Wieder obenauf: Kundgebung gegen die Einschränkungen wegen der Corona-Krise (Berlin, Alexanderplatz, 9. Mai). Christian Mang/Reuters

Der Tod gehört wieder den Rechten

Das Virus ist nicht der Feind, den sich die extreme Rechte als Bedrohung des «gesunden Volkskörpers» wünscht. Doch jetzt hat sie sich aus der Schockstarre gelöst und instrumentalisiert die Corona-Krise. Gemeinsam mit Marktradikalen, Verschwörungs­gläubigen und Antisemiten.

Eine Analyse von Natascha Strobl, 16.05.2020

Zu Anfang war es nicht ihre Krise. Ganz und gar nicht. Als die europäischen Länder begannen, auf das Corona­virus zu reagieren, Abstand zu verordnen und Schulen zu schliessen, befassten sich ganze Gesellschaften plötzlich mit exponentiellem Wachstum und der Bedeutung von R0 statt mit tages­politischem Hickhack. Es war die Stunde der Virologinnen und Epidemiologen. Man unterhielt sich in der Sprache der Medizin.

Zur Autorin

Natascha Strobl ist Politik­wissenschaftlerin und befasst sich mit der Neuen Rechten und der identitären Bewegung. Sie ist Co-Autorin von «Die Identitären. Handbuch zur Jugendbewegung der Neuen Rechten in Europa» und liefert auf Twitter regelmässig Ad-hoc-Analysen (#NatsAnalyse) zum Thema, die mittler­weile einen sehr breiten Leser­kreis erreichen.

Und noch etwas war zu beobachten in diesen ersten Tagen und Wochen von Corona: Die extreme Rechte verstummte. Eigentlich wären Krise und Ausnahme­zustand ihr natürliches Umfeld. Endlich ist der so lang ersehnte gesellschaftliche Umbruch da, alle Gewissheiten sind verschwunden.

Aber dies war die falsche Krise, und die falschen Leute waren in der Verfügungs­gewalt des Ausnahme­zustands. Eine medizinische Krise ist kein Krieg. Es gibt nur einen unsichtbaren Invasor, ein Virus, das nicht mit Soldaten, sondern von Ärztinnen und Kranken­pflegern bekämpft wird. Die Heldinnen sind keine Freischärler und Fliegerinnen, sondern Supermarkt­kassierer und Lieferdienst­fahrerinnen.

Statt über Abschüsse und tollkühne Abenteuer redeten wir nun über prekäre Beschäftigung und das richtige medizinische Equipment für Spital­personal. Statt «Taten» und der «Rettung des Abend­landes» war «daheim bleiben!» gefragt. Für diese Art Krise fehlt der extremen Rechten die Sprache.

Der dräuende Untergang

Dieser Sprachlosigkeit wurde anfangs mit Banalisierung begegnet. Die Krise kam ja auch zu einem mehr als ungünstigen Zeitpunkt. Gerade waren noch die Flüchtlinge an der Grenze zwischen der Türkei und Griechen­land das bestimmende Thema. Das Leib- und Magen­thema der extremen Rechten.

Die «Verteidigung des Abend­landes», der herbei­fantasierte «grosse Austausch», ist ein unendliches Betätigungs­feld für die extreme Rechte, egal ob im Parlament, in den Feuilletons oder auf der Strasse. Für diese Krise gibt es eine Sprache, die des Krieges. Es gibt verteilte Rollen als Invasoren (die Flüchtlinge) und Soldaten (sie selbst). Es gibt eine Mission (den «grossen Austausch» verhindern) und eine zu erstrebende Utopie (ein «weisses Europa»). Es gibt die Rolle der Verräter (die etablierte Politik, Linke, Medien, NGOs), und es gibt das selbst­gerechte Pathos des dräuenden Unter­gangs (die letzte Generation). Dementsprechend wollte die extreme Rechte gerne den Fokus auf diesem Feld behalten. Jede andere grosse Sache darf das nicht überstrahlen und muss dementsprechend kleingeredet werden.

Diese Strategie trug erwartungs­gemäss keine Früchte. Also wählte man eine andere: Man legte die Sprache des Krieges auf die medizinische Krise um und bildete Analogien.

Besonders im Zentral­organ der Neuen Rechten, der «Sezession» unter der Ägide des rechts­extremen Vordenkers Götz Kubitschek, wird diese Rhetorik angewandt. Der dort tätige Heino Bosselmann (der sich selbst in der Risiko­gruppe sieht) schreibt etwa in mehreren Artikeln, dass der Tod angenommen werden muss. Nicht feige und sich versteckend, sondern mutig und mit kalter Gewissheit. Das ist die Idee eines heroischen Helden­todes und eines stoischen Aushaltens auf verlorenem Posten. Diese Idee ist nicht neu, sondern zentral für den historischen Faschismus und den Nationalsozialismus.

Starke gegen Schwache

Diese Idee findet sich etwa bei Ernst Jüngers Sinngebungs­versuchen des Ersten Weltkriegs wieder. Auch die Identitären haben sie für ihr Selbst­bild übernommen mit dem Mythos der 300 Spartaner, die gegen ein über­mächtiges persisches Heer Griechen­land (Europa) verteidigen. Schwäche sind der Rückzug und das Nachhause­gehen, Stärke ist es, mit offenen Augen in den Tod zu gehen.

Dieses Konzept wird zum Beispiel von Bosselmann in der «Sezession» auf die Gesundheits­krise mit dem Corona­virus übertragen. Wer diesem Tod durch Schutz­massnahmen entgehen will, ist in dieser Idee ein Deserteur und somit ein Feigling und Verräter. Noch dazu belasten die Personen, die Schutz benötigen, die Gesellschaft (das «Volk»), und in einer rechts­extremen Vorstellung von Gemeinschaft (dem «Volk») sind der Mass­stab nicht die Schwächsten, sondern die Stärksten. Die Starken dürfen in ihrer Entfaltung durch Rücksicht­nahme auf Schwächere nicht behindert werden. Dementsprechend werden gesamt­gesellschaftliche Schutz­massnahmen abgelehnt. Schwache (also Angehörige der Risiko­gruppen) müssen selbst schauen, wie sie sich einrichten, oder eine Virus­erkrankung annehmen.

Diese Idee, keine Schutz­massnahmen für Schwache einzurichten, entsteht hier aus einer völkischen Ideologie. Jeder Teil des Volkes hat sich nach dem grossen Ganzen hierarchisch und von oben nach unten auszurichten. (Die nicht zum Volk gehörigen Teile werden schon vorher gewaltsam ausgeschieden – durch Entrechtung, Verfolgung, Vernichtung.) Das heisst, der Hass auf die Schwachen entsteht im völkischen Denken aus dem Willen, das Volk zu stärken.

Diese Rücksichts­losigkeit gegenüber jenen, die auf die Solidarität aller angewiesen sind, gibt es aber ebenso unter Markt­radikalen. Sie schufen in dieser Krise einmal mehr die breiten­wirksamen Denk­muster, an die rechts­extreme Rhetorik problemlos andocken kann.

Die Knute des Sozialismus

Auch Marktradikale pflegen das Credo, dass sich eine Mehrheit nicht nach einer Minderheit ausrichten darf. Zumal dann, wenn der Schutz der Minderheit «die Wirtschaft» zerstört.

Autoren vertraten diese Haltung ebenso selbst­bewusst in der NZZ (eine genauere Analyse dazu finden Sie in diesem Twitter-Thread) wie in markt­radikalen Nischen­magazinen wie «Capital». Die Texte unterscheiden sich weder in Grund­haltung noch Wortwahl von den Rechts­aussen­ablegern des markt­radikalen Spektrums wie «Eigentümlich Frei». Hier schliesst sich der Kreis auch wieder zu den völkischen Vorstellungen: Dieses Nischen­organ propagiert seit Jahren immer wieder den Schulter­schluss von Freisinnigem und Völkischem (beispielsweise hier).

Auf den ersten Blick scheint eine radikal individualistische Ideologie unvereinbar mit einer völkischen – schliesslich setzt die eine auf die Freiheit des Individuums, die andere auf die Volks­gemeinschaft, wie Markt­radikale oft betonen. Doch Autoren sind seit vielen Jahren äusserst umtriebig ausgerechnet auf dem Gebiet, auf dem man sich überschneidet: Rassismus und Antifeminismus, die Überhöhung von Markt und Wettbewerb und eine grosse Angst vor der Knute des Sozialismus bei jeder staatlichen Massnahme.

Dahinter steht eben doch ein verbindendes Element im Denken: nämlich die Ablehnung, eine Gemeinschaft als Gesellschaft zu denken, die Entscheide gemeinsam demokratisch aushandelt. Stattdessen wird das Volk als hierarchisch strukturiert gesehen; es muss nach aussen geschützt und bewahrt werden, während das freie Individuum innerhalb dieses Volkes nur nach Selbst­interesse streben soll, ohne Rücksicht auf andere. Dieser scheinbare Wider­spruch wird in einer Arbeits­teilung der Ideologien aufgelöst: gesellschaftlich völkisch – und wirtschaftlich marktradikal.

Im Umgang mit Corona zeigt sich das als ein Oszillieren zwischen Verschwörungs­theorie (völkisch) und Sozial­darwinismus (marktradikal): Das Virus ist gar nicht so schlimm, es wäre aber trotzdem in Ordnung, wenn einige tausend Leute stürben, solange die Wirtschafts­ordnung intakt bliebe.

Die Neuordnung der Welt

Spätestens mit den Demonstrationen in verschiedenen europäischen Städten (auch in Bern und Zürich) hat es jetzt die extreme Rechte vom medialen Diskurs hinaus auf die Strasse geschafft. Dabei entstehen vielfältige diskursive Bündnisse – etwa rund um Verschwörungs­mythen –, die letztlich der extremen Rechten dienen. Sie bieten schlüssige, eindimensionale Erklärungen der Krise – und nutzen dabei oft bekannte antisemitische Erzählmuster.

Verschwörungsmythen sind in einer komplexen Situation, die viele wider­sprüchliche Wahrheiten in sich birgt, willkommene Erklärungs­angebote. Einer der massgebenden rankt sich aktuell um einen angeblichen anonymen Informanten aus dem militärischen Komplex der USA, der sich selbst QAnon nennt. Er bestätigt eine vermeintliche Verschwörung der gesamten politischen, medialen, kulturellen und gesellschaftlichen Elite der USA. Kinder würden in unter­irdischen Katakomben von Washington D. C. gefangen gehalten und gefoltert. Dabei würden sie einen Stoff namens Adrenochrom ausstossen, der eine Verjüngungs­kur für die Reichen und Mächtigen der Welt ist. Einzig Donald Trump ist nicht Teil des Ganzen, und seine Wahl, die nicht vorgesehen war, ist die Chance, diesem Treiben ein Ende zu bereiten. Die Corona-Massnahmen werden von diesem Szenario adaptiert und dienen angeblich dazu, die Kinder unauffällig zu befreien.

Das mag abstrus klingen, findet aber weite Verbreitung, etwa beim Musiker Xavier Naidoo und über Telegram- und Facebook-Gruppen. Auch Versatz­stücke wie 5G, die Zwangs­impfungen (mit denen Chips implantiert werden sollen) oder die Bargeld­abschaffung finden sich in diesen Verschwörungs­mythen wieder.

In der Corona-Krise ist der angebliche Bösewicht für einmal nicht George Soros, sondern Bill Gates. Das Prinzip ist aber dasselbe: Ein Multi­milliardär hat alle Fäden in der Hand und will jetzt zum eigenen Vorteil ganz vielen Menschen schaden. Damit orientiert sich die Erzählung nicht nur an bekannten Verschwörungs­mythen im Zusammen­hang mit der Flüchtlings­krise – hier ist es Soros, der für massenhafte Flucht­bewegungen zur Destabilisierung Europas verantwortlich gemacht wird. Sie bedient auch das Ur-Schema der modernen Verschwörungs­theorie: die «Protokolle der Weisen von Zion».

Dieses antisemitische Pamphlet, erschienen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, ist die Basis für viele antisemitische Verschwörungs­mythen und diente auch als Legitimation für die Verfolgung und Vernichtung der europäischen Juden. Auch das «Protokoll» erklärt die Verwerfung der einbrechenden Moderne mit einfachen, klaren und eindimensionalen Erzählungen. Die Grundidee: Eine böse Gruppe von Menschen trifft sich, um die Welt nach ihren Gunsten zu ordnen und den Rest zu unter­drücken. Es handelt sich dabei um mächtige Menschen in den wichtigsten Positionen der Welt, die jetzt die ganze Macht an sich reissen wollen. Und sie sind Juden.

Die aktuellen Verschwörungs­mythen und ihre Anhängerinnen sprechen nicht immer explizit über und von Jüdinnen. Gemeint ist der Antisemitismus aber allemal, und im Schlepptau folgt er nach – ob in den USA oder in Deutschland, der Schweiz oder Österreich.

Wie ein Brennglas

Alle Elemente der rechten Rhetorik, die im Moment sichtbar werden, sind nicht spezifisch für die Corona-Krise. Diese Rhetorik setzt gleichzeitig auf eine Banalisierung des Virus und auf apokalyptische Erzählungen vom Ende der bürgerlich-demokratischen Welt. Sie propagiert einen brutalen Sozial­darwinismus, völkisch und/oder marktradikal unterfüttert, der von einem Hass auf «das Schwache» geprägt ist. In einer unübersichtlichen Phase blühen auch Verschwörungs­mythen, die sich verschiedene bekannte Versatz­stücke einverleiben und so eine schlüssige, eindimensionale Erklärung der aktuellen Krise bieten.

All dies ist nicht neu. Die akute Krisen­situation wirkt vielmehr wie ein Brenn­glas, das gewohnte Realitäten konzentriert bündelt. So bekommen auch die Erzählungen der extremen Rechten eine besondere Intensität und wirken schnell über ihren eigenen Radius heraus.