Zürcher Asylbehörden streiten weiter für Geheimniskrämerei
Die Republik erkämpfte sich Einsicht in die Millionenverträge des Zürcher Asylwesens. Doch Regierungsrat Mario Fehr setzt sich persönlich dafür ein, dass das Sozialamt die Verträge unter dem Deckel halten kann.
Von Carlos Hanimann, 21.07.2020
Die Sache schien gelaufen: Die private Firma hatte keine Einwände, die Behörde schlechte Argumente und das Gericht zugunsten der Republik entschieden. Am 1. Mai konnten wir deshalb vermelden: Die Republik erkämpft Einsicht in Millionenverträge im Asylwesen.
Gestützt auf das Öffentlichkeitsprinzip hatte die Republik vor knapp eineinhalb Jahren Einsicht in alte und aktuelle Verträge des Zürcher Sozialamts mit den Asyldienstleistern ORS Service AG (privat) und AOZ (im Besitz der Stadt Zürich) verlangt. Die Verträge regeln die Zusammenarbeit zwischen Behörden und Asylfirmen, die für ihr Mandat insgesamt rund 120 Millionen Franken kassieren. Sozialamt und Sicherheitsdirektion verweigerten die Einsicht, obwohl die ORS schriftlich festhielt, dass sie kein Geheimhaltungsinteresse habe, und die AOZ nur «pauschal und nicht genügend substanziiert» auf Geschäftsgeheimnisse verwies. (Die Stellungnahme erschöpfte sich in ein paar dürren Zeilen in einer E-Mail, an die der AOZ-Direktor vom Sozialamt hatte erinnert werden müssen.) Der Entscheid des Verwaltungsgerichts in diesem Frühling fiel denn auch deutlich aus: In die Verträge der ORS habe das Sozialamt umfassend und «ohne weitere Prüfung» Einsicht zu gewähren. Die AOZ sollte noch einmal Gelegenheit erhalten, darzulegen, warum ihre Verträge nicht öffentlich werden durften.
Die Republik schrieb: «Nachdem selbst die private Aktiengesellschaft ORS keine Einwände gegen die Transparenz vorgebracht hat, dürfte es für die öffentlich-rechtliche AOZ schwierig werden, die Verträge geheim zu halten.»
Das war zwar richtig. Nur leider etwas verfrüht.
Was haben die Behörden gegen Transparenz?
Mittlerweile ist in der Redaktion erneut Post eingetroffen: vom Bundesgericht in Lausanne und vom Sozialamt in Zürich.
Aus Lausanne hiess es: Das Sozialamt wolle die Verträge mit der Asylfirma ORS geheim halten. Es sei mit einer Beschwerde ans Bundesgericht gelangt. Der Beschwerde werde «ausnahmsweise aufschiebende Wirkung erteilt». Das heisst: Das Sozialamt muss die ORS-Verträge – entgegen dem Urteil des Verwaltungsgerichts – bis zum Entscheid des höchsten Gerichts nicht herausgeben.
Aus Zürich hiess es: Das Verfahren zu den Verträgen mit der zweiten Asyldienstleisterin, der stadtzürcherischen AOZ, werde vorübergehend sistiert, weil man den Bundesgerichtsentscheid in Sachen ORS abwarten wolle. Die AOZ, die vom Verwaltungsgericht angewiesen worden war, endlich ihr Geheimhaltungsinteresse auszuführen, kommt damit – einmal mehr – zu ihrem Ziel, ohne je präzise Gründe vorgebracht zu haben. (Trotz Protest der Republik verfügte das Sozialamt am 12. Juni die Sistierung des Einsichtsgesuchs in die AOZ-Verträge – ein fragwürdiger Entscheid, den die Republik juristisch anficht. Der Fall ist derzeit bei der Rekursinstanz der Sicherheitsdirektion hängig.)
Das Urteil des Zürcher Verwaltungsgerichts sah aus wie ein Urteil für mehr Transparenz. Dem Sozialamt ist es nun aber gelungen, das ganze Verfahren, das bereits eineinhalb Jahre andauert, auf unbestimmte Zeit zu blockieren. Denn bis das Bundesgericht einen Entscheid fällt, dürften erfahrungsgemäss viele Monate verstreichen.
Es ist bemerkenswert, wie heftig sich das Sozialamt und die übergeordnete Sicherheitsdirektion gegen Transparenz im Zürcher Asylwesen wehren. Zwar kommt es bei sogenannten Private-Public-Partnership-Projekten immer wieder vor, dass sich die privaten Auftragnehmer gegen die Öffentlichmachung von Verträgen wehren. Seltener ist, dass sich die öffentliche Verwaltung sträubt. Höchst aussergewöhnlich ist aber die hier vorliegende Konstellation: dass der private Auftragnehmer die Transparenz begrüsst, die öffentliche Verwaltung hingegen auf Geheimhaltung pocht.
Die persönliche Verfügung von Mario Fehr
Aussergewöhnlich ist das Vorgehen in diesem Fall auch, weil das Sozialamt und dessen Amtschefin Andrea Lübberstedt nicht so einfach befugt sind, von sich aus ans Bundesgericht zu gelangen.
Wie aus der Beschwerde des Sozialamts hervorgeht, musste Sicherheitsdirektor Mario Fehr dafür eigens seine Ermächtigung erteilen. Es ist also der sozialdemokratische Regierungsrat persönlich, der in diesem Fall Transparenz verhindern will und versucht, die Millionenverträge des Zürcher Asylwesens geheim zu halten.
Hinzu kommt die Begründung, mit der das Sozialamt nun am Bundesgericht versucht, die Geheimhaltung der Asylverträge zu erwirken.
Im bisherigen Verfahren war vor allem von Geschäftsgeheimnissen der Asyldienstleister die Rede oder davon, dass diese Firmen keine öffentlichen Aufgaben wahrnähmen und damit nicht dem Öffentlichkeitsprinzip unterstünden. Das Sozialamt hat in früheren Stellungnahmen auch schon auf das Submissionsrecht verwiesen, das die Vergabe von öffentlichen Aufträgen an Private regelt. Das führt sie nun in der Beschwerde ans Bundesgericht als zentralen Grund dafür an, um die Verträge mit den Asylfirmen geheim zu halten.
Bei der Vergabe öffentlicher Aufträge schreibt das Submissionsrecht vor, dass eine Ausschreibung vertraulich sein muss, um einen möglichst wirksamen Wettbewerb zu ermöglichen. Das Sozialamt stellt nun dieses Submissionsrecht über das Öffentlichkeitsprinzip und erklärt im Wesentlichen: Die Vertraulichkeit einer Ausschreibung müsse über den Vertragsabschluss hinaus gelten. Damit aber würde jegliche Einsicht in Private-Public-Partnerships von vornherein ausgeschlossen.
Um genau diese zentralen Fragen geht es bei diesem Rechtsstreit. Wenn der Staat seinen Aufgaben nicht selber nachkommt und sie stattdessen an private Firmen auslagert: Sind diese dann auch der Öffentlichkeit Rechenschaft schuldig? Oder kann der Staat das Öffentlichkeitsprinzip aushebeln, indem er seine Aufgaben an private Dienstleister auslagert?
Diese Fragen liegen nun beim Bundesgericht.