedrohungsszenarien braucht es Kampfjets?
Das Verteidigungsdepartement VBS schweigt sich zum zentralen Thema aus, die Komitees rücken ins Vakuum vor. «Nicht ein Luftkrieg in Europa, sondern der Klimawandel, Cyber-Risiken oder Gefahren wie die Corona-Pandemie sind realistische Bedrohungen für unsere Sicherheit»: Mit diesem Satz zum Kampagnenstart brachte die grüne Zürcher Nationalrätin Marionna Schlatter die Argumente der Gegner auf den Punkt. Die Protagonistinnen der Pro-Kampagne dagegen vermeiden den Ausdruck «Luftkrieg». Sie sprechen davon, dass sich die Schweiz «in einer heute noch undenkbaren Krise oder bei Bedrohungen aus der Luft schützen und den Luftpolizeidienst durchführen» müsse, wie es der Kampagnenleiter und Aargauer FDP-Ständerat Thierry Burkart formuliert.
Beide Seiten haben recht. Es hängt davon ab, woran sie sich ausrichten: an der gefährlichsten oder an der wahrscheinlichsten Bedrohung. Die Gegner ziehen die gefährlichste Bedrohung ins Lächerliche, weil sie sich an der wahrscheinlichsten orientieren. Die Befürworterinnen weisen auf die Geschichte hin: Diese habe immer wieder gezeigt, dass man sich an der gefährlichsten Bedrohung orientieren müsse. An jener Bedrohung, welche dem Land und der Bevölkerung den grössten denkbaren Schaden zufügen könnte: einem bewaffneten Konflikt.
Heute verfügt die Schweizer Luftwaffe über 30 F/A-18-Kampfjets und 26 der ursprünglich 98 beschafften Tiger F-5. Erstere sind noch State of the Art, letzteren wurden nach und nach die Zähne gezogen. Heute sind die Tiger entwaffnet und werden nur noch als sogenannte «Serviceflugzeuge» eingesetzt. Das heisst, sie dienen als unbewaffnete Sparringpartner im Luftkampftraining, für Flüge mit Störsendern, Zieldarstellung für die Fliegerabwehr – und für die identitätsstiftende Patrouille Suisse.
Wichtigste Aufgabe der Kampfjets in Friedenszeiten ist der Luftpolizeidienst. Er sorgt dafür, dass die Regeln im Schweizer Luftraum eingehalten werden, er identifiziert Eindringlinge, zwingt sie abzudrehen oder begleitet sie zur Landung – ab 2021 rund um die Uhr. Daneben schützt er Anlässe wie das WEF in Davos oder 2014 die Friedenskonferenz für Syrien in Genf.
In Zeiten erhöhter Spannungen wie während der Balkankriege in den 1990er-Jahren, während des Golfkriegs 2003 oder des Libyenkonflikts 2011 verhindern Kampfjets, dass ausländische Militärflugzeuge verbotenerweise über die Schweiz fliegen. Sie sorgen dafür, dass der Griff in die Trickkiste nichts bringt: Unter Piloten gilt es als offenes Geheimnis, dass militärische Flugzeuge bisweilen als zivile Verkehrsmaschinen angemeldet werden. Um diese zu identifizieren, werden stichprobenweise Flugzeuge kontrolliert.
Der Schweizer Luftraum ist besonders gefährdet: Weil die Amerikaner ihre Truppen im Nahen und Mittleren Osten einschliesslich Afghanistan über den Flughafen Frankfurt versorgen, führt der kürzeste Weg häufig über die Schweiz. Die Flugzeuge kommen aus den USA, tanken in Frankfurt, laden Material auf, wechseln vielleicht die Crew und fliegen ins Konfliktgebiet weiter. «Die Schweiz liegt dabei im Weg», sagt Roger Harr, Pilot und ehemaliger Präsident der Schweizer Gesellschaft der Luftwaffenoffiziere Avia.
Ein grosser Krieg erscheint aus Sicht der Schweiz zurzeit unwahrscheinlich – da sind sich Befürworter wie Gegnerinnen einig. Der Unterschied besteht darin, dass Erstere eine bewaffnete Auseinandersetzung grösseren Ausmasses nicht kategorisch ausschliessen. Sie weisen darauf hin, dass die Welt nicht nur im Cyberspace unsicherer geworden sei. China rüstet auf, wirtschaftlich ebenso wie militärisch, und baut aktuell den dritten Flugzeugträger. Drei von sieben aktiven US-Flugzeugträgern liegen im Pazifik, womit die USA China zahlenmässig noch knapp überlegen sind.
Russland lässt an Manövern so viele Truppen aufmarschieren wie im Kalten Krieg und übt dabei die Eroberung von Ostseezugängen und die Isolierung der baltischen Staaten. Die Türkei gibt einem Militärmanöver vor Zypern den vielsagenden Namen «Mittelmeer-Sturm».
Die USA entfremden sich zunehmend von Europa, das sich folglich selbst verteidigen muss. Regionale Brandherde wie die Krim oder die russische Exklave Kaliningrad zwischen Polen und dem Baltikum bergen Konfliktpotenzial. Sollte Europa da wie auch immer einschreiten oder Interessen wahren müssen, stellt sich die Frage nach dem Schweizer Beitrag. Gleiches gilt für den Fall, dass der Klimawandel, wie Prognosen vorhersagen, ganz Nordafrika unbewohnbar machen, zu sozialen und militärischen Unruhen und Flüchtlingswellen in noch nie gesehenem Ausmass führen sollte. Bereits 2040, warnen Studien, könnte es so weit sein.
Die neutrale Schweiz könnte Bevölkerungsgruppen in Ländern mit Unruhen aus der Luft schützen wollen, um Flüchtlingswellen zu reduzieren. Im Verbund mit Europa, im eigenen Interesse. Solche Ideen greifen immer mehr um sich. Einer, der sie vertritt, ist der Luzerner GLP-Nationalrat Roland Fischer. Gegen den Kampfjet Gripen, der 2014 an der Urne scheiterte, hatte er noch das bürgerliche Referendum angeführt. Heute nennt Fischer den Kauf neuer Kampfjets «einen solidarischen Beitrag für die Verteidigung Europas». Er spricht dabei als einer der wenigen Politiker offen an, dass sich die Schweiz ohne die Partnerschaft mit anderen Ländern gar nicht mehr selber verteidigen könnte. Nicht zuletzt ist die technologische Abhängigkeit von der Nato stark gestiegen.
Die Corona-Krise wird als Argument sowohl für als auch gegen den Kauf der Kampfjets herangezogen. Die Gegnerinnen sehen in der Pandemie den ultimativen Beweis, dass andere Gefahren akuter seien als militärische Konflikte. Die Befürworter sagen dagegen, so wie niemand die Corona-Krise vorhergesagt habe, könne niemand kommende Bedrohungen vorhersehen. Dass die Grenzen für medizinisches Schutzmaterial geschlossen wurden, zeige, dass wir in der Krise «nicht von Freunden umzingelt sind».
2. Gibt es keine billigeren Alternativen, etwa Drohnen oder leichte Kampfflugzeuge?
Statt auf moderne Kampfjets würde die SP auf «leichte Kampfjets» setzen – wie den M-346 FA des italienischen Herstellers Leonardo zum Beispiel oder die südkoreanische KAI FA-50 Golden Eagle. Diese seien in der Beschaffung und im Betrieb um ein Vielfaches billiger, könnten rascher starten, länger in der Luft bleiben und seien weniger wartungsintensiv – was zu einer besseren Verfügbarkeit führe. Für den alltäglichen Luftraumschutz könne man sie brauchen und so die F/A-18 schonen, welche auf diese Weise länger als Reserve für robuste Einsätze zur Verfügung stünden.
Leichte Jets seien als Trainingsflugzeuge konzipiert, kontern Piloten wie der Schaffhauser SVP-Nationalrat Thomas Hurter oder Ex-Avia-Präsident Roger Harr. Bezüglich Reichweite, Manövrierfähigkeit oder Beschleunigung blieben sie hinter den evaluierten Kampfjets zurück. Der M-346 FA fliege zu langsam, zu wenig hoch und sei damit nicht einmal in der Lage, Luftpolizeieinsätze bei Passagierflugzeugen zu leisten, die in 10’000 Metern Höhe mit 900 km/h in den Schweizer Luftraum fliegen, geschweige denn wäre er in der Lage, einen terroristischen Angriff aus der Luft abzuwehren.
Der KAI FA-50 sei zwar schneller, von den Flugleistungen her jedoch nicht besser als die über 40-jährigen Tiger. Und die weitere Verlängerung der Lebensdauer der F/A-18 über 2030 hinaus scheitere schon an den immer schwieriger aufzutreibenden Ersatzteilen und am desolaten Zustand der Jets durch die weltweit intensivste Nutzung mit anspruchsvollen Einsatzprofilen.
Einzelne Politikerinnen und Fachleute mit Affinität zur Fliegerabwehr propagieren einen stärkeren Ausbau der bodengestützten Luftverteidigung (Bodluv). Die SP schreibt in ihrem Argumentarium, Kampfjets seien «nutzlos gegen Drohnenschwärme, Marschflugkörper und ballistische Waffen», Bodluv-Raketen hingegen seien in der Lage, sie vom Himmel zu holen. Das VBS stellt dies in Abrede: Kampfjets könnten sehr wohl Drohnen abschiessen, und zur Abwehr von Cruise-Missiles sei die Beschaffung von Flugabwehrsystemen geplant. Bodluv sei aber nicht geeignet, um Flugobjekte vor Ort visuell zu identifizieren, zu warnen, abzudrängen oder zur Landung zu zwingen.
Das gilt erst recht für Drohnen, die neuerdings auch von Tesla- und Spacex-Gründer Elon Musk als Luftkampfmittel der Zukunft propagiert werden. Zwar werden in Konfliktgebieten die unbemannten Flugobjekte nicht nur für Luftaufklärung eingesetzt, sondern zunehmend auch für Angriffe auf Personen und Objekte. Auf saudischen Erdölfeldern zum Beispiel richteten Drohnen, welche Huthi-Rebellen aus dem Jemen losgeschickt hatten, vor Jahresfrist verheerende Schäden an.
Doch sie sind, weil keine Menschen an Bord sind, nicht in der Lage, mit der Pilotin eines zu identifizierenden Flugzeugs Augenkontakt aufzunehmen. «Für die Schweiz sind unbemannte Kampfflugzeuge in absehbarer Zukunft keine Option», steht denn auch in der «Bibel» der Luftwaffe, dem 2017 vom VBS herausgegebenen Expertenbericht zur «Luftverteidigung der Zukunft».
3. Braucht es wirklich 30 bis 40 Kampfjets – würden nicht auch 10 reichen?
Ende August 1945 verfügte die Luftwaffe über 530 Flugzeuge, davon 328 Jagd- und 202 Mehrzweckzweisitzer, ausser den deutschen Messerschmitt alle aus eigener Produktion. Nicht ohne Grund: Im Zweiten Weltkrieg zählte die Schweiz total 6501 Grenzverletzungen durch fremde Flugzeuge. 198 fremde Flugzeuge landeten auf Schweizer Hoheitsgebiet und 56 stürzten ab. 1977 besass die Luftwaffe immerhin noch 444 Jagd-, Aufklärungs- und Erdkampf-Jets.
Inzwischen gibt sich die Armee rein zahlenmässig mit weniger zufrieden. Wie viele Kampfjets jetzt für die sechs Milliarden Franken beschafft werden sollen, steht noch nicht fest. Je nach Typ und Angebot werden es voraussichtlich zwischen 30 und 40 sein. Bis in zehn Jahren sollen sie die verbliebenen 56 F/A-18 und Tiger ersetzen.
Damit kann die Schweiz die Lufthoheit im Krisenfall immerhin ein paar Wochen lang wahren – die diesbezüglichen Angaben aus dem VBS schwanken zwischen zwei und vier Wochen. Mit weniger Jets wäre auch das kaum zu schaffen, denn nicht alle sind gleichzeitig einsatzbereit. In Friedenszeiten ist dies jeweils zwischen einem Drittel und der Hälfte. Der Rest wird überholt, kontrolliert oder instand gestellt. In einem Konflikt ist die Verfügbarkeit höher, weil weniger strenge Auflagen bezüglich Flugsicherheit gelten.
Je weniger Jets, desto weniger sind verfügbar. Von zehn Jets sind rein statistisch gesehen nur drei bis fünf einsatzbereit. Oder auch weniger: Von den 15 Eurofightern in Österreich ist es immer wieder mal gar keiner. Einsätze rund um die Uhr in einer Konfliktsituation werden damit undenkbar. Ideal wären im vorgegebenen Finanzrahmen drei «Staffeln» à 12 Jets.
Dazu kommt der Mengeneffekt. Je mehr Flugzeuge ein Land kauft, desto tiefer ist der Systempreis, also der Stückpreis zuzüglich Anteil an den Kosten von Training, Bewaffnung, Ersatzteilen und Simulator. Das ist auch einer der Gründe, warum bei Kampfjet-Beschaffungen mehrerer Länder der Kaufpreis nicht vergleichbar ist. Es spielt eine Rolle, ob jemand 15 oder 50 Flieger kauft – und wie viele Simulatoren und welche Ausrüstung und Bewaffnung dazu.
4. Wie teuer kommen die Jets am Ende zu stehen?
Die Kosten über die gesamte Lebensdauer einschliesslich Betrieb und Unterhalt hängen vom Flugzeugtyp, dem Kerosinpreis, Upgrades und der Nutzungsdauer ab. Gegen Ende der Nutzungsdauer nehmen die Kosten zu, weil – ähnlich wie bei einem Auto – mit zunehmendem Alter immer mehr Reparaturen anfallen und Ersatzteile nicht mehr ohne weiteres erhältlich sind. Insofern sind sämtliche Schätzungen mit grosser Vorsicht zu geniessen.
Die Tiger F-5 mögen in der Schweiz schon seit über 40 Jahren im Einsatz stehen, anderswo sogar noch länger. Normalerweise aber wird mit einer Nutzungsdauer von 30 Jahren gerechnet. In dieser Zeit, so hat die Armasuisse über den Daumen gepeilt errechnet, dürften Betrieb und Unterhalt etwa das Doppelte des Kaufpreises kosten. Bei den zu beschaffenden Jets wären das bei einem Kaufpreis von 6 Milliarden Franken über die gesamte Lebensdauer von 30 Jahren rund 18 Milliarden Franken Gesamtkosten.
Das Problem bei dieser Faustregel ist allerdings, dass sie aufgrund der Erfahrungen mit den F/A-18 errechnet wurde. Diese sind sogenannte Kampfjets der «vierten Generation». Für diese – und nur für sie – dürfte die Faustregel Gültigkeit haben, wie Armasuisse-Fachleute im Gespräch mit der Republik einräumen. Die Tiger – also Jets der dritten Generation – kamen selbst im Betrieb über 40 und mehr Jahre deutlich billiger zu stehen.
Drei der vier jetzt evaluierten Kampfjets gehören wie der F/A-18 ebenfalls der vierten Generation an: F/A-18 Super Hornet ebenso wie Rafale und Eurofighter. Der «Tarnkappenbomber» F-35 hingegen wird zur fünften Generation gezählt, die, so sagen die Fachleute, wegen der Stealth-Eigenschaften mit Sensoren schwer erfassbar ist, dafür aber höhere Ansprüche an den Unterhalt stellt und damit deutlich teurer kommt.
Bestätigt wird diese Annahme durch Kostenprognosen aus Norwegen, das vor ein paar Jahren 52 F-35 kaufte und mit Betriebs- und Unterhaltskosten in beinahe dreifacher Höhe des Anschaffungspreises rechnet. Darauf sowie auf eine Untersuchung des Budget-Ausschusses des US-Kongresses stützt sich die Schätzung der Beschaffungsgegner, wonach die neuen Kampfjets in den kommenden 30 Jahren «um die 24 Milliarden Franken» kosten würden.
5. Warum betreibt die Schweiz kein Jet-Sharing mit den Nachbarländern?
Drei unserer vier Nachbarstaaten mit eigener Luftwaffe (Liechtenstein kommt seit 1868 ganz ohne Armee aus), sind Mitglieder der Nato, mit der die Schweiz zwar über die Partnerschaft für den Frieden verbunden ist, der sie aber als neutraler Staat nicht angehört.
Ebenfalls nicht Mitglied des Nordatlantischen Bündnisses ist das neutrale Österreich. Allerdings ist es kein Zufall, dass unter Bundesheersoldaten in unserem östlichen Nachbarland der Witz kursiert: «Gott schütze Österreich – wir können es nicht.» Vor allem die Luftwaffe ist in einem desolaten Zustand. Ab 2003 wurden 15 schlecht ausgerüstete Eurofighter beschafft, die nur sehr eingeschränkt verfügbar und einsetzbar sind. Sie fliegen nur bei Tag und bei Schönwetter, weil sie für Nachtflug und Schlechtwetter nicht ausgerüstet sind. Es fehlt nicht nur an Material, sondern auch an Piloten. Entsprechend bescheiden ist – allen schönen Worten zum Trotz – der Beitrag, den die österreichische Luftwaffe jeweils zum Schutz des Luftraums über Davos während des WEF erbringt.
Selbst in normaler Lage sind Kooperationen enge Grenzen gesetzt. So hat die Schweiz für den Luftpolizeidienst zwar bilaterale Abkommen mit den Nachbarstaaten abgeschlossen, welche den Austausch des Luftlagebilds und bei einer Intervention die Nachverfolgung über die Landesgrenze ermöglichen. Gemäss dem «Expertenbericht Luftverteidigung» sind jedoch weitergehende Kooperationen «nicht realistisch: Für die Schweiz wäre es kaum hinnehmbar, dass ausländische Organe über den Abschuss eines Luftfahrzeugs über schweizerischem Territorium entscheiden; zudem dürfte kein anderer Staat bereit sein, diese in jedem Fall auch politisch schwierige Entscheidung für einen anderen Staat zu treffen.»
Dazu kommen praktische Probleme: Würde die Schweiz den Luftpolizeidienst gemeinsam mit Österreich durchführen, so könnte die Schweizer Luftwaffe ab den hiesigen Militärflugplätzen nicht innert nützlicher Frist gegen eine Luftbedrohung im Raum Wien intervenieren oder umgekehrt die österreichischen Luftstreitkräfte von ihren Stützpunkten im Osten des Landes gegen eine Bedrohung im Raum Genf. Selbst bei Überschallgeschwindigkeit würde ein solcher Flug rund eine halbe Stunde dauern.
Die Nato-Mitgliedsländer überwachen und schützen ihren Luftraum selber. In Island und den baltischen Staaten übernehmen zwar Nato-Staaten abwechslungsweise den Luftpolizeidienst. Intervenieren dürfen sie jedoch nur bei Luftraumverletzungen durch fremde Militärmaschinen. Sie haben keine Befugnis, gegen zivile Flugzeuge einzuschreiten.
Und: In einer Konfliktsituation brauchen die Nachbarn ihre Kampfjets selber.
6. Stimmt die Aussage, es gehe «um alles oder nichts»?
Als Verteidigungsminister Guy Parmelin vor zweieinhalb Jahren seinen Planungsbeschluss für die Erneuerung der Luftverteidigung präsentierte, stellte er es als Schicksalsfrage dar. Auf dem Spiel stehe «die Zukunft der Luftwaffe und damit die Zukunft der Armee», sagte der VBS-Delegierte Christian Catrina den Bundeshausmedien: «Wer für die Armee ist, muss für diese Vorlage sein.»
Parmelins Nachfolgerin Viola Amherd drückt sich eine Spur zurückhaltender aus: «Wenn diese Abstimmung nicht positiv verläuft, ist die Luftwaffe ganz klar infrage gestellt. Dann gibt es die Luftwaffe, wie wir sie heute kennen, nicht mehr.»
Fakt ist: Ohne Kampfjets hätte die Luftwaffe etwa ab 2030 nur noch Transportflugzeuge. Ein Luftpolizeidienst wäre nicht mehr möglich. Den Schutz der Bevölkerung vor Angriffen aus der Luft müssten Bodluv-Systeme übernehmen, die von einem Gegner rasch ausgeschaltet werden können. Ebenso schutzlos wären in diesem unwahrscheinlichen, aber nicht unmöglichen Fall die Bodentruppen. Das mag mit ein Grund sein, warum den Kampfjet-Milliarden keine Fundamentalopposition aus den übrigen Verbänden erwächst, obwohl ein Infanterist, Artillerist oder Panzerfahrer den ohnehin als privilegiert geltenden Fliegertruppen eigentlich nichts gönnen mag.
Da die Schweiz als neutraler Staat völkerrechtlich verpflichtet ist, ihren Luftraum zu schützen, müsste die Bundesverfassung geändert werden.
7. Welches sind die Unterschiede zur gescheiterten Gripen-Beschaffung?
Offenkundig steht viel mehr Geld auf dem Spiel. 2014 sollte ein Teil der Tiger-Flotte für 3,1 Milliarden Franken ersetzt werden, diesmal geht es um fast doppelt so viel und den Ersatz sämtlicher Kampfjets der Schweizer Armee. Und damit – siehe oben – um den Fortbestand der Luftwaffe.
Diesmal legt der Bundesrat dem Stimmvolk zudem erstmals überhaupt einen sogenannten Planungsbeschluss vor – eine Vorentscheidung über ein Ziel von grosser Tragweite. Doch das sind Formalitäten im Vergleich zum Umstand, dass es letztmals um 22 schwedische Gripen ging, während der Typenentscheid diesmal erst nach der Abstimmung gefällt wird. Es ist also bislang unklar, ob ein amerikanischer, französischer oder europäischer Jet das Rennen machen wird. Auch die genaue Anzahl ist offen.
Die Beschaffungsgegnerinnen sprechen deshalb von einem «Blankocheck» und kritisieren, man kaufe «die Katze im Sack». Die Befürworter kontern, dass der Typ letztlich keine Rolle spiele, solange der am Ende siegreiche Jet die Anforderungen erfülle. Diesmal scheint das bei allen vier Kandidaten zuzutreffen. Dem Gripen hingegen, dem zum Zeitpunkt der Abstimmung noch nicht fertig konstruierten «Papierflieger», war die Erfüllung der Ziele abgesprochen worden. Via Indiskretionen wurden die schlechten Testresultate publik. Die Abstimmungsanalyse zeigte, dass ein guter Teil der 53,4 Prozent der Stimmberechtigten, die am 18. Mai 2014 ein Nein in die Urne legten, mit der Typenwahl nicht einverstanden war.
Der Gripen wurde 2014 von zwei Seiten in die Zange genommen. Sowohl ein linkes als auch ein bürgerliches Komitee sammelten für ein Referendum Unterschriften. Inzwischen beschränkt sich die Gegnerschaft weitgehend auf den harten Kern der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA), der Grünen und der SP. Die Grünliberalen haben auf die Ja-Seite gewechselt. Chantal Galladé, die damals als SP-Nationalrätin und Präsidentin der Sicherheitspolitischen Kommission ihres Rats an vorderster Stelle gegen den Gripen gekämpft hatte, dient heute als Grünliberale den Befürwortern des Sechs-Milliarden-Deals als prominentes Aushängeschild.
Abgelehnt wurde der Gripen vor allem von den Frauen. Da war es nicht hilfreich, dass der damalige VBS-Chef Ueli Maurer an einem Pro-Gripen-Anlass in Zug fragte: «Wie viele Gebrauchtgegenstände, die 30 Jahre alt sind, haben Sie noch zu Hause?» Und die Antwort gleich selbst gab: «Bei uns sind das nicht mehr viele, ausser natürlich die Frau, die den Haushalt schmeisst.»
Verteidigungsministerin Viola Amherd käme es nicht in den Sinn, Frauen mit Gebrauchtgegenständen zu vergleichen. Stattdessen lässt sie die einzige weibliche Kampfjet-Pilotin Fanny Chollet für die Jets werben.
Was sich aber seit 2014 vor allem geändert hat, ist das sicherheitspolitische Umfeld. Es gibt mehr Konflikte, die Welt ist unsicherer geworden. Da ist es eine Überlegung wert, ob die Luftwaffe abgebaut werden soll. Sie wieder aufzubauen, daure mindestens zehn Jahre, sagen die Militärs. Mit Blick auf die Herren Erdoğan, Putin, Xi und Trump gewinnt ihr Argument an Gewicht.