EU-Gerichtshof kippt Datenabkommen mit den USA, Polen hat gewählt – und «Big Spender» auf Twitter
Woche 29/2020 – das Kurzbriefing aus der Republik-Redaktion.
Von Ronja Beck, Elia Blülle, Adrienne Fichter und Marie-José Kolly, 17.07.2020
Gericht kippt transatlantisches Datenabkommen
Darum geht es: In einem mit Spannung erwarteten Urteil hat der Europäische Gerichtshof am Donnerstag das Datentransferabkommen Privacy Shield zwischen der EU und den USA für ungültig erklärt.
Warum das wichtig ist: Die EU und die USA hatten Privacy Shield in einem Hauruck-Verfahren ausgehandelt, nachdem der Europäische Gerichtshof, kurz EuGH, 2015 bereits die vorherige Vereinbarung Safe Harbor gekippt hatte. Gegen beide Vereinbarungen klagte der österreichische Jurist und Aktivist Max Schrems. Das Urteil beinhaltet zwei Entscheidungen: Zum einen stellt der EuGH fest, dass Standardvertragsklauseln zur Übertragung von Daten ins Ausland grundsätzlich zulässig sind, jedoch müssen Garantien gegen die Weitergabe an US-Geheimdienste wie die NSA gegeben sein. Ob das mit dem bestehenden Standarddatenvertrag von Facebook gegeben ist, bleibt bislang noch unklar. Zum anderen erklärte das Gericht das Privacy-Shield-Datenabkommen zwischen den USA und der EU für ungültig. Damit ist jetzt klar: US-Überwachungsgesetze und europäische Datenschutzgesetze sind nicht miteinander vereinbar. Die Schweiz hat basierend auf Privacy Shield ein eigenes Datentransferabkommen ausgehandelt: das Swiss US Privacy Shield, das jetzt eigentlich auch auf den Prüfstand müsste.
Was als Nächstes geschieht: Die EU und die USA müssen nun ein neues transatlantisches Datenabkommen aushandeln und die Gültigkeit aller Nutzungsvereinbarungen zwischen europäischen Internetnutzern und amerikanischen Tech-Unternehmen klären. Womöglich haben Nutzungsverträge, die EU-Bürgerinnen mit der Eröffnung eines Benutzerkontos auf Facebook eingehen, jetzt keine rechtliche Grundlage mehr, was zu einer Rechtsunsicherheit führt. Und wie reagiert die Schweiz? Eine Sprecherin des eidgenössischen Datenschutzbeauftragten sagt auf Anfrage: «Das soeben publizierte Urteil des EuGH wird keine direkten Auswirkungen auf die Schweiz haben. Wir werden es jedoch analysieren und uns zu gegebener Zeit zu seiner Bedeutung für die Schweiz äussern.»
Wahlen in Polen: Alles bleibt beim Alten
Darum geht es: Der nationalkonservative polnische Präsident Andrzej Duda hat die Präsidentschaftswahlen in Polen gewonnen. Mit 51 Prozent der Stimmen wurde der bisherige Amtsinhaber in der Stichwahl vom Sonntag wiedergewählt. Sein Kontrahent Rafał Trzaskowski von der liberalen Bürgerplattform verlor denkbar knapp mit 49 Prozent der Stimmen.
Warum das wichtig ist: Der seit 2015 amtierende Präsident Andrzej Duda gilt als Marionette der nationalistischen Partei PiS. Dieser gehörte er bis zum strategischen Austritt 2015 lange Jahre an. Er hat alle wichtigen Gesetze unterzeichnet, welche die PiS vorschlug, selbst wenn sie die Pressefreiheit einschränkten und weitere Grundrechte verletzten. Damit machte er das Land in den vergangenen Jahren ein gutes Stück autoritärer. Vonseiten der EU blieb dies nicht unkommentiert: Die Kommission startete mehrere Verfahren gegen Polen wegen Verletzung von EU-Recht – zuletzt im Frühjahr wegen einer umstrittenen Justizreform. Als Strippenzieher in Polen gilt PiS-Mitgründer und -Chef Jaroslaw Kaczyński, der Duda 2015 zum Präsidenten machte. Dudas erneuter Sieg ist für die progressiven Mächte in Polen ein schwerer Schlag. Sein Herausforderer, der Warschauer Stadtpräsident Rafał Trzaskowski, ist klar proeuropäisch und setzt sich mitunter für die Rechte der LGBTQ-Community in Polen ein. Dass er 49 Prozent der Stimmen erhielt, ist ein Achtungserfolg, stellte er sich doch erst im Mai als Kandidat auf.
Was als Nächstes geschieht: Das knappe Wahlergebnis zeigt, wie gespalten Polen politisch ist. Dies bestätigte sich nicht zuletzt durch die rekordhohe Wahlbeteiligung von 68 Prozent. Doch an der Machtposition der PiS ändert dies vorerst nichts: Bis zu den Parlamentswahlen 2023 steht ihr der Weg politisch praktisch frei. Medien und ausländische Politiker befürchten nun einen noch stärkeren Rechtsdrall in Polen.
Demonstrationen in Bulgarien: «Mafia!»
Darum geht es: In Bulgarien kam es diese Woche zu den grössten Protesten seit 2014. Seit letztem Samstag gehen die Menschen in mehreren Städten täglich auf die Strasse und fordern den Rücktritt der Regierung. Wiederholt kam es zu Gewaltausbrüchen zwischen Demonstrierenden und der Polizei.
Warum das wichtig ist: «Mafia!», skandieren die Protestierenden in der Hauptstadt Sofia, aber auch in grösseren Städten wie Warna oder Burgas. Die Rufe gelten in erster Linie Ministerpräsident Bojko Borissow und Generalstaatsanwalt Iwan Geschew. Die Bulgarinnen werfen der bürgerlich-nationalistischen Regierungskoalition Korruption vor. Den Protesten vorausgegangen ist eine Razzia der Büros von Präsident Rumen Radew, angeordnet durch den Generalstaatsanwalt. Zwei Gefolgsleute von Radew – verantwortlich für Korruptionsbekämpfung und nationale Sicherheit – wurden kurzzeitig verhaftet. Die Behörden verdächtigen sie der Vorteilsgewährung und der Veröffentlichung von geheimen Dokumenten. Viele Bulgaren deuten dies als einen Versuch der Einschüchterung von Präsident Radew. Dieser übt immer wieder Kritik an der Regierung. Radew, der von den Sozialisten unterstützt wird, sprach den Demonstrierenden in einer TV-Rede seine Unterstützung aus und rühmte den «Anti-Mafia-Konsens». Die Anti-Korruptions-Organisation Transparency International stuft Bulgarien für 2019 als den korruptesten EU-Staat ein. Selbst dem Korruptionsbekämpfer Geschew werden enge Verstrickungen mit der Politik vorgeworfen. Bereits vor seiner Wahl 2019 kam es zu Protesten.
Was als Nächstes geschieht: Am Mittwoch haben drei von Regierungschef Borissows Ministern ihren Rücktritt beschlossen. Die Demonstrierenden konnte das bisher nicht besänftigen. Sie bestehen auf der Absetzung der gesamten Riege. Die sozialistische Partei hat diese Woche den inzwischen fünften Misstrauensantrag gegen die Regierung gestellt. Die Abstimmung soll in einigen Wochen stattfinden. Es ist zu erwarten, dass die konservative Mehrheit im Parlament auch diesen Antrag abschmettern wird.
Schweiz exportiert doppelt so viel Kriegsmaterial wie noch vor einem Jahr
Darum geht es: Schweizer Rüstungsbetriebe haben im ersten Halbjahr 2020 Kriegsmaterial im Wert von 501 Millionen Franken exportiert. In der entsprechenden Vorjahresperiode waren es mit 273 Millionen Franken nur etwas mehr als die Hälfte. Zudem kamen neue Details über die Schweizer Rüstungsindustrie ans Licht: Die Wochenzeitung WOZ hat nach einem fünfjährigen Rechtsstreit mit dem Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) die Namen der in der Schweiz ansässigen Rüstungsproduzenten veröffentlicht.
Warum das wichtig ist: Der gewonnene Rechtsstreit der WOZ ist ein Sieg für die Transparenz. Das Seco wurde vom Bundesgericht gezwungen, die Daten der Zeitung zu übergeben. Sie enthalten Informationen zu den Geschäftstätigkeiten der rund 150 in der Schweiz tätigen Rüstungsfirmen – und zeigen für das Jahr 2017 im Detail auf, wie und in welchem Volumen Schweizer Waffenfirmen Kriegsmaterialien ins Ausland exportieren. Besonders umstritten sind vor allem Exporte an Länder wie Saudiarabien, die aktiv in Kriege verwickelt sind und denen schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden. Die von der WOZ erstrittenen Daten zeichnen erstmals ein genaues Bild der Schweizer Rüstungsindustrie, die in den letzten Jahren zu einem weltweit bedeutenden Waffenexporteur aufgestiegen ist.
Was als Nächstes geschieht: Die bisher geheim gehaltenen Daten werden spätestens mit der Abstimmung zur sogenannten «Kriegsgeschäfte-Initiative» am 29. November an politischer Relevanz gewinnen. Gemeinsam mit der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) haben die Jungen Grünen 2018 das Volksbegehren eingereicht, mit dem sie die Finanzierung von Rüstungsfirmen durch die Schweizerische Nationalbank, Stiftungen sowie Einrichtungen der staatlichen und beruflichen Vorsorge verbieten wollen. Der Bundesrat und das Parlament lehnen die Initiative ohne Gegenvorschlag ab.
23 Prozent der ETH-Professorinnen erlebten Diskriminierungen
Darum geht es: Die ETH hat ihren gut 500 Professorinnen und Professoren eine Umfrage zu ihrer Arbeitssituation geschickt, geantwortet haben gut 60 Prozent. Die erste Befragung dieser Art zeigt, dass die Professorenschaft grundsätzlich zufrieden ist. Doch unter den antwortenden Professorinnen fühlten sich 23 Prozent in den vergangenen zwei Jahren diskriminiert. Bei den Professoren dagegen waren es 5 Prozent. Männer bewerteten ihre Karrieremöglichkeiten besser, sie fühlen sich in ihrer Arbeitssituation stärker respektiert und stärker gefördert. Und Männer vertrauen mehr auf den Beschwerdeprozess der Hochschule.
Warum das wichtig ist: Willkür und Chancenungleichheit waren an der ETH wiederholt ein Thema. So berichtete die Republik im Detail über die Verfehlungen der ETH bei der Entlassung von Professorin Marcella Carollo, die beim Bundesverwaltungsgericht Rekurs einlegte gegen eine aus ihrer Sicht missbräuchliche Entlassung. «Mit einem männlichen Professor wäre man anders umgesprungen», sagte die ETH-Physikprofessorin Ursula Keller in einem Interview mit der Republik. Von der NZZ auf die neue Umfrage angesprochen, bekräftigt Keller, die ETH habe ein systemisches Problem. Die männlich geprägte Kultur erschwere die Chancengleichheit.
Was als Nächstes geschieht: ETH-Präsident Joël Mesot gibt sich in einer internen Publikation sehr zufrieden mit den allgemeinen Resultaten der Umfrage. Das bestärke ihn im Weg, den die Schulleitung angestossen habe. Dieselbe Publikation zitiert Renate Schubert, ETH-Professorin und Delegierte für Chancengleichheit, die sagt, die Resultate müssten zu denken geben. Die Hochschule will das Reglement zu Ombuds- und Beratungsstellen verbessern.
Zum Schluss: Alle so grosszügig hier!
Elon Musk, Barack Obama, Joe Biden, Bill Gates, Jeff Bezos – sie alle wurden unfreiwillig zu Protagonisten im grössten Hackerangriff aller Zeiten auf ein soziales Netzwerk. Wer einen Betrag in Form der Kryptowährung Bitcoin auf ein Konto einzahle, twitterten Mittwochnacht all diese berühmten und reichen Menschen unisono, würde den Betrag in doppelter (!) Höhe zurückerhalten – was natürlich Unsinn war. Der Bitcoin-Scam weitete sich auf unzählige, auch unbekanntere Accounts aus. Twitter spricht von einer «Social-Engineering-Attacke» auf einige seiner Angestellten. Das heisst: Personen mit Zugang zu internen Tools wurden von Hackern angegangen. Laut «Motherboard», dem Tech-Portal des Online-Mediums «Vice», hätten die Hacker die Mitarbeitenden bezahlt, um sich Zugang zu den Accounts zu verschaffen. Bestätigt ist dies aber noch nicht. Bitcoins im Wert von über 100’000 US-Dollar sollen die Hacker mit ihrer Attacke erstanden haben. Twitter dürfte sich trotz dieser beispiellosen Datenpanne dennoch glücklich schätzen: In Zeiten, in der Kriegserklärungen getwittert werden, ist ein offensichtlicher Krypto-Betrug eines der freundlicheren Szenarien.
Was sonst noch wichtig war
Türkei: Der «Welt»-Journalist Deniz Yücel wurde in der Türkei zu zwei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. Er soll sich der Propaganda für die verbotene Kurdische Arbeiterpartei PKK schuldig gemacht haben. Yücel sass ab Februar 2017 während eines Jahrs rechtswidrig in einem Hochsicherheitsgefängnis in Istanbul. Seit seiner Entlassung ist er wieder in Deutschland und wird die Haftstrafe nicht antreten müssen.
Weissrussland: Bei Protesten in der Hauptstadt Minsk wenige Wochen vor der Präsidentschaftswahl sind mindestens 250 Menschen verhaftet worden. Zuvor hatte die Wahlkommission zwei wichtige Konkurrenten von Präsident Alexander Lukaschenko von der Kandidatur am 9. August ausgeschlossen und damit einen Aufstand provoziert. Lukaschenko bekleidet sein Amt seit 25 Jahren.
USA: Am Wochenende verkündete US-Präsident Donald Trump einen Straferlass für seinen langjährigen Weggefährten und Berater Roger Stone. Dieser hätte wenige Tage darauf seine Haftstrafe antreten sollen. Im Zuge der Russlandaffäre war er unter anderem wegen Falschaussage und Behinderung der Ermittlungen zu 40 Monaten Gefängnis verurteilt worden. Der republikanische Senator Mitt Romney bezeichnete den Straferlass als «beispiellose, historische Korruption».
Südkorea: Der zweithöchste Politiker von Südkorea, Park Won-soon – Bürgermeister von Seoul und möglicher Präsidentschaftsanwärter – wurde tot auf einem Hügel in der Hauptstadt aufgefunden. Park verübte Suizid, nachdem seine Sekretärin tags zuvor bei der Polizei Anzeige wegen sexuellen Missbrauchs gegen ihn erstattet hatte. Die Übergriffe sollen sich während vier Jahren zugetragen haben.
Uno: Die Corona-Pandemie könnte die weltweite Hungersnot markant verschärfen. Davor warnen die Vereinten Nationen in ihrem jüngsten Welternährungsbericht. Vergangenes Jahr waren rund 690 Millionen Menschen oder 9 Prozent der Weltbevölkerung unterernährt. Die Pandemie könnte diese Zahl um bis zu 132 Millionen Menschen ansteigen lassen, melden mehrere Uno-Behörden.
Schweiz: James Murdoch, Sohn des Medienmoguls Rupert Murdoch, will bei der schlingernden Schweizer Messebetreiberin MCH Group einsteigen. Seine Investmentfirma soll 30 bis 44 Prozent der Aktien erstehen, teilte der Konzern mit. Die MCH Group befindet sich seit Jahren in den roten Zahlen. Über Murdochs Einstieg war schon seit einigen Wochen spekuliert worden. Der Deal sorgt bei den restlichen Investoren jedoch für Bedenken.
Die Top-Storys
Das Geschäft mit der Gesundheit Die kalabrische Mafia ’Ndrangheta gehört zu den mächtigsten kriminellen Organisationen der Welt. Zuerst denkt man dabei vielleicht an Drogenhandel oder an die Geschäfte mit der Abfallentsorgung. Doch das Klischee des dreckigen Gangsters ist heute falscher denn je. Häufig haben es die Strafbehörden mit gut gebildeten Businessleuten zu tun. Und diese spielen zum Beispiel auch sehr gerne im maroden kalabrischen Gesundheitswesen eine tragende Rolle, wie eine Recherche der «Financial Times» aufzeigt.
Auf der Suche nach dem Dönertüten-Designer Voluminöser Bauch unter Kochschürze, dickes Grinsen, puffige Kochmütze und, na klar, Messer und Dönerspiess, alles in Rot-Weiss. Kommt Ihnen das bekannt vor? Zugegeben, es liest sich schlechter, als es sich sieht. Die Rede ist von dem rot-weissen Logo auf diesen leicht fettigen Backpapier-Tüten, in denen man immer einen noch viel fettigeren Döner serviert bekommt. Und immer heisst: immer. Aber woher stammt dieser Mann eigentlich, der uns da entgegengrinst?, fragte sich ein Autor der FAZ. Und machte sich treu der Linie «Irgendjemand muss das ja designt haben» auf die Suche.
Traurige Torten Sabine Dürr ist Tortendesignerin in Deutschland. In einem Interview mit dem «SZ Magazin» erzählt sie, wieso sie die Geburtstagstorte für einen 11-Jährigen so bedrückte. Und ob sich die angebotene Scheidungstorte eigentlich gleich gut verkauft wie die für die Hochzeit. Spoiler: Die Antwort ist nicht so megaüberraschend – und steht im Titel.
Illustration: Till Lauer