So steht es um die Geschlechterbalance in der Republik
Ein Jahr nach dem Frauenstreik haben wir erneut ausgewertet, wie viele Frauen bei uns schreiben. Wir sind besser geworden – aber nur halb zufrieden.
Von Ihrem Expeditionsteam, 12.06.2020
Vor einem Jahr haben wir Ihnen versprochen: Wir legen Rechenschaft ab. Zum Frauenstreik am 14. Juni 2019 stellten wir fest, dass gerade mal 36 Prozent unserer Beiträge von Frauen mitverfasst wurden. Damit standen wir zwar nicht allein da – es entspricht ziemlich genau dem Durchschnitt in der Schweizer Medienbranche. Trotzdem ärgerte das Ergebnis die ganze Redaktion. «Schlicht ungenügend» nannte es Chefredaktor Christof Moser.
Die Republik verordnete sich deshalb ein klares Ziel: ein Geschlechterverhältnis mit nicht mehr als 10 Prozent Differenz – also beispielsweise 55 Prozent Männer und 45 Prozent Frauen als Autorinnen. Weil guter Wille und Vorsätze nicht ausreichen, um lange tradierte Strukturen zu überwinden, beschloss die Redaktion gleichzeitig ein striktes Monitoring: Jeden Monat erfassen wir seither intern, wie viele unserer Beiträge von Frauen, von Männern oder von gemischten Teams produziert werden.
Wir liefern Ihnen hiermit diese Zahlen – von Juni 2019 bis Mai 2020. Und weil das allein nicht reicht, haben wir zugleich auch untersucht, wie wir Frauen und Männer in Beiträgen der Republik präsentieren.
So viel vorweg: Unsere Bilanz ist gemischt.
Zunächst die gute Nachricht: Wir sind bei der Autorenschaft tatsächlich ausgewogener geworden – wenn auch noch nicht ausreichend. Gleichzeitig hat sich auch verändert, wie wir über Frauen berichten: nämlich häufiger in tragenden Rollen. Die Republik präsentiert Frauen ausserdem nicht nur als Betroffene, sondern mehrheitlich auch oder sogar nur als Expertinnen.
Die schlechte Nachricht: Der Frauenanteil bei den redaktionellen Stellenprozenten stagniert hartnäckig bei 36 Prozent. Vor allem aber zeigen sich auch bei uns die bekannten Muster: Wir berichten deutlich häufiger über Männer, und auch unsere Expertinnen sind viermal öfter Männer als Frauen.
Kurz: Wir haben Luft nach oben.
1. Mehr Beiträge von Frauen
Es zeichnen bei der Republik seit Juni 2019 deutlich mehr Frauen als Autorinnen: Rund 51 Prozent der analysierten Artikel haben Frauen mitverfasst – eine deutliche Zunahme gegenüber den im letzten Jahr ausgewiesenen 36 Prozent. Allein von Männern stammen 48 Prozent statt wie letztes Jahr 63 Prozent der Beiträge. Diese Entwicklung freut uns.
Ein Blick in die Details sollte uns aber zur Vorsicht mahnen.
Wir sind vor allem deshalb besser geworden, weil wir mehr Beiträge von gemischten Teams publizieren. Der Anteil der Beiträge, den Frauen allein als Autorinnen zeichneten, hat nur leicht zugenommen und liegt heute bei 28 Prozent. Hier wollen wir weiter zulegen, bis wir das gesetzte Ziel erreichen.
Das ist umso wichtiger, als es uns bisher nicht gelungen ist, den Frauenanteil bei den redaktionellen Stellenprozenten zu erhöhen: Er liegt praktisch unverändert bei 36 Prozent. Hier zuzulegen, bleibt ebenfalls unser Ziel.
Zwar haben wir bei zwei Neuanstellungen in der Redaktion beide Male Frauen gewählt – gleichzeitig aber auch andere verloren. Einerseits gab es Abgänge, andererseits hat der Tod unserer Bildchefin Brigitte Meyer – nicht nur in dieser Hinsicht – eine enorme Lücke im Team hinterlassen.
2. Dreimal so viele Männer in Beiträgen
Was wir als Medien berichten und was nicht, spielt eine Rolle. Über wen wir wie schreiben, das prägt das Bild der Leserinnen von der Welt mit. Daher haben wir uns diesmal nicht nur die Autorenschaft von Beiträgen angeschaut, sondern auch, ob und wie wir über Frauen berichten.
In rund drei Vierteln unserer Beiträge kommen Frauen vor – ein Wert, der seit zwei Jahren ungefähr gleich geblieben ist. Erfreulich ist dabei allerdings, dass Frauen zunehmend nicht nur als Nebenfiguren oder Namen auftauchen, sondern dass sie in den Beiträgen eine tragende Rolle spielen. (Definiert als: «Tragen Frauen, in Zitat oder Auftreten, einen wesentlichen Punkt/Gedanken zum Text bei? Würde etwas fehlen, kämen sie nicht vor?»)
Trotzdem gilt auch bei uns, was an so vielen Orten gilt: Es bevölkern deutlich mehr Männer unsere Beiträge als Frauen. In jedem Text nämlich im Schnitt rund 7 Männer und 2,5 Frauen. Das heisst: ein Verhältnis von knapp 3:1.
Das ist, wir müssen es leider sagen, im medialen Quervergleich kein aussergewöhnlich schlechter Wert. Vor einem guten Jahr kam eine Studie auf einen Frauenanteil von nur knapp einem Viertel in Schweizer Medienberichten.
Diese Schräglage spiegelt natürlich auch – und das wird immer wieder betont – die Wirklichkeit, die wir antreffen. Wenn beispielsweise der Frauenanteil in Parlamenten nur 30 bis 40 Prozent beträgt, werden Frauen auch entsprechend weniger in der politischen Berichterstattung vorkommen.
Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit. Immer wieder stellen Studien fest, dass der Spiegel eben doch ein verzerrter ist: So stellten beispielsweise bei den Wahlen 2019 Frauen bei der FDP 42 Prozent und bei der CVP 40 Prozent der Kandidaten – von den Erwähnungen in den Medien widmeten sich ihnen dennoch nur 30 Prozent (FDP) und 27 Prozent (CVP).
Mit anderen Worten: So einfach ist es nicht.
Dasselbe gilt für die Frage, wie Frauen und Männer in unseren Beiträgen porträtiert werden. Nämlich: ob als Experten, als Repräsentantinnen einer Organisation, als Fachpersonen – oder als Betroffene und Protagonistinnen.
3. Frauen sind auch Expertinnen – aber seltener
Es ist ein altbekanntes Phänomen: Wenn im Fernsehen beispielsweise die Corona-Pandemie diskutiert wird, werden in Talkshows gerne Frauen als Betroffene und einfache Bürgerinnen eingeladen – und Männer als Experten, die diese Erfahrungen einordnen und erklären. Schon seit der Antike gilt: Frauen reden öffentlich, wenn es um eigene Befindlichkeiten oder um Familie und Kinder geht – sonst gehört das Mikrofon den Männern.
Ganz so drastisch ist es bei der Republik nicht. Frauen treten in unseren Beiträgen erfreulich oft auch als Expertinnen auf – in einem Drittel der Beiträge sogar nur als Expertinnen.
Trotzdem zeigt sich das bekannte Muster auch bei uns: Auch wir zitieren fast viermal mehr männliche als weibliche Experten. Damit stehen wir zwar besser da als das deutsche Fernsehen, das während der Corona-Krise auf einen Frauenanteil von 22 Prozent kam. Allerdings glänzen auch wir nicht.
Hier können wir uns verbessern. Die gute Nachricht ist, dass wir offenbar auf dem Weg dazu sind: Der Anteil der weiblichen Experten hat sich seit dem Start der Republik 2018 laufend erhöht.
Warum das so ist, können wir nicht mit Sicherheit sagen. Möglicherweise spielt eine Rolle, welche Themen in den betreffenden Jahren aktuell waren, vielleicht spielen auch zufällige Faktoren eine Rolle. Wir gehen aber davon aus, dass ein regelmässiges monatliches Monitoring zu einer zunehmenden Sensibilisierung beiträgt.
Nicht zuletzt, weil sich eine ausgewogenere Autorenschaft auch in einer ausgewogeneren Berichterstattung niederschlägt: Denn Frauen und gemischte Teams berichten mehr über Frauen.
4. Autorinnen geben Frauen mehr Raum
Frauen und gemischte Teams schreiben mehr über Frauen als männliche Autoren – das ist wohl eines der interessantesten Ergebnisse unserer Analyse.
Interessant ist es darum, weil es belegt, was man implizit annimmt, wenn man mehr Frauen (oder andere unterrepräsentierte Gruppen) als Autoren gewinnen möchte: dass sich dadurch auch die Berichterstattung und das Produkt verändern.
Die Tatsache, dass weibliche Autoren nicht nur mehr weibliche Betroffene, sondern eben auch mehr weibliche Experten in ihren Texten erwähnen, zeigt ausserdem: Diese Expertinnen gibt es.
Man muss sie nur finden und zeigen.
Die Auswertung zu den Autorinnen kategorisiert alle von Juni 2019 bis Mai 2020 erschienenen Beiträge aufgrund der Autorenzeile nach den Geschlechtern «weiblich» und «männlich» sowie «beides» und «unbestimmt». Als von Autorinnen verfasste Beiträge gelten «weiblich» und «beides».
Die Untersuchung zur Darstellung von Frauen in der Berichterstattung liefert erste Anhaltspunkte, ist aber nur eine Annäherung an das Thema – um Zusammenhänge wirklich deutlich und repräsentativ zu erkennen, wären ausgefeiltere Methoden nötig.
Wir haben dazu aus jedem Publikationsjahr (2018, 2019, 2020) jeweils einen künstlichen Monat ausgewählt (zweite Hälfte Januar und zweite Hälfte Mai) und die in diesem Zeitraum erschienenen geschriebenen Beiträge (ohne Audio oder Video) analysiert. Insgesamt haben wir 217 Beiträge ausgewertet.
Erhoben haben wir dabei: Autorinnen (nach Geschlecht), Frau(en) im Text, Rolle der Frauen (Expertin, Protagonistin, beides), Bedeutung der Frauen für den Text (tragende Rolle) sowie die Anzahl Männer beziehungsweise Frauen, die als Experten beziehungsweise Betroffene im Text auftauchen.
Dabei sind die Angaben bezüglich Autorinnen sowie die Anzahl der Frauen und Männer in den Texten zuverlässig. Bei der Bewertung, ob jemand als Expertin oder Protagonist auftritt, kann es Unschärfen geben – eine Erhebung mit wissenschaftlichem Anspruch (diesen hat die vorliegende nicht) müsste hier konsequenter gegen subjektive Verzerrungen vorsorgen (z. B. Texte von mehreren Personen codieren lassen und so lange abgleichen, bis eine absolut eindeutige gemeinsame Definition steht).
Anschliessend haben wir die im Sample erfassten Angaben zum Geschlecht der Autorinnen verglichen mit den Namensnennungen, die wir für das Monitoring über das ganze Jahr hinweg maschinell erfassen. Dabei zeigen sich in den Kategorien (männlich, weiblich, beide) zwar leichte Abweichungen, das grundsätzliche Muster aber stimmt überein. Daraus lässt sich schliessen, dass das Textsample zwar nicht vollständig repräsentativ für das jeweilige Jahr ist, aber dennoch gute Anhaltspunkte liefert.